Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Passauer Neuen Presse
Passauer Neue Presse (PNP): Ein Bundesbankpräsident, der das Handtuch wirft, Ministerpräsidenten, die vom Bund mehr Geld für Hartz IV wollen und Ressortchefs, die an Sparvorgaben rütteln – macht es in diesem Umfeld noch Spaß, Finanzminister zu sein?
Schäuble: Wer gestalten will, dem macht eine große Aufgabe Freude. Es ist natürlich nicht nur Spaß, sondern eine hohe Verantwortung. Und vor der Verantwortung laufe ich nicht davon.
PNP: Im letzten Jahr müssten Sie mehrfach aussetzen, weil eine Operationswunde nicht heilen wollte. Sind Sie wieder fit?
Schäuble: Die körperliche Leistungsfähigkeit ist eine notwendige Voraussetzung, um die Verantwortung zu tragen. Im letzten Jahr habe ich mir schon sehr sorgfältig überlegt, ob es noch verantwortbar ist. Ich habe darüber auch mit der Bundeskanzlerin gesprochen und immer ihr Vertrauen gehabt. Es geht ganz gut, es ist aber noch Luft nach oben.
PNP: Zum Personalwechsel bei der Bundesbank: Bundesbankpräsident Axel Weber zieht sich überraschend zurück, der Wirtschaftsberater der Kanzlerin, Jens Weidmann, rückt nach. Kann er sein Amt wirklich unabhängig von der Politik ausüben?
Schäuble: Die Rückzugsentscheidung von Bundesbankpräsident Axel Weber hat uns überrascht. Wir haben jetzt gehandelt, ohne Kompromisse, ohne Übergangslösung. Jens Weidmann ist der richtige Kandidat für dieses Amt. Seine fachliche Qualifikation ist unbestritten. Wer seine persönliche Integrität kennt, weiß, dass er dieses Amt sehr gut ausfüllen wird und dass auch überhaupt kein Zweifel daran besteht, dass er seine neue Rolle unabhängig ausüben wird.
PNP: Wird der neue Mann an der Bundesbankspitze ein Garant für die Euro [Glossar]-Stabilität?
Schäuble: Er hat ohne Zweifel das Standing dazu. Herr Weidmann verkörpert die Stabilitätskultur der Deutschen Bundesbank – nicht zuletzt aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Abteilungsleiter Geldpolitik [Glossar] bei der Deutschen Bundesbank. Er ist hervorragend vernetzt. Jeder kennt ihn, jeder schätzt ihn.
PNP: Was halten Sie eigentlich von Ihrem Vorgänger Peer Steinbrück?
Schäuble: Eine Menge. Wir haben in der Regierung gut zusammengearbeitet.
PNP: Wäre Steinbrück ein geeigneter Kandidat für den Präsidentenposten der Europäischen Zentralbank [Glossar] (EZB) gewesen?
Schäuble: Er hat ja selber klargestellt, dass er das nicht will. Ein EZB-Präsident muss -Notenbankerfahrung mitbringen. Der Vorstoß von Herrn Steinmeier für Steinbrück war eher unglücklich freundlich gesagt.
PNP: Wie sieht der Ideale Kandidat für die Nachfolge von Jean-Claude Trichet aus? Halten Sie nach dem Weber-Rückzug an einem deutschen Kandidaten fest?
Schäuble: Es soll der Beste werden. Er muss die Unabhängigkeit der Zentralbank verteidigen. Er muss aber auch die klare Verantwortung der Zentralbank für die Stabilität unserer gemeinsamen Währung wahrnehmen. Wir werden uns mit der Nachfolge von Jean-Claude Trichet erst Ende März beschäftigen, wenn wichtige Entscheidungen um den Euro getroffen sind. Wir vermengen Sach- und Personalentscheidungen nicht.
PNP: Wie wollen Sie das Vertrauen in die gemeinsame Währung wieder herstellen?
Schäuble: Ohne Strukturreformen geht es nicht: Alle Länder der Währungsunion müssen sich an eine solide Haushaltspolitik halten. Wir brauchen einen effizienteren Stabilitäts- und Wachstumspakt [Glossar]. Die grundlegenden Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit müssen verringert werden. Das funktioniert aber nicht, indem Deutschland seine Leistungsfähigkeit künstlich einschränkt. Das wäre grober Unsinn. Wir müssen helfen, damit andere wettbewerbsfähiger werden. Das ist der Sinn des Pakts für Wettbewerbsfähigkeit, den die Bundeskanzlerin vorgeschlagen hat. Bei aller Kritik im Einzelnen findet sich wachsende Zustimmung in vielen europäischen Ländern.
PNP: Und wenn die Zustimmung nicht ausreicht? Kommt dann trotzdem ein neuer, teurer Euro-Rettungsschirm?
Schäuble: Wir werden Entscheidungen über einen Rettungsmechanismus ab 2013 nur treffen, wenn es auch Entscheidungen zur Budgetdisziplin und der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gibt. Bis Ende März soll das Gesamtpaket stehen. Der geplante Notfallmechanismus wird einen Umfang von 500 Milliarden Euro haben. Damit wird der Euro-Rettungsschirm effektiver. Und je effektiver wir ihn ausgestalten, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er in Anspruch genommen werden muss.
