Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Wo wird im Kabinett mehr diskutiert, in Paris oder in Berlin?
Die Sitzung im französischen Conseil des Ministres ist viel stärker formalisiert. Wenn der Präsident hereinkommt, stehen alle Kabinettsmitglieder auf. Notizen dürfen sich die Minister nicht machen, und es gibt weder Kaffee noch Wasser. Als meine Kollegin Christine Lagarde Ende März an der Sitzung des Bundeskabinetts teilnahm, sprach sie hinterher davon, dass bei uns viel mehr diskutiert werde – auch wenn sich das nach meiner Erfahrung zumeist auch in Grenzen hält.
Wie sah Ihr Beitrag aus?
Frau Lagarde und ich haben unsere gemeinsame Initiative zur Reform der Währungsunion vorgetragen.
Wie wollen Sie vorgehen?
Es gibt eine Übereinkunft, dass wir uns in einer ersten Phase auf die Punkte konzentrieren, die wir bis zum Europäischen Rat im Oktober zur Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts klären können.
Was wird das konkret sein?
Es geht darum, das Defizitverfahren zu beschleunigen und effizienter zu machen. Auch wollen wir dem Schuldenstand mehr Aufmerksamkeit widmen.
Von Ihrem Vorschlag, den europäischen Vertrag zu ändern, um hartnäckigen Defizitsündern das Stimmrecht entziehen zu können, haben Sie sich offensichtlich schon verabschiedet.
Überhaupt nicht. Wir gehen nur nach dem Grundsatz vor, zunächst das zu erledigen, was schnell umgesetzt werden kann. Deshalb streben wir zunächst eine politische Vereinbarung im Europäischen Rat an. Auch wenn dort alle zustimmen müssen, kann das zügig geschehen. Eine Vertragsänderung dagegen braucht Zeit. Warum sollten wir nur auf die ferne Zukunft schielen, wenn wir einiges früher ändern können?
Lange schwelte ein Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich, ob derEuropäischen Zentralbank [Glossar] eine „Wirtschaftsregierung“ zur Seite gestellt werden sollte. Deutschland beharrte darauf, alle Wirtschaftsfragen weiterhin im Rahmen der gesamten EU zu behandeln. War das im französischen Kabinett ein Thema?
Nein, diese Diskussion hat sich längst erledigt. Wir müssen darauf achten, dass wir notwendige Reformen durchsetzen, ohne die Europäische Union zu spalten. Wir wollen daher möglichst im Rahmen der 27 Mitgliedstaaten vorgehen. Wenn das nicht ausreicht und etwas im Euroraum geregelt werden muss, weil es um die gemeinsame Währung geht, kann es dort gemacht werden. Mit diesem Vorgehen sind alle einverstanden.
Was für ein Lockmittel oder Druckmittel haben Sie, um später die anderen Staaten zu der Vertragsänderung zu bewegen?
Das gemeinsame Interesse an der gemeinsamen Währung.
Wir erleben die schrittweise Vergemeinschaftung der Finanzpolitik [Glossar]. Warum nicht auch in der Außen- und Sicherheitspolitik?
Der Handlungsdruck ist in den wirtschaftlichen Fragen einfach größer. Die Krise hat gezeigt, dass wir mit den vorhandenen Instrumenten nicht auskommen. Als wir die Währungsunion in den neunziger Jahren ausgehandelt haben, war das nicht absehbar. Die Welt hat sich verändert. Die Verflechtung ist eine völlig andere. Wir haben uns damals nicht vorstellen können, dass die Krise eines Landes, das nur einige Prozent der Wirtschaftsleistung der gesamten Eurostaaten ausmacht, innerhalb von Tagen über die Märkte auf andere Länder überspringen kann.
Aber die Banken haben noch früher reagiert und ihre Kreditlinien zurückgefahren. Verfügen die Banken über mehr Wissen als die Regierungen?
Ich denke schon, dass die Märkte gelegentlich einen Informationsvorsprung haben. Deshalb bin ich auch skeptisch, dass wir über staatliche Bemühungen eine europäische Ratingagentur hinkriegen, wie es der EU-Kommission vorschwebt.
Was ist Ihre Lehre aus der Finanzkrise?
Lange hieß es, wir brauchen weniger Regulierung. Selbst unter Rot-Grün war dies das Credo. Nun haben wir gesehen, dass Finanzmärkte [Glossar] ohne Regeln und Grenzen nicht funktionieren.
