Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Bild am Sonntag
BILD am SONNTAG: Herr Schäuble, der Bundestag hat am Freitag Ihren Etat für 2010 und damit die höchste Neuverschuldung des Bundes aller Zeiten beschlossen. Sollten Sie sich ehrlicherweise nicht vom Bundesfinanz- zum Bundesschuldenminister umbenennen?
WOLFGANG SCHÄUBLE: Nein, denn mein Aufgabenbereich umfasst ja weitaus mehr als die Schuldenverwaltung des Bundes. Im Übrigen ist ja völlig unbestreitbar, dass die Aufnahme von 80 Milliarden neuer Schulden zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise alternativlos ist.
Jetzt beginnen die Beratungen über den Haushalt 2011, die ungleich härter werden dürften. Was hat für Sie Priorität bei der Aufstellung der neuen Etats?
Wenn es richtig ist, dass 2010 das letzte Krisenjahr ist, dann müssen wir 2011 entsprechend den Vorgaben des Euro-Stabilitätspakts und der Schuldenbremse im Grundgesetz die Staatsverschuldung zurückfahren. Das bedeutet für den Bund: Wir müssen das strukturelle Defizit bis 2016 um jährlich zehn Milliarden Euro zurückführen. Auf den Bundeshaushalt kommen damit einschneidende Änderungen zu.
Die meisten Minister wollen im nächsten Jahr aber mehr Geld als in diesem . . .
In der Tat: Die Etatwünsche der Kolleginnen und Kollegen tragen – zurückhaltend formuliert – dem Ernst der Lage noch nicht in vollem Umfang Rechnung. Ich werde in dieser Woche im Kabinett in aller Klarheit daran erinnern, dass die Einhaltung von Stabilitätspakt und Grundgesetz eine Aufgabe der ganzen Regierung zum Besten unseres Volkes ist.
Ist aus Ihrer Sicht überhaupt ein Euro für Zusatzaufgaben da?
Wir haben uns verpflichtet, die Mittel für Bildung und Forschung in dieser Legislaturperiode trotz Krise um zwölf Milliarden Euro zu erhöhen. Und wir müssen die auch im internationalen Vergleich hohe Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems erhalten. Dafür braucht es eine Riesenreform. Diese Aufgaben kosten viel Geld. Gleichzeitig haben wir uns vorgenommen die finanziell Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung zu stärken. Das alles muss in Einklang gebracht werden mit dem Ziel, die Geldwertstabilität nachhaltig zu gewährleisten. Sie steht nach den Inflationserfahrungen bei den Bürgern zu Recht ganz oben auf der Prioritätenliste.
Was bedeutet das konkret für den Haushalt 2011?
Der Ausgabenrahmen des Haushalts 2010 kann – von Ausnahmen abgesehen – in den kommenden Jahren nicht überschritten werden. Die Personal- und Sachausgaben können die ganze Legislaturperiode über nicht steigen. Die anstehenden Gehaltssteigerungen müssen im Etat eingespart werden. Dann haben wir eine Steuerstrukturreform vereinbart, über die wir im Lichte der aktuellen Steuerschätzung im Mai/Juni entscheiden wollen
EU-Kommissionspräsident Barroso hat mit Blick auf den Gipfel kommende Woche an alle EU-Staaten appelliert, Griechenland bilateral mit Kreditzusagen zu helfen. Ist Deutschland dabei?
Griechenland unternimmt alle Sparanstrengungen, um die Krise in den Griff zu kriegen. Nun geht es darum, die Märkte zu überzeugen und die Spekulation gegen Griechenland zu brechen. Die Regierung in Athen sagt, dass sie dafür die Solidarität der anderen Euro-Länder braucht. Es geht darum, die Finanzmärkte davon zu überzeugen, dass der griechische Konsolidierungsweg glaubwürdig ist. Für EU-Hilfen gibt es kein Gemeinschaftsinstrument. Also kämen im äußersten Fall nur bilateral koordinierte, also freiwillige Hilfen infrage, aber Griechenland selbst sieht diesen Fall nicht als gegeben. Im Übrigen hat Griechenland – als Mitglied des IWF – nach der Rechtslage auch Zugang zu Hilfen des IWF.
Wie viel Sorgen um die Zukunft des Euro machen Sie sich?
