Festakt „20 Jahre THW in den östlichen Bundesländern“



Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Keine Kraft ist stärker als die Freiheit. Das hat die Friedliche Revolution in der DDR vor 20 Jahren eindrucksvoll bestätigt. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis die Fesseln der Diktatur sich etwas gelockert hatten. Im Herbst 1989 entwickelte sich dann in wenigen Wochen eine atemberaubende Dynamik, die alle Hindernisse und einen allmächtig scheinenden Herrschaftsapparat niederriss.

Es ist auch heute nicht alles Gold, was glänzt. Aber vieles ist doch erreicht worden und die wenigsten Menschen wünschen sich ernsthaft die Mauer zurück. Wir sind aber auch um die Erfahrung reicher, dass eine Freiheit, die man errungen hat und an die man sich gewöhnt hat, oft nicht mehr so hoch geschätzt wird, wie eine Freiheit, die man nicht hat. Wahr ist auch, dass Menschen im Osten sich noch immer manchmal vom Westen nicht verstanden oder nicht genügend respektiert finden. Und sie hatten es nicht nur vor der Wende schwerer, sondern mussten auch danach mehr an grundstürzenden Veränderungen bewältigen. Das macht das Zusammenwachsen nicht leichter. Gleichwohl: Es gibt nichts Besseres als Freiheit. Und es gibt für uns Deutsche in Ost und West nichts Besseres, als gemeinsam in Frieden, Freiheit und Einheit zu leben.

Es entsprach dem Willen einer großen Mehrheit der Menschen in der DDR, die Einheit als Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes zu vollziehen. Das Grundgesetz hat sich auch in diesem Fall als verlässliche und zugleich entwicklungsfähige Grundlage unserer Freiheitsordnung bewährt. Es war nicht so, dass man den Ostdeutschen das Grundgesetz übergestülpt hätte. Sie haben sich einfach in ihrer Mehrheit für diese und keine andere Ordnung entschieden, und sie haben sich dieses Recht gegen viele Widerstände erkämpft. Deshalb können auch die Menschen aus der ehemaligen DDR stolz und dankbar 60 Jahre Grundgesetz feiern.

Freiheit braucht aber nicht nur einen rechtlichen Rahmen, sondern sie braucht vor allem Menschen, die diesen Rahmen ausfüllen, Freiheit gestalten. Auch das Miteinander gestalten. Wer alles dem Staat oder der Bürokratie überlässt, verliert schnell die Freiheit. Und jede Ordnung braucht Strukturen, die aus unzähligen Elementen entstehen, die erst zusammengenommen ein starkes, wirkungsvolles Gefüge ergeben.

Strukturen müssen wachsen und sich entwickeln. Sie bedürfen regelmäßiger Pflege, benötigen bestimmte Voraussetzungen und gute Rahmenbedingungen. Der Stellenwert des THW in den neuen Bundesländern ist das Ergebnis einer solchen erfolgreichen Entwicklung. Er steht für die funktionierende bundesweite Vernetzung unseres Hilfeleistungssystems; für den Einsatz, die Leistungsbereitschaft und die Motivation aller, die in den vergangenen zwanzig Jahren daran mitgewirkt haben und auch in Zukunft mitwirken werden.

Zwanzig Jahre sind ein vergleichsweise kurzer Zeitraum, in dem ein weiteres bewegtes und bewegendes Kapitel der THW-Geschichte geschrieben wurde. Eine Zeit des Umbruchs, des Aufbruchs und der Herausforderungen unter nicht immer optimalen Bedingungen. Doch Sie haben es geschafft! Mit Ihrer Überzeugung, Ihrem Engagement, Ihrer Energie und Ihrer Ausdauer! Der „Tag des THW“ ist Ihr Tag, der Lohn für Ihren Einsatz.

Ich bin ja schon einmal Bundesinnenminister gewesen. Am 20. Januar trat das von ehren- und hauptamtlichen THW-Mitarbeitern langersehnte THW-Helferrechtsgesetz in Kraft. Damit hatten wir nach 40 Jahren endlich eine gesetzliche Grundlage für das THW, das den Platz der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk im deutschen Gefahrenabwehrsystem manifestierte, und nun kam der Aufbau in den neuen Ländern hinzu.

