Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich der öffentlichen Vorstellung des neuen Studiengangs ?Executive Master of Public Management? der Hertie School of Governance und der Universität Potsdam in Berlin
Das neue Studienangebot richtet sich an junge Menschen, die an gesellschaftlichen Veränderungen mitwirken wollen und mitwirken sollen. Das Veränderungstempo in unserer globalisierten und digitalisierten Welt, in der alles mit allem verbunden ist, ist hoch, beschleunigt sich und fordert den Menschen einiges ab. Aber als ein positiver, optimistisch gestimmter Mensch werbe ich immer dafür, dass wir den Wandel von seiner guten Seite sehen und das Beste daraus machen. Er eröffnet enorme Chancen, von denen Deutschland wirtschaftlich, aber auch in vielen anderen Beziehungen stark profitieren kann.
Wenn es so viel Wandel gibt, dann ist es die Aufgabe von Eliten, diesen Wandel zu gestalten. Eliten geben ihren Mitmenschen Leitbilder an die Hand und sie vermitteln auch eine Vorstellung gemeinsamer Werte, die der Gemeinschaft helfen, sich immer wieder neu in ihrer Vielfalt auszurichten. Anders geht es in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht. Deshalb bin ich überzeugt, dass unsere Gesellschaft Eliten braucht, die diese Aufgaben verantwortungsvoll erfüllen. Und es ist mindestens genauso wichtig, dass unsere Gesellschaft weiß und versteht, was Eliten sind und wozu wir sie brauchen.
Das Wort ?Elite? war lange Zeit verpönt. Inzwischen sind die Gegner der Verwendung des Begriffs leiser geworden. Dazu hat auch die Diskussion um Eliteuniversitäten und Exzellenz-cluster beigetragen. Zur Elite gehört jemand, der sich im fairen Wettbewerb durch weit überdurchschnittliche Leistungen auszeichnet und der die Verantwortung akzeptiert, die daraus erwächst. Elite hat also nichts mit Privilegien wie Business Class fliegen, VIP-Tickets oder astronomischen Gehältern zu tun, sondern mit einem hohen Anspruch, den man an sich selbst stellt und dem man im eigenen Leben gerecht werden muss. Nur so können die besonders Führungsstarken das Vertrauen der Mehrheit gewinnen, ohne das sie auf Dauer wenig bewegen. Denn nur wer Rückhalt in der Bevölkerung hat, kann Veränderungen durchsetzen.
Wer sich aus einer herausgehobenen Position Vorteile verschafft, ohne an die Verpflichtungen zu denken, die damit verbunden sind, verspielt Vertrauen. Davon haben wir in letzter Zeit einiges ? ich finde zuviel ? gelesen. Führungskräfte müssen wissen, worauf sie sich einlassen, und freiheitlich verfasste Gesellschaften leben auch insoweit von Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen können.
Als Minister, der sich für Integration einsetzt, frage ich mich schon gelegentlich, ob wir nur bei den unterprivilegierten Schichten oder nicht auch bei den privilegierten Schichten ein Integrationsproblem haben, das den Zusammenhalt unserer Gesellschaft beschädigt.
Und so bin ich der Überzeugung, dass Eliten von heute und erst recht die von morgen eine zusätzliche Form von Intelligenz benötigen: einen klaren Blick für die eigene Position in der Gesellschaft; ein Wissen darum, dass das eigene Tun von der Akzeptanz anderer abhängig ist und deren Unterstützung und Vertrauen voraussetzt.
Die Verwaltung von Bund, Ländern und Kommunen lebt noch stärker als andere Einrichtungen oder auch Unternehmen von der Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger. Das bringt die Demokratie mit sich. Also brauchen wir Führungskräfte, die veränderungsbereit sind und eine hohe fachliche Qualifikation mit kommunikativen Fähigkeiten und einem ausgeprägten Verantwortungsgefühl verbinden. Es ist eine zentrale Führungsaufgabe, die Chancen des Wandels zu erkennen und die Bereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Veränderung zu wecken.
