Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung
SZ: Welche Bedeutung hatte Franz Josef Strauß für die Union. War er der ewige Stachel im Fleisch der CDU?
Schäuble: Natürlich war Strauß eine Herausforderung für die CDU. Dieses Kraftvolle hat den Leuten gefallen, auch denen jenseits der bayerischen Grenzen. Nicht umsonst gab es diese Pilgerzüge der CDU aus dem Norden nach Vilshofen, nach Passau. Ich schätze, dass 30 bis 40 Prozent der CDU-Mitglieder damals Strauß attraktiver fanden als den eigenen CDU-Chef.
SZ: Was hat die CSU, das die CDU nicht hat?
Schäuble: Dieses „Mir san mir“ ist nicht übertragbar. Die CSU ist nicht kopierbar. Sie schafft die Quadratur des Kreises und vereint die Vorteile der Opposition mit den Vorteilen der Regierung in einer Partei. Sie regiert in München und opponiert in Berlin, selbst dann, wenn sie in der Regierung sitzt. 60 Prozent-Ergebnisse wie sie Edmund Stoiber erzielt hat, sind nur in einer solch spezifischen Konstellation möglich.
SZ: Lebt die CSU durch den Streit mit der CDU auf?
Schäuble: Solche Streitereien sind mit Vorsicht zu genießen. Der Streit geht nie entlang des Bindestriches von CDU und CSU. Er geht immer auch mitten durch die CDU. Die CSU ist ein sehr enger Verwandter der Unions-Familie. Streit tut nur bis zu einem bestimmten Punkt gut.
SZ: Im Jahr 1976 hat Strauß in Kreuth die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufgekündigt und den frontalen Angriff gegen die Schwesterpartei gefahren.
Schäuble: Kreuth wäre lebensbedrohlich für die Union gewesen. Das hatte eine Dimension wie heute bei Lafontaine und