Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Deutschlandradio
Mario Dobovisek: Das World Trade Center in New York 2001, danach die Bombenanschläge von Bali, Madrid und London. Der internationale Terror ist keine virtuelle Gefahr, sondern höchst real, auch für Deutschland. Das zeigen die verhinderten Kofferbombenanschläge und die Präsenz von Terrorzellen im Land. Das Bundeskriminalamt fahndet aktuell nach zwei Terrorverdächtigen und das höchst öffentlich. Gestern erst wurden zwei weitere auf dem Flughafen Köln-Bonn festgenommen. Dazu der Sprecher der Bonner Staatsanwaltschaft, Fred Apostel:
„Die Staatsanwaltschaft Bonn hat den Vorgang geprüft, sie hat ein Verfahren eingeleitet wegen des Versuchs der Beteiligung an einem Verbrechen. Wir haben jetzt zu prüfen, was mit den beiden Personen, die vorläufig festgenommen sind, geschehen wird.“
Dobovisek: Der Kampf gegen den Terror geht also weiter. Auch mit unliebsamen Mitteln, wie der Vorratsdatenspeicherung, dem biometrischen Reisepass oder der Online-Durchsuchung. In Bonn treffen sich heute die Innenminister von sieben Staaten, um über eine gemeinsame Strategie im Kampf gegen den Terror zu beraten. Darunter die Minister aus Polen, Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien, den USA und Deutschland. Den Gastgeber des Treffens begrüße ich am Telefon, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Guten Morgen!
Wolfgang Schäuble: Guten Morgen!
Dobovisek: Welches Ziel hat das Treffen in Bonn, Herr Schäuble?
Schäuble: Na, wir müssen ja zur Bekämpfung der Gefahren aus dem internationalen Terrorismus die internationale Zusammenarbeit möglichst intensiv gestalten. Da haben wir große Fortschritte erzielt. Dazu ist es wichtig, dass wir nicht nur in Europa, sondern auch gemeinsam im atlantischen Raum, denn wir sind gemeinsam bedroht, zusammenarbeiten und dazu ist ein regelmäßiges, auch persönliches Gespräch zwischen den Innenministern hilfreich. Das führt auch dazu, dass die Experten und die Fachleute aus allen Ländern intensiver arbeiten.
Das ist, wenn sie so wollen, ein Prozess, der auf Dauer, auf eine längere Zeit angelegt ist, weil wir immer Erfahrungen ziehen und überlegen, wie können wir noch erfolgreicher sein, in der Prävention gegen die Rekrutierung immer neuer Terroristen in der Bekämpfung der Radikalisierung.
Schauen Sie, wir haben in diesen Tagen in Nordrhein-Westfalen die Situation gehabt, dass junge Leute Polizisten umbringen wollten, um an die Waffen zu kommen, um in den Dschihad zu ziehen, wenn ich die Meldungen richtig gelesen habe. Da fragt man sich ja, was kann man dagegen tun, dass über das Internet junge Leute …
Dobovisek: Und genau das fragen wir uns auch, was kann man tun. Was kann Deutschland zum Beispiel konkret tun, um auch international zusammenzuarbeiten?
Schäuble: Wir müssen alle daran arbeiten. Wir machen es mit der Bekämpfung von Integrationsdefiziten. Wir machen es mit der Islam-Konferenz, mit der Zusammenarbeit mit Verantwortlichen in dem Teil unserer Gesellschaft, der für die Muslime spricht, indem wir Fremdheiten, Vorurteile abbauen.
Aber natürlich müssen wir auch im Internet gemeinsam, und das geht auch wieder nur weltweit, weil das Internet ist eben grenzüberschreitend, global, den Missbrauch des Internets zur Anleitung für Bombensätze, zur Werbung für die nächste Generation von Terroristen zur Verbreitung der Hetz- und Hassparolen gemeinsam bekämpfen. Dann ist die Frage, wie kann man das auch grenzüberschreitend, auch auf sicheren Rechtsgrundlagen tun. Wir müssen gemeinsam immer wieder darüber nachdenken, wie machen wir es, dass wir nicht das Geschäft der Terroristen betreiben, indem der eine oder andere so überreagiert, dass es gewissermaßen die Legitimität unserer Reaktion verloren geht. Deswegen muss ja alles im Rahmen des nationalen Rechts wie des Völkerrechts geschehen, was wir zur Bekämpfung des Terrorismus tun. Das sind schwierige Fragen.
Dobovisek: Da möchte ich später noch mal drauf zurückkommen.
Schäuble: Und darüber diskutieren wir.
Dobovisek: Das BKA fahndet derzeit nach zwei Terroristen der islamischen Dschihad-Union, die wohl in Deutschland Anschläge verüben wollen. Gestern gab es Festnahmen von Terrorverdächtigen auf dem Kölner Flughafen. Wie gefährdet sind wir in Deutschland?
