Namensbeitrag von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Ratio deutscher Politik ist immer gewesen, dass Wachstum Stabilität voraussetzt. Stabilität darf nicht aufs Spiel gesetzt werden, um Wachstum mit zweifelhaften Maßnahmen zu fördern. Maßhalten ist das Gebot der Stunde.
In diesen Tagen stellen unsere ausländischen Partner und wir erfreut, teilweise auch überrascht fest, dass die deutsche Wirtschaft wieder kräftig wächst. Selbst das Statistische Bundesamt spricht von einem „Rekordzuwachs“. Im zweiten Vierteljahr 2010 lag das Bruttoinlandsprodukt preisbereinigt um 2,2 Prozent höher als im ersten Quartal. Das ist das höchste Wachstum seit der Wiedervereinigung. Der Beitrag des Exports zur wirtschaftlichen Erholung zeigt, dass es richtig ist, wenn die deutschen Unternehmen ihre starke Präsenz auf Auslandsmärkten behaupten. Aber die positive Entwicklung ist keineswegs nur exportgetrieben, sie beruht auch auf Impulsen aus dem Inland. In ganz Europa schaut man mit Staunen auf die wiedererstarkte deutsche Wirtschaft. Das zeigt, dass der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg einer wachstumsfreundlichen Konsolidierungspolitik richtig ist und dass wir ihn unbeirrt weitergehen müssen.
Die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung gibt Anlass zur Zufriedenheit, nicht jedoch zur Selbstzufriedenheit. Wir dürfen nicht vergessen, in welcher Sorge das Land auf dem Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise war und welche existenziellen und psychologischen Wirkungen Nachrichten wie etwa die vom Einbruch der Auftragseingänge im Maschinen- und Anlagenbau um mehr als 40 Prozent zeitigten. Es gab nicht nur Ängste um konkrete Arbeitsplätze, sondern um den gesamten Wohlstand der Deutschen und um die grundlegende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes, seiner leistungsstärksten Regionen und mitunter auch um den Fortbestand seiner Wirtschaftsordnung. Die Krise war auch eine gesellschaftliche Bewährungsprobe, der Deutschland — wie wir jetzt ohne Überheblichkeit feststellen können – gewachsen war.
Globale Wirtschaftskrise wie Eurokrise haben gezeigt, dass wirtschaftliche Freiheit nur mit sie begrenzenden Regeln gelingen kann. Letztendlich war es die Missachtung des Prinzips klarer Verantwortlichkeiten und Haftungsregeln und damit die Missachtung von Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, die in die Krise geführt haben. Beispiele hierfür sind staatliche Anreize zur Ausweitung der privaten Verschuldung in den Vereinigten Staaten genauso wie die strukturierten Finanzprodukte, mit denen sich Banken in aller Welt ihrer Haftung für bestimmte, risikoreiche Geschäfte entledigten.
Deshalb bleibt die ordnungspolitische Funktion der Sozialen Marktwirtschaft, die die grundsätzliche Effizienz der Marktkräfte anerkennt, sie aber durch klare, transparente Regeln umgrenzt, richtig. Die Bundesregierung hat dank dieser klaren ordnungspolitischen Ausrichtung und dank eines intensiven wirtschaftspolitischen Dialogs mit unseren europäischen Partnern in der Krise umsichtig agiert und die richtigen Lehren gezogen. Durch eine wachstumsfreundliche Finanzpolitik, die die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland durch eine kurzfristig expansive, mittelfristig konsolidierende Haushaltspolitik nachhaltig stützte, durch eine intelligente, der Sozialpartnerschaft verpflichtete Arbeitsmarktpolitik und regulierende Eingriffe auf den Finanzmärkten ist es wesentlich besser gelungen, die Krisenfolgen zu dämpfen, als es viele Beobachter erwartet hatten. Auf dem Höhepunkt der Krise war es richtig, eine kurzfristige, konjunkturelle Perspektive einzunehmen und für kurze Zeit „auf Sicht“ zu fahren. Über diese Ausnahmesituation hinaus trägt dieses Prinzip nicht.
