3. Berliner Medienrede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble in Berlin
(Es gilt das gesprochene Wort.)
Wenn wir uns fragen, was uns als Gesellschaft geprägt hat, fallen den meisten vermutlich Ereignisse unserer Geschichte ein: politische Revolutionen, Krieg und Frieden, der Fall der Mauer. Andere Ereignisse waren weniger spektakulär. Aber langfristig haben sie große Auswirkungen. Erfindungen wie die Dampfmaschine, die Glühlampe oder der Computer gehören dazu.
Die Erfahrung zeigt, dass kaum etwas unser Zusammenleben stärker prägt und verändert als Umbrüche bei den Informations- und Kommunikationsmedien. Im alten Athen haben die Bürger wichtige Anliegen ihres Stadtstaats auf dem Marktplatz diskutiert. Das hat zu einer frühen Blüte der Diskussionskultur geführt. In größeren Gemeinschaften braucht man reichweitenstarke Medien, um Öffentlichkeit herzustellen. Erst mit ihrer Hilfe konnte sich Demokratie in Ländern und Kontinenten entwickeln.
Ohne Buchdruck und Zeitungswesen, ohne Radio und Fernsehen, ohne Nachrichten, Kommentare und Diskussionen für ein Millionenpublikum hätten wir heute nicht die bürgerlich-demokratische Öffentlichkeit, die wir haben. Das 20. Jahrhundert hat uns aber auch gelehrt, der Verführungskraft der Medien nicht zu sehr zu trauen.
Inzwischen eröffnen Computer und Internet neue Austausch- und Informationskanäle über Grenzen hinweg. Früher war mediale Öffentlichkeit mehr oder weniger eine nationale Öffentlichkeit gewesen. Heute leben wir im „Global Village“. Jede Nachricht kann potentiell ein weltweites Echo erzeugen – auch wenn es nur den wenigsten Informationen tatsächlich gelingt. Das digitale Zeitalter hat Zugang und Verbreitung von Informationen demokratisiert. Jeder kann sich mit seinen Aussagen – ohne große Ausrüstung und zu vernachlässigbaren Kosten – an die Öffentlichkeit wenden, auch um Unterstützung werben. Viel mehr Informationen stehen einer viel größeren Zahl von Menschen zur Verfügung als noch vor 30 oder 40 Jahren.
Aus Kommunikation bildet sich Gesellschaft. Medien prägen unser Bewusstsein, unsere Art zu denken. Das Gutenberg-Zeitalter hat den Menschen zum kausalen, linearen Denken erzogen. So wie wir ein Buch lesen, entfaltet sich auch das Denken: Eins kommt nach dem anderen, eins folgt aus dem anderen. Das Internet folgt einem anderen Prinzip: Es ist die Ordnung der in sich geschlossenen Informationseinheiten. Sie sind nicht durch ein Argument miteinander verbunden. Das Internet folgt dem Prinzip der losen Verknüpfung. Unser Denken kann dadurch im günstigen Fall an Vielfalt und Offenheit gewinnen. Wer aber gewohnt ist, Aufgaben systematisch anzugehen, wird auch die Gefahr sehen, dass wir an Präzision, Zusammenhang und Reflexionskraft verlieren.
Ähnlich volatil wie die inhaltlichen Verknüpfungen sind auch die sozialen Bindungskräfte im Internetzeitalter: Die Menschen verlieren leichter ihre Bindung an Orte und Gemeinschaften, wenn sie sich von überall per Computer ins Netzwerk einloggen können und sie ihr Privatleben in virtuelle Gemeinschaften verlagern. Virtuelle Gemeinschaften können punktuell viel erreichen. Sie bilden und zerfallen aber in der Regel schnell. „Das Leitbild der Informationsgesellschaft ist der flexible Mensch, ein beschleunigter elektronischer Nomade“ so hat es Bischof Huber vor einiger Zeit treffend beschrieben.