Schäuble: Na, wir sagen ja seit Langem, dass wir in Deutschland genau wie Europa insgesamt wie die westliche Welt im Fokus des internationalen Terrorismus sind. Das wird gelegentlich von der Öffentlichkeit, auch nicht von den Medien so ganz ernst genommen. Es ist aber die Wahrheit. Wir haben immer wieder im Internet, auch mit deutschen Untertiteln oder in deutscher Sprache die Drohbotschaften des Netzwerkes des internationalen Terrorismus. Wir beobachten immer wieder Anschlagsvorbereitungen. Wir beobachten, dass Menschen terroristische Ausbildungen in Terrorcamps absolvieren aus Deutschland oder wieder zurückkehren. Oder wenn wir Anzeichen haben, wie jetzt in diesem Fall, dass sie zurückkehren könnten, dann versuchen wir natürlich zu verhindern, dass sie Anschläge durchführen können, deswegen die Fahndungsmaßnahmen.
Das ist ein andauernder Prozess. Deswegen, die aktuellen Nachrichten verändern nichts an der Gefährdungslage, die ist unverändert hoch. Aber sie zeigt auf der anderen Seite auch, unsere Sicherheitsbehörden arbeiten intensiv und aufmerksam. Und sie haben Grund dazu.
Dobovisek: Gibt es konkrete Hinweise auf Anschlagsvorbereitungen in Deutschland?
Schäuble: Na ja, ich meine, die Ausschreibung zur Fahndung gegen die zwei lässt ja schon vermuten, dass dem eben Erkenntnisse zugrunde liegen, dass es möglicherweise so sein könnte, dass sie konkrete Anschläge vorbereiten. Deswegen haben sie ja die zuständigen Polizeibehörden zur Fahndung ausgeschrieben.
Dobovisek: Kommen wir noch einmal zurück, Sie haben vorhin das Völkerrecht und auch das nationale Recht erwähnt. Der Bundesanwalt Rainer Griesbaum warnte am Mittwoch auf dem Juristentag in Erfurt davor, ausländische Erkenntnisse mit zweifelhafter Herkunft, wie er sagte, zum Beispiel gewonnen durch Folter von Geheimdiensten, in der Ermittlung völlig auszublenden. Ein Beweis, sagte Griesbaum, werde nicht dadurch unverwertbar, weil im Ausland eine deutsche Norm missachtet worden sei. Teilen Sie diese Auffassung, Herr Schäuble?
Schäuble: Ich habe nicht verstanden, dass er das genauso, wie Sie es jetzt wiedergeben, gesagt hat. Es ist ja auch gesagt worden, er habe dasselbe gesagt, was ich schon lange gesagt habe, und das kann ich auch gerne wiederholen. Und dem hat im Übrigen auch der Juristentag zugestimmt, nämlich dass wir nicht jede Information aus einem anderen Land nur deswegen nicht verwenden dürfen, weil wir nicht zweifelsfrei sicher sind, dass bei der Erlangung dieser Information gegen deutsches Recht verstoßen worden wäre, im Ausland, wenn deutsches Recht dort gelten würde. Das ist der Punkt.
Natürlich gibt es kein Pardon und kein Augenzwinkern, und das hat sicher auch der Bundesanwalt Griesbaum nicht anders gesagt, was Folter anbetrifft. Es gibt überhaupt keine Einschränkung. Es gibt keine Rechtfertigung des Verstoßes gegen das Folterverbot, das gilt absolut. Aber wir können nicht eine Information nur dann verwenden, wenn zweifelsfrei sichergestellt ist, dass da bei der Erlangung dieser Information keine Rechtsverstöße vorgekommen sind, nicht mehr und nicht weniger.
Dobovisek: Das heißt, sie würden dann durchaus auf mögliche Folter, zumindest den Verdacht auf Folter in Kauf nehmen, wenn es ja einen Anschlag in Deutschland vermeiden könnte?
Schäuble: Wir billigen Folter unter keinen Umständen. Aber wenn unser Nachrichtendienst von einem Partnerdienst eine Information bekommt, dann wäre es fahrlässig, unverantwortlich, wenn er sagen würde, da wir nicht ausschließen können, dass im Bereich dieses Partnerdienstes es auch zu Folter gekommen sein könnte, verwenden wir diese Information nicht. Wir können uns ja nicht vorsätzlich blind machen, wenn es darum geht, lebensbedrohende Gefahren für unser Land zu verhindern.
Dobovisek: Das heißt auf der anderen Seite, Folter ist dann doch kein Tabu mehr?
Schäuble: Doch, Folter ist ein Tabu und bleibt ein Tabu. Es ist ja die Frage der Beweislast. Es geht ja darum, dass sie im Zweifel und so hat es ja auch der Juristentag, wenn ich das richtig gelesen habe, mit großer Mehrheit beschlossen, man sagen kann, wir können nicht die Garantie, dass jede Information, die wir verwenden dürfen, zu 100 Prozent unserem Rechtsstatus entspricht, nur dann verwenden und ansonsten muss sie ungesehen weggeworfen werden. Das ist der Punkt. Es geht nicht darum, Folter ein bisschen zu ermöglichen, sondern es geht darum, bei Folter gibt es keine Kompromisse und kein Augenzwinkern, das ist völlig klar und das muss auch so bleiben, das darf auch nicht relativiert werden, aber wir können bei Informationen uns nicht vorsätzlich blind machen.