Der Startschuss fiel schon am 11.11.1989 mit einem außergewöhnlichen Einsatz, der aufgrund der Öffnung der innerdeutschen Grenze bei Bad Harzburg/ Eckertal (BRD) und Stapelburg (DDR) notwendig wurde.

Am 11. November 1989 traf gegen 15.30 Uhr bei der Feuerwehr-Einsatzleitstelle des Landkreises Goslar ein Fernschreiben ein, das die Öffnung der Grenze beim Bad Harzburger Ortsteil Eckertal gegen 16 Uhr ankündigte. Die zuständigen Behörden seien umgehend zu unterrichten und entsprechende Vorbereitungen schnellstens zu treffen.

Pünktlich waren alle zuständigen Behördenvertreter in Eckertal präsent, als gegen 15.50 Uhr die Sperranlagen durch die Grenztruppen der DDR geöffnet wurden. Nach einer gemeinsamen Absprache mit allen Beteiligten, darunter auch das THW, erging zunächst der Auftrag, die Ausleuchtung dieser Öffnung im Grenzzaun zu übernehmen. Die Grenze verlief in der Mitte des Bachbettes der hier verlaufenden Ecker, so dass für die zahlreichen Menschen, die über die Grenze wollten, erhebliche Verletzungsgefahr bestand.

Zusätzlich wurde Einigung darüber erzielt, den Übergang einen Tag später um 13.00 Uhr auch für den Pkw-Verkehr zu öffnen. Das bedeutete, dass nur 17 Stunden verblieben, um die dazu notwendigen Baumaßnahmen durchzuführen. Dabei handelte es sich insbesondere um die Verstärkung der baufälligen Eckerbrücke und erhebliche Planierarbeiten im Bereich der noch bestehenden DDR-Grenzbefestigungen. Helferinnen und Helfer des THW, der Feuerwehren und des DRK sowie Mitarbeiter des städtischen Bauhofs und einer Baufirma haben das geschafft. In den folgenden 24 Stunden strömten ca. 40.000 Menschen über die noch bestehende innerdeutsche Grenze in Richtung Bad Harzburg und Goslar.

Der „Brückenschlag von Eckertal“ ist in die THW-Geschichte eingegangen. Er stand am Beginn der erfolgreichen Arbeit des THW in den fünf neuen Ländern. Ausstattung und Fahrzeuge der Nationalen Volksarmee und des Zivilschutzes der ehemaligen DDR gingen nach deren Auflösung an das THW und andere Einrichtungen über und bildeten eine Grundlage. Alles andere musste sich finden.

Der „Aufbau Ost“ beim THW war eine echte Herausforderung. Das THW hat in vergleichsweise kurzer Zeit unter schwierigen Umständen viel erreicht – dank der Leistungsbereitschaft all derer, die geholfen haben, das THW in Ostdeutschland in der Fläche zu verankern. Zügig wurden in der ersten Aufbauphase 80 Ortsverbände neu gegründet. Die westdeutschen Ortsverbände haben das ideell und materiell unterstützt. Mehrere 100 Fahrzeuge und umfangreiche Technik wechselten zwischen 1990 und 1995 von West nach Ost. Mittlerweile gibt es 94 THW-Ortsverbände in den neuen Ländern (inkl. Ost-Berlin) mit rund 8.000 Mitgliedern, darunter über 1.000 Jugendliche.

Die Bilanz kann sich sehen lassen: Seine Feuertaufe hat das THW Ost beim Oderhochwasser 1997 bestanden. Die Ölbekämpfung nach einem Tankerunglück in der Ostsee im Jahr 2001 hat die Helfer des THW ebenso gefordert wie das Elbehochwasser 2002, der Brand der Bibliothek Anna Amalia in Weimar 2004 oder die Absicherung des G8-Gipfels letztes Jahr in Heiligendamm. Die THW-Helfer waren bei zahllosen weiteren Gelegenheiten im Einsatz. 

