Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble wünscht sich im Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ lebhaftere sicherheitspolitische Debatten in Deutschland und preist das Glück seiner Generation
WELT: Herr Minister, Deutschland ist ein schönes und ein friedliches Land. Die Bürger fühlen sich nicht sonderlich bedroht. Das Sicherheitspapier, das CDU und CSU gerade vorgelegt haben, zeichnet ein anderes Bild. Warum?
Wolfgang Schäuble: Nein, Deutschland ist ein sicheres Land. Und ich bin froh, dass die Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit auch das Gefühl hat, dass wir in einem sicheren Land leben. Das gilt ja zunächst mal für die Innere Sicherheit, und auch die Risiken für die Äußere Sicherheit sind etwa im Vergleich zu den Zeiten des Kalten Krieges viel geringer geworden. Trotzdem: Damit wir ein sicheres Land bleiben, müssen die, die politische Verantwortung tragen immer mal wieder vertieft darüber nachdenken und im Sinne demokratischer Öffentlichkeit diskutieren, wie sich die Welt verändert, welche neuen Herausforderungen es gibt. Deshalb hat die CDU/CSU-Fraktion dazu eine Konzeption erarbeitet, in der ein erweiterter Sicherheitsbegriff dargelegt wird.
WELT: Wie sieht der aus?
Schäuble: Unsere Sicherheit ist heute gar nicht mehr durch militärische Bedrohungen im engeren Sinne bedroht. Aber die Sicherheit unserer Energieversorgung oder die Sicherheit unserer kritischen Infrastruktur sollten wir im Blick behalten. In den baltischen Staaten haben wir vor zwei Jahren wahrscheinlich den ersten Fall von Cyber-War erlebt. Die Fragen des internationalen Terrorismus, von failing states und asymmetrischer Kriegsführung, die Auswirkungen von Migrationsströmen – das alles sind Fragen, die bedacht werden müssen, wenn Deutschland ein sicheres Land bleiben soll. In einer Welt der Globalisierung, brauchen wir integrierte Ansätze.
WELT: In ihrem Sicherheitspapier heißt es, angesichts der Terrorgefahr ?lässt sich die bisherige Trennung von innerer und äußerer Sicherheit oder in Kriegszustand und Friedenszeit nicht länger aufrechterhalten.? Befinden wir uns im Kriegszustand mit islamistischen Terroristen?
Schäuble: Die alte Zweiteilung passt einfach nicht mehr. Der UN-Sicherheitsrat hat gemäß der UN-Charta nach den Angriffen vom 11. September auf die Vereinigten Staaten beschlossen, dass das ein Angriff war, aufgrund dessen die USA gemäß der UN-Charta das Recht zur Selbstverteidigung haben. Das hätte man früher als Kriegszustand bezeichnet, deshalb nennen die Amerikaner das auch den ?war on terror?. Wir Europäer nennen das nicht Krieg. Das ist ein Beleg dafür, dass die alte Zweiteilung mit der Welt des 19. Jahrhunderts vielleicht besser zusammenpasst als der des 21. Jahrhunderts. Deshalb sagt dieses Papier, dass die neuen Bedrohungen nicht mehr die militärische Form etwa der beiden Weltkriege haben, sondern komplexer sind. Man kann die Sicherheit auch nicht mehr gewährleisten wie in der bipolaren Welt des Ost-West-Konfliktes mit der gegenseitigen gesicherten Vernichtungsfähigkeit, der ?mutual assured destruction?. Das ist alles überholt. Deshalb darf auch nicht die Debatte darüber verweigert werden, welche Konsequenzen man daraus ziehen muss.
WELT: Es klang durch, dass Sie die amerikanische Bezeichnung des ?war on terror? für richtig halten. Wenn das so ist, warum benutzen wir diesen Begriff nicht auch? Nur weil wir nicht selber getroffen wurden?
Schäuble: Aus guten Gründen kennt das Grundgesetz das Wort Krieg nur im Zusammenhang mit dem Verbot des Angriffskrieges. Ansonsten redet das Grundgesetz nicht von Krieg, sondern von Verteidigung. Wir befinden uns übrigens nicht im Verteidigungs-, sondern im Bündnisfall, der im Sinne von Artikel 5 des Natovertrags verkündet wurde.
WELT: Kann man denn sagen, dass die Globalisierung ein Gefahrenbeschleuniger und ?vermehrer ist?
Schäuble: Die Globalisierung ist ein Beschleuniger. Ich muss aber sagen, je älter ich werde und je mehr ich das Glück meiner Generation empfinde, in einer Zeit und in einem Land zu leben mit unglaublicher Sicherheit und unglaublichem Fortschritt, werde ich immer zuversichtlicher. Die Globalisierung verändert vieles, natürlich sind mit der Beschleunigung auch neue Risiken verbunden. Aber ich bin ganz dagegen, dass wir uns ständig in neue Bedrohungs- und Verzweiflungsszenarien versetzen. Weil ich ein zuversichtlicher Mensch bin, sage ich allerdings, politisch Verantwortliche müssen über neue Herausforderungen nachdenken, um zu bewahren, was wir bisher an Gutem erlebt haben.