Der Euro hat sich entgegen anfänglicher Skepsis als eine starke Währung erwiesen, von der wir alle profitieren. Deshalb war es richtig, dass die EU-Staats- und Regierungschefs Anfang Februar beschlossen haben, die Stabilität des Euros als Ganzes zu verteidigen. Deshalb müssen wir alles für seine Stabilität tun, auch in Form von Solidarität mit anderen Ländern. Damit nehmen wir die Verantwortung für unsere eigene Zukunft wahr.
Kanzlerin Merkel, Vize-Kanzler Westerwelle, CSU-Chef Seehofer und Sie opfern Ihren Sonntagabend für Beratungen über die Finanzen. Worum geht es dabei?
Wir wollen über Einzelheiten der Beteiligung des Finanzsektors an den Krisenkosten sowie der Aufsicht über Banken und Versicherungen reden. Um Steuerfragen geht es dabei nicht. Das war auch nicht geplant.
Werden Sie dort auch einen Vorschlag machen, wie die Banken an den Kosten der Krise beteiligt werden können?
Die Banken an den Kosten der Krise zu beteiligen, halte ich für die einzig denkbare Alternative zu einer globalen Finanzmarkttransaktionssteuer, die wir weltweit wohl nicht hinbekommen werden. Wie wir die Banken heranziehen, also die Ausgestaltung von Prozentsätzen und Mindestgrenzen, darüber müssen wir in der Koalition noch abschließend sprechen. Unsere Vorschläge wollen wir eng mit unseren europäischen Partnern, insbesondere mit Frankreich, abstimmen. Deshalb freue ich mich sehr, dass die französische Finanzministerin Lagarde am 31. März an unserer Kabinettssitzung teilnimmt.
Goldman & Sachs-Manager bekommen wieder Boni wie vor der Krise, und auch das Einkommen von Deutsche-Bank-Chef Ackermann beträgt wieder fast zehn Millionen Euro. Können Sie verstehen, dass viele Bürger das nicht verstehen?
Anders als in der Vergangenheit werden Ackermanns Bezüge im Wesentlichen statt sofort erst in den kommenden Jahren fällig. Ihre Auszahlung hängt also vom nachhaltigen Erfolg der Deutschen Bank ab. Damit sind die Empfehlungen des internationalen Forums für Finanzstabilität erfüllt. Als Bundesfinanzminister habe ich deshalb nichts Kritisches zu dem Gehalt anzumerken. Außerhalb meiner Funktion als Bundesfinanzminister, als Privatperson, habe ich aber Schwierigkeiten mit solchen Gehältern.
Was meinen Sie konkret?
Als Protestant zucke ich immer ein bisschen zusammen, wenn ich im Werbefernsehen den Satz höre: „Unterm Strich zähl ich“. Ich finde, wir sollten den Egoismus und das Streben nach möglichst viel Geld nicht zu sehr zum einzigen Lebensziel machen. Egoismus ist etwas ganz Gesundes und Grundlage jeder Freiheitsordnung. Aber jeder Wert kann sich durch Übertreibung selbst zerstören.
Sollte der Werberat solche Oberzeichnungen verbieten?
Vielleicht wäre es noch schöner, wenn wir es hinbekommen, dass solche Werbesprüche nicht mehr wirken. Das Problem ist, dass diese Botschaften offenbar in der Gesellschaft ankommen. Das muss ich als Demokrat akzeptieren, ich darf aber auch für Einstellungsveränderungen bei den Bürgern werben.
Was sollte sich ändern?
Vielleicht liegt in dieser großen Krise des Finanzsystems die Chance, dass wir gesamtgesellschaftlich erkennen: Geld ist wichtig, aber die ausschließliche Konzentration auf die Vermehrung des materiellen Wohlstands macht die Menschen weder glücklicher noch zufriedener. Wenn wir uns manche Befindlichkeitsstudie anschauen, hat man den Eindruck, dass es Deutschland noch nie so schlecht gegangen ist. In Wahrheit ist es den Deutschen in ihrer Geschichte selten besser gegangen.
Sie haben nach einer Operation das Krankenhaus gegen den Rat der Ärzte für die Haushaltswoche verlassen. Wie strapaziös waren die vergangenen Tage für Sie?
Die Ärzte hätten es lieber gehabt, wenn ich noch ein paar Tage geblieben wäre. Wäre es nicht verantwortbar gewesen, hätte ich es nicht getan. Ich bin kein Hasardeur.
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