Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Deutschlandradio
Deutschlandradio: In Brüssel sind wir jetzt mit dem Bundesfinanzminister, mit Wolfgang Schäuble verbunden. Herr Schäuble, guten Morgen.
Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Herr Herter.
Deutschlandradio: Herr Schäuble, Ihr niederländischer Kollege, Finanzminister Jan Kees de Jager, sagt, Europa sei bereit, die Euro-Zone zu verteidigen. Von wem oder von was wird die Euro-Zone angegriffen?
Wolfgang Schäuble: Die Euro-Zone ist in einer schwierigen Situation, weil die zu hohen Schulden in einigen Mitgliedsländern das Vertrauen in die Euro-Zone als ganzes gefährden, und deswegen müssen wir gemeinsam handeln und deswegen müssen die Ursachen dieser Vertrauenskrise beseitigt werden. Das sind die zu hohen Defizite in einzelnen Mitgliedsländern. Dazu hat Griechenland sich klar verpflichtet, hat die entsprechenden Beschlüsse durchgesetzt im Parlament, und jetzt braucht es natürlich ein wenig Zeit, bis die Märkte davon überzeugt sind, dass das auch tatsächlich so funktioniert. Aber das ist der entscheidende Punkt. Und ich glaube, dass wir insgesamt auf einem vernünftigen Weg sind.
Deutschlandradio: Da sind aber klare Signale gefragt, Herr Schäuble, und müssen Sie und Ihre Kollegen nicht auch mit Ihrer Uneinigkeit kämpfen? Gestern gab es viele Ankündigungen, wenig Beschlüsse.
Wolfgang Schäuble: Nein, wir sind eigentlich in der Grundlinie einig. Es ist, wie Sie gerade in Ihrem Beitrag beschrieben haben, natürlich nicht so ganz einfach. Man muss sehr vorsichtig sein, man muss umfassend sein. Aber klar ist: Es muss in jedem Fall die Schuldentragfähigkeit Griechenlands weiter verbessert werden. Daran wird gearbeitet. Dazu müssen die Griechen das umsetzen, wozu sie sich verpflichtet haben, und zugleich müssen wir eine Form finden, wie die privaten Gläubiger beteiligt werden, ohne dass es zu den Zuspitzungen an den Märkten kommt, und das muss in einer Kooperation mit der Zentralbank und mit dem IWF erfolgen. Das ist nicht einfach, aber da sind wir auf einem guten Weg. Und wir haben ja auch gesagt, in Zusammenhang damit – aber das ist ein klarer Zusammenhang – kann man dann auch darüber nachdenken, wie man Laufzeiten verlängert, oder Zinssätze anpasst, dass die Schuldentragfähigkeit verbessert wird. Aber das muss ein Gesamtkonzept sein, das wird in den nächsten Tagen und Wochen ausgearbeitet, und wir haben ja auch Zeit für Griechenland. Die nächste Tranche ist im September fällig. Bis dahin muss ein neues Programm entschieden sein. Für den Juli ist ja die Entscheidung durch den IWF und die Europäische Union in der vergangenen Woche so zu Stande gekommen, dass Griechenland von den aktuellen Problemen gelöst ist.
Deutschlandradio: Aber wäre es nicht besser, Herr Schäuble, jetzt abzuräumen, jetzt klare Signale zu setzen, den Finanzmärkten [Glossar] auch dadurch ganz klar zu signalisieren, dass die Euro-Zone völlig geschlossen ist?
Wolfgang Schäuble: Die Euro-Zone ist geschlossen. Das zeigt auch die Erklärung, die wir gestern gemacht haben. Nur die Lage ist nicht so ganz einfach. Vor allen Dingen muss man auch darauf achten, dass man in einer so nervösen Lage nicht Ansteckungsgefahren verstärkt. Wir haben ja plötzlich auch eine Spekulation gegenüber anderen Ländern gehabt. Auch da gab es ein paar Probleme, Diskussionen innerhalb der Regierung beispielsweise. Das ist nie gut.
Deutschlandradio: Italien!
Wolfgang Schäuble: Ja, aber ich glaube, Italien, der Finanzminister hat den Haushaltsentwurf vorgelegt und es besteht kein Zweifel, dass der auch so beschlossen wird im Parlament, und sobald das so ist, wird auch diese Spekulation wieder zurückgehen. Der entscheidende Punkt ist: Wir sind uns einig – wir haben auch sehr intensiv mit dem EZB[Glossar]-Präsidenten und mit dem IWF-Vertreter gesprochen -, dass wir eine Gesamtlösung brauchen, die eben sicherstellt, dass das wirklich eine dauerhafte Lösung ist und dass Griechenland auch tatsächlich die Schuldentragfähigkeit gegeben ist. Daran bestehen ja immer noch Zweifel. Und dazu ist ein ganzes Paket von Maßnahmen notwendig. Aber ganz klar ist: Das geht auch nicht, ohne dass die privaten Gläubiger ihren Beitrag leisten.