Mit den neuen Medien sind auch neue Geschäftsfelder und Berufe entstanden. Andere haben sich grundlegend gewandelt. Die Fähigkeit, am Markt der Informationen teilzunehmen, ihn mitzugestalten und dort seine Meinung stark zu machen, entscheidet immer stärker über die berufliche Zukunft. Daran hängen Lebenschancen und Einflussmöglichkeiten. Professionelle Journalisten nehmen im Prozess der Meinungsbildung aber nach wie vor eine Schlüsselposition ein: Sie spüren Neues auf, prüfen es auf Relevanz, recherchieren Hintergründe, bewerten Informationen, deuten das Geschehen. Sie erklären Zusammenhänge, Ursachen und Folgen. Und weil menschliche Aufnahmefähigkeit begrenzt, das Gut Aufmerksamkeit also knapp ist, entscheiden Nachrichtenredakteure, vor allem in Agenturen und zunehmend in Online-Redaktionen, was andere Menschen erreicht und wie sie es erreicht. Ihre Bedeutung sieht man nicht zuletzt daran, dass alle möglichen Konfliktparteien sie zu beeinflussen versuchen und ihre Aktionen an der kalkulierten Medienwirkung ausrichten – bis hin zu den Terroristen vom 11. September.
Die Wirklichkeit, in der wir leben, ist selbst zu großen Teilen medial vermittelt. Neben dem vergleichsweise wenigem, was wir selbst unmittelbar erleben, formen die Medienmacher unsere Wirklichkeit ganz erheblich mit. Die wenigsten von uns waren in New York, als die Flugzeuge in die Türme krachten, aber wir alle kennen die Bilder. Ebenso waren die wenigsten von uns in einer Neuköllner Schule und haben trotzdem über die Medien eine Vorstellung, wie es dort zugehen mag. Bei der persönlichen Meinungsbildung ist es ganz ähnlich: Ob wir uns sicher fühlen in unserer Stadt, ob wir die Arbeit von Managern achten, was wir verändern wollen, hängt auch davon ab, was uns die Medien zeigen, wofür sie uns sensibilisieren. Das führt oft zu geradezu paradoxen Ergebnissen: Wer nicht gewohnt ist, mit Ausländern zusammen zu leben, befürchtet eher, dass wir vor Überfremdung bedroht seien.
Wir leben in unserer Bundesrepublik in einem stabilen, freiheitlich verfassten Rechtsstaat mit einem bewährten System von Checks and Balances. Diesem Rechtsstaat können wir vertrauen. Es ist auch ein Verdienst der Medien, dass unsere Ordnung funktioniert und Verfehlungen die Ausnahme bleiben. Das ist übrigens weniger ein Verdienst einzelner Medien als der Medien in ihrer Vielfalt. Denn nur die Vielfalt sorgt am Ende für eine ausgewogene Berichterstattung.
Die Medien stellen in ihrer Vielfalt eine freie, vom Staat unabhängige Kommunikation sicher, die eine notwendige Grundlage unserer politischen Willensbildung ist. Die Medien kontrollieren die staatlichen Instanzen und sind Teil des Systems von Checks and Balances. Dafür müssen sie Kritik üben. Das hält den Prozess von Trial and Error in Gang, in dem sich offene Gesellschaften fortentwickeln.
Weil unsere freiheitliche Ordnung die freie Presse braucht, genießt sie einen besonderen Schutz in unserer Verfassung. Das Grundrecht der Pressefreiheit schützt die freie Meinungsäußerung und die institutionelle Eigenständigkeit der Presse. Aus der Eigenständigkeit der Presse folgt, dass sie ihre Belange in eigener Verantwortung regelt.
Manchmal erweckt die Berichterstattung zu aktuellen sicherheitspolitischen Themen den Eindruck, als sei die freie Presse vom Staat bedroht und als stünde das Ende des unabhängigen Journalismus kurz bevor. Ich halte diese Angst für unbegründet. Es ist falsch, dass der Staat in den Redaktionen herumschnüffeln will. Wie jedes Freiheitsrecht ist auch die Freiheit der Presse nicht absolut. Bei Eingriffen bedarf es im Einzelfall einer genauen richterlichen Abwägung, ob der Pressefreiheit der Vorrang gebührt oder nicht.