Der Bund ist sich seiner Verantwortung für das THW bewusst. Die großen Extrabelastungen, die derzeit krisenbedingt auf die öffentlichen Haushalte zukommen, machen uns die Sache nicht einfach. Das ist wahr. Wahr ist aber auch, dass das THW aus dem Konjunkturpaket II knapp 30 Millionen Euro zur Modernisierung von Ausstattung und Fahrzeugen bekommt. Ich versichere Ihnen: Der Bund wird auch weiterhin alles tun, um dem THW die nötigen Mittel zuzusprechen, weil wir wissen, dass wir das THW mit seiner Kompetenz brauchen – im Innern, aber verstärkt auch international. Aber angesichts der dramatischen Wirtschafts- und Finanzkrise darf der Bundeshaushalt nicht dauerhaft außer Kontrolle geraten. Deshalb muss die vom Haushaltsgesetzgeber verfügte globale Minderausgabe erwirtschaftet werden. Dafür erwarte ich Verständnis. 

Katastrophen machen keinen Halt vor Landesgrenzen. Das haben uns Oder- und Elbeflut einmal mehr gezeigt. Wir müssen mit unseren Nachbarn zusammenarbeiten. Dafür gibt es in der Europäischen Union belastbare Kooperationen, an deren Entwicklung sich das THW maßgeblich beteiligt hat. Das THW ist europaweit einer der wichtigsten operativen Partner und Berater und federführend in der Ausbildung von Experten im europäischen Katastrophenschutz. Damit die Zusammenarbeit in der Praxis funktioniert, hat das THW regelmäßigen Austausch und gemeinsame Übungen mit Anrainerstaaten vereinbart.

Eine solche Übung war „Albis 2008“ – ein Gemeinschaftsprojekt des THW mit seinen tschechischen Partnern. „Albis“ bedeutet lateinisch Elbe, und die Einsatzkräfte sollten bei „Albis 2008“ angesichts der bitteren Erfahrungen aus den Elbefluten lernen, eine fiktive Bedrohung durch Hochwasser gemeinsam und grenzübergreifend zu meistern. Der „THW-Landesverband Sachsen, Thüringen“ mit 18 Ortsverbänden aus der Region – unter anderem auch Chemnitz – das tschechische Feuerwehr-Rettungs-korps und andere Katastrophenschutzbehörden in Tschechien haben mit dieser Übung gezeigt, wie gut die Zusammenarbeit trotz sprachlicher Hürden funktionieren kann.

Diese Kontakte müssen wir pflegen und weiter ausbauen. Ich begrüße die Helfer aus dem tschechischen Katastrophenschutz, die heute den Tag des THW mit uns feiern. Auch der grenzüberschreitende Katastrophenschutz an der Oder ist geprägt von guter Zusammenarbeit. Auch die Staatliche Polnische Feuerwehr ist heute durch eine Abordnung vertreten. Seien Sie herzlich gegrüßt. Europa wächst zusammen. 

In akuten Gefahrensituationen kann das THW überall schnell vor Ort sein, mit hoch qualifizierten Einsatzkräften und moderner Ausstattung. Südostasien, China, Myanmar, auch die USA: die Helfer des THW sind da, wenn sie gebraucht werden. Das hat Ihnen einen hervorragenden internationalen Ruf gebracht. Verantwortung bewährt sich aber nicht nur im Großen und Globalen, sie beginnt immer schon im Kleinen, vor der eigenen Haustür.

Offene Gesellschaften wie die unsere können nur gedeihen, wenn sie von einer großen Mehrheit der Menschen getragen werden. Jede freiheitliche Ordnung braucht ein möglichst hohes Maß an innerer Bejahung. Und im Wettbewerb, der notwendiges Element in jeder freiheitlich verfassten Ordnung ist, dürfen wir Werte der Mäßigung und Solidarität nicht aus den Augen verlieren.

Wir müssen gerade in der wirtschaftlichen Krise zeigen, dass Freiheit und Gemeinwohl in unserer Ordnung besser vereinbar sind als in jeder anderen Ordnung. Ohne Gemeinschaftsgefühl wird es schwierig. Aus der gefühlten Zugehörigkeit erwächst die Bereitschaft, sich für die Anliegen des Gemeinwesens zu engagieren. Ohne bürgerschaftliches Engagement, freiwillige Helfer, ehrenamtliche Tätigkeit wäre das Leben in unserem Land um vieles ärmer.

