„Die Krise ist eine Chance für die EU“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der „Welt am Sonntag“

Welt am Sonntag: Herr Schäuble, Guido Westerwelle hat jüngst beklagt, dass für alle Geld da sei, sogar für die Rettung Griechenlands, nur für Steuersenkungen nicht. Wie erklären Sie ihm das?

Wolfgang Schäuble: Das sind Formulierungen, die man im Einzelnen nicht kommentieren muss, jedenfalls nicht als Koalitionspartner. Wir sind uns in der Regierung einig, dass wir die Stabilität des Euros dadurch sichern, dass wir Griechenland helfen – in unserem eigenen Interesse. Da gibt es nicht die geringste Differenz.

Noch vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai?

Schäuble: Die Lage in Griechenland hat mit der Wahl nichts zu tun. Ich habe mir die zeitlichen Zusammenhänge nicht ausgesucht. Vorausgesetzt, dass Griechenland unsere Anforderungen erfüllt, werden wir das Gesetz so schnell verabschieden, dass die Bundeskanzlerin beim Treffen des Europäischen Rats am 10. Mai auf der Basis dieses Gesetzes ihre Zustimmung geben kann.

Wenn Kanzlerin Angela Merkel früher gesagt hätte, Deutschland werde alles tun, um den Euro zu stützen, hätte uns das weniger gekostet.

Schäuble: Warum?

Weil die Finanzmärkte nie so weit gegen Griechenland spekuliert hätten. Die Griechen könnten vermutlich heute noch Anleihen am Markt platzieren.

Schäuble: Ich kenne diese Argumentation. Niemand weiß, was gewesen wäre, wenn man es anders gemacht hätte. Fest steht, dass Griechenland dazu gebracht werden musste, sein Defizit stärker zu reduzieren als geplant.

Griechenland ist pleite, Portugal, und Spanien sind angezählt. Erleben wir in Europa eine Zeitenwende?

Schäuble: Zunächst einmal ist Griechenland nicht pleite. Das Land bedient seine Schulden. Mit dem Hilfsprogramm für Griechenland verteidigen wir gerade die Stabilität der gesamten Euro-Zone. Deshalb müssen wir schnell, aber wohlüberlegt handeln. Dass wir in Zukunft noch stärker unser Augenmerk auf nachhaltige, solide finanzierte öffentliche Haushalte legen müssen, wird jetzt vielen bewusst.

Ist das eine historische Krise?

Schäuble: Gar keine Frage, das ist es. Die Regeln des Maastricht-Vertrages reichen augenscheinlich nicht aus, um eine solche Situation zu vermeiden. Wir müssen diese schwierige Lage jetzt nutzen, um daraus Lehren zu ziehen. Mir macht Sorge, dass viele Deutsche nicht sehen, wie sehr die europäische Einigung im deutschen Interesse ist.

Wie sehr wird diese Krise Europa verändern?

Schäuble: Es besteht mit der Krise die Chance, dass die notwendigen Korrekturen schneller kommen, als es manche für möglich halten.

Es gibt zwei Positionen: Die einen spekulieren auf ein Auseiaanderbrechen der Währungsunion. Die anderen erwarten den Übergang zu einem Bundesstaat samt Transferunion. Was ist Ihre Vision?

Schäuble: Die europäische Einigung ist ein ganz neuer Prozess in der Geschichte. Mit den herkömmlichen Kategorien wird man ihm nicht gerecht. Die Nationalstaaten haben nicht mehr das Monopol in der globalisierten Welt. Europa ist ein neues, faszinierendes Modell für das 21. Jahrhundert. Das sollten wir uns nicht kleinreden lassen. Eine Union, eine Gemeinschaft funktioniert jedoch nur, wenn es eine Bereitschaft der Stärkeren gibt, den Schwächeren zu helfen. Das war im vereinten Deutschland nach 40 Jahren Teilung nicht anders als im erweiterten Europa.

Sind die Herabstufungen der Bonitätsnoten europäischer Staaten durch US-Ratingagenturen ein amerikanischer Versuch zu zeigen, wo der Hammer hängt?

Schäuble: Nein. Ich bin zwar kein großer Anhänger von Oligopolen, wie wir sie bei den Ratingagenturen sehen. Die Agenturen haben sich in der Finanzkrise auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Im Übrigen haben es sich die Marktteilnehmer zu leicht gemacht, weil sie zu einseitig auf die Einschätzung der Ratingagenturen vertraut haben. Sie haben sich damit die Arbeit erspart, die Bonität ihrer Kreditnehmer zu prüfen.

Wollten die Europäer nicht immer eine eigene Ratingagentur als Gegengewicht auftauen?

Schäuble: Nach meiner Überzeugung ist staatliche Bürokratie dazu nicht in der Lage. Deshalb setzen wir auf eine bessere und effektivere Regulierung der Ratingagenturen. Hier haben wir in der Europäischen Union bereits konkrete Maßnahmen vereinbart. Und wir werben dafür, dem Urteil der Bonitätsprüfer nicht zu viel Bedeutung beizumessen.

Deutsches Recht zwingt Lebensversicherungen aber dazu, ihre Kapitalanlagen an den Noten der Agenturen auszurichten.

Schäuble: Deswegen werden wir darüber im europäischen Bereich noch einmal nachdenken müssen.

Sie haben eine Umschuldung Griechenlands ausgeschlossen, die dazu führen würde, dass die Banken einen Teil ihrer Investments abschreiben müssten. Gilt das weiterhin?