Der Staat bedroht die Pressefreiheit nicht. Er schützt sie, so gut er kann. Möglicherweise ist die Pressefreiheit heute eher von übertriebenen Rücksichten auf Anzeigenkunden oder von überzogenen Gewinnerwartungen der Investoren bedroht. In jedem Fall verändern sich die wirtschaftlichen Grundlagen durch die Entwicklung in der Informations- und Kommunikationstechnik und entsprechend im Verbraucherverhalten bis hin zu den Problemen des Schutzes geistigen Eigentums.
Aber das ist ein anderes Thema. Jedenfalls gebietet es das hohe Gut der Pressefreiheit, dass die journalistische Arbeit von staatlicher Einflussnahme frei bleibt. Staatliche Handlungsziele sind keine Zielvorgabe für die Presse. Es ist nicht Aufgabe der Medien, den Lissabonner Vertrag umsetzen, der Finanzkrise Herr zu werden oder die Schulabbrecherquote zu senken. Selbst wenn der Staat im einen oder anderen Fall der Auffassung sein sollte, eine bestimmte Herangehensweise sei im Sinne des Gemeinwohls wünschenswert, die Presse darf das nicht beeinflussen.
Sie dürfen von mir also keine Handlungsempfehlungen erwarten, auch keine Medienschelte. Mir geht es um die Betrachtung grundlegender Mechanismen in den Medien, verbunden mit der Frage, ob sie die Integration fördern oder eher erschweren.
Das ist auch der Ansatz, den wir mit der Arbeitsgruppe 3 der Islamkonferenz verfolgen. Sie setzt sich neben wirtschaftlichen Aspekten mit dem Medienbild des Islam in Deutschland auseinander. Wir wollen dabei die Selbstreflexion der Medien fördern und für verantwortliche Berichterstattung werben, das heißt für eine vorurteilsfreie, differenzierte, alltagsnahe Berichterstattung zum muslimischen Leben in Deutschland.
Global verstärken Medien und die Fortschritte in den Informationstechnologien den Zustand der Gleichzeitigkeit völlig unterschiedlicher Entwicklungsstände – wirtschaftlich wie kulturell, politisch wie sozial. Indem sie Informationen in jedem Winkel der Erde zugänglich machen und mit den Bildern auch Wünsche projizieren, tragen Medien zu den großen Migrationsströmen bei.
Die modernen Kommunikationsmittel haben ein hohes Maß an weltweiter Vernetzung geschaffen. Dadurch haben sich auch Migration und Integration grundlegend verändert. Der niederländische Journalist und Soziologe Paul Scheffer spricht deshalb sogar von einer „neuen“ Migration.
Migration ist eine alltägliche Erfahrung in unserer globalisierten Welt geworden, die jedes Land betrifft. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen gibt es weltweit rund 191 Millionen Migranten. Davon leben rund 64 Millionen in Europa. Das entspricht der gesamten Bevölkerung Spaniens, Portugals und Griechenlands zusammen.
Seit 1949 wanderten im Vergleich mit anderen europäischen Staaten nirgends mehr Menschen zu als in die Bundesrepublik. Ein Mengenproblem, wie wir es noch Anfang der 90er Jahre hatten, haben wir allerdings heute nicht. Wir haben zur Zeit eine geringe dauerhafte Zuwanderung – auch wenn die Wahrnehmung in manchen Teilen der Bevölkerung anders ist. In den letzten Jahren lag der Anteil von Ausländerinnen und Ausländern konstant bei 8,8 Prozent. Wenn wir die Spätaussiedler, Eingebürgerten sowie die in Deutschland geborene zweite und dritte Generation von Menschen ausländischer Abstammung hinzurechnen, bilden Menschen mit Migrationshintergrund knapp ein Fünftel unserer Gesamtbevölkerung.
Welche Aufgaben uns die Migration der 1950er, 60er und 70er Jahre stellen würde, hat sich damals kaum jemand klar gemacht. Die Menschen, die zunächst aus Italien, später aus Spanien, Portugal, Jugoslawien und schließlich aus der Türkei angeworben wurden, wollten ursprünglich nur für ein paar Jahre kommen. Die Menschen haben erst später beschlossen, hier zu bleiben, und haben dann ihre Kinder und Familien nachgeholt. Weder die aufnehmende Gesellschaft noch die Zugewanderten selbst hatten ursprünglich die Vorstellung von einer dauerhaften Zuwanderung. Und darum hat man nicht viel darüber nachgedacht, was Integration erfordert. Vermutlich glaubten die meisten, das vollziehe sich im Laufe der Zeit und der Generationen von selbst.