Die öffentliche Verwaltung steht immer vor neuen Herausforderungen. Diese können in Bund, Ländern und Gemeinden je nach Politikfeld recht unterschiedlich sein. Allen Behörden ist aber gemeinsam, dass sie auch sich selbst und ihre eigene Arbeit an sich ändernde Bedingungen anpassen müssen. Dazu gehören der technologische Wandel, die internationale Zusammenarbeit und vieles mehr. Wir müssen auch schneller zu Veränderungen und Entscheidungen kommen. Wenn ich so über E-Government und IT-Steuerung im Zusammenhang mit dem bewährten Organisationsprinzip unseres Föderalismus nachdenke, dann ist es furchtbar schwierig, die Vorteile einer dezentralen Ordnung ? Wettbewerb und Benchmarking ? durchzusetzen, wenn alle immer befürchten, dass durch Veränderungen ihre Besitzstände in Zweifel gestellt werden. Wir müssen uns auch auf den demografischen Wandel einstellen. In den nächsten 10 Jahren werden rund 35 Prozent aller Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung die Altersgrenze erreichen.
Eine leistungsstarke, effiziente und bürgernahe Verwaltung steht als Leitbild hinter der laufenden Modernisierung des öffentlichen Dienstes. Unser ehrgeiziges Programm ?Zukunftsorientierte Verwaltung durch Innovationen? umreißt die notwendigen Schritte, die wir gehen sollten. Wir können unsere Ziele aber nur erreichen, wenn wir gutes Personal haben. Das ist unsere wichtigste Ressource, wobei die Anforderungen an die Mitarbeiter ? insbesondere an die Führungskräfte ? in der Verwaltungsarbeit noch weiter zunehmen werden.
Ich werde immer wieder gefragt, was sich verändert hat, wenn ich meine erste und meine zweite Amtszeit als Innenminister miteinander vergleiche. Die Antwort ist, dass ich heute viel stärker mit europäischen und internationalen Fragen beschäftigt bin als in der Zeit von 1989 bis 1991. Die Themen meines Hauses haben mittlerweile in praktisch allen Arbeitsbereichen einen internationalen Bezug ? und das gilt genauso für andere Ministerien.
Deshalb ist es wichtig, dass unsere Mitarbeiter im internationalen Kontext agieren können. Wir brauchen eine internationale, insbesondere europäische Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit. Hier haben wir einen erheblichen Nachholbedarf.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen mehr Kenntnisse über andere Länder, über Institutionen und Entscheidungsprozesse der Europäischen Union und der internationalen Staatengemeinschaft. Um deutsche Interessen in der Welt wahrzunehmen, sind natürlich auch interkulturelle Kompetenzen und gute Fremdsprachenkenntnisse unerlässlich. Es wird auch ganz wichtig sein, dass Führungskräfte uns immer wieder daran erinnern, dass wir unsere Probleme nicht nur aus der Perspektive unserer eigenen Befindlichkeiten betrachten können, sondern dass es im Zeitalter der Globalisierung auch zunehmend auf die Perspektive von außen ankommt. Vielleicht müssen wir in manchen Bereichen noch mehr versuchen, bei allem, was wir für uns für unverzichtbar halten, zu fragen, ob es denn im internationalen Rahmen übertragbar wäre. Das würde uns bei mancher energiepolitischen Frage zu neuem Denken, wenn nicht sogar zu neuen Antworten zwingen.
Die klassisch hoheitliche Tätigkeit ist längst nicht mehr die einzige Handlungsform, in der das Personal der Verwaltung sattelfest sein muss. Wir operieren heute nicht mehr nur mit traditionellen staatlichen Mitteln ? wie rechtlichen Regulierungen und zwischenstaatlichen Abkommen. In zunehmendem Maße sind komplexe Formen des Interessenausgleichs und des kooperativen Handelns ? die so genannte Governance ? gefragt. Die Bandbreite der Ansprechpartner wird größer. Der politische und wirtschaftliche Erfolg hängt vermehrt auch von einer guten Zusammenarbeit mit nicht-staatlichen Akteuren ab. Wer in der Verwaltung arbeitet, braucht also eine ausgeprägte Netzwerkintelligenz.
Governance-Kenntnisse brauchen wir übrigens nicht nur im internationalen Bereich. Auch im Inland haben wir einen Wandel des Staatsverständnisses. Immer mehr Wirtschafts-, Wohlfahrts- und Interessenverbände, Verbraucher- und Berufsgruppen, Bürgervereinigungen wollen heute an der Arbeit der Verwaltung partizipieren oder übernehmen auch Teile von Funktionen.
Neue Anforderungen gerade an die Führungskräfte in der öffentlichen Verwaltung gibt es auch auf anderen Gebieten. Auch wenn wir ein gutes Haushaltsjahr hatten, machen die knappen Kassen und hohen Schulden, die wir weiterhin haben, wirtschaftliches Handeln notwendig. Kenntnisse und Fähigkeiten in strategischer Steuerung, Prozessorganisation, Kosten- und Leistungsrechnung, Controlling, Benchmarking und Qualitätsmanagement sind in der öffentlichen Verwaltung immer noch zu wenig ausgeprägt.
