Große Koalition? Bitte nicht noch einmal



Ein Gespräch mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) über die Zukunft der Volksparteien, den Nutzen der Kernenergie und sein Vertrauen in die Weisheit Berliner Ordnungsämterin der Wochenzeitung „Die Zeit“

DIE ZEIT: Herr Schäuble, zurzeit eignet sich offenbar jedes Thema – ob doppelte Staatsbürgerschaft, Atomkraft oder eine geplante Obama-Rede ? , um Streit in der Koalition auszulösen. Können Sie sich, ähnlich wie Ihr Kabinettskollege Steinbrück, eine Fortsetzung der Großen Koalition nach der Wahl vorstellen?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Also zunächst einmal: Die Große Koalition hat mehr erreicht, als die allermeisten vor zweieinhalb Jahren für denkbar gehalten hätten, bei der Haushaltssanierung, am Arbeitsmarkt, in der Integrationspolitik. Dennoch ist die Große Koalition in unserer Demokratie die Ausnahme. Große Koalitionen ermüden schnell. Die erste, 1966, hat zweieinhalb Jahre gedauert. Und die Beteiligten waren froh, als es zu Ende war. Es ist also keine Kritik an unseren Ergebnissen, wenn ich sage: Eine Fortsetzung ist nicht intendiert.

ZEIT: Die Große Koalition wurde anfangs begrüßt, weil man die Lösung großer Probleme erhoffte.

SCHÄUBLE: Wie Sie wissen, bin ich kein Anhänger dieser These. Ich führe sie auf Wilhelm 11. zurück, der gesagt hat, er kenne keine Parteien mehr.

ZEIT: Sitzt das so tief in den Köpfen der Deutschen?

SCHÄUBLE: Mag sein. Umso mehr müssen wir begreiflich machen, dass unser System auf politischem Wettbewerb beruht. Das bedeutet ja nicht Feindschaft. Aber es herrscht Wettbewerb. Man braucht für Lösungen großer Probleme keine Große Koalition, das würde ja heißen, der Normalfall der Demokratie tauge nur für kleine Probleme. Die Demokratie taugt aber auch für die großen Probleme.

ZEIT: Zum Wettbewerb gehören unterschiedliche Positionen. Es sieht manchmal so aus, als würden die Vblksparteien Unterschiede nur noch vorspielen.

SCHÄUBLE: Natürlich findet der Wettbewerb um Mehrheiten in der Mitte statt. Das verhindert, dass wir durch eine Polarisierung zu den Rändern hin zerbrechen. Aber die Unterschiede bleiben. Sozialdemokraten haben in der Frage, was der Staat regeln soll und was man lieber den Menschen selber überlässt, grundlegend andere Vorstellungen als Christdemokraten. Dennoch können demokratische Parteien trotz ihrer unterschiedlichen Koordinatensysteme zusammenarbeiten. Wir finden Lösungen, auch wenn es manchmal mühsam ist. Ich bin überhaupt nicht für Hauruckverfahren, oder für ein Mehrheitswahlrecht, um das Regieren vermeintlich zu erleichtern. Das würde in Deutschland keine Akzeptanz finden.

zeit: Also sind Sie für Konfliktdemokratie?

SCHÄUBLE: Ich nenne es Wettbewerbsdemokratie. Nur dadurch entstehen Vielfalt, Spannung, Motivation, Mobilisierung. Eine Große Koalition produziert immer auch Müdigkeit. Ich will nicht den Wettbewerb: Wer schwätzt am dümmsten, oder wer ist der größte Demagoge? Sondern: Wer kann unter den schwierigen Bedingungen moderner Kommunikation die Menschen von dem, was er für richtig hält, überzeugen, also davon, dass europäische Einigung wichtig ist, dass der Staat nicht alles regeln kann und soll, dass der Staat Freiheitsrechte bewahrt und nicht bedroht? Ich bin dafür, dass wir darüber streitig diskutieren.

zeit: Produziert eine Große Koalition vielleicht schon deshalb schlechte Stimmung, weil langjährige Gegner wider Willen gemeinsam regieren müssen?