Tatsächlich ist vielen Migranten die Eingliederung in ihre neue Heimat gut gelungen, aber eben noch längst nicht allen. Bei den Zuwanderern aus der Türkei ist der Integrationserfolg recht unterschiedlich. Viele sind gut, teilweise sehr gut integriert, andere sind es leider nicht. Und die sich aus Integrationsdefiziten, wo es sie gibt, ergebenden Probleme nehmen im Laufe der Generationen nicht ab, sondern zu. Das ist in anderen europäischen Ländern ganz ähnlich. Und deshalb haben wir zu Beginn unserer Regierung entschieden, bestehende Defiziten in der Integration entschlossen anzugehen.
Das ist eine Aufgabe für alle staatlichen Ebenen und für die Gesellschaft insgesamt, und es ist ein wechselseitiger Prozess. Er verlangt von Zuwanderern und Aufnahmegesellschaft einige Mühen und er erfordert einen langen Atem. Wir reden hier nicht von dem einen großen Durchbruch oder dem einen Schlüsselerlebnis. Wir reden vielmehr von vielen Schritten und kleinen Fortschritten auf beiden Seiten. Erst in der Summe schaffen sie gegenseitiges Verständnis, Vertrauen, Respekt für die Unterschiede bei gleichzeitigem Gefühl der Zugehörigkeit.
Den Zugewanderten können wir nicht abnehmen, dass sie vieles lernen müssen: eine neue Sprache, eine andere Kultur, ein komplexes System von Rechten und Pflichten. Nur mit diesem Wissen können sie sich in unserer Gesellschaft zurechtfinden und an ihr teilhaben. Viele schaffen das schnell. Denjenigen, die Unterstützung brauchen, helfen wir mit staatlichen Fördermaßnahmen wie dem Integrationskurs.
Für uns als Aufnahmegesellschaft bedeutet Integration zu akzeptieren, dass sich unsere Welt durch die Zugewanderten, ihre Kultur und Religion ein Stück weit verändert. Zum Beispiel müssen wir uns daran gewöhnen, dass es Moscheen in unseren Städten gibt. Vielfalt ist bereichernd. Das Spannende am Leben ist, dass wir mit Menschen zusammentreffen, die anders sind als wir selbst. Alles andere wäre auf Dauer recht eintönig.
Die Medien sind im Integrationsprozess einerseits Beobachter und Berichterstatter, andererseits Akteure. Darauf hat der frühere Intendant des Westdeutschen Rundfunks Fritz Pleitgen gelegentlich hingewiesen.
Im günstigen Fall nehmen die Medien eine Vermittlerrolle zwischen Zuwanderern und Aufnahmegesellschaft ein. Sie können den neu Dazukommenden helfen, in unserer Gesellschaft mit ihren vielen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln, ihrer freiheitlichen Werteordnung, ihren geschichtlichen Prägungen anzukommen. Im Idealfall helfen die Medien den Zuwanderern, hier anzukommen, ohne ihre Wurzeln zu verlieren. Umgekehrt können sie der aufnehmenden Bevölkerung helfen, Zuwanderer mit ihren kulturellen und religiösen Wurzeln besser zu verstehen.
So sind Initiativen wie das „Forum am Freitag“ des Zweiten Deutschen Fernsehens oder das „Islamische Wort“ des Südwestrundfunks wichtige Schritte auf dem Weg eines – auch medialen – Heimisch-Werdens des Islam in Deutschland. Dazu gehört vielleicht auch, dass wir nach mehr als 35 Jahren und 700 Episoden endlich einen Tatort-Kommissar mit türkischer Abstammung haben. Er ermittelt in Hamburg. Und das Interessante ist: Die Herkunft ist nur ein Randaspekt. Die Figur erfüllt die Klischees vom türkischen Leben in Deutschland nicht.