Natürlich geht es dem Staat nicht um Gewinnmaximierung, sondern um das Gemeinwohl. Aber als Mittel zum Zweck muss sich Wirtschaftlichkeit noch stärker in den Köpfen der Mitarbeiter verankern. Und deswegen muss auch die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Unternehmen noch enger werden ? nicht nur von der Sache, sondern auch von der Denkweise her. Auch insoweit ist die wachsende Zahl von Public Private Partnership-Projekten hilfreich.
Insgesamt wäre es hilfreich, wenn die Behörden und die Unternehmen die Arbeitsabläufe ihres Gegenübers besser kennen und verstehen würden. Die öffentliche Verwaltung sollte offen sein für alle gesellschaftlichen Gruppen und Arbeitswelten. Nur dann ist sie wirklich bürgernah. Wenn mehr externes Know-How in die Verwaltungsarbeit einfließt, kann das auch ein wichtiger Innovationsmotor werden. Und vielleicht erreichen wir dann auch, dass wir den ? etwa im Vergleich zu angelsächsischen Ländern bestehenden ? Missstand abbauen, dass man aus der nach Studienabschluss gewählten Kaste nicht mehr herauskommt. Wir müssen einen stärkeren Wechsel zwischen der Verwaltung und anderen Bereichen erreichen.
Wir müssen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ? ganz im Sinne des lebenslangen Lernens ? nach Kräften unterstützen, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen weiter zu entwickeln. Und das gilt ganz besonders für Führungskräfte.
Ich habe im Oktober letzten Jahres mit dem Deutschen Beamtenbund und dem Deutschen Gewerkschaftsbund eine Modernisierungs- und Fortbildungsvereinbarung für Innovationen, Fortbildung und Führungskräfteentwicklung in der Bundesverwaltung geschlossen. Diese Vereinbarung müssen wir mit Leben erfüllen. Und das gelingt uns auch ganz gut.
So unterhält die Bundesverwaltung ein umfangreiches Fortbildungsprogramm. Ich nenne hier die breit angelegten, differenzierten Angebote der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung. Hervorzuheben ist auch das deutsch-französische Studienangebot Master of European Governance and Administration.
Der neue Studiengang Executive Master of Public Management der Hertie School of Governance schließt sich hier an ? mit einem stärkeren Blick auf die angelsächsische Verwaltungskultur. Mit diesem Angebot sollen besonders befähigte Nachwuchsführungskräfte lernen, was sie in der modernen Verwaltung neben ihren jeweiligen Fachkenntnissen auch brauchen werden: modernes Management, strategische Steuerung, internationale Entscheidungsprozesse, EU–Governance und auch Führungskompetenz.
Oft ist es nicht möglich, auf bewährte Mitarbeiter für eine umfangreiche Fortbildung ein halbes Jahr oder länger am Stück zu verzichten. Deswegen brauchen wir flexible Lösungen. Auch aus diesem Grund ist das Angebot der Hertie School of Governance und der Universität Potsdam in der berufsbegleitenden zweijährigen Variante für die Bundesverwaltung am Standort Berlin attraktiv.
Ich habe Ihnen einige Punkte genannt, die für die Entwicklung des Führungskräftenachwuchses im öffentlichen Dienst wichtig sein werden. Die berechtigte Kritik an einzelnen Repräsentanten unserer Eliten sollte uns zu keiner Gleichmacherei nach dem Rasenmäherprinzip verführen. Solange die Gleichheit der Chancen gegeben ist und die Zugehörigkeit zur Elite nicht von der Geburt, sondern von der Leistung abhängt, bleibt Elite nicht nur etwas Notwendiges, sondern auch etwas Gutes. Wer aber selbst Teil einer Elite sein möchte, muss bereit sein, eine besondere Verantwortung zu tragen. Ich sehe gute Voraussetzungen, dass die zukünftigen Studenten hier an der Hertie School ein inspirierendes Umfeld finden werden, das ihnen hilft, neben ihren Fähigkeiten auch ihren Charakter zu entwickeln.
Allen Beteiligten, vor allem aber den zukünftigen Studierenden, wünsche ich viel Erfolg. Ich hoffe, dass das neue Angebot von der Bundesverwaltung intensiv genutzt wird und dass es fester Bestandteil der Personal- und Führungskräfteentwicklung der Behörden wird.