Selbstzufriedenheit ist fehl am Platz. Bei nüchterner Betrachtung wird es noch mindestens bis 2012 dauern, bis wir wieder eine konjunkturelle Normallage erreicht haben. Das Niveau des Bruttoinlandsproduktes liegt noch immer unterhalb des Niveaus von 2007 oder 2008. Auch wenn sich die Erholung im zuletzt beobachteten Tempo fortsetzt, wird es noch einige Zeit brauchen, bis der Wachstumseinbruch des Vorjahres überwunden ist. Wir müssen uns zudem darauf einstellen, dass es weitere weltwirtschaftliche Belastungen geben kann, sei es durch Entwicklungen an den Rohstoffmärkten oder durch eine Eintrübung der Konjunktur in den Vereinigten Staaten. Noch vor wenigen Wochen haben uns die Währungsturbulenzen in der Eurozone vor Augen geführt, wie schnell ein neuer Krisenherd weiteres Handeln erzwingen kann. Wir wissen außerdem, dass wir Vorsorge leisten müssen für die demographische Entwicklung und dass Deutschland seinen wirtschaftlichen Erfolg immer neu erarbeiten muss, dass wir einerseits von der Globalisierung besonders profitieren, sie uns andererseits aber auch anfälliger macht für Rückschläge, letztlich verletzlicher.
Die Bundesregierung wird in den nächsten Monaten den finanzpolitischen Kurs der wachstumsorientierten Konsolidierung fortsetzen und die positive Wirtschaftsentwicklung verstetigen. Folgende Rahmenbedingungen leiten sie dabei:
Erstens: In der aktuellen Situation gibt es keine Haushaltsspielräume, deswegen ist jede Verteilungsdebatte verfehlt. Das von Ludwig Erhard in zahllosen Rundfunkansprachen an die deutsche Wirtschaftswundergesellschaft beschworene „Maßhalten“ klingt für uns heute befremdlich. Es ist dennoch das Gebot der Stunde. Alle Erfahrungen belegen, dass in Zeiten hoher Staatsverschuldungen, wie wir sie aufgrund der großvolumigen, krisenbedingten staatlichen Stützungspakete in vielen Ländern erleben, nachhaltiges Wachstum nur über nachhaltige Konsolidierung erreicht werden kann.
Nachhaltig Konsolidieren, das heißt vor allem Ausgaben verringern. Wir haben in unserem Zukunftspaket deshalb insbesondere bei den Ausgaben angesetzt. Bei den notwendigen Einnahmeverbesserungen haben wir uns in erster Linie für den Energiebereich entschieden, um damit auch eine ökologische Lenkungswirkung zu erzielen. Derzeit ist der Spielraum für Steu-
er- und Abgabenbelastungen begrenzt, aber mittelfristig werden wir sich ergebende Handlungsspielräume nutzen. Darüber hinaus gibt es im Besteuerungsverfahren Möglichkeiten zu Vereinfachungen, die keine zu großen Auswirkungen auf das Steueraufkommen von Bund, Ländern und Gemeinden haben. In enger Abstimmung mit den Ländern und den Koalitionsfraktionen werden wir entsprechende Maßnahmen vorschlagen.
Auch international wurde eine koordinierte Ausstiegsstrategie aus der übermäßigen Staatsverschuldung beschlossen. Das hat die Bundesregierung beim letzten G2O-Treffen in Toronto durchgesetzt. Mit der Schuldenbremse im Grundgesetz und den Konsolidierungsmaßnahmen des Zukunftspakets hat die Bundesregierung eine solche Ausstiegsstrategie bereits entwickelt. Unsere Finanzpolitik erschöpft sich nicht darin, in der Krise Schulden zu machen und die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen, sondern sie übernimmt auch die weit schwierigere Aufgabe, nach der Krise die Schulden wieder abzubauen. Mit der Verabschiedung des Zukunftspakets im Juni hat die Bundesregierung die durch die Schuldenbremse gestellte Aufgabe vollumfänglich angenommen. Durch eine stabilitätsorientierte Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben in der Übergangszeit 2011 bis 2014 haben wir uns ambitionierte Ziele gesetzt, die es zu untermauern gilt. Das Konsolidierungspaket muss dem Volumen nach vollständig umgesetzt werden, unabhängig von mindestens im Monatstakt auftauchenden neuen Schätzungen über kurzfristige Verbesserungen oder Verschlechterungen der Haushaltslage.