Schäuble: Das ist unser Ziel. Wir wollen die Zahlungsfähigkeit Griechenlands sichern und die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands durch ein hartes Reformprogramm wiederherstellen.

Was spricht gegen eine Umschuldung?

Schäuble: Umschuldung heißt, dass Griechenland seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedient. Dann sind wir in einer völlig anderen, in einer unkontrollierbaren Situation. So eine Situation wäre viel schlimmer und viel teurer als das geplante Hilfsprogramm über einen Kredit.

Wenn wir die Banken nicht mit in diese Hilfsprogramme einbeziehen, stocken wir dann wenigstens die Bankenabgabe als Folge auf?

Schäuble: Ich kann mir vorstellen, dass sich die Banken nach der Rettung Griechenlands mit freiwilligen Vorschlägen an den Kosten des Hilfspakets beteiligen. Wenn die Banken einen Rat brauchen, können sie sich bei mir melden. Ich berate sie da gern kostenfrei.

Am 16. April haben Sie gesagt, Griechenland sei auf einem guten Weg. Eine Woche später beantragte das Land europäische Hilfe. Würden Sie jetzt sagen, dass Portugal und Spanien auf einem guten Weg sind?

Schäuble: Griechenland war bereits auf einem guten Weg, viel strengere Sparmaßnahmen in Kraft zu setzen. Außerdem hatte die griechische Regierung damals gesagt, sie braucht keine Finanzhilfe. Da kann der deutsche Finanzminister doch nicht das Gegenteil behaupten. Das hätte unabsehbare Folgen für die Finanzmärkte.

Kann man es den Deutschen verdenken, dass sie sich mit der Griechenland-Hilfe schwertun?

Schäuble: Nein. Die Entscheidung, so notwendig sie ist, ist für alle nicht leicht. Deswegen müssen wir die Lehren aus dieser Krise ziehen. Das Land wird strenger überwacht, als es das jemals gegeben hat. Griechenlands größtes Defizit ist sein Defizit an Glaubwürdigkeit. Das Land ist Mitglied in der Währungsunion aufgrund gefälschter statistischer Daten geworden. Trotzdem sollten wir Deutsche über andere Völker in Europa mit Respekt reden. Wir verdanken den besten Teil unserer Geschichte der europäischen Einigung. Welchen Grund haben wir, über andere mit Arroganz und Häme herzufallen? Als wir am Boden lagen, haben die anderen uns aufgenommen. Zum ersten Mal in der Geschichte sind alle unsere Nachbarn mit uns befreundet.

Finden Sie es nicht eigenartig dass der als nüchtern bekannte Wolfgang Schäuble von Europa geradezu schwärmt, die Kanzlerin aber nur dürre Worte dafür findet?

Schäuble: Wir sind sicher unterschiedliche Persönlichkeiten. Ich bin der kühlere Mensch, mit alemannischem Humor, manchmal verschmitzt. Angela Merkel hat da einen anderen Humor. Aber auch sie ist eine überzeugte Europäerin. Da müssen Sie sich nicht sorgen.

Herr Schäuble, viele erinnert diese Krise jetzt an das Jahr 2008. Viele Menschen hatten damals Angst um ihr Geld. Müssen sich die Menschen jetzt wieder fürchten?

Schäuble: Ich verstehe, wenn die Bürger sich Sorgen machen, aber wir sollten verantwortungsvoll sein und keine Horrorszenarien entwerfen. Schließlich hat die Finanzkrise gezeigt, dass die internationale Staatengemeinschaft aus den Erfahrungen während der großen Depression die richtigen Schlüsse gezogen hat. Die Wirtschaftsleistung Deutschlands ist 2009 um fünf Prozent eingebrochen. Trotzdem ist das Land in einer stabilen Lage, trotz aller Herausforderungen. Und wir müssen den Zusammenhalt stärken. Deshalb ist mir ja auch die Sanierung der Gemeindefinanzen so wichtig. Denn die Kommunen geben den Leuten Zusammenhalt in einer globalisierten Welt.

Die FDP wirft Ihnen vor, Sie würden die Kommunalfinanzen wichtig finden, weil Sie Steuersenkungen verhindern wollen. Generalsekretär Christian Lindner bezeichnet Sie als Finanzphilosophen. Haben Sie die Steuerreform schon verschoben?

Schäuble: Ich bleibe dabei: Die Frage nach einer Steuerreform beantworten wir im Juni. Und ich bekenne mich zum Koalitionsvertrag. Da stehen acht Milliarden Euro Steuerentlastung zulasten des Bundes drin. Wie man dieses Geld verwendet, muss die Koalition entscheiden. Wer die Forschung und Entwicklung steuerlich fördern will, weiß, dass damit der Spielraum für Steuersenkungen kleiner wird.

Sie waren eine lange Zeit krank. Wie geht es Ihnen jetzt?

Schäuble: Gut. Meinem Sitzfleisch geht es zunehmend besser. Ich musste längere Zeit liegen, um eine verzögerte Wundheilung auszukurieren. Und wenn Sie lange Wochen liegen, haben Sie danach auch Probleme mit dem Kreislauf. Aber die Frage, wie es dem Finanzminister geht, ist legitim. Diejenigen, die sich um Verantwortung bemühen, müssen sich fragen lassen, ob sie das können – auch physisch. Und ich kann Ihnen versichern: Ich fühle mich dieser Aufgabe immer noch gewachsen, und sie macht mir Freude.

Das Gespräch führten Jan Dams, Olaf Gersemann und Claus Christian Malzahn

(c) Axel-Springer AG, Berlin