Mit der geplanten Bankenabgabe werden Sie neue Finanzkrisen nicht verhindern können.
Nein, aber mit dem Gesetzentwurf, den wir im August beschließen wollen, werden wir nicht nur eine Bankenabgabe, sondern auch ein insolvenzähnliches Verfahren für systemrelevante Banken bekommen. Damit lösen wir das Problem, für das die Ökonomen den Begriff Moral Hazard geprägt haben. Wer weiß, dass ihn notfalls andere auffangen, wird allzu leicht der Versuchung nachgeben, zu große Risiken einzugehen. Mit dem insolvenzähnlichen Verfahren werden die Eigentümer an möglichen Auffangkosten beteiligt.
Aus diesem Grund haben Sie auch ein Insolvenzverfahren für Staaten vorgeschlagen. In dem deutsch-französischen Reformpapier sucht man das vergeblich.
Aber es ist ausdrücklich die Rede davon, dass wir das Moral-Hazard-Risiko verhindern und bessere Anreize für Staaten und Finanzmarktteilnehmer geben müssen. Ich frage Sie: Gibt es dafür einen anderen Weg als ein Insolvenzrecht für Staaten?
Jede Wette, dass Ihr Vorschlag gleichwohl nicht verwirklicht und stattdessen der Rettungsschirm für die Euroländer verlängert wird.
Solange Angela Merkel Bundeskanzlerin ist und ich Finanzminister bin, würden Sie diese Wette verlieren. Die Rettungsschirme laufen aus. Das haben wir klar vereinbart. Griechenland wird insgesamt drei Jahre die Kreditlinien in Anspruch nehmen können. Dann können sie noch fünf Jahre laufen. Danach ist Schluss.
Die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft ist gering. Wie soll Griechenland seine Schulden zurückzahlen, wenn die Last bezogen auf die Wirtschaftskraft immer weiter steigt, von heute etwa 110 Prozent auf 150 Prozent in drei Jahren?
Die Griechen sind dabei, ihr Defizit [Glossar] deutlich zu reduzieren. Es gibt eine gewisse Entspannung. Ich bleibe zudem bei meiner These: Eine vernünftige, maßvolle Defizitreduzierung ist nicht wachstumsfeindlich, ganz im Gegenteil.
Sprengsatz für die Währungsunion sind nicht nur die hohen Defizite einzelner Länder, sondern auch die Unterschiede in der realwirtschaftlichen Entwicklung. Nun sollen die Regierungen sich jeweils gegenseitig bewerten. Wie soll das zum Abbau makroökonomischer Ungleichgewichte beitragen, wenn nur diplomatische Freundlichkeiten ausgetauscht werden?
Hier geht es nicht um den Austausch diplomatischer Freundlichkeiten, sondern um eine offene und ehrliche Diskussion über die Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten. Es ist zudem nicht so, dass nur ein Land berichtet, sondern auch die Kommission und die Europäische Zentralbank ihre Bewertungen vortragen werden.
Im Oktober ist Ihre Kollegin Lagarde dran. Womit rechnen Sie: Wird sie dann nochmals Deutschland auffordern, die Steuern zu senken, um die Konjunktur[Glossar] anzukurbeln, oder auf die Linie von Präsident Sarkozy einschwenken, der jüngst die deutsche Haushaltspolitik lobte?
Frau Lagarde sagt, sie sei etwas missverstanden worden. Aber dass Präsident Sarkozy die deutsche Haushaltspolitik als vorbildlich hingestellt hat, ist sicherlich hilfreich.
Wie beurteilen Sie die Ergebnisse des Stresstests für 91 europäische Finanzinstitute?
Die Veröffentlichung der Ergebnisse des Stresstests war wichtig, um am Markt das Vertrauen in die europäischen Banken zu stärken. Die unterstellten Szenarien waren für alle Institute gleich. Das hat Transparenz geschaffen. Im Übrigen haben viele Banken ihre Lehren aus der Krise gezogen und durch höheres Eigenkapital [Glossar], höhere Liquiditätspuffer und besseres Risikomanagement reagiert.