Kennzeichnend für das Zukunftspaket sind seine nachhaltigen, wachstumsfreundlichen Konsolidierungsmaßnahmen. Wir haben genau geschaut, wo Einsparungen und Verbesserungen der Einnahmen möglich sind, ohne das Wachstumspotential der Wirtschaft und die soziale Balance zu gefährden. Wir kürzen nicht Leistungen für Menschen, die an ihrem Schicksal nichts mehr ändern können. Stattdessen schaffen wir Anreize für die Aufnahme sozialversicherungspf lichtiger Arbeit, vermeiden leistungshemmende Steuererhöhungen und investieren in Bildung und Forschung. Deshalb bleiben die Investitionen insgesamt unangetastet und werden auf hohem Niveau auch im Finanzplanungszeitraum fortgeschrieben.
Darüber hinaus haben wir uns bewusst für ökologisch sinnvolle Maßnahmen wie die Rückführung von Energiesteuervergünstigungen und eine ökologische Luftverkehrsabgabe sowie die Beteiligung von Unternehmen der Kernenergiewirtschaft entschieden. Die ersten der im Zukunftspaket enthaltenen Konsolidierungsmaßnahmen sollen 2011 in Kraft treten – übrigens mit einem Konsolidierungsvolumen von weniger als 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit sind die Maßnahmen nicht nur ökonomisch vernünftig, sie sind auch ihrer Höhe nach maßvoll.
Zweitens: Wir werden unseren Weg einer stabilitätsorientierten, wachstumsfreundlichen Konsolidierung auch international selbstbewusst vertreten. Ratio deutscher Politik ist immer gewesen, dass Wachstum Stabilität voraussetzt und nicht umgekehrt Stabilität aufs Spiel gesetzt werden darf, um Wachstum mit zweifelhaften Maßnahmen zu fördern. Das bedeutet in der Praxis, manchen ideologisch motivierten Rat, dem ein überzogenes Vertrauen in staatliche Lenkungsmöglichkeiten im Wirtschaftsleben zugrunde liegt, zu ignorieren.
Das bedeutet auch, die Verantwortung Deutschlands in Europa und in der Eurozone wahrzunehmen. Unsere Wirtschaft ist stärker als die anderer Länder auf Auslandsmärkte ausgerichtet. Wir sind mehr noch als andere auf einen guten globalen Ordnungsrahmen und ein stabiles Umfeld in Europa angewiesen. Deutschland muss – wie Frankreich – seiner wirtschaftlichen Größe wegen mehr für die regionale Stabilität tun als kleinere Länder, die leichter einmal ausscheren können. Wir sollten diese Rolle annehmen. Wir sollten uns auch eingestehen, dass wir deswegen manchmal mehr leisten müssen als andere, auch finanziell. Aber wir haben auch den Anspruch, dass unsere Vorstellung von Stabilität die Reformen in Europa wesentlich mitprägt. Die Bundesregierung setzt in den Gesprächen auf europäischer Ebene ihr ganzes Gewicht ein, um unsere deutsche Stabilitätskultur, wie sie unter anderem in der Schuldenbremse des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt, in Europa zu verankern und die in der Eurozone zur Verfügung stehenden Instrumente in der Finanz- und Wirtschaftspolitik zu schärfen und entschlossener zu nutzen.
Künftig brauchen wir effizientere Eingriffsmöglichkeiten gegenüber Staaten, die die Stabilität in Europa gefährden. Die Effizienz des Stabilitäts- und Wachstumspaktes erfordert eine regelgebundene, gestufte Überwachung der Haushaltspolitiken. Länder, die sehr stark im Ausland verschuldet sind und zugleich über eine nur geringe Leistungsfähigkeit im Exportsektor verfügen, müssen niedriger gesetzte Eingriffsschwellen akzeptieren als Länder, die ihre Schulden- erkennbar besser bedienen können. Dazu gehört auch, dass Sanktionen schneller und mit weniger politischem Spielraum als bislang greifen.
Deutschland und Frankreich haben dafür Vorschläge gemacht. Danach sollte für Länder, die die Vorgaben zur Rückführung ihrer übermäßigen Haushaltsdefizite wiederholt missachten, der Zugang zu EU-Mitteln wie auch ihre Stimmrechte ausgesetzt werden. Genauso wichtig sind Vorkehrungen, die private Investoren zu einem verantwortungsvolleren Investitionsverhalten veranlassen, ihre Haftung für die von ihnen eingegangenen Investitionsrisiken verstärken und so dem Moral-Hazard-Problem entgegenwirken. Vor diesem Hintergrund setzt sich die Bundesregierung nachdrücklich für ein geordnetes Restrukturierungsverfahren für Mitgliedstaaten der Eurozone ein. Nur so kann eine angemessene Beteiligung des Privatsektors an der Lösung von Staatsschuldenkrisen und damit die Schonung der Steuerzahler erreicht werden.