PNP: Wie hoch ist das Risiko, das die Steuerzahler tatsächlich tragen?
Schäuble: Es wäre allemal teurer, den Euro nicht zu verteidigen. Das würde uns viel mehr Geld kosten. Schon eine begrenzte Krise an den Finanzmärkten [Glossar] hat das Wachstum um 4,7 Prozent schrumpfen lassen trotz Abwrackprämie und aller sonstigen Abwehrmaßnahmen. Ein Eurorettungsmechanismus ist der bestverantwortliche Umgang mit dem Geld der Steuerzahler.
PNP: Zu Ihren innenpolitischen politischen Baustellen: Die Länder wollen bei Hartz IV draufsatteln. Muss es bei fünf Euro Regelsatzerhöhung bleiben oder dürfen es acht werden?
Schäuble: Es geht nicht um einen Kuhhandel. Das Bundesverfassungsgericht hat vor einem Jahr nicht entschieden, dass die Hartz-IV-Sätze zu niedrig sind. Es hat eine transparente Ermittlung des Bedarfs gefordert. Die Bundesregierung hat ein transparentes Modell vorgelegt, aus dem sich eine Erhöhung um fünf Euro ergibt. Ich halte von einer neuen Erhöhungsdebatte nichts. Das Vermittlungsergebnis, das der Bundestag akzeptiert hat, ist großzügig. Zahlen muss letzten Endes immer der Steuerzahler.
PNP: Verteidigungsminister zu Guttenberg rüttelt bereits an den Einsparvorgaben. Mit den Ansätzen sei keine Bundeswehr von 185 000 Soldaten finanzierbar. Kann er auf Ihr Entgegenkommen zählen?
Schäuble: Die Sicherheit der Bundesrepublik wird nicht aufs Spiel gesetzt. Sie steht nicht zur Disposition der Finanzpolitik [Glossar]. Aber wir haben im vergangenen Jahr klare Entscheidungen getroffen. Und der Bundesverteidigungsminister war nicht nur beteiligt, er hat dankenswerterweise selbst die Initiative ergriffen. Im Rahmen des Finanzplans werden wir eine Einigung über eine Personalstärke bis zu 185 000 Soldaten herbeiführen. Jetzt schauen wir mal, wie wir da hinkommen. Das wird viel weniger heiß gegessen, als es gekocht wird.
PNP: Ist angesichts des Sparzwangs durch die Schuldenbremse [Glossar] überhaupt noch Spielraum für eine Steuersenkung in dieser Legislaturperiode da?
Schäuble: Wir haben Prioritäten gesetzt. Die Fortsetzung der erfolgreichen Konsolidierungspolitik ist in der Bundesregierung Konsens. Es ist unnötig, alle zwei Wochen neue Schlagzeilen zu produzieren.
PNP: Können die Bürger wenigstens mehr Steuervereinfachung erwarten?
Schäuble: Wir suchen täglich nach Vereinfachungsmöglichkeiten. Die Mehrzahl der Bevölkerung hat bei Steuervereinfachung jedoch hohe Erwartungen, die man nur sehr begrenzt erfüllen kann – insbesondere dann, wenn man nicht den Spielraum für drastische Steuermindereinnahmen hat. Damit eine radikale Vereinfachung des Einkommensteuerrechts Akzeptanz findet, müssen alle weniger und niemand mehr Steuern zahlen.
PNP: In der nächsten Woche startet die Mehrwertsteuerkommission. Wollen Sie wirklich den Ärger um eine Steuererhöhungsdebatte für Schnittblumen oder Hundefutter in Kauf nehmen?
Schäuble: Der Finanzminister, der Wirtschaftsminister und der Chef des Bundeskanzleramtes werden zusammen mit den drei Generalsekretären die Lage analysieren. Wir brauchen eine politische Entscheidung. Wollen wir eine begrenzte Reform des Mehrwertsteuersatzes machen oder lohnt das nicht? Ein Großteil der Produkte, die unter den ermäßigten Mehrwertsteuersatz fallen, sind Lebensmittel oder kulturelle Güter. Realistischerweise ist der Spielraum für eine Reform begrenzt.
PNP: Kommt auch die Gemeindefinanzreform zu den Akten?
Schäuble: Wenn der Bund die Grundsicherung im Alter in drei Schritten vollständig übernimmt, ist das ein Riesenbeitrag des Bundes zur Verbesserung der Kommunalfinanzen. Ich würde mir wünschen, dass die kommunalen Spitzenverbände sich jetzt auch auf eine grundlegende Reform auf der Einnahmeseite einlassen.
PNP: Gegen Ihre Idee eines kommunalen Einkommensteuerzuschlages haben die Spitzenverbände bereits mobil gemacht.
Schäuble: Die Kommunen werden lange warten müssen, bis sie einen Finanzminister finden, der so viel Verständnis für ihre Belange hat. Die jetzige Einnahmebasis von Städten und Gemeinden ist fragil. Das verdrängen die Kommunen. Eine Reform wäre wünschenswert, aber das geht nur im Konsens. Es hat keinen Sinn, angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat einen jahrelangen fruchtlosen Streit zu führen.
Das Interview führte Christoph Slangen.
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