Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich der Verleihung des Grand Prix de l’Economie



Rede in Paris

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Christine Lagarde,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

vielen Dank für Ihre Ehrung, und Ihnen, sehr geehrte Vorredner, meinen besonderen Dank für Ihre ebenso inspirierten wie außerordentlich freundlichen Worte.

Es stimmt: Ich bin ein entschiedener Anhänger der europäischen Idee, der europäischen Integration, unser gemeinsamen europäischen Währung und nicht zuletzt auch einer im Sinne aller 27 Mitgliedstaaten wohlverstanden deutsch-französischen Motorfunktion für Europa. Das mag von meiner regionalen Herkunft, unweit der französischen und Schweizer Grenze, herrühren – es entspringt aber vor allem dem Bewusstsein, dass wir Dank der europäischen Integration in der längsten Friedensperiode leben dürfen, die es auf dem Boden der Staaten der Union jemals gab. Und, dass uns der Euro, als das bislang weitestreichende Bekenntnis zur europäischen Integration, in vielen Finanzkrisen seit seiner Einführung vor schweren Verwerfungen bewahrt hat.

Die ohne Zweifel vorhandenen Probleme, die einige Eurozonenländer mit ihren Staatshaushalten haben, treffen auf derzeit übernervöse Finanz- und Anleihemärkte und als Politiker müssen wir auch darauf achten, dass wir uns von dieser Nervosität nicht treiben lassen. Die Bundeskanzlerin hat dies vergangene Woche im Deutschen Bundestag mit dem Primat der Politik und der Notwendigkeit zu seiner Sicherung umschrieben. Ich möchte daher heute Abend die Gelegenheit zu ein paar eher grundsätzlichen Überlegungen nutzen.

Bei der Einführung des Euro haben wir uns ganz bewusst dafür entschieden, dass wir eben nicht alle Politikbereiche vergemeinschaften. Das erklärte Ziel war mithin eine Wirtschafts- und Währungsunion und eben ganz bewusst keine politische Union, mit der Folge, dass wir zwar die Kompetenz für die Geldpolitik, nicht jedoch für die nationalen Haushalts- und Finanzpolitiken auf die europäische Ebene übertragen haben. Es ist kein Geheimnis, dass es bei Gründung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion für einen Verzicht auf nationale Finanz- und Haushaltspolitiken keine ausreichenden politischen Mehrheiten gab.

Übrigens: Als ich im Jahre 1994, in einem zusammen mit Karl Lamers veröffentlichten Papier mit Überlegungen zur europäischen Politik, den Begriff des Kerneuropas in die damalig integrationspolitische Diskussion eingebracht habe, da richteten sich die durchaus kritischen Reaktionen hier in Frankreich nicht etwa auf dieses Konzept eines Kerneuropas, sondern sie richteten sich vielmehr gegen die Vorstellung einer föderalen Struktur für Europa, denn darin sah man eine Gefährdung der eigenen, nationalen Souveränität.

Eine logische Konsequenz aus den weiterhin nationalen Verantwortlichkeiten für die Haushalts- und Finanzpolitik ist der Europäische Stabilitäts- und  Wachstumspakt, dessen Ziel es war und ist, die Mitglieder der Eurozone anzuhalten, im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten zu bleiben und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken – mit anderen Worten eine stabilitätsorientierte Haushalts- und Finanzpolitik im Sinne der Stabilität der gemeinsamen Währung zu betreiben.

Und die Europäische Union insgesamt hat sich seit ihrer Gründung de facto zu einer neuen Form einer supranationalen „governance“ entwickelt – einem, wie es das deutsche Bundesverfassungsgericht formuliert, „Gebilde sui generis“. Mit der Europäischen Union ist etwas Neues entstanden, das über die klassische Vorstellung vom Nationalstaat hinausgeht und damit politisch-institutionell konsequent den Tatsachen und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, einschließlich der Globalisierung, Rechnung trägt.