Es heißt immer, Wolfgang Schäuble denke zwei Ecken weiter als andere. Doch für die Brennelemente-Steuer [Glossar], Flugticketabgabe und Elterngeld-Kürzung hagelt es Kritik. Was haben Sie sich mit dem Konzept gedacht?
Immer wenn man solche Belastungen beschließt, gibt es Widerstand in der Bevölkerung.
Wir denken eher an Kabinettsmitglieder.
Es wäre schon viel gewonnen, wenn fachliche Diskussionen zwischen den Ressorts nicht offen über die Medien ausgetragen würden. Von Anfang an stand fest, dass wir uns noch gemeinsam auf die konkrete Ausgestaltung der Luftverkehrsteuer oder der Brennelementesteuer verständigen müssen. Ich habe meinen Fraktionskollegen Verkehrsminister Peter Ramsauer deshalb gefragt, warum ich seine Position in der Zeitung lesen muss. Wir können doch darüber reden, dann finden wir eine Lösung.
Aber an der Luftverkehrsabgabe halten Sie fest?
Es ist doch nicht so, dass wir nicht wüssten, was wir in der Klausurtagung beschlossen haben. Es kann niemand ernsthaft bestreiten, dass der Flugverkehr der einzige Verkehrsträger ist, der von einer Energiebesteuerung befreit ist. Eine Kerosinsteuer könnte ich allerdings nur für deutsche Gesellschaften und für innerdeutsche Flüge einführen. Dann verlagern alle ihre Strecken, und ich mache mich lächerlich. Deswegen ist die Ticketabgabe ein vernünftiger Ersatz für die national nicht umsetzbare Kerosinsteuer.
Sind Sie zu Änderungen bereit, wenn das Aufkommen stimmt?
Natürlich. Man kann über alles reden, aber am Ende muss das geplante finanzielle Volumen erreicht werden. Das habe ich auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) gesagt. Eigentlich bin ich mit ihm immer einer Meinung. Nur manchmal stehen Nachrichten in der Zeitung, bei denen ich mich frage, ob das sein muss. Schließlich hat er an den Entscheidungen mitgewirkt.
Wie wichtig ist Ihnen die Brennelementesteuer?
Ich verstehe, dass die Energieversorger lieber mit einem Vertrag regeln wollen, was sie zusätzlich an den Staat zahlen sollen. Wenn wir eine andere sinnvolle Form finden, die Einnahmen zu sichern, soll es an mir nicht scheitern.
Bleibt noch das Elterngeld.
Die Grundentscheidung steht, dass diejenigen profitieren sollen, die den Beruf zeitweilig aufgeben müssen, um Eltern zu werden. Dass hiervon auch die sogenannten Aufstocker betroffen sind, die mit ihrem Einkommen nicht auskommen und deshalb ergänzend Geld vom Staat bekommen, ist ein spezielles Problem, das mit etwas gutem Willen zu lösen sein wird.
Früher liefen solche Abstimmungsprozesse zwischen den Ministerien ruhiger ab. Offensichtlich koordiniert das Kanzleramt nicht mehr so effizient wie zu Zeiten der großen Koalition.
Ich halte nichts davon, immer nach Sündenböcken zu suchen.
Viele Querschüsse kamen aus München: Kann man mit der CSU überhaupt noch regieren?
Sie denken vermutlich an die Gesundheitspolitik. Aber das ist ein Spezialfall, denn damit hat der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer sich einfach auch sehr lange und intensiv beschäftigt.
In den vergangenen Wochen und Tagen gab es eine regelrechte Flucht von CDU-Ministerpräsidenten aus ihren Ämtern: Macht Ihnen das nicht Sorgen?
Nein, grundsätzlich ist so etwas auch die Chance für Jüngere, sich zu bewähren. Denn auch wenn ich denke, mit meiner Erfahrung von Nutzen zu sein, bin ich nicht der Meinung, dass alle Verantwortlichen in der Politik meine Anzahl an Dienstjahren vorweisen müssen.
Sie sind offenbar nicht vom Bazillus der Amtsmüdigkeit befallen?
Wir alle streben in der Politik nach Ämtern und Einfluss. Damit ist Verantwortung verbunden. Das darf man nicht vergessen. Meine Sicht ist damit vielleicht eine andere als die manch anderer Politiker. Wenn ich eine Aufgabe übernehme, erfülle ich sie auch.
Das Gespräch führten Manfred Schäfers und Holger Steltzner.
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