Bei der Integration müssen Zuwanderer in der Regel einen weiteren Weg gehen als die Aufnahmegesellschaft. Dabei spielt es eine wichtige Rolle, wie Zuwanderer das vorhandene Medienangebot nutzen.
Die Beziehung zum Herkunftsland hat bei Zuwanderern seit jeher eine große Rolle gespielt. Gerade die erste Zuwanderergeneration lebt oft noch in heimatlichen Traditionen und Wertvorstellungen. Als die Menschen im 19. Jahrhundert nach Amerika oder Neuseeland ausgewandert waren, war das eine Entscheidung fürs Leben. Sie hatten nicht die Chance, mehrmals im Jahr zum Urlaub in die alte Heimat zurückzufliegen. Es gab auch keine Zeitungen und Fernsehprogramme aus der alten Heimat, und ihr Bild von der neuen Heimat und ihrer Wirklichkeit wurde nicht in größerem Maß durch Medien aus ihrem Herkunftsland beeinflusst.
Die heutigen Zuwanderer hingegen können, und sei es auch nur medial, zwischen den verschiedenen Gesellschaften pendeln. Sie können sich in einem fremden Land aufhalten und trotzdem die Illusion aufrechterhalten, noch in ihrer vertrauten Umgebung zu leben. Die Medienangebote machen es möglich.
Wir haben in Deutschland etwas mehr als drei Millionen Menschen türkischer Abstammung. Über Satellitenfernsehen sind heute über 50 größere türkische Sender in Deutschland zu empfangen. Nimmt man die Kleinstsender hinzu, sind es mehr als doppelt so viele. Auch die Zahl fremdsprachiger Presseerzeugnisse ist groß.
Zuwanderer, die sich nur an den Heimatmedien orientieren, werden es schwer haben. Das heißt nicht, dass türkischsprachiges Fernsehen in unserem Land an sich etwas Schlechtes wäre. Aber Integrationserfolge kann nur erreichen, wer die deutsche Sprache beherrscht und wer über gesellschaftliche und politische Themen informiert ist. Dazu ist es hinderlich, wenn Informationsangebote gar kein Bild oder ein sehr einseitiges Bild der neuen Heimat zeichnen. Wer das Land, in dem er lebt, nicht richtig kennt, kann für seine Kinder nur wenig tun. Und wer das Geschehen in der neuen Heimat nicht verfolgt, wird auch kein echtes Zugehörigkeitsgefühl entwickeln können.
Deswegen begrüße ich die Zusammenarbeit zwischen Verlagshäusern mit traditionell deutschem Publikum und Verlagshäusern, die bei Zuwanderern hoch im Kurs stehen. Ich denke dabei etwa an die Verbindung zwischen der BILD-Zeitung und Hürriyet. Vor einer Woche habe ich bei der Publishers’ Night die Laudatio auf Aydin Dohan gehalten, den Eigentümer der Hürriyet. Dort bin ich näher auf die gemeinsamen Aktionen beider Häuser eingegangen, die ich vorbildlich finde.
Man kann nicht pauschal sagen, dass die Medien die Integration fördern oder Parallelgesellschaften im Geiste aufzubauen helfen. Das hängt nicht nur von Inhalten ab, sondern am Ende auch davon, wie die Zuwanderer die Medienangebote nutzen.
Nehmen wir das Fernsehen: Während 75 Prozent der Migranten türkischer Herkunft und 56 Prozent der Migranten mit italienischen Wurzeln zumindest auch heimatsprachige Fernsehprogramme sehen, schauen über 60 Prozent der aus Polen oder dem ehemaligen Jugoslawien stammenden Migranten nur deutsche Sendungen. Ausschließlich heimatsprachige Programme nutzen nur 5 Prozent der polnischen Migranten und 4 Prozent der Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien.
Insgesamt lässt sich die These vom Medienghetto nicht belegen: Vielmehr zeigt eine Studie der ARD/ZDF-Medienkommission, dass alle Migrantengruppen von deutschen Medien gut erreicht werden. Auffällig ist allerdings, dass kommerzielle Sender bei Menschen mit Migrationshintergrund sehr beliebt sind. ProSieben führt die Liste der beliebtesten Fernsehsender an. Öffentlich-rechtliche Medien erreichen Migranten weniger gut.