WELT: Die Frage ist, wie man als Gesellschaft auf die Terrorgefahr reagiert. Der bekannte Politikwissenschaftler Herfried Münkler rät uns zu ?heroischer Gelassenheit?. Billigen wir dem Terrorismus nicht zu viel Einfluss auf die Verfasstheit unseres Gemeinwesens zu, wenn wir seinetwegen etwa Einsätze der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr im Innern zulassen?
Schäuble: Da Sie Münkler zitieren, werden Sie sicher wissen, dass seine und meine Auffassung weitgehend übereinstimmen darin, dass die alte Einteilung nicht mehr stimmt. Natürlich gibt es spezifische Gefahren, die nur mit polizeilichen Mitteln zu bekämpfen sind. Wenn Sie an die Unruhen im Kosovo vor ein paar Jahren denken, denen konnte man mit militärischen Mitteln gar nicht begegnen, da sind polizeiliche Mittel gefragt. Es gibt also spezifisch militärische Fähigkeiten und spezifisch polizeiliche, die darf man nicht miteinander vermischen, auch wenn es Übergänge gibt, etwa in Afghanistan, wo Polizeiausbildung robuster ausgestattet sein muss. Aber die grundsätzliche Unterscheidung bleibt, sie macht sich nur nicht mehr an den Grenzen von Staaten fest. Die alte, herrschende Aufteilung in Deutschland sagt: Außen ist es Verteidigung, innen ist es Polizei. Das Völkerrecht ist hier weit weniger restriktiv. Der UN-Sicherheitsrat hat mit seiner Entscheidung vom November 2001 gesagt, die Qualität der Bedrohung, der Angriff auf die USA, ist das entscheidende Kriterium. Die Frage, ob das Flugobjekt in Salzburg oder in Rosenheim, in Basel oder in Weil am Rhein gestartet ist, ist nicht die entscheidende. Von manchen Vertretern der ?Political Correctness? wird das schlicht tabuisiert.
WELT: Worin soll sich der von Ihnen geforderte Nationale Sicherheitsrat denn von dem bisherigen Bundessicherheitsrat unterscheiden? Und warum brauchen wir ihn?
Schäuble: Zunächst ist der Nationale Sicherheitsrat nicht der zentrale Punkt dieses Papiers.
WELT: … aber die zentrale Schlussfolgerung.
Schäuble: Das Papier leitet aus dem erweiterten Sicherheitsbegriff und aus einer vernetzten, integrierten Sicherheitsarchitektur eine Reihe von Folgerungen ab. Wenn die neuen Risiken von Klimakatastrophen bis zur Sicherheit der Energieversorgung, von den kritischen Infrastrukturen bis zur Bedrohung durch den internationalen Terrorismus reichen, dann ist es richtig, dass man innerhalb der Regierung Strukturen schaffen muss, die über das Ressortprinzip hinaus eine vertiefte Diskussion solcher Entwicklungen ermöglichen. Man könnte auch den Bundessicherheitsrat aufwerten, das haben wir in der Koalition auch gelegentlich diskutiert. Das hatte sich auch die rot-grüne Regierung schon 1998 vorgenommen. Es scheitert dann aber jedes Mal an der Verteidigung der traditionellen Zuständigkeiten durch das Außenministerium, und das ist altes Denken. Deswegen sagen wir, entweder kann man den Bundessicherheitsrat in dieser Richtung weiterentwickeln, oder man muss eine neue Struktur schaffen.
WELT: Sie haben gesagt, dass Thema wurde gelegentlich in der Koalition diskutiert. Gab es da Fortschritte?
Schäuble: Ja, da gab es gelegentlich Ansätze. Aber wir sind nicht so weit gekommen, dass diese Diskussion nicht weiter vorangebracht werden müsste. Die Bundeskanzlerin hat völlig zu recht gesagt, diese Frage wird sich in dieser Legislaturperiode nicht abschließend behandeln lassen. Es macht auch keinen Sinn, Regierungsstrukturen im letzten Jahr einer Regierung zu ändern.
WELT: Das ist ja ein sehr sensibles Thema. Warum haben Sie nicht versucht, mit dem Koalitionspartner vorher ins Benehmen zu kommen?
