Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Maganzin Bunte
Bunte: …Empfinden Sie aufgrund des Vertrauens, das die Menschen Ihnen entgegenbringen, eine besondere Verantwortung – für den Euro, für Europa und für die Deutschen?
Natürlich. Die Menschen machen sich aufgrund der unglaublich komplizierten intensiven Debatte rund um die Eurokrise große Sorgen. Diese Sorgen nehme ich sehr ernst. Alles andere wäre völlig unverantwortlich und in keinster Weise zu rechtfertigen. Wir Politiker wissen ja auch nicht alles. Aber eine der wichtigsten Aufgaben von Politikern ist es, die Risiken zu minimieren, zu versuchen, so besonnen zu agieren wie möglich, und alle Eventualitäten abzuwägen. Und dabei auch nicht unsere Stärken zu übersehen. Mir ist es wichtig, dass die Bürger wissen, dass der Euro eine begehrte, geschätzte und stabile Währung ist. Seit wir den Euro haben, steigen die Preise noch weniger als zu Zeiten der D-Mark. Und die war schon sehr stabil. Europa ist der größte Wirtschaftsraum der Welt und der Euro ist nach dem amerikanischen Dollar die zweitwichtigste Weltreservewährung.
Bunte: Können Sie dennoch verstehen, dass viele Menschen das Vertrauen in den Euro verloren haben?
Vertrauen ist ein kostbares Gut. Das verliert sich sehr schnell. Das Vertrauen in den Euro ist bei vielen Menschen angeknackst worden in der Finanzkrise, die ihren Ausgang genommen hat in der amerikanischer Immobilienkrise. Es dauert lange, bis man Vertrauen zurückgewinnt. Die Eurozone ist kompliziert: eine Währung, siebzehn Staaten, siebzehn Regierungen, siebzehn Parlamente. Wenn man das einem Finanzinvestor in Shanghai oder Los Angeles erklären will, fragt er nach dem dritten Satz: Wie soll das funktionieren? Ich sage: Es kann funktionieren. Diejenigen, die politische Verantwortung haben, müssen dafür sorgen, dass die Menschen in sie Vertrauen haben können. Indem sie mit aller Macht versuchen, alles richtig zu machen, alles zu bedenken, so fundiert wie eben möglich zu entscheiden und dabei die Bürger mitzunehmen. Ohne Vertrauen funktioniert das nicht. Das ist eine hohe Verantwortung.
Bunte: Ist diese Verantwortung für Sie eher eine Last oder eine Zier?
Wer sich in der Politik engagiert, möchte Verantwortung tragen. Und wenn man dann gewählt ist, stellt das natürlich auch einen Vertrauensvorschuss dar, dem man gerecht werden muss. Das funktioniert nicht jeden Tag gleich. Politiker sind auch nur Menschen, die an Grenzen stoßen und auch mal Fehler machen. Deshalb sollte man dafür sorgen, sein Leben, seinen Alltag so zu organisieren, dass man nicht ständig am Limit ist. Wer Vertrauen schaffen will, sollte über eine gewisse Ruhe und Gelassenheit verfügen. In guten Zeiten ist es einfach, Verantwortung zu übernehmen.
Bunte: Gibt es für Sie Vorbilder, die in Krisenzeiten Verantwortung übernommen haben?
Als junger Knabe und Jugendlicher habe ich Fußball gespielt. Damals war Fritz Walter vom 1. FC Kaiserslautern mit seiner prägenden Rolle für den deutschen Fußball mein großes Fußballvorbild. Auch Nelson Mandela finde ich unglaublich beeindruckend. Er war Jahrzehnte unter der Apartheid im Gefängnis, und als er endlich freikam, hat er für Vergebung und Versöhnung plädiert. Das finde ich grandios. Ebenso Michail Gorbatschow. Er wusste nicht, wohin sein Weg führt. Das meiste in der Geschichte wird ja nicht geplant. Das Handeln interpretieren hinterher Historiker. Aber in einem war sich Gorbatschow ganz sicher: Er wollte unter keinen Umständen eine neue große, militärische Auseinandersetzung. Wenn einer den Friedensnobelpreis wirklich verdient hat, dann er.
Bunte: Waren Ihre Eltern für Sie ein Vorbild?
Natürlich ist man auch immer von den eigenen Eltern geprägt. Aber ich glaube, mein Vater hätte sich dagegen gewehrt, wenn ich ihn als Vorbild bezeichnet hätte.
Bunte: Entdecken Sie heute manchmal Eigenschaften Ihrer Eltern an sich selbst?
Wenn ich in den Spiegel blicke, sehe ich meinen Vater. Je älter ich werde, desto ähnlicher sehe ich ihm. Unsere Eltern haben mir und meinen Brüdern eine gewisse Zurückhaltung und Bescheidenheit beigebracht. Weshalb ich auch nicht wirklich gern allzu viel über mich selbst rede. Aber sie haben uns auch beigebracht, dass wir vertreten, wovon wir überzeugt sind. Das hat natürlich die Kehrseite, dass manche sagen, ich sei oft ein bisschen stur. Ich gebe zu, nicht ganz pflegeleicht zu sein. Aber ich habe mir anerzogen, nicht zu glauben, ich wüsste alles besser. Ich versuche, mir sorgfältig Meinungen zu bilden. Ich höre auf andere und berate mich intensiv. Wenn ich dann eine feste Überzeugung habe, vertrete ich sie auch.