SCHÄUBLE: Sicher ist es nicht einfach, wenn man als Sozialdemokrat sagen muss, die Kanzlerin heißt Angela Merkel, und wir sind auch an der Regierung beteiligt. Und umgekehrt fragen sich manche in der CDU: Wo bleibt in dieser Koalition eigentlich das CDU-Profil? Wobei ich sage: Es ist ordentlich viel CDU-Profil, wenn wir eineinhalb Millionen Arbeitslose weniger haben oder die Sozialleistungsquote an die 40 Prozent herangebracht haben. Natürlich habe auch ich mich über manche Dinge geärgert. Dennoch: Diese Große Koalition hat viel zustande gebracht. Und deswegen wird sie in den Geschichtsbüchern eine ziemlich gute Note bekommen. Aber nach dieser Legislaturperiode muss sie zu Ende sein.

zeit: Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass selbst ein Erfolg, wie die 1,5 Millionen neuer Arbeitsplätze, die Stimmung nicht verbessert?

SCHÄUBLE: Unsere Demokratie beruht nicht auf permanentem Jubel. Und ich weiß auch nicht, ob wachsende Unzufriedenheit die Ursache für abnehmende Wahlbeteiligung ist. Vielleicht stimmt ja auch das Gegenteil. Vielleicht sorgt das Gefühl, dass alles einigermaßen läuft, für mangelndes Interesse an Politik. Jedes gelöste Problem ist kein Problem mehr und damit auch nicht mehr so wichtig.

ZEIT: Aber Volksparteien sind auf Zustimmung angewiesen. Die aber nimmt seit den siebziger Jahren kontinuierlich ab.

Schäuble: Das hat natürlich mit der Veränderung unserer Gesellschaft und den kommunikativen Rahmenbedingungen zu tun. Von Wahl zu Wahl wird der Anteil derjenigen größer, die sich neu überlegen, ob sie wählen und was. Aber daraus kann man keinen kontinuierlichen Niedergang ableiten. Wenn man behauptet hätte, in Hamburg werde einmal ein CDU-Bürgermeister mit absoluter Mehrheit gewählt, wäre man jahrzehntelang ausgelacht worden. Also, es wird situativer, das Persönlichkeitselement wird stärker. Gerade deswegen haben wir so gute Chancen, die nächste Wahl zu gewinnen.

zeit: Welche Schwerpunkte würden Sie denn im Blick auf das kommende Wahljahr formulieren?

SCHÄUBLE: Die klaren Grundlinien christlich-demokratischer Politik in den Vordergrund stellen; das heißt außenpolitische Verantwortung, auch wenn das nicht nur Zustimmung findet. Europäisches Engagement, die atlantische Orientierung in Europa, nicht als Gegensatz zu Amerika, sondern als Partner, aber eine Partnerschaft, die auf Meinungsfreiheit, auf Kritik beruht. Das bedeutet aber auch: Wer unilaterale Entscheidungen kritisiert, muss sich multilateral engagieren. Das muss man dann auch in Afghanistan sagen. Das ist heute die Aufgabe von Führung in der Demokratie: den Leuten zu erklären, dass wir in die Entwicklung der Welt eingebunden sind und dass es ein Irrglaube ist, wir hätten keine Probleme, wenn wir die Augen davor verschließen würden.

ZEIT: Ist der Veränderungsdruck für das soziale und ökonomische System am Ende der Großen Koalition geringer als zu Beginn?

SCHÄUBLE: Nein.

ZEIT: Was bleibt vom liberalen Reformansatz, den die Union im vergangenen Bundestagswahlkampf so ambitioniert vertreten hat? Man hat den Eindruck, sie bereitet eher einen Entlastungswahlkampf vor.

SCHÄUBLE: Also das würde ich erst einmal abwarten. Die Parteivorsitzende der CDU ist im Hauptberuf Bundeskanzlerin und deswegen zurzeit vor allen Dingen mit Regieren, mit gutem Regieren, beschäftigt. Wir sind heute besser gerüstet, um in der Globalisierung Schritt halten zu können. Die Sozialsysteme sind besser auf die demografische Entwicklung eingestellt, wir haben die Perspektive auf einen ausgeglichenen Bundeshaushalt 2011, wir haben einen wachsenden Teil unserer Bevölkerung von mehr Flexibilität überzeugt.

ZEIT: Das Thema soziale Gerechtigkeit sehen Sie als nicht so bedeutsam an?

