Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit OnetoOne
OnetoOne: Es gibt bereits eine Reihe von Gesetzen, die Werbung, insbesondere das Dialogmarketing, einschränken. Wie Sie wissen, kann Datenmissbrauch hart bestraft werden. Warum halten Sie eine Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) dennoch für notwendig?
Dr. Schäuble Derzeit dürfen Unternehmen bestimmte Daten ohne Einwilligung der Betroffenen für Werbezwecke austauschen und zur Verfügung stellen. Das hat dazu geführt, dass die Daten weitläufig gehandelt werden. Die Rechtmäßigkeit dieses Datenhandels ist schwer kontrollierbar, und in den vergangenen Monaten sind immer wieder Fälle von unzulässigem Handel bekannt geworden. Hierauf musste die Bundesregierung zum Schutz der Verbraucher reagieren. Außerdem wird die werbliche Ansprache von vielen Verbrauchern mittlerweile als Belastung empfunden. Der Gesetzentwurf stärkt insoweit mit der Einwilligung das selbstbestimmte Handeln der Bürgerinnen und Bürger.
OnetoOne: Können neue Gesetze die kriminelle Energie einzelner Täter überhaupt zügeln?
Dr. Schäuble: Der Gesetzentwurf trägt dazu bei, den unzulässigen Datenhandel einzudämmen. Vorgesehen sind neue Bußgeldtatbestände, erhöhte Bußgelder und die Möglichkeit, unrechtmäßige Gewinne aus dem Datenhandel abzuschöpfen. Durch die Einwilligungslösung erschweren wir auch die tatsächlichen Möglichkeiten für Missbrauch und schaffen mehr Transparenz. Letztlich werden wir aber auch mit dem besten Gesetz nicht verhindern können, dass Einzelne sich kriminell verhalten. Diese Unvollkommenheit ist dem Menschen nun einmal gegeben.
OnetoOne: Name und Adresse eines Verbrauchers sind in der Regel frei zugänglich. Warum soll es einem Unternehmen nicht mehr erlaubt sein, diese Verbraucher anzuschreiben? Ja, besteht nicht sogar ein (auch im rechtlichen Sinne) allgemeines Interesse, jemanden persönlich anzusprechen?
Dr. Schäuble: Nur weil Ihr Name allgemein zugänglich ist, stimmen Sie doch noch nicht der Nutzung für Werbung oder andere Zwecke zu! Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Die persönliche Ansprache interessiert die Werbebranche, weil sie Vertrautheit suggeriert und die Leute eher antworten. Das ist aber noch kein allgemeines oder rechtliches Interesse. Im Gegenteil. Immer mehr Menschen bringen durch Aufkleber am Briefkasten zum Ausdruck, dass sie keine Werbung erhalten möchten. Für persönlich adressierte Werbung gilt dies nicht.
OnetoOne: Ist die Befürchtung aus der Luft gegriffen, es könnten – aufgrund der Opt-in-Regelung für Werbebriefe im neuen BDSG – Zehntausende von Arbeitsplätzen auf der Strecke bleiben?
Dr. Schäuble: Der Gesetzentwurf wird teilweise zu Umstellungsprozessen und neuen Geschäftsmodellen führen. Dafür haben wir eine angemessene, dreijährige Übergangszeit vorgesehen. Schon heute müssen verschiedentlich Einwilligungen eingeholt werden. Das ist nichts prinzipiell Neues. Denken Sie an Telefonwerbung oder Kundenbindungssysteme. Es gibt außerdem mehrere Ausnahmen, wo es bei einer gesetzlichen Erlaubnis bleibt, beispielsweise für Eigenwerbung, Geschäftswerbung und Beipackwerbung. Weite Bereiche der Werbung sind gar nicht betroffen.
OnetoOne: Was ist gegen den Vorschlag einiger Wirtschaftsverbände einzuwenden, die die Beibehaltung des Listenprivilegs für jene Unternehmen fordern, die sich einem regelmäßigen „Datenschutz-TÜV“ unterziehen?
Dr. Schäuble: Das Datenschutzaudit soll Unternehmen einen Anreiz bieten, für hervorragenden Datenschutz ein Siegel zu bekommen, mit dem sie Werbung für sich machen können und Vorteile gegenüber Wettbewerbern ohne Siegel erzielen. Ziel des Audits ist es nicht, ein nicht mehr zeitgemäßes gesetzliches Privileg beizubehalten. Das Siegel hätte sonst den gegenteiligen Effekt. Die Bürgerinnen und Bürger würden eher davon abgehalten, sich an auditierte Unternehmen zu wenden, weil diese ja dann weiter ohne Einwilligung der Betroffenen mit deren Daten handeln dürften.
OnetoOne: Erst kürzlich ist das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) geändert worden. Dort ist in § 7 nach wie vor die Opt-out-Regelung für Briefwerbung enthalten. Warum soll das BDSG hier anders formuliert werden als das UWG?
Dr. Schäuble: Die Bundesregierung hat im Sommer ein Gesetz gegen unerwünschte Telefonwerbung verabschiedet. Danach bedarf Telefonwerbung künftig der ausdrücklichen Einwilligung der Verbraucher, also eines Opt-in. Der neue Gesetzentwurf zum BDSG, den das Bundeskabinett beschlossen hat, sieht dies jetzt konsequenterweise auch für Briefwerbung vor.
OnetoOne: Im vorliegenden Referentenentwurf zum BDSG werden Spendenorganisationen von der Opt-in-Regelung ausgenommen. Wird damit nicht der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz (Artikel 3 GG) verletzt?
Dr. Schäuble: Eine Gleichbehandlung setzt voraus, dass Sie gleiche Sachverhalte haben. Es besteht ein Unterschied zwischen kommerziellen Interessen und dem gemeinnützigen Sammeln von Spenden. Wie Sie auch an der Steuerbegünstigung erkennen.
OnetoOne: Mit der neuen Opt-in-Regelung im BDSG stünde Deutschland in Europa ziemlich isoliert da. Ist dies in einer globalisierten Wirtschaft überhaupt vertretbar?
Dr. Schäuble: Die Datenerhebung und die Werbung spielen sich in Deutschland ab. Im Übrigen haben die meisten europäischen Länder strengere Regelungen als wir derzeit.
OnetoOne: Was raten Sie den von den gesetzlichen Änderungen betroffenen Unternehmen?
Dr. Schäuble: Zunächst sollte jeder prüfen, inwieweit er überhaupt betroffen ist und welche Chancen ihm die Ausnahmen eröffnen, zum Beispiel über Beipackwerbung. Ansonsten werden sich innerhalb der vorgesehenen dreijährigen Übergangsfrist die bereits existierenden Geschäftsmodelle weiterentwickeln und der neuen Rechtslage anpassen. Hiervon wird die Wirtschaft im Ergebnis auch profitieren. Streuwerbung wird verringert werden, und eine engere Kundenbindung entsteht.
Das Interview führte Martin Teschke
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