Die Kräfte des Technischen Hilfswerks sind zur Stelle, wenn Menschen in Not geraten. Das geht nur in der Zusammenarbeit hauptamtlicher und ehrenamtlicher Helfer. Viele andere Länder beneiden uns um die hohe Qualität unseres Hilfeleistungssystems. Es ist in der gesamten Fläche, auch in weniger dicht besiedelten Gebieten stark und hat sich vielfach bewährt.

Dieses engmaschige Hilfsnetz gibt es nur dank der Bereitschaft vieler Bürger, sich im Bevölkerungsschutz zu engagieren. Die freiwilligen Helferinnen und Helfer, 1,8 Millionen insgesamt, sind das Rückgrat des Bevölkerungsschutzes in unserem Land.

Im Ehrenamt verwirklicht sich eindrucksvoll unsere demokratische und solidarische Bürgergesellschaft. Im Bevölkerungs- und Katastrophenschutz ist dieses Engagement Grundlage für den hohen Sicherheitsstandard, den wir kennen und schätzen, und es stärkt die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung. Wir müssen die Bereitschaft zur ehrenamtlichen Hilfe gerade in einer Zeit, in der gewachsene Bindungen sich immer mehr auflösen, fördern und immer neu dazu aufrufen. 

Unsere Gesellschaft braucht angesichts des Auseinanderdriftens der Lebenswelten von Jungen und Alten Menschen, die ihre Erfahrungen an die nächste Generation weitergeben und bei Nachwachsenden Freude am Helfen wecken. Ohne die Jugend geht es nicht, ohne die Alten aber auch nicht.

Aufgabe der Älteren muss sein, der Jugend Raum zu geben, sich zu entfalten, zu gestalten. Diese Möglichkeiten haben die Junghelferinnen und Junghelfer in der THW-Jugend. Hier erhalten sie eine fundierte Ausbildung im Katastrophenschutz. Sie lernen den Umgang mit moderner Technik und sie lernen, Verantwortung zu übernehmen.

Dafür brauchen sie kompetente Betreuer, die sie Schritt für Schritt an Aufgaben heranführen, ohne dass Erlebnis und Spaß zu kurz kommen. Über 15.000 Junghelferinnen und Junghelfer engagieren sich bundesweit in der THW-Jugend. Sie sind Beweis dafür, dass die Jugendarbeit des THW funktioniert und dass sie Früchte trägt.

Ich erinnere mich an das 11. THW-Bundesjugendlager 2006. Austragungsort war Wismar, mehrere Tausend Jugendliche waren da. Damit fanden Zeltlager und Wettkampf zum ersten Mal in den neuen Bundesländern statt, ein Zeichen mehr für die erfolgreiche Entwicklung des THW in Ostdeutschland. 

Unser Bevölkerungsschutz ist leistungsstark, unser Hilfeleistungssystem funktioniert – im Westen wie im Osten. Das ist das Verdienst all derjenigen, die sich im Bevölkerungsschutz engagieren, freiwillig und uneigennützig. Für Ihr Engagement, Ihre professionelle Hilfe und Ihre erfolgreiche Arbeit danke ich Ihnen im Namen der Bundesregierung und auch ganz persönlich. Und ich gratuliere allen, die sich im Osten beim THW als Helfer engagieren, recht herzlich zum 20-jährigen Jubiläum.

Auf seinen Lorbeeren darf man sich niemals ausruhen. Das THW steht vor neuen Aufgaben, es muss seine Leistungsfähigkeit aufrechterhalten und sich zukunftsfähig ausrichten. Neben einer sachgerechten Ausstattung wird es darauf ankommen, qualifizierte Helfer zu finden und Lust auf ehrenamtliche Mitarbeit weiter zu wecken. Es wird in Zukunft noch wichtiger werden, auch Zuwanderer als Helfer anzusprechen. Die Bevölkerungsstruktur in Deutschland verändert sich, unser Land ist vielfältiger geworden. Wir brauchen auch die Zugewanderten – im Berufsleben, in der Gesellschaft und im Ehrenamt.

Vor dem Morgen steht das Heute. Wer feste arbeitet, soll auch Feste feiern. Ich gratuliere dem THW zu seiner erfolgreichen Arbeit und danke Ihnen allen für die gute Zusammenarbeit. Ich wünsche allen ein schönes, geselliges Fest.