Schäuble: Dass man in einer Koalition ist, bedeutet ja nicht, dass nicht jeder Partner auch für sich selber denken darf. Die Tatsache, dass die SPD nicht in der Sache diskutieren will, ist für mich eher ein Ausdruck von Schwäche. Warum hat denn die SPD genau diesen Punkt schon 1998 in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben und ist dann an Joschka Fischer gescheitert, wenn sie das für so falsch hält? Warum kommt Herr Steinmeier mit dem beeindruckenden Argument, wir bräuchten keine nationale Sicherheitsstrategie, wir hätten eine europäische. Dabei stimmen wir mit der europäischen Sicherheitsstrategie, die auch einen erweiterten Ansatz hat, mehr überein als der SPD lieb ist. Weil die SPD in dieser Frage zutiefst zerstritten ist und den Druck der demagogischen Linkspartei spürt, will sie eine solche Debatte verweigern, so wie sie schon 2003 nicht bereit war, den Awacs-Einsatz in der Türkei durch den Bundestag beschließen zu lassen. Ich habe schon damals gesagt, dass ich dies nicht für verfassungskonform halte und bin jetzt in meiner Auffassung ? und zwar zum wiederholten Mal ? vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden. Ich bin richtig froh über die Debatte, weil ich schon gelegentlich die Sorge habe, dass in unserer Wohlstandgesellschaft das Bewusstsein für prioritäre Aufgaben der Politik verloren geht.
WELT: Wenn die Union so weitgehende Veränderungen vorschlägt, dann muss sie auch Beispiele parat haben, was in den letzten Jahren an Abstimmung besser hätte laufen können, wenn man einen solchen Sicherheitsrat gehabt hätte.
Schäuble: Nehmen Sie alle Fragen der Afghanistanpolitik. Da haben wir ad hoc Gesprächskreise eingerichtet. Das funktioniert natürlich, aber es hat einige Zeit gebraucht, Außenministerium, Entwicklungsministerium, Verteidigungsministerium, Innenministerium, Kanzleramt zu koordinieren. Ein Fortschritt wäre, wenn wir das nicht nur ad hoc tun würden und somit immer auch den Ereignissen ein wenig nacheilen müssten. Es geht doch nicht darum, irgendein Ressort zu schwächen, sondern darum, angesichts einer Analyse der der Welt im Jahr 2008 zu überlegen, was gebietet unsere Verantwortung, damit dieses Land so sicher bleibt wie es heute ist.
WELT: Das Papier kommt ein Jahr vor der Bundestagswahl. Deshalb nimmt man es ja auch wahr als Beitrag zum anlaufenden Wahlkampf. Wer sind die Partner, mit denen sie das realisieren wollen?
Schäuble: Die demokratische Kultur würde verkommen, wenn man nur noch unter taktischen Gesichtspunkten – wie man nach der Wahl eine Koalition bilden kann – zentrale Zukunftsfragen unseres Landes diskutiert. Und dann bin ich ganz der Meinung, dass unsere Konzeption so überzeugend ist, dass sich jeder Partner davon überzeugen lässt.
WELT: Dieses Papier atmet auch die Ungeduld der ?strategic community? in Deutschland, die möchte, dass das Land endlich mehr globale Sicherheitsaufgaben übernimmt. Ist Deutschland mental schon so weit?
Schäuble: Das geht schrittweise. Aber es ist schon so, dass diese ?strategic community?, wie Sie sie nennen, die Erarbeitung dieser Konzeption geradezu mit Erleichterung begrüßt hat. Dass wir ein durch unsere Geschichte verwundetes Land sind und dass es nach der Teilung immer noch schrittweise vorangeht, das muss man verstehen. Dafür müssen unsere Partner auch Verständnis haben.
WELT: Sie haben bei den Schwierigkeiten, Ressortzuständigkeiten abzugeben, besonders das Außenministerium genannt. Das nimmt für sich ein Recht in Anspruch, mit dem Ausland in Kontakt zu treten. Ist das nicht mehr zeitgemäß?
Schäuble: Wir hatten ja eine vergleichbare Debatte über die Frage, ob es im Kanzleramt eine Europaabteilung geben darf. Es ist auch nicht so sehr ein Problem des jeweiligen Ministers, sondern mehr eine Frage der Institution. Es verändert sich in der Welt der Globalisierung vieles, auch die Rolle von Botschaftern, weil sich Regierungschefs und Außenminister ständig treffen und auch telefonieren. Die europäische Entwicklung nimmt uns vieles weg. Als Innenminister verbringe ich inzwischen schon ein Drittel meiner Zeit auf europäischer und internationaler Ebene. Und das muss ich auch, ich kann in einem Europa offener Grenzen illegale Migration nicht bekämpfen, wenn ich es nicht europäisch tue, wie vieles andere auch. Deshalb passt der Ausschließlichkeitsanspruch des Außenministeriums für alles außerhalb der Grenzen ? was ja nicht die Auffassung des Außenministers ist ? nicht in unsere Zeit.
WELT: Sie wählen den Begriff des vernetzten Heimatschutzes. Das Wort hat so was Altmodisches. Warum haben Sie sich dafür entschieden.
Schäuble: Weil der Begriff Territorialschutz in der Debatte schon belegt ist. Und weil das Wort Heimat zwar altmodisch sein mag, aber trotzdem etwas Schönes ist. Es schadet ja nichts, wenn wir eine gewisse emotionale Verankerung der Menschen in diesem Land, auch in seiner Vielfalt und in seinen kommunalen Strukturen bewahren.
Von Thomas Schmid und Clemens Wergin