Bundesminister Dr. Schäuble im Interview mit dem Hamburger Abendblatt
Hamburger Abendblatt: Herr Minister, Sie blicken auf viele Jahre in der Politik zurück. Hätten Sie eine Wirtschaftskrise dieser Dimension für möglich gehalten?
Dr. Wolfgang Schäuble: Ich gebe zu, in dem Ausmaß hätte ich mir das nicht vorstellen können. Man glaubt ja immer, dass sich Geschichte nicht wiederholt.
Abendblatt: Wird es so schlimm wie in den 30er-Jahren?
Dr. Schäuble: Wie schlimm es kommt, weiß keiner genau. Die Welt geht aber nicht unter. Es wird eine schwierige Zeit. Die Bundeskanzlerin hat völlig recht, wenn sie sagt, dass die politisch Verantwortlichen den Menschen jetzt reinen Wein einschenken sollten. Dann sind sie darauf vorbereitet.
Abendblatt: Angela Merkel lädt für kommenden Sonntag zum Krisengipfel ins Kanzleramt. Was muss dabei herauskommen?
Dr. Schäuble: Der Politik bleibt national wie international nichts anderes übrig, als auf Sicht zu fahren. Deswegen ist es auch richtig zu sagen: Wenn die Situation es erfordert, handeln wir sehr schnell. Aber wir dürfen jetzt nicht in Hektik verfallen und jeden Tag neue Vorschläge unterbreiten. Wir müssen Schritt für Schritt gehen und dürfen Geld nicht einfach hinauspulvern.
Abendblatt: Sie wollen sagen: Deutschland braucht kein neues Konjunkturpaket.
Dr. Schäuble: Ich sage: Wir dürfen uns nicht verrückt machen lassen. Ich bezweifle, dass noch vor Weihnachten Handlungsbedarf besteht. Der private Konsum ist in Deutschland noch stabil. Wir sollten warten bis Januar. Wenn weitere Schritte nötig sind – und es spricht viel dafür, dass es so kommt -, sollten wir die Nachfrage beleben. Das funktioniert in Deutschland nicht mit Konsumgutscheinen, auch nicht mit Steuersenkungen. Der richtige Weg sind öffentliche Aufträge, etwa zur Sanierung von Schulen.
Abendblatt: Welche Koalition könnte besser auf die Wirtschaftskrise reagieren als die Große Koalition?
Dr. Schäuble: Die Wahlentscheidung 2005 hat eine Große Koalition erzwungen. Allerdings erschweren die inneren Probleme der Sozialdemokraten das Regierungsgeschäft in schwieriger Zeit. Wir erleben fast jeden Tag, dass die Führung der Sozialdemokraten irgendwelche Zusagen macht, die sie in ihren eigenen Reihen nicht durchsetzen kann. Im Übrigen haben wir die große Herausforderung zum Beispiel der deutschen Wiedervereinigung in einer anderen Koalition glänzend gemeistert.
Abendblatt: Also Schluss mit Schwarz-Rot 2009?
Dr.Schäuble: Union und SPD sind Wettbewerber. Die Große Koalition ist eine Ausnahme. Wir wollen nach der Bundestagswahl ein Bündnis mit der FDP. Nach allen Umfragen stehen die Chancen dafür gut.
Abendblatt: Herr Schäuble, die Große Koalition hat das BKA-Gesetz mit der umstrittenen Online-Durchsuchung leicht abgeschwächt. Sind Sie sicher, dass es im zweiten Anlauf alle Hürden nimmt?
Dr. Schäuble: Wir haben den Vermittlungsausschuss angerufen. Ich hoffe, dass die SPD sich dieses Mal an das hält, was wir in der Koalition besprochen haben. Ich glaube aber erst daran, wenn es so weit ist.
Abendblatt: Mehrere Kritiker haben schon Verfassungsbeschwerde angekündigt. Wird das Gesetz Bestand haben?
Dr. Schäuble: Jeder hat das Recht, das Verfassungsgericht anzurufen. Ich sehe dem völlig entspannt entgegen. Wir haben sorgfältig gearbeitet, und ich habe gar keinen Zweifel daran, dass das BKA-Gesetz der Verfassung zu hundert Prozent entspricht.
Abendblatt: Wäre Deutschland ohne Online-Durchsuchung kein sicheres Land?
Dr. Schäuble: Doch. Das bestätigen alle Experten der inneren Sicherheit. Aber die Polizeien müssen die Möglichkeit haben, zu erfahren, ob ein Terroranschlag geplant ist. Dazu müssen sie in die Kommunikation von Terrorplanern eindringen, und die läuft heute vorwiegend über das Internet. Wir müssen die Sicherheitsbehörden in die Lage versetzen, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Die neuen Medien verändern unsere Gesellschaft unglaublich.
Abendblatt: Woran denken Sie?
Dr. Schäuble: Die Menschen werden zum Teil in der Anonymität dieser virtuellen Welt völlig hemmungslos. Man muss nur an diese entsetzlichen Abscheulichkeiten der Kinderpornografie denken. Die Menschen können sich das Internet als Tatort zu Nutze machen. Die Sicherheit in der Informationsgesellschaft ist allgemein eine große Herausforderung.
Abendblatt: Verfassungsschutzpräsident Fromm sagt, es könne jederzeit einen Anschlag in Deutschland geben. Wie groß ist die Terrorgefahr tatsächlich – auf einer Skala von null bis zehn?