Wie junge Deutsche sind auch junge Menschen mit Migrationshintergrund mit dem Internet vertraut. Nach einer Untersuchung des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest hatten 2007 95 Prozent der 12- bis 19-Jährigen einen Internetzugang im elterlichen Haushalt, 50 Prozent sogar im eigenen Zimmer.
Menschen mit Migrantionshintergrund scheinen das Internet sogar häufiger als die deutschstämmige Bevölkerung zu nutzen. Bei vielen dient es der Information und erfreulich viele suchen dafür überwiegend deutschsprachige Seiten auf. Hier liegt ein großes Potenzial, auch für die Integration, das wir zum Beispiel für die Deutsche Islam Konferenz nutzen wollen. In zwei Wochen werde ich eine neue Webseite zur Deutschen Islam Konferenz vorstellen, die neben vielfältigen Informationen auch die Möglichkeit bietet, Anliegen der Nutzer in die Arbeitsgruppen hineinzutragen.
Die Medien können zwischen Einheimischen und Zugewanderten am besten dann vermitteln, wenn sie offen, einfühlsam und ausgewogen über beide Seiten berichten.
Die ungeheure Dynamik der heutigen Medienwelt macht das nicht unbedingt einfacher: Nachrichten werden praktisch rund um die Uhr produziert. Kaum ein Thema ist länger als eine Woche aktuell, weil sonst ein Ermüdungseffekt eintritt. Die Vielfalt der Berichterstattung ist groß und sie wird durch den Online-Journalismus noch größer. Dadurch entsteht ein zunehmender Konkurrenzdruck, der zu einem immer härteren Wettbewerb um das knappe Gut Aufmerksamkeit führt. Denn die menschliche Fähigkeit, Nachrichten aufzunehmen, bleibt begrenzt.
In dieser Wettbewerbssituation nehmen Konformität, Banalität und Skandalträchtigkeit der Informationen, die sich durchsetzen können, zu. Diskurse verflachen, wenige einfache Themen, die die Quote nach oben treiben, dominieren. Die Diskussion um das Rauchverbot ist dafür ein Beispiel, ebenso frühere Debatten um BSE. Dass durch Übersteigerung und Konformität Überdruss entsteht, sieht man beim schleichenden Bedeutungsverlust der Talk-Shows. Friedrich Merz hat vor ein paar Jahren noch gesagt: Eine Talk-Show am Sonntagabend – Sabine Christiansen – ist wichtiger als jede Bundestagsdebatte. Heute ist eine gewisse Übersättigung unübersehbar. Talk-Shows haben keine besondere Bedeutung mehr für den politischen Diskussionsprozess. Diese Bemerkungen sind nicht als Vorwurf gemeint, sondern als Beschreibung aktueller Entwicklungen, die die Medienberichterstattung verändern. Wie gesagt, ich will nicht schelten, ich will keine großen Empfehlungen aussprechen, ich will vor allem beschreiben, was ist.
Die Entwicklungsdynamik der heutigen Medienwelt verstärkt die Gefahr von Übertreibungen. Übersteigerte Bedrohungswahrnehmung aber ist der Integration hinderlich. Das haben wir bei der Brandkatastrophe von Ludwigshafen erlebt. Die frühzeitigen, haltlosen Mutmaßungen einiger türkischer Medien, Ursache der Tragödie sei ein fremdenfeindlicher Anschlag gewesen, haben unbegründete Ängste geschürt. Eine übersteigerte Bedrohungswahrnehmung gibt es auch an anderer Stelle. In der Arbeitsgruppe „Medien“ der Islamkonferenz stimmen alle Seiten darin überein, dass unsere Medien bei ihrer Berichterstattung zum Islam den Gewaltaspekt übergewichten.
Das heißt nicht, dass die Medien in Zukunft darauf verzichten sollten, über Gewaltdelikte von Zuwanderern zu berichten. Wir brauchen keine beschönigende Berichterstattung. Probleme muss man offen ansprechen, sonst wird es uns nicht gelingen, die Probleme zu lösen. Ein realistisches Bild bekommen wir aber nur, wenn wir auch die Erfolge berücksichtigen.