Bunte: Ist der deutsche Papst Benedikt XVI. für Sie ein Vorbild?
Er ist das Oberhaupt der katholischen Kirche, vor der ich auch als Protestant Respekt habe. Natürlich ist es für mich und sicher für viele Deutsche eine große Freude, dass ein Deutscher zum Papst gewählt wurde. Benedikt XVI. ist in vielerlei Hinsicht eine ungeheuer eindrucksvolle Persönlichkeit. Tiefbewegt hat mich, als BenediktXVI. einmal über seine Kindheit in der Nachkriegszeit sagte, der Duft einer Apfelsine in der Adventszeit sei für ihn das Größte gewesen. Das zeigt, dass Zufriedenheit und Glück nichts mit materiellen Umständen zu tun haben.
Bunte: Würde es Sie freuen, wenn Ihre vier Kinder Sie als Vorbild sehen würden?
Wir haben einen sehr guten, engen Zusammenhalt in unserer Familie. Den größeren Verdienst daran hat sicherlich meine Frau. Meine Kinder waren alle noch nicht richtig erwachsen, als das Attentat auf mich verübt wurde. Sie müssten miterleben, wie ihr Vater komplett hilfsbedürftig war. Das verändert natürlich eine Familie. Aber es hat zugleich auch noch einmal unseren Zusammenhalt stärker und selbstverständlicher gemacht. Dennoch glaube ich nicht, dass mich meine Kinder als Vorbild sehen. Sie würden eher sagen, dass ich sie neben meiner Frau geprägt habe.
Bunte: Für Ihre Enkelkinder ist der Opa sicher ein Superheld.
Na ja. Seit sie laufen können, machen sie sich einen Spaß daraus, mich mit dem Rollstuhl zu schieben. Oder noch besser, sie lösen die Bremsen vom Rollstuhl, wenn sie denken, ich merke es nicht. Es ist schön, wie selbstverständlich sie damit umgehen. Man darf den Begriff Vorbild auch nicht überhöhen. Auch der Übungsleiter im Turnverein, die Tagesmutter, Geschwister oder Lehrer sind für Kinder Vorbilder. Sie alle geben Orientierung im Leben, daraufkommt es an. Jeder sollte wissen, dass das, was er tut, auf andere eine gewisse Vorbildwirkung hat. Im Privat- wie auch im Geschäftsleben.
Bunte: Wenn Sie sich die geistige, wirtschaftliche und politische Elite unseres Landes ansehen, glauben Sie, dass wir genügend Vorbilder haben?
Keiner ist vollkommen. Aber jeder kann sich so benehmen, dass andere sich daran in bestimmten Dingen einen Maßstab nehmen können. Nicht vergessen werden darf, dass Eliten in Politik und Wirtschaft einer großen öffentlichen Aufmerksamkeit ausgesetzt sind. Wer an führender politischer Stelle ist, kann sich weniger leisten als andere. Das ist der Preis dafür, wenn man Einfluss haben und aktiv gestalten will. Deswegen sagt man ja: Wer die Hitze nicht aushält, muss aus der Küche raus.
Bunte: Von Ihnen stammt der Satz: „Alter schafft Vertrauen.“
Eines ist sicher: Man gewinnt im Alter beständig an Erfahrungen dazu. Insofern billigt man Älteren oftmals spontan ein Stück mehr Vertrauen zu. Ob das immer richtig ist, lasse ich mal dahingestellt sein. Man darf Erfahrungen weder überbewerten noch gering schätzen. Es war früher eindeutig nicht alles besser – ebenso wenig wie die Gegenwart ohne die Lehren der Vergangenheit bewältigt werden kann.
Bunte: Haben Sie einen besonderen Wunsch zum 70. Geburtstag?
Ganz naheliegend wünsche ich mir vor allen Dingen Gesundheit, insbesondere für meine Frau, für die Kinder, die Enkel. Man sorgt sich ja immer fast mehr um die anderen als um sich selbst. Wenn es uns Politikern dann noch gelingt, den Menschen klarzumachen, dass wir trotz aller Sorgen und Ängste in einer formidablen Zeit leben und dass wir Politiker alles daransetzen, dem uns gewährten Vertrauen gerecht zu werden, wäre ich ganz zufrieden. Politik macht mir immer noch große Freude und es gibt ja auch noch einiges zu tun. Gerade als Bundesfinanzminister spüre ich die Verantwortung. Ich habe daher meinen Parteifreunden gesagt, dass ich bereit bin, 2013 noch einmal für den Bundestag zu kandidieren.
Alle Rechte: Bunte