Dobovisek: Ist Menschenwürde offenbar abwägbar?
Schäuble: Nein, Menschenwürde ist überhaupt nicht abwägbar. Aber Menschenwürde heißt eben auch, dass der Staat und die staatlichen Organe eine Verantwortung haben im Rahmen dessen, was sie können auf der Grundlage von Verfassung und Recht, dafür einzutreten, dass Menschen hier nicht umgebracht werden.
Dobovisek: Herr Schäuble, Sie selbst haben im März geschrieben, nur der Staat ist glaubwürdig, der seinen rechtsstaatlichen Überzeugung ebenso treu bleibt wie den verbrieften Ansprüchen seiner Bürger auf Freiheit und Sicherheit.
Schäuble: Ja.
Dobovisek: Bis wohin darf die Freiheit eingeschränkt werden, damit Deutschland noch glaubwürdig bleibt?
Schäuble: Die Freiheit wird überhaupt nicht eingeschränkt, sondern sie wird geschützt. Das ist die Systematik des Grundgesetzes und jeder freiheitlichen rechtsstaatlichen Verfassung. Die Grundrechte gelten, und es darf nur aufgrund eines Gesetzes in grundrechtlich geschützte Bereiche eingeschritten werden, die Menschenwürde als solche ist in ihrem Kern unantastbar, das steht in Artikel eins des Grundgesetzes, das ist auch ganz klar. Aber ansonsten müssen Grundrechte auch geschützt werden.
In das allgemeine Freiheitsrecht kann der Staat eingreifen, wenn er jemanden verhaftet, das ist ein schwerer Eingriff. Hausdurchsuchungen finden statt auf der Grundlage der Strafprozessordnung, gesetzliche Regelung durch Anordnung eines Richters. Und so muss auch in Telekommunikation aufgrund gesetzlicher Regelung bei einer richterlichen unabhängigen Entscheidung eingegriffen werden können, das ist nichts Neues. Freiheit und Sicherheit sind keine Gegensätze. Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Es gibt keine Freiheit ohne ein hinreichendes Maß an Sicherheit. Es gibt auch keine Grundrechte, wenn der Staat sie nicht am Ende auch schützt.
Dobovisek: Eines der Ziele des Ministertreffens heute in Bonn ist es, eben den Informationsfluss zwischen den Geheimdiensten und den Behörden zu vereinfachen, international und auch einen gemeinsamen Rechtsrahmen zu beraten. Wie aber ist es möglich, wenn zum Beispiel die Rechtsauffassung der USA und die Deutschlands manchmal auseinanderklafft?
Schäuble: Ja, deswegen muss man miteinander reden. Was das Ziel des Ministertreffens ist, ist die Zusammenarbeit auf der Grundlage von nationalem und internationalem Recht, zur Abwehr der Gefahren aus dem internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Ein wichtiges Prinzip ist, dass wir gerade nationale und internationale Rechtsordnung einhalten müssen, weil wir sonst im Ergebnis das Geschäft der Terroristen betreiben würden. Denn Guantánamo hat am Ende den Terrorismus eher gestärkt als geschwächt, weil er die Radikalisierung fördert. Genau dies wollen wir nicht, und deswegen reden wir miteinander sehr offen und sehr vertrauensvoll.
Dobovisek: Was muss da der nächste Schritt sein, gerade im Gespräch mit den USA?
Schäuble: Wir arbeiten beständig. Ich habe ja Beispiele genannt. Wir müssen in der Frage, wie können wir den Missbrauch des Internets zum Zwecke der Propaganda und der Nachwuchswerbung für die Terrorismus- und der Handlungsanleitung und der Kommunikation zur Vorbereitung von Anschlägen international durch Zusammenarbeit besser bekämpfen. Wie sind die Erfahrungen, wie etwa machen es andere Rechtsordnungen mit der Strafbarkeit der Ausbildung in Terrorcamps, über die wir gerade in Deutschland diskutieren, da wo wir ja eine Koalitionsvereinbarung haben, dass wir das unter Strafdrohung stellen wollen. Das ist nur ein Beispiel für viele.
Jedenfalls müssen wir in einer Zeit, in der der internationale Terrorismus global agiert, auch die Wahrung von Freiheit und Sicherheit durch globale Zusammenarbeit vorantreiben. Und darüber müssen wir miteinander möglichst intensiv sprechen. Wir haben nicht überall gemeinsame Meinungen, sonst bräuchten wir auch nicht reden. Aber wir arbeiten daran, zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen, Schritt für Schritt.
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