Die große Mehrheit der Menschen mit Migrationshintergrund hat ihren Platz in unserer Gesellschaft längst gefunden. Wir haben heute eine Unmenge von Beispielen gelungener Integration. Viele junge Menschen aus der Türkei, aus Polen, Russland und anderen Ländern haben erfolgreiche Bildungsbiografien. Sie nehmen führende Aufgaben in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wahr. Auch darüber, über die Normalität erfolgreicher Integration, sollten wir reden, hier in Deutschland aber genauso in der Türkei und in den anderen Herkunftsländern. Das wäre wichtig, auch wenn es dem bekannten Motto „Bad news are good news“ widerspricht.
Problembewusstsein schürt man nicht durch Übertreibungen, sondern durch Recherche, Sachkenntnis und Ausgewogenheit, letztlich also durch die vielfach bewährten Instrumente des Qualitätsjournalismus. Wir sollten die Diskussion noch stärker öffnen für Programmmacher und Politiker mit Migrationshintergrund, ohne sie auf Integrationsthemen festzunageln. Vielleicht sollten wir auch einmal ein schöneres Wort finden als „Migrationshintergrund“, auch das könnte helfen.
Es sollte ein gemeinsames Anliegen von Medien und Politik sein, dass die öffentliche Willensbildung auf Grundlage fundierter Debatten geschieht. Medien und Politik haben daran ein fundamentales Interesse. Hier muss jeder seinen Teil der Verantwortung wahrnehmen, um Übertreibungen entgegenzuwirken.
Uns eint das Ziel einer informierten demokratischen Öffentlichkeit. Aber wir unterscheiden uns in unseren Handlungstempo. Der Markt der Nachrichten ist durch den Konkurrenzdruck, die Beschleunigung der Kommunikation durch das Internet, die Konzentration auf wenige Themen eher kurzatmiger geworden. Sein Pulsschlag ist rasch. Die Politik dagegen ist bei Themen wie der Integration, an der alle staatliche Ebenen, aber auch viele nichtstaatliche Organisationen und die Zivilgesellschaft beteiligt sind, auf das Aushandeln von Kompromissen angewiesen. Vor allem aber ändern sich gesellschaftliche Wirklichkeiten nicht auf Knopfdruck. Das dauert seine Zeit. Integration ist aber ein Prozess vieler kleiner Schritte auf beiden Seiten, der meist ohne spektakuläre Höhepunkte abläuft.
Max Weber hat über die Staatskunst einmal gesagt, sie sei das „starke, langsame Durchbohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß“. Dazu gehören ein langer Atem und eine gründliche Debatte.
Integrationspolitisch haben wir in den letzten Jahren erfolgreiche Dialogforen geschaffen, die von allen Seiten angenommen werden. Sie haben Initiativen in Gang gesetzt, die Früchte tragen. Aber alles, was wir damit erreichen können, sind, für sich genommen, kleine Schritte. Nicht mehr und nicht weniger.
Manchmal habe ich den Eindruck, die Medien schreiben dem Staat bei einer Gelegenheit eine unglaubliche Machtfülle und Durchsetzungsstärke zu, um bei der nächsten Gelegenheit darüber zu klagen, wie handlungsschwach und führungslos der Staat ist. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte. Das gilt auch in der und für die Integration.
Es gibt auch heute ein Bedürfnis nach gründlicher, ernsthafter, ausgewogener Berichterstattung. Dieses Bedürfnis bleibt, auch wenn sich der Zugang der Menschen zu Nachrichten und Informationen ändert. Ich glaube, dass hierin eine der großen Stärken klassischer Medien im Wettbewerb mit den neuen Medien liegt.
Übertreibungen gibt es überall. Aber unsere freiheitliche Ordnung ist gut gerüstet, damit Übertreibungen nicht Überhand nehmen. Der freiheitliche Prozess der öffentlichen Kommunikation, Diskussion und Willensbildung darf sich nicht selbst zerstören. Ich denke aber, wir können uns auch insoweit auf den Prozess von Trial and Error verlassen. Gute Berichterstattung wird sich auf Dauer durchsetzen.