Drittens: Was für Staaten bei der Krisenprävention gilt, muss erst recht bei einer systemkritischen Branche wie dem globalen Finanzgeschäft gelten. Eine Volkswirtschaft von der Größe und Bedeutung Deutschlands benötigt ein effizientes und stabiles Bankensystem. Es geht darum, Dienstleistungen zur Finanzierung von Investitionen im Inland und zur sicheren Anlage inländischer Ersparnis vorzuhalten. Das ist eine Funktion, die auf andere Sektoren bezögen ist, quasi eine „dienende“ Aufgabe. Deutschland braucht für seine eigenständige und historisch gewachsene Wirtschaftsstruktur, die geprägt ist von einem fruchtbaren Nebeneinander global agierender Großunternehmen, einem stark international ausgerichteten industriellen Mittelstand und einer Vielzahl kleinerer und mittlerer Unternehmen, ein passgenaues Banksystem. Dies muss bei der Weiterentwicklung des deutschen Bankensystems bedacht werden.
Das bedeutet keineswegs, dass wir mehr staatliches Unternehmertum im Bankensektor brauchen. Im Gegenteil: In den Banken, in denen der Staat krisenbedingt engagiert ist, muss er sich jeden Tag aufs Neue die Frage stellen, wann und wie das Engagement zurückgeführt werden kann. Mehr noch: Der Staat hat sich auch vor der Krise nicht als der bessere Bankier gezeigt. Wir werden die Krise auch hier als Chance zur Neuordnung nutzen. Leitbild muss ein Bankensektor sein, in dem mittelständische wie große Unternehmen Ansprechpartner finden. Hierbei ist es Aufgabe des Staates, eine effiziente Regulierung zu schaffen, nicht aber sich selbst als Bankier zu engagieren. Es gilt, unsere heimische Finanzwirtschaft zu stärken. Dann können wir unserer europäischen und internationalen Führungsverantwortung im Bereich der Regulierung noch besser gerecht werden.
Unabhängig von diesen nationalen Bankenstrukturfragen werden für alle systemisch relevanten Banken international abgestimmte Regulierungen benötigt, die eine Wiederholung der Systemkrise unwahrscheinlicher machen. Für die Reform der Finanzmärkte haben die G 20 die Richtung vorgegeben, und sie werden das auch weiter tun müssen. Effektiv kann die Regulierung des globalisierten Finanzmarktes nur sein, wenn seine Regulierung global erfolgt. Deshalb muss von der Regulierungsaufgabe so viel wie möglich auf internationaler oder europäischer Ebene erle-
digt werden. Nicht weniger wichtig als die G-20-Verabredungen zur Reform der •Finanzmärkte ist deren internationale, regionale und nationale Umsetzung. Deutschland nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. Genannt seien die Verhinderung risikofördernder Managervergütungen, verbesserte Eingriffsbefugnisse der Bankenaufsicht sowie Eindämmung spekulativer Exzesse auf den Finanzmärkten durch Risikorückbehalt bei Verbriefungen.
Bei allen Fortschritten, die bei der internationalen Regulierung der Finanzmärkte bisher gemacht wurden, dürfen wir aber auch die Augen nicht davor verschließen, dass im G-20-Kreis, insbesondere bei Ländern mit bedeutenden Finanzplätzen, zu bestimmten Fragen wie etwa der Beteiligung des Finanzsektors an den Krisenkosten, unterschiedliche Interessenlagen bestehen. Die legitimen Interessenunterschiede dürfen nicht dazu führen, dass alles beim Alten bleibt. Ich halte es daher für dringend geboten, in solchen Fällen notfalls auch auf nationaler Ebene politisch aktiv zu werden. Mit der Einführung einer Bankenabgabe sowie eines intelligenten Regimes zur Reorganisation und Restrukturierung von Banken tut die Bundesregierung genau dies. Nationale Lösungen sollen auch der Ansporn für europäische Lösungen sein, sei es im Rahmen der Eurozone oder auch im Bereich der EU 27. Das gilt für die Bankenabgabe wie für das Verbot ungedeckter Leerverkäufe.