Wir sind mit diesem politisch-institutionellen Rahmen – mit der Europäischen Union als „Gebilde sui generis“ wie mit Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion – bisher gut vorangekommen. Alleine schon deshalb, weil nur diese intensive europäische Kooperation es uns erlaubt, in der Globalisierung zu bestehen und bei ihrer Gestaltung mitzuwirken. Als Nationalstaaten könnten wir unseren relativen Bedeutungsverlust allenfalls etwas hinauszögern, verhindern könnten wir ihn nicht.

Klar ist aber auch: Mit den anhaltenden Turbulenzen in der Eurozone haben wir eine Phase erreicht, in der der bloße Verweis auf das Erreichte als Legitimation für den europäischenstatus quo nicht mehr überzeugt. Wir haben offensichtlich eine Phase erreicht, in der wir – eindeutiger als bisher – die Frage diskutieren und beantworten müssen: Was kann und soll Europa machen, und was nicht? Wo liegen die Verantwortlichkeiten der Nationalstaaten und wo enden sie?

Es sind diese Fragen, auf die die Finanzmärkte, aber auch eine zunehmend europaskeptische Öffentlichkeit Antworten von uns erwarten. Diese Situation wird dadurch nicht leichter, und eine intensive politische Diskussion dadurch umso wichtiger, dass Finanzmärkte und Öffentlichkeit gegenteilige Vorstellungen haben: Während die Finanzmärkte eine europäische Verantwortung auch bei der Haushalts- und Finanzpolitik bevorzugen, will die Öffentlichkeit genau dies nicht.

Besonders drängend stellen sich die Fragen der Abgrenzung europäischer und nationaler Verantwortlichkeiten hinsichtlich der europäischen Zusammenarbeit bei der Haushalts- und Finanzpolitik.

Die in den letzten Wochen vom europäischen Rat beschlossenen Härtungen des Stabilitäts- und Wachstumspakets und die damit verbundene verschärfte wirtschafts- und finanzpolitische Überwachung sind ein starker Beleg für den vertieften Kooperationswillen, die Kooperationsfähigkeit und die Solidarität der Europäer.

Wenn es aber beispielsweise um die Frage von Euroanleihen geht, für die die teilnehmenden europäischen Staaten gesamtschuldnerisch haften würden, dann sind wir direkt wieder bei der Frage der Vergemeinschaftung der Haushalts- und Finanzpolitik und damit bei der Frage nach der (fehlenden) politischen Akzeptanz hierfür in den Mitgliedsländern. Darüber hinaus wären Eurobonds ein klarer Verstoß gegen den Geist und das zentrale Geschäftsprinzip des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.

Wenn wir also darauf dängen, dass jedes Mitglied der Währungsunion die für deren Stabilität notwendige nationale Verantwortung wahrnimmt, dann ist das kein Akt der europäischen Entsolidarisierung. Im Gegenteil: Es ist die Wahrnehmung unserer Verantwortung für einen dauerhaft stabilen Euro und eine dauerhaft stabile Europäische Union.

Ich habe versucht, nur auf eine – wenn auch zentrale Frage – eine Antwort darauf zugeben, „was machen wir europäisch und was verbleibt bei den Nationalstaaten?“. Auch in anderen Bereichen werden wir um solche Antworten nicht herumkommen. Je offener wir sie diskutieren, je klarer sie ausfallen, desto klarer ist auch die Zukunftsperspektive für die Europäische Union und nur dann werden wir Investoren und Öffentlichkeit davon überzeugen, dass Europa kein Auslauf- sondern ein Zukunftsmodell ist!

Deutschland und Frankreich müssen dabei vorangehen, wir müssen Verantwortung für Europa übernehmen. Dazu sind wir aufgrund der Größe und Historie unserer Länder verpflichtet. Einen Stillstand kann sich Europa nicht leisten. Das haben uns die Entwicklungen auf den Finanzmärkten in diesem Jahr mehr als deutlich vor Augen gehalten. Denn wie hat Jacques Delors es einmal so treffend formuliert:

“Europa ist wie ein Fahrrad. Hält man es an, fällt es um“.

Sehr geehrte Damen und Herren, für die Ehre des mir verliehenen Preises, für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Einladung möchte ich mich herzlich bedanken!