Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble in einem Interview mit der Rheinischen Post vom 3. November 2012 über die Berliner Pläne zur Weiterentwicklung Europas und den schweren Weg aus der Krise.
Rheinische Post: Helmut Schmidt glaubt nicht, dass es den europäischen Nationalstaaten noch in diesem Jahrhundert gelingen wird, sich zu einem Staatenbund zu vereinen. Sind sie optimistischer?
Schäuble: Ich bin generell optimistisch. Das 21. Jahrhundert hat ja gerade erst angefangen. Die Bindung der Menschen an ihre nationalen Verfassungen wird noch lange wichtig bleiben in Europa und Europa steht ja auch für Vielfalt. Aber der Nationalstaat wird nicht mehr die alleinige Regelungsebene sein. Die europäischen Staaten werden weiter zusammenrücken. Schritt für Schritt. Aus meiner Sicht ist das unvermeidlich. Bestimmte Dinge wie beispielsweise ganz aktuell die Finanzmarktregulierung und die Fiskalpolitik können wir nicht mehr wirkungsvoll national entscheiden. Der europäische Einigungsprozess wird nie fertig sein. Die europäische Währungsunion ist mit all ihren Schwächen aber auch Stärken ein gutes Beispiel dafür. Nichts ist perfekt.
Rheinische Post: Ihre Vision ist die eines sich stets neu definierenden Europas?
Schäuble: Was wir jetzt brauchen ist die Stärkung der Institutionen, also der EU-Kommission, des EU-Ministerrats und des EU-Parlaments. Schrittweise werden die Nationalstaaten immer mehr Aufgaben an die europäischen Institutionen abgeben. Europa wird kein Superstaat sondern eine ganz moderne Form von Regierungsform, bei der die Kompetenzen da liegen, wo sie am effizientesten einzusetzen sind: je nachdem werden das die Kommunen, Regionen, Nationalstaaten und eben die EU-Ebene sein.
Rheinische Post: Sie gelten nicht als besonders geduldiger Mensch. Wir erleben, dass Großbritannien mit einem Veto gegen das Budget der Europäischen Union droht, Griechenland Verabredungen nicht einhält und Frankreich nörgelt. Verlieren Sie manchmal die Geduld mit Europa?
Schäuble: Ich bin gerade 70 geworden. Da ist man gelassener und entspannter. Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Ich will aber immer noch die Dinge voranbringen. Und ein bisschen Druck durch die Krise hilft da schon – anders ist das in der Politik oft nicht möglich.
Rheinische Post: Sie haben die Direktwahl des EU-Ratspräsidenten empfohlen. Könnte dies schon 2014 bei der Europawahl Realität werden?
Schäuble: Je früher desto besser. Manchmal gehen die Dinge schneller als man glaubt. Die Europawahl 2014 wäre ein guter Zeitpunkt. Die integrative Wirkung der Direktwahl einer Persönlichkeit zum EU-Ratspräsidenten würde Europa sehr voranbringen. Und ich wiederhole: Gleichzeitig muss das EU-Parlament eine stärkere und einflussreichere Rolle bekommen.
Rheinische Post: Der EU-Währungskommissar soll aufgewertet werden. Werden die Regierungschefs das schon auf dem Gipfel im Dezember beschließen?
Schäuble: Ich hoffe das. Die Bundeskanzlerin unterstützt diesen Vorschlag und hat die Vorteile in ihrer Regierungserklärung präzise beschrieben. Man muss der EU-Kommission mehr Möglichkeiten geben, dafür zu sorgen, dass die Mitgliedsstaaten die verabredeten Haushaltsregeln einhalten. Wir brauchen eine Institution, die die Einhaltung der Regeln überwacht. Ich wundere mich, dass das auf Widerstand stößt. Europa beruht auf dem Prinzip der Herrschaft des Rechts. Wenn wir Verträge machen, müssen sie auch gelten und überwacht werden.
Rheinische Post: Was für Sanktionsmöglichkeiten hätte der Spar-Kommissar?
Schäuble: Wenn der Währungskommissar einen Verstoß des EU-Rechts feststellen würde, dürfte ein nationaler Haushalt gar nicht erst in Kraft treten. Das betroffene Land könnte dann noch vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Für solche Fälle müsste man eine Regelung des vorläufigen Haushaltsrechts einführen.
Rheinische Post: Macht Frankreich da mit?
Schäuble: Warum nicht? Mein französischer Amtskollege Pierre Moscovici hat sehr nachdrücklich gesagt, dass Frankreich seine Verpflichtungen erfüllen werde. Dann ist es doch nur folgerichtig zu sagen: Alle müssen ihre Verpflichtungen erfüllen. Darum geht es jetzt im Übrigen auch in Griechenland…
Rheinische Post: Die Achillesferse Europas. Die Reformen dort kommen kaum voran, die Wirtschaft bricht ein. Warum wollen Sie Athen trotzdem mehr Zeit geben?
Schäuble: Wir warten den Bericht der Troika ab, dann entscheiden wir. Aber die Verschlechterung der wirtschaftlichen Entwicklung und der durch zwei Wahlen entstandene Zeitverzug sind Tatsachen, an denen wir nicht vorbeikommen. Nun muss die Troika mit Griechenland einen Weg finden, wie die Reformen umgesetzt und die vereinbarten Reformziele eingehalten werden können. Dass dieser Weg hart wird für Griechenland, wissen wir. Das ist aber kein böser Wille oder ein Mangel an Großzügigkeit. Man kann die Probleme nur bekämpfen, wenn man an die Ursachen rangeht.
Rheinische Post: Warum sagen Sie den Bürgern nicht, die Griechenland-Rettung wird noch Jahre dauern und mehr Geld kosten?
Schäuble: Noch mal: Die europäische Einigung ist ein Prozess. Niemand kann den Lauf der Geschichte exakt vorhersagen. Auch der Finanzminister nicht. Es bleibt dabei: Griechenland muss seine Verpflichtungen erfüllen. Wir können über zeitiiche Streckungen der Programme reden, wenn sie Sinn machen und dazu beitragen, das Vertrauen in Griechenland zu stärken, aber die Anstrengungen und Reformen, um im Euro zu bleiben, muss Griechenland selbst umsetzen. Der Druck bleibt.
Rheinische Post: Schließen Sie einen Schuldenerlass der öffentlichen Gläubiger aus?
Schäuble: In den meisten europäischen Ländern ist das haushaltsrechtlich nicht möglich. Die Ablehnung eines Schuldenschnitts durch die öffentliche Hand ist kein spezifisch deutsches Problem. Einem Schuldner, von dem man weiß, dass er seine Schulden nicht bezahlen kann, dem kann man keine neuen Garantien oder Bürgschaften geben.
Rheinische Post: Sie sind 70 Jahre alt, dienstältester Bundestagsabgeordneter und treten 2013 wieder an. Welches Amt streben Sie nach der Wahl an?
Schäuble: Bundestagsabgeordneter! Alles Weitere sehen wir nach der Wahl.
Rheinische Post: Haben Sie noch einen persönlichen Karrieretraum?
Schäuble: Träume schon. Dazu kann ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen. Vor zwei Wochen habe ich zu dem finnischen Opernsänger Matti Salminen gesagt, dass ich sehr gerne mal Beethovens einzige Oper „Fidelio“ inszenieren würde. Das war natürlich nicht ernst gemeint. Aber wenn ich ihn wirklich inszenieren könnte, dann wäre für mich die zentrale Figur die Rolle des „Rocco“.
Das Interview führten Birgit Marschall und Michael Bröcker.
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