„Europa geht so schnell nicht unter“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Rheinischen Post

Rheinische Post (RP): Herr Schäuble, wie ernst meint es die Bundesregierung mit ihrer Drohung, dass Griechenland kein Geld mehr bekommt, wenn es Spar- und Reformzusagen nicht erfüllt? Wird der Geldhahn Ende Juni wirklich zugedreht?

Schäuble: Niemand droht hier irgendwem. Aber wir müssen doch so ehrlich, fair und offen sein, den griechischen Freunden und Partnern zu sagen, dass es keinen anderen als den gemeinsam vereinbarten Weg gibt. Nur durch Reformen kann sich Griechenland stabilisieren und wirtschaftlich gesunden. Da gibt es auch keine Abkürzungen oder bequeme Lösungen. Ich weiß, dass das für die Menschen in Griechenland sehr schwer ist, von den Betroffenen zum Teil auch als unfair empfunden wird. Aber die Staaten Europas und die privaten Gläubiger sind Griechenland schon außergewöhnlich weit entgegen gekommen. Wir haben gemacht, was möglich ist. Wir gehen dabei auch große Risiken ein, die wir auch unserer eigenen Bevölkerung erklären müssen. Griechenland muss verstehen, dass es im Gegenzug seine Verpflichtungen erfüllen muss. Es ist gefährlich, den Bürgern vorzugaukeln, es gäbe einen anderen, einfacheren Weg, auf dem Griechenland gesunden könnte und alle Härten vermieden würden. Aber das ist Unsinn!

RP: Kann sich die Euro-Zone den Austritt Griechenlands denn leisten?

Schäuble: Wir wollen, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt. Aber es muss dies auch wollen und sich seinen Verpflichtungen stellen. Wir können niemanden zwingen. Europa geht so schnell nicht unter.

RP: Das heißt, die Euro-Zone wäre für den Austritt Griechenlands gerüstet?

Schäuble: Es macht wirklich keinen Sinn hier zu spekulieren. Wir haben in den letzten zwei Jahren viel gelernt und Schutzmechanismen eingebaut. Die Ansteckungsgefahren für andere Länder der Eurozone [Glossar] sind geringer geworden und die Eurozone ist insgesamt widerstandsfähiger geworden. Die Krise hat auch gezeigt: Wenn schnelles Handeln angesagt ist, kann Europa rasch reagieren. Spanien hat das gerade wieder unter Beweis gestellt und eine bedrohte Bank verstaatlicht. Die Vorstellung, dass wir nicht in der Lage wären, kurzfristig auf etwas Unvorhergesehenes zu reagieren, ist falsch.

RP: Der neue französische Präsident Hollande will die Nachfrage durch weniger Sparen stärken und den Fiskalpakt entsprechend nachverhandeln.

Schäuble: Der IWF, die EU-Kommission, die EZB [Glossar] und alle anderen internationalen Institutionen sagen, die Ursache der Schuldenkrise ist die unangemessen hohe Verschuldung vieler Euro-Länder und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Private Nachfrage und damit Wachstum stärke ich am besten dadurch, dass ich für Vertrauen der Konsumenten und Investoren in die öffentlichen Finanzen sorge. Eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit stärkt das Wachstum. Der Fiskalpakt ist von 25 Staaten unterzeichnet, bei einigen schon ratifiziert und bei anderen im Ratifizierungsprozess. Es entspricht den internationalen Gepflogenheiten, dass eine neue Regierung sich auch an das gebunden fühlt, was die Vorgängerregierung vereinbart hat. Zu der Absprache gehört aber auch, dass ein Land wie Deutschland, dessenKonjunktur [Glossar] kräftig ist, sein Defizit [Glossar] nicht in drastischen, sondern in gleichmäßigen Schritten abbaut. Deshalb wäre es auch falsch, über die von uns bereits betriebene konsequente Konsolidierung hinaus weitere drastische Sparanstrengungen zu unternehmen. Natürlich gehört es zu der seit Jahrzehnten engen Freundschaft mit Frankreich ebenso, dass man einander zuhört und miteinander spricht. Deshalb freuen wir uns auf den Besuch des neuen französischen Präsidenten.

RP: Wie sieht Ihre Wachstumsstrategie für Europa aus?

Schäuble: Das kommt von Land zu Land darauf an, wo es Verbesserungsbedarf gibt. Spanien ist dabei, seinen Arbeitsmarkt [Glossar] zu flexibilisieren, der neue französische Präsident will den Mittelstand [Glossar] stärken, Italien und Deutschland bekämpfen ihr Übermaß an Bürokratie. Aber Geld in die Hand zu nehmen, das man nicht hat, ist keine Wachstumspolitik, das ist der falsche Weg. Darauf wird die Bundesregierung in den Verhandlungen über eine Wachstumsstrategie sehr achten.

RP: Auch bei uns nehmen manche Geld in die Hand, das sie nicht haben!

Schäuble: Stimmt. Manche Landesregierungen, zum Beispiel die in NRW, müssen daran erinnert werden, dass sie nach den Regeln der Schuldenbremse [Glossar] jetzt schon verpflichtet sind, darauf hinzuarbeiten, dass das Defizit 2020 bei Null ist. Der NRW-Haushalt[Glossar] ist vom eigenen Landesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden. Viel Schlimmeres kann einer Landesregierung nicht passieren.

RP: Die Krankenkassen verzeichnen Milliarden-Überschüsse. Können Sie auf den Steuer[Glossar]-Zuschuss bald verzichten?

Schäuble: Wir sind mit den Aufgaben in der Kranken- und Pflegeversicherung nicht am Ende. Der medizinische Fortschritt ist teuer, die demographische Entwicklung schreitet voran. Dennoch dürfen keine Fehlanreize gesetzt werden. Das Steuergeld – zumal die hohen Zuschüsse – ist für die Gesundheitspolitiker keine für alle Zeiten zur Verfügung stehende Dispositionsmasse.

Das Gespräch führten Birgit Marschall und Eva Quadbeck.

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