„Es kann ja nicht sein, dass nur die Steuerzahler das Risiko tragen“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem ZDF heute-journal

Der Bundesfinanzminister erläutert in einem ZDF-heute-journal-Interview die Haftungsmodalitäten im gehebelten EFSF, die wie vom Bundestag beschlossen auf 211 Milliarden „festgelegt worden“ seien. „Nicht in Frage“ komme, „dass wir gewissermaßen die Zentralbank als Notenpresse benutzen“. Der Schuldenschnitt für Griechenland sei nicht früher möglich gewesen, weil sämtliche Mitglieder der Eurozone [Glossar] und die privaten Gläubiger beteiligt werden mussten. Auch Italien müsse jetzt „Maßnahmen in Kraft setzen, um seinDefizit [Glossar] zu reduzieren“, wie es Deutschland mit seiner Schuldenbremse [Glossar]bereits versuche

ZDF: In diesem neuen Rettungsfonds haftet Deutschland ja mit 211 Milliarden. Könnten wir uns das überhaupt leisten, wenn es soweit käme?

Schäuble: Soweit kann es ja gar nicht kommen. Erstens einmal ist zwischen Garantien und Haushaltszahlungen ein völliger Unterschied. Und zweitens, das würde ja voraussetzen, dass alle Ausleihungen, die der ESFS vornimmt – bisher hat er 43,7 Milliarden insgesamt zugesagt -, dass alle in voller Höhe, zu Hundert Prozent, ausfallen würden. Das ist eine Wahrscheinlichkeit, die liegt nahe bei Null.

Es ist nur die Haftungsobergrenze festgelegt worden mit 211 Milliarden; so hat es der Deutsche Bundestag beschlossen. Aber die daran anknüpfenden Spekulationen sind nun wirklich ohne Grundlage.

ZDF: Sie haben zum Beispiel auch noch vor vier Wochen gesagt, diesen Hebel, den gibt es mit mir nicht. Jetzt ist er da.

Schäuble: Also, ich habe vor vier Wochen in Washington gesagt, wir werden nicht einen Hebel auf die Europäische Zentralbank ziehen, und im Übrigen werden wir diese Instrumente natürlich so effizient wie möglich nutzen. Und genau das ist heute Nacht beschlossen worden.

Sie können das Protokoll der Pressekonferenz, die ich in Washington gehalten habe, noch einmal nachlesen. Wir haben immer gesagt, natürlich nutzen wir es effizient. Das wäre ja auch ganz töricht, wenn wir das Gegenteil machen würden. Aber es kommt nicht in Frage, dass wir gewissermaßen die Zentralbank als Notenpresse benutzen.

ZDF: Warum kommt der Schuldenschnitt für Griechenland erst jetzt? Das hätte man doch schon vor anderthalb Jahren machen können.

Schäuble: Ja, wir sind ja auch nicht allein. Wir sind unter 17 Mitgliedern in der Eurozone. Wir haben seit langem gesagt, die griechischen Schulden müssen tragfähig sein. Sie werden nicht tragfähig sein ohne eine Reduzierung der Gesamtverschuldung. Das ist ein Schuldenschnitt. Und wenn wir einen Schuldenschnitt machen, dann ist notwendig, dass daran auch die privaten Gläubiger beteiligt werden. Das war sehr umstritten bei vielen. Jetzt hat die Bundeskanzlerin durchgesetzt, es gibt eine Beteiligung, die privaten Gläubiger müssen 50 Prozent ihrer Schulden nachlassen. Darüber muss eine Vereinbarung angestrebt werden. Es kann ja nicht sein, dass nur die Steuerzahler das Risiko tragen.

ZDF: Es sind doch vor allem staatliche Banken jetzt davon betroffen, oder?

Schäuble: Man ist davon ausgegangen. Es sind ja nicht nur Banken. Es sind auch die Investoren. Man ist bei den Beratungen der Staats- und Regierungschefs heute Nacht davon ausgegangen, dass insgesamt der Privatsektor etwa 200 Milliarden griechische Anleihen hält. Und wenn Sie daraus 50 Prozent rechnen, kommen Sie auf 100 Milliarden Euro [Glossar].

ZDF: Und reicht das, um Griechenland zu helfen?

Schäuble: Die Berechnungen, die die Experten der Europäischen Zentralbank [Glossar], der Kommission und des Internationalen Währungsfonds angestellt haben, gehen davon aus, dass wir mit einer solchen Reduzierung der griechischen Gesamtverschuldung erreichen können, dass Griechenland – aber es muss natürlich dann wirklich auch die entsprechenden Maßnahmen in Kraft setzen und seine Wettbewerbsfähigkeit stärken – dann bis zum Jahre 2020 eine Gesamtverschuldung erreichen kann, die von den Experten als tragfähig angesehen wird. Das ist genau der Rahmen, den die Staats- und Regierungschefs heute Nacht beschlossen haben und der die Grundlage ist für die Beteiligung, die wir vom Privatsektor auf der Grundlage einer noch abzuschließenden Vereinbarung einfordern müssen.

ZDF: Dieser tragfähige Schuldenstand soll in neun Jahren bei 120 Prozent liegen. Das ist eigentlich immer noch viel zu viel.

Schäuble: Ja, das ist immer noch hoch. Aber, schauen Sie mal, wenn man gesagt hätte, das, was Italien hat, wäre nicht tragfähig, dann hätten wir ja eine ganz andere Situation. Im Übrigen, Italien hat eine Reihe von Problemen. Aber niemand bezweifelt die Schuldentragfähigkeit Italiens. Italien muss Maßnahmen in Kraft setzen, um sein Defizit zu reduzieren, seine Gesamtverschuldung in den nächsten Jahren zurückzuführen. Dazu hat sich Italien verpflichtet. Und vor allen Dingen muss Italien auch Reformen machen, um seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu verbessern. Denn ohne Wachstum ist es immer schwierig, Schulden zurückzuzahlen.

ZDF: Warum soll in Zukunft gelingen, was bisher nicht gelang? Wie kann man Staaten zwingen?

Schäuble: Na ja, wir haben ja doch in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Vergessen Sie nicht, dass die erste große Verletzung des Maastricht-Vertrages war ausgerechnet durch Deutschland und Frankreich. Damals war Herr Schröder Bundeskanzler. Das wird uns heute noch vorgehalten. Wir haben ja inzwischen eine Schuldenbremse im Grundgesetz. Der Bundesfinanzminister wird gelegentlich kritisiert, dass er so streng darauf besteht, dass wir die Schulden, die zu hohe Verschuldung zurückführen müssen. Inzwischen sehen alle anderen in Europa das als ein Vorbild an. Und sie haben heute Nacht ja auch verabredet, dass auch die anderen Staaten ähnliche Regelungen wie unsere Schuldenbremse in ihre Verfassung oder in ihre Rechtsordnung einführen sollen.

Das Gespräch führte Marietta Slomka.

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