Viertens: Unsere Politik stärkt auch die Inlandsnachfrage. Konsolidierung und Wachstumsförderung bedingen sich gegenseitig. Wenn die Mehrheit der Bürger ausufernde Staatsfinanzen als ihre größte Zukunftssorge sieht, dann schafft nur eine nachhaltige Konsolidierung das auch für einen stärkeren Binnenkonsum nötige Vertrauen. Darüber hinaus geht es uns hier vor allem um die Stärkung der im Inland liegenden Wachstumskräfte. Eine Politik für eine stärkere inländische Wirtschaftsentwicklung wird stets angebots- und nachfrageseitige Aspekte miteinander verbinden. Produktive Investitionen in Deutschland verbessern das langfristige Wachstumspotential ebenso wie eine Ausweitung des Beschäftigungsgrades. Zuvörderst muss es dabei um privat finanzierte Investitionen gehen. Der Staat kann zu einer positiven Investitionsentwicklung beitragen. Es gibt eine Reihe von Investitionsfeldern, die der Staat weitreichend für, sich beansprucht oder stark reguliert, in denen mehr privat investiert werden könnte auch vor dem Hintergrund, dass der Staat seine eigenen Investitionen in den vergangenen Jahrzehnten zugunsten ausgeweiteter Sozialleistungen immer weiter zurückgefahren hat. Durch kluge Regulierung und eine stärkere Öffnung für Entgeltfinanzierung lassen sich mehr Investitionen in der Bildungsinfrastruktur, in der überregionalen Verkehrsinfrastruktur, in der Energienetzinfrastruktur oder im Gesundheitssektor ermöglichen. Darüber hinaus sind vielfältige Weichenstellungen vonnöten, damit ein mit dem demographischen Wandel einhergehender Rückgang des Arbeitsangebots nicht dämpfend auf das Wirtschaftswachstum wirkt. Dabei geht es um die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung Älterer, die Steuerung der Zuwanderung aus Drittstaaten, familienfreundliche Rahmenbedingungen und die Stärkung des Humankapitals etwa durch lebenslange Bildung und Weiterbildung.
Fünftens: Eine Reform der Kommunalfinanzen und wachstumsfreundliche Steuerpolitik werden mittelfristig zur Stärkung der Investitionen und zur Verstetigung der wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Die Kommunen sind stärkster Träger öffentlicher Investitionen in Deutschland. Das ist einer der Gründe, warum die Reform der Kommunalfinanzen politische Priorität genießt. Ein zweiter ist die ordnungspolitisch überlegene Leistungsfähigkeit kleiner Einheiten und eines ausgewogenen Kontinuums verschieden großer Einheiten, wie sie die deutsche Unternehmenslandschaft, aber auch den deutschen Föderalismus kennzeichnen.
Die Steuereinnahmen der Kommunen schwanken stark, viele Kommunen haben damit Schwierigkeiten. Sie klagen darüber, durch immer stärkere Vorgaben der Länder und des Bundes vor allem im Sozialbereich immer weniger Handlungsspielraum zu haben. In der Tat verdrängen in den kommunalen Haushalten Sozialausgaben zunehmend investive Ausgaben.
Wir wollen die Eigenständigkeit der Kommunen wieder stärken, auch um die Gestaltungsmöglichkeiten der Bürger in ihrem unmittelbaren Umfeld zu erhalten und auszubauen. Dazu werden wir die Einnahmen der Kommunen verstetigen und Wege finden, die kommunale- Aufgabenwahrnehmung mit weniger Ausgaben zu ermöglichen und kommunale Investitionen wieder zu stärken. Wir arbeiten an einem Reformansatz, der nicht zu großen Verwerfungen innerhalb der kommunalen Ebene führt. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit den Ländern und Kommunen einvernehmliche Lösungen finden.
Sechstens: Die Krise hat Fehlentwicklungen des Kapitalismus offengelegt. Aber weil die Soziale Marktwirtschaft ein offenes, freiheitliches Modell ist, geht sie aus solchen Krisen gestärkt hervor. Ohne Soziale Marktwirtschaft würde es in unserem Land nicht den Wohlstand und die soziale Sicherheit geben, die wir erhalten werden. Daher dürfen wir weder eine Ökonomisierung aller Lebensbereiche zulassen noch den Markt als „notwendiges Übel“ wahrnehmen und das Soziale auf Umverteilung reduzieren. Es geht um grundlegende Prinzipien und Tugenden wie persönliche Haftung, Übernahme von Verantwortung, langfristig angelegtes Wirtschaften. So verstanden wird sich die Soziale Marktwirtschaft auch in Zukunft als überlegene Ordnung erweisen.