Dr. Schäuble: Ich lege mich auf keine Skala fest. Wir sind bedroht vom internationalen Terrorismus. Das Netzwerk al-Qaida droht im Internet wieder und wieder mit Anschlägen gegen Europa und auch gegen Deutschland. Das müssen wir ernst nehmen. Unsere Sicherheitsbehörden leisten gute Arbeit, aber wahr ist auch, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt.
Abendblatt: Ihre Forderung, die Bundeswehr im Innern einzusetzen, ist an der SPD gescheitert. Ein Sicherheitsrisiko?
Dr. Schäuble: Die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ist in der modernen Welt obsolet geworden. Das bestreitet niemand, der sich ernsthaft mit Sicherheitsfragen befasst. Angriffe von der See kann nur die Marine, Angriffe aus der Luft nur die Luftwaffe abwehren – und eben nicht die Polizei. Nun hat der Verteidigungsminister gesagt, er würde im Zweifel seiner Verantwortung gerecht werden und auf solche Angriffe reagieren. Aber ich hätte unseren Soldaten gerne erspart, in einer rechtlichen Grauzone zu operieren.
Abendblatt: BND-Präsident Uhrlau ist wegen mehrerer umstrittener Aktionen seines Nachrichtendienstes unter Druck geraten. Hat er noch das Vertrauen der Bundesregierung?
Dr. Schäuble: Die Bundeskanzlerin hat Herrn Uhrlau das Vertrauen ausgesprochen. Als Innenminister habe ich ein starkes Interesse daran, dass wir einen leistungsfähigen Bundesnachrichtendienst haben. Andernfalls wäre ein Einsatz deutscher Polizisten und Soldaten in Afghanistan nicht zu rechtfertigen. Unsere Nachrichtendienste verhindern Terroranschläge und leisten einen unentbehrlichen Dienst für unseren freiheitlichen Rechtsstaat.
Abendblatt: Der BND hat über Jahre hinweg das Büro der Deutschen Welthungerhilfe in Afghanistan abgehört. Ist es Aufgabe des Auslandsgeheimdienstes, Entwicklungshelfer zu bespitzeln?
Dr. Schäuble: Ich vermute nicht, dass der Bundesnachrichtendienst Entwicklungshelfer bespitzeln wollte. Es ist die verdammte Pflicht des BND, in Afghanistan Informationen zu beschaffen, um diejenigen zu schützen, die in unserem Auftrag zum Aufbau des Landes beitragen. Wir haben schon viel zu viele Todesopfer unter Soldaten, Polizisten und Entwicklungshelfern zu beklagen.
Abendblatt: Also zurück zur Tagesordnung?
Dr. Schäuble: Der Bundesnachrichtendienst hat seine Aufgabe selbstverständlich im Rahmen von Recht und Gesetz zu erfüllen. Ob alles den geltenden Bestimmungen entsprochen hat, müssen die Verantwortlichen prüfen.
Abendblatt: Ihr Wunsch-Partner FDP fordert, die Geheimdienste wirkungsvoller zu kontrollieren. Wären Sie ebenfalls bereit, dem parlamentarischen Kontrollausschuss mehr Befugnisse zu geben?
Dr. Schäuble: Dafür gibt es durchaus Argumente. Eines muss allerdings klar sein: Informationen, die Nachrichtendienste etwa von ausländischen Partnern erlangen, müssen unter allen Umständen geheim bleiben. Sonst fließen keine Informationen mehr, und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland leidet. Da müssen sich parlamentarische Kontrollgremien die Frage stellen, ob sie in der Lage sind, diese Geheimhaltung sicherzustellen. Die bisherigen Erfahrungen sind da nicht beruhigend.
Abendblatt: Ihre Argumentation erinnert uns an das Zeugnisverweigerungsrecht. Medien funktionieren auch nur, wenn klar ist, dass gewisse Informationen nicht preisgegeben werden müssen …
Dr. Schäuble: Bei allem Respekt: Sie überhöhen sich. Journalisten genießen einen besonderen Schutz, den ich sehr ernst nehme. Im Rahmen der Gefahrenabwehr muss es Sicherheitsbehörden aber möglich sein, auch dann an Informationen zu gelangen, wenn Journalisten beteiligt sind.
Abendblatt: Sie sprechen von Online-Durchsuchungen.
Dr. Schäuble: Wenn es darum geht, eine schwere Straftat zu verhindern, muss es unter den sehr strengen gesetzlichen Voraussetzungen auch möglich sein, in geschützte Bereiche von Journalisten einzudringen.
Abendblatt: Der Schutz des Informanten eines Journalisten soll nicht hundertprozentig sein, der Schutz des Informanten eines BND-Mitarbeiters aber schon?
Dr. Schäuble: Der Quellenschutz zwischen Nachrichtendiensten muss eingehalten werden, wenn er vereinbart worden ist. Ich kann nicht erkennen, wie Sie auf die Idee kommen, sich auf diese Weise zu vergleichen.
Abendblatt: Herr Schäuble, der deutsche Vertreter in der EU-Kommission, Günter Verheugen, geht in Ruhestand – und die Kanzlerin sucht den Super-Kommissar. Wären Sie bereit, für die Union nach Brüssel zu gehen?
Dr. Schäuble: Was erlauben Strunz? Ich erfülle meine Aufgabe als Innenminister mit großer Freude.
Das Interview führten Jochen Gaugele und Claus Strunz