Deutschlandradio: Sie haben die Rating-Agenturen bereits kritisiert, die wirken zumindest als Katalysator bei Spekulationen, wenn ich das mal so sagen darf. Würden Sie die Rating-Agenturen – die werden ja auch von anderen kritisiert, aus anderen Ländern, von Ministern auch – am liebsten dicht machen?
Wolfgang Schäuble: Na ja, ich meine, die Wirtschaft und auch der Gesetzgeber übrigens beruft sich ja immer wieder oder bezieht sich immer auf das Urteil von Rating-Agenturen, macht das auch für viele Entscheidungen verantwortlich. Bei den Summen, um die es geht, muss man ja auch ein verlässliches Urteil über die Schuldentragfähigkeit der Schuldner haben. Aber natürlich haben wir in der letzten Woche beispielsweise in Bezug auf Portugal eine Entscheidung gehabt, wo man wirklich nur den Kopf schütteln konnte, wie das sein konnte, und das haben ja auch alle dann gesagt. Im Übrigen ist es auch problematisch, dass wir fast ein Oligopol von drei großen Agenturen haben, die den Markt weitgehend beherrschen, und da wäre es schon besser, wenn wir etwas mehr Vielfalt und mehr Wettbewerb hätten, und daran wird gearbeitet. Wir überprüfen das ganze Instrumentarium, auch das kartellrechtliche Instrumentarium, damit wir Missbräuchen, die es möglicherweise geben kann, auch entsprechend entgegenwirken können.
Deutschlandradio: Binnenmarktkommissar Barnier will den Rating-Agenturen sozusagen den Zahn ziehen und Banken verpflichten, eigene Bewertungen zu erstellen. Ist das der richtige Weg?
Wolfgang Schäuble: Das mag ein Weg in die richtige Richtung sein. Ob es ganz schnell möglich ist, dass die Banken wirklich zu glaubwürdigeren, vertrauenswürdigeren Urteilen kommen als die eingeführten Rating-Agenturen, das muss man sehen. Der Wettbewerb ist auf diesem Feld hart, das ist nicht so ganz einfach. Und Tatsache ist, eine Bürokratie, eine Verwaltung kann das nicht leisten. Das muss schon im wirtschaftlichen Wettbewerb gehen. Aber es gibt ja Bestrebungen, europäische Rating-Agenturen stärker zu platzieren, und ich glaube, das ist ein richtiger Weg. Wir brauchen mehr Wettbewerb, damit wir nicht von einzelnen Agenturen zu abhängig sind und damit auch die Versuchung zum Missbrauch in einzelnen Agenturen stärker bekämpft werden kann. Im Übrigen haben wir Regeln geschaffen, die für mehr Transparenz sorgen, damit mögliche Interessenverflechtungen, die ja teilweise auch besorgt werden, früher erkannt und damit auch bekämpft oder vermieden werden.
Deutschlandradio: Missbrauch, gibt es den von Seiten der Rating-Agenturen?
Wolfgang Schäuble: Es gibt immer wieder den Verdacht. Belegen hat man es selten können. Aber dass es Fehlurteile von Rating-Agenturen gegeben hat, auch in der Bankenkrise, wenn man sich anschaut, wie lange die Rating-Agenturen Tripple A, also die höchste Bonitätsstufe vergeben haben für Institute, die dann ein paar Tage später zahlungsunfähig waren, das war ein schweres Versagen auch der Rating-Agenturen. Die haben also keinen Grund, auf dem hohen Ross zu sitzen.
Deutschlandradio: Ist da nicht doch ein Versäumnis der EU festzustellen? Schon zu Beginn der Krise war von den Rating-Agenturen die Rede, passiert ist lange nichts.
Wolfgang Schäuble: Ja, wissen Sie, wir sind ja nicht alleine in der Welt. Die Rating-Agenturen sind weltweit tätig und die EU ist ein wichtiger Teil der Weltwirtschaft, aber wir operieren nicht alleine. Manchmal sind wir ein wenig in der Gefahr zu glauben, wir könnten alles alleine bestimmen. Wir müssen das auch in Zusammenarbeit mit unseren Partnern in anderen Kontinenten, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch in Asien tun.
Deutschlandradio: Letzte Frage zum Schluss, Herr Schäuble, mit der Bitte um eine kurze Antwort. Jeder Euro lässt sich nur einmal ausgeben. Die Schuldenkrise birgt Risiken. Müssen Sie da noch mal mit dem FDP-Vorsitzenden Rösler über Steuersenkungen sprechen?
Wolfgang Schäuble: Den Zusammenhang sehe ich überhaupt nicht. Wir tun das eine und das andere. Wir haben eine verantwortliche Finanzpolitik [Glossar]. Gott sei Dank ist Deutschland in der Finanzpolitik auf einem guten Weg, und das ist die gemeinsame Politik von CDU, CSU und FDP und da stimme ich mit Philipp Rösler völlig überein.
Deutschlandradio: Das war der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Deutschlandfunk-Interview. Herr Schäuble, vielen Dank und alles Gute in Brüssel.
Wolfgang Schäuble: Auf Wiederhören!
Deutschlandradio: Auf Wiederhören.
Das Gespräch führte Gerwald Herter.
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