SCHÄUBLE: Doch, aber auch das muss man in der globalen Perspektive sehen. Härterer Wettbewerb führt hierzulande zu größeren Unterschieden, zugleich werden die globalen Unterschiede kleiner. Natürlich ist die Spanne zwischen denen, die bei uns nicht ruhig schlafen können, weil sie für ihr ererbtes Millionenvermögen Steuern zahlen müssen, und denen, die mit Hartz IV auskommen sollen, gewaltig. Aber wenn wir uns anschauen, wie die Lebenschancen für Chinesen, für Inder oder für Südamerikaner sind, relativiert sich das.

ZEIT: Ihr Parteifreund Klaus Töpfer sieht den internationalen Terrorismus als Haupteinwand gegen eine Renaissance der Kernenergie. Und Sie?

SCHÄUBLE: Es gibt kaum etwas, was hierzulande besser geschützt wird als Kernkraftwerke. Ich kann nicht wegen des internationalen Terrorismus jagen, dann machen wir die Lichter aus, weil wir die Kraftwerke nicht mehr schützen können. Im 19. Jahrhundert betrug die Bevölkerungszahl der Erde eine Milliarde, nach dem Zweiten Weltkrieg waren es zwei Milliarden, jetzt sind wir bei sechseinhalb Milliarden. Wer den Fortschritt von Wissenschaft und Technik verweigert, nimmt in Kauf, dass der Großteil dieser Menschen nicht den Hauch einer Chance auf ein menschenwürdiges Leben hat. Die Menschheit wird hoffentlich bald ausreichend andere Energien entwickeln. Solange wir nichts Besseres haben, müssen wir das optimieren und für einen vernünftigen Mix sorgen.

ZEIT: Herr Schäuble, etwas von der Euphorie des „Yes we can“ schwappt aus dem amerikanischen Wahlkampf herüber. Fühlen Sie sich auch schon ein bisschen mitgerissen von Barack Obama?

SCHÄUBLE: Also ich war ja schon vom Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy mitgerissen. Ich finde die Mobilisierung im amerikanischen Wahlkampf faszinierend. Es ist für mich auch ein Beleg dafür, dass Persönlichkeiten immer wichtiger werden.

ZEIT: Muss die deutsche Politik neutral bleiben, oder darf sie sagen, welches Amerika sie sich wünscht?

SCHÄUBLE: Als Regierungsmitglied übt man da eine gewisse Zurückhaltung. Aber dass Amerika fähig ist, aus Fehlern zu lernen und sie zu korrigieren, davon bin ich überzeugt. Deswegen habe ich dieses etwas primitive America-Bashing immer für idiotisch gehalten. Wir sollten weniger arrogant sein. Die machen Fehler, wir auch. So große wie wir haben sie in der Geschichte allerdings nicht hingekriegt.

ZEIT: Soll Obama in Berlin eine Rede halten dürfen, vielleicht sogar vor dem Brandenburger Tor?

SCHÄUBLE: Dass es amerikanische Präsidentschaftskandidaten oder ihre Berater für interessant halten, Bilder ihres Kandidaten aus Berlin im Wahlkampf zu präsentieren, spricht dafür, dass Deutschland in Amerika eine gewisse Rolle spielt, und das ist gut. Wo er jetzt redet, ist vielleicht gar nicht so wichtig. Also vertrauen wir doch auf die Weisheit Berliner Ordnungsämter …

ZEIT: Warum hat dann die Kanzlerin ihr Missfallen bekundet?

SCHÄUBLE: Die Kanzlerin hat, wenn ich es richtig verstanden habe, mitteilen lassen, sie finde, dass man in der Inszenierung einen Unterschied machen müsse zwischen einem Präsidenten und einem Kandidaten. Das ist ein Satz, der so unbestreitbar richtig ist, dass ihn die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland sagen darf. Ich jedenfalls erinnere mich noch an die Vorbereitung der Rede von Ronald Reagan vor dem Brandenburger Tor. Damals war die Begeisterung über eine Rede des Präsidenten der Vereinigten Staaten vor dem Brandenburger Tor bei denjenigen, die jetzt die Kanzlerin kritisieren, nicht so groß. Sie sehen, die Prioritäten verändern sich.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN MATTHIAS GEIS UND GUNTER HOFMANN

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