„Erst die Strafe, dann der Fonds“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Herr Minister, wann muss Griechenlandgeholfen werden?

Griechenland hat nicht um Hilfe nachgesucht. Deshalb stellt sich die Frage aktuell nicht.

EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso hat sich zuversichtlich gezeigt, für den bevorstehenden EU-Gipfel doch noch die Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel für ein Hilfspaket für Griechenland zu gewinnen. Wird ihm dies gelingen?

Wir sind uns in der Eurozone einig, Griechenland darf nicht zur Belastung der Stabilität der Eurozone werden. Griechenland muss zeigen, dass es alle hierfür notwendigen Anstrengungen unternimmt. Dies zu tun, hat die griechische Regierung auch mehrfach zugesichert.

Was haben dann die europäischen Finanzminister vergangene Woche beschlossen?

In der Euro-Gruppe haben wir vergangene Woche keinen Beschluss gefasst, sondern diskutiert, was wir in einer Situation tun werden, von der wir hoffen, dass sie nicht eintreffen wird. Wenn eine Zahlungsunfähigkeit bevorstünde, müsste man etwas tun. Die Glaubwürdigkeit des Euro würde beschädigt. Die Konsequenzen eines solchen Falles kann niemand abschätzen.

Was wäre weniger schlimm: bilaterale Kredite oder Kredite der EU-Kommission, die diese vorher am Markt aufnimmt, um Griechenland zu helfen?

An einem Kredit der EU-Kommission würde sich Deutschland nicht beteiligen. Das ist im Vertrag nicht vorgesehen.

Wird nicht mit bilateralen Hilfen die Nichtbeistandsklausel, das Bail-out-Verbot, umgangen?

Nein, das haben wir sorgfältig geprüft.

Also haben Sie den Beschluss gefasst, nur bilaterale Hilfe?

Wir haben beim letzten Treffen der Euro-Finanzminister keinen Beschluss getroffen. Ich habe aber durchgesetzt, dass es keine Euro-Anleihe gibt. Mit der Ablehnung der einen Möglichkeit ist die andere nicht beschlossen. Auch gab es keinen Vorratsbeschluss.

Mit einer direkten Hilfszusage käme Griechenland sofort in den Genuss niedrigerer Zinsen. Bisher sanktionieren die Finanzmärkte eine unsolide Haushaltswirtschaft. Mit einem Auffangnetz wäre es mit dieser disziplinierenden Wirkung vorbei. Schreckt Sie diese Vorstellung nicht?

Diese Gefahr besteht, deshalb dürfen wir den Stabilitätspakt nicht ohne Not aushebeln. Gleichzeitig haben wir gesehen, dass die Möglichkeiten des Stabilitätspakts begrenzt sind. Deswegen habe ich die Reformdebatte angestoßen, mit dem Ziel, die Instrumente des Stabilitätspaktes zu erweitern und zu verschärfen.

Wird nicht gerade dieser Mechanismus geschwächt, wenn wir jetzt die Griechen heraushauen und dann mit dem Europäischen Währungsfonds (EWF), den Sie vorgeschlagen haben, das Bail-out institutionell organisieren?

Sie müssen das Konzept als Ganzes sehen. Als Lehre aus der Krise stellen wir fest, dass die Regeln des Stabilitätspakts auf Dauer nicht ausreichen. Deswegen wollen wir sie schärfen. Natürlich gibt es Stimmen, die sagen: Wir wollen den Fonds, aber nicht schärfere Instrumente.

Darauf wird es hinauslaufen . . .

Nein. So geht das nicht. Sie können jeden Vorschlag kritisieren, indem Sie ihn in Teile zerlegen und dann sagen, das eine kommt, das andere kommt nicht; also taugt es nichts. Das ist nicht fair. Sie können den Vorschlag nur als Ganzes bewerten.

Aber es bleibt bei dem grundsätzlichen Problem, dass potentielle Sünder über Sünder entscheiden, so dass am Ende nichts passieren wird.

Deswegen steht in meinem Vorschlag, dass potentiellen Sündern das Stimmrecht entzogen wird.

Wenn es ernst wird, werden die Regeln wie beim Stabilitätspakt aufgeweicht werden.

Wenn es immer nur nach der Erfahrung geht, hätte die Wiedervereinigung nie stattgefunden, hätte es die europäische Einigung nie gegeben. Es muss einen wirksamen Automatismus geben, den der zu spüren bekommt, der beharrlich gegen Regeln verstößt. Heute können ihm keine Mittel aus den europäischen Fördertöpfen vorenthalten werden. Wenn wir klug sind, lernen wir aus Krisen.

Für Ihr Konzept müssten die Europäischen Verträge geändert werden. Das will doch derzeit keiner.

Wenn es notwendig ist, werden wir die Verträge ändern. Wenn man sich einig ist, kann das auch zügig gehen. Klar ist aber auch: Erst nach einer deutlichen Verschärfung kann ein Fonds in Frage kommen, nicht davor oder anstatt.

Als letztes Mittel schließen Sie ein Ausscheiden eines Mitglieds aus der Währungsunion nicht aus. Das wiederum wollen viele EU-Partner nicht. EZB-Präsident Trichet hält diesen Gedanken sogar für absurd. Was sagen Sie dazu?

Ich bin wie die Bundeskanzlerin der Meinung, dass die Möglichkeit eines Ausscheidens als letztes Glied einer Handlungskette – als ultima ratio – dazugehört.

Warum nicht Hilfe über den Internationalen Währungsfonds (IWF), dafür ist er doch gegründet worden?

Mein griechischer Kollege sagt immer, sein Land könne in seiner Lage keine Option ausschließen. Jeder weiß, dass er damit den IWF meint. Unbestritten verfügt der IWF in solchen Situationen über eine besondere Expertise. Deswegen unterstützt der IWF Griechenland bereits bei der technischen Umsetzung seines Sanierungsprogramms. Also ist der IWF mit seiner Analysefähigkeit schon im Spiel.

Sie haben sich ausdrücklich gegen finanzielle Hilfen des IWF im Euro-Raum ausgesprochen. Warum?

Ich bleibe dabei: Auf Dauer ist es der bessere Weg, wenn die europäische Währung ihre Probleme selbst lösen kann. Dass ein Währungsgebiet Probleme eines Teils ihres Währungsraums über den IWF löst, kann und darf nur eine Ausnahme sein.

In Ihrem Vorschlag steht nicht, wie Sie den EWF ausstatten wollen. Die Analogie zum IWF legt nahe, dass Sie dafür das Gold oder die Reserven der Bundesbank benötigen?

Das Element habe ich bewusst ausgelassen. Das ist das letzte Element, nicht das erste. Erst müssen wir mit unseren europäischen Partnern andere wichtige Fragen klären.

Die Mehrheit der Deutschen ist gegen einen Bruch der Nichtbeistandsklausel und gegen eine Transferunion.

Ich bin auch gegen eine Transferunion. Die Mehrheit der Deutschen ist dafür, dass wir den Euro stabil halten. Das ist das Versprechen. Jede deutsche Regierung ist diesem Ziel verpflichtet. Deswegen bleibt es bei dem, was die Staats- und Regierungschefs gesagt haben, die Mitgliedstaaten der Euro-Zone werden entschlossen und koordiniert handeln, wenn die Stabilität des Euro als Ganzes gefährdet ist.

Was ist denn schlimmer: eine Insolvenz Griechenlands oder eine Transferunion?

Ich habe mit vielen geredet, die die Last der Entscheidung beim Fall der Investmentbank Lehman Brothers getragen haben. Alle haben mir gesagt: Testet die Folgen der Zahlungsunfähigkeit eines Euro-Landes nicht aus.

Wäre dann der IWF nicht der bessere Hilfegeber, wenn man sieht, dass in Athen europäische Fahnen verbrannt werden?

Die unangenehmen Dinge sollte man nicht anderen zuschieben. Um den Euro nachhaltig stabil zu halten, muss jeder seinen Teil dazu beitragen.

Noch einmal: Wenn wir den Griechen oder den Spaniern sagen, sie müssen später in Rente gehen oder bestimmte Sozialleistungen kürzen, holen wir uns dann nicht den Streit ins eigene Haus?

Zur Mündigkeit gehören Rechte und Pflichten. Wenn sich herausstellen sollte, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht ausreicht, etwa weil die Finanzmärkte anders als früher reagieren, dann muss man in der Lage sein, entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Wenn wir uns in Europa nicht einig sind, werden wir weder im atlantischen Verbund noch im Kreis der zwanzig größten Wirtschaftsnationen etwas erreichen.

Werden mit einem Hilfspaket für Griechenland nicht wieder vor allem die Banken gerettet?

Die Finanzkrise hat uns gelehrt, dass der Markt der wirkungsvollste Mechanismus ist, aber auch Regeln und Grenzen braucht. Die uralte menschliche Erfahrung zeigt, dass sich alles durch Übertreibung selbst zerstört. Doch die Lage ist noch nicht da. Aber würde sie eintreten, wem hilft man da? Schließlich geht es um die Stabilität des Euro als Ganzes.

Doch das grundsätzliche Problem bleibt. Die Zinsaufschläge haben Banken und Investoren gern mitgenommen. Das Ausfallrisiko wird sozialisiert?

Deswegen brauchen wir auch ein neues Verfahren für den Fall, dass ein Land der Euro-Gruppe in eine solche Situation kommt. Deswegen brauchen wir neue Regeln, die genau das verhindern.

Teilen Sie nicht die Sorge: Am Anfang steht die Haftungsgemeinschaft, dann kommt die Transfergemeinschaft, und am Ende muss Deutschland Lasten tragen, die es nicht stemmen kann?

Die Sorge habe ich nicht. Ich habe keine Haftungsgemeinschaft vorgeschlagen.

Aber daraufläuft es hinaus.

Nein. Mein Vorschlag sind schärfere Instrumente. Erst als letztes Mittel besteht die Möglichkeit einer Liquiditätshilfe unter Auflagen. Dies hat mit einer Haftungsgemeinschaft nichts zu tun. Meine Sorge ist vielmehr, dass wir in Deutschland eine Haltung mehren, die einer meiner Amtsvorgänger in die Formulierung gepackt hat: Wir seien die Zahlmeister Europas. Ich halte dagegen: Die europäische Einigung hat uns unglaublich viel gebracht und ermöglicht. Wenn Europa zusammenwächst, geht es Deutschland gut. Aber Europa braucht Kräfte, die es zusammenhalten. Und der Kern des Kerns sind Frankreich und Deutschland.

Ihre französische Kollegin Lagarde fordert Deutschland auf , sich von einer soliden Haushalts- und Lohnpolitik zu verabschieden. Was raten Sie ihr, sollten sich die Franzosen an den Deutschen orientieren?

Der Satz: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen ist uns nicht gut bekommen. Aber natürlich können wir voneinander lernen. Das Argument, wir seien zu wettbewerbsfähig, kann mich nicht überzeugen. In einer Ordnung, die auf Markt und Wettbewerb setzt, kann man schlecht diejenigen kritisieren, die noch wettbewerbsfähig sind.

Die Koalitionsspitzen haben sich für eine Bankenabgabe entschieden. Wer soll wie Vielzahlen?

Die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns global auf eine Finanztransaktionssteuer verständigen, ist sehr gering. Deswegen bereiten wir eine Bankenabgabe vor. Wir wollen aber in Europa mit aufeinander abgestimmten Lösungen vorangehen. Deswegen wird die französische Finanzministerin Christine Lagarde an der Kabinettssitzung teilnehmen, auf der wir am 31. März die Eckpunkte beschließen werden.

Mit welchem Aufkommen rechnen Sie?

Wir haben uns auf das Prinzip verständigt, diese Bankenabgabe mit Blick auf die Vermeidung und Bewältigung künftiger Krisen auszugestalten. Auch werden wir die Belastung von der Risikoorientierung der jeweiligen Bank abhängig machen.

Es soll in dem Koalitionstreffen von einem Aufkommen von einer Milliarde Euro die Rede gewesen sein.

Ja, in dieser Größenordnung könnte es sich bewegen. Wir haben Beispielrechnungen gemacht. Doch bei allem, was wir machen, dürfen wir das Bemühen, das Eigenkapital der Banken zu stärken, nicht aus dem Blick verlieren. Wir wollen nichts tun, was zu einer Kreditklemme beitragen könnte.

Wie kann man das machen?

Das kann man machen, indem man beispielsweise als Grundlage für die Abgabe die Bilanzsumme abzüglich Eigenkapital und abzüglich der Einlagen nimmt.

Dann wären Sparkassen und Volksbanken weitgehend außen vor.

Die würden relativ wenig belastet.

Was machen Sie mit der Commerzbank? Sie stützen sie über den Bankenrettungsfonds. Wollen Sie ihr mit der Abgabe gleichzeitig wieder Geld entziehen?

Es gibt eine Fülle von Problemen, die wir lösen werden, wenn wir unsere Pläne konkretisieren.

Sie wissen also noch nicht, wie Sie solche Fälle behandeln wollen?

Ich habe jedenfalls nicht die Absicht, alle Einzelheiten einer grundsätzlichen Entscheidung hier aufzudecken.

Sie haben also noch keine Lösung für das Problem der gestützten Banken?

Wir arbeiten mit der notwendigen Sorgfalt an diesen Fragen. Wir denken über alles nach.

Die Landesbanken wären aber auch betroffen?

Richtig.

Seit einiger Zeit arbeitet Ihr Haus an der Bankenregulierung unter dem Dach der Bundesbank. Diese sorgt sich um ihre Unabhängigkeit – zu Recht?

Die Unabhängigkeit der Bundesbank bezieht sich auf die geldpolitische Verantwortung. Das ist eine Ausnahme vom Demokratiegebot des Grundgesetzes, dem generell jedes staatliche Handeln unterliegt. Dass wir mit der Zusammenlegung der Finanzaufsicht eine Debatte mit der Bundesbank bekommen, wo ihre Unabhängigkeit endet, war klar. Die Aufsicht kann ich nicht völlig in den Autonomiebereich der Bundesbank schieben. Wir werden mit der Rolle der Bundesbank aber sehr verantwortungsvoll umgehen.

Soll es einen Bundesbankvorstand für Aufsicht geben, der dem Finanzministerium weisungsgebunden ist?

Wir haben auch darüber gesprochen, aber noch keine Entscheidung getroffen.

Zum Haushalt 2011: Die Anmeldungen einzelner Kollegen sind um bis zu 24 Prozent zu hoch. Mit wem müssen Sie noch ein ernstes Wort reden?

Vermutlich mit allen. Wir stehen vor einer riesigen Aufgabe: die wirtschaftliche Erholung nachhaltig zu machen, in die Modernisierung unserer Gesellschaft zu investieren und gleichzeitig die zu hohe Neuverschuldung zurückzuführen.

Wird trotz Gesundheitsreform der Zuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung nächstes Jahr wie geplant sinken?

Ich will jetzt mit Ihnen nicht über dieses Riesenprojekt reden. Wir sind entschlossen, diesen schwierigen Weg Schritt für Schritt zu gehen.

Union und FDP versprachen eine weitere Entlastung von 20 Milliarden Euro, möglichst 2011 – ist das noch möglich?

Da es um Gemeinschaftsteuern geht, stehen für den Bund nur 8 Milliarden Euro in Rede. Zugleich wird es von Jahr zu Jahr schwieriger, die neue Schuldenregel im Grundgesetz einzuhalten. Deswegen hatte ich gesagt, wenn, dann 2011.

Wagen Sie eine Prognose, ob zum 1. Januar 2011 eine Steuersenkung kommen wird?

Die Entscheidungen werden zeitnah getroffen.

8 Milliarden sind immer noch möglich?

Die 8 Milliarden Euro sind möglich, aber das erfordert noch stärkere Anstrengungen.

Viele sprechen von einem Fehlstart der schwarz-gelben Koalition. Was muss sich ändern?

Ich bestreite nicht, dass viele den Beginn als solchen wahrnehmen, aber ich bestreite, dass es einer ist. Wir haben unsere Arbeit zügig aufgenommen, in Rekordzeit einen Haushalt verabschiedet. Und wir haben eine Reihe von großen Reformprojekten angefangen. Ich gestehe zu, dass wir manchmal über zu viel zu kontrovers diskutiert haben. Wenn Sie Veränderungen auf den Weg bringen, haben Sie erst einmal kontroverse Diskussionen – und die führen zu weniger Zustimmung. Aber der Erfolg einer Regierung entscheidet sich nicht nach drei Monaten, sondern nach vier Jahren.

Haben Sie nach Ihrem Krankenhausaufenthalt die Kraft für die harten Auseinandersetzungen?

Seien Sie unbesorgt, die habe ich.

Das Gespräch führten Manfred Schäfers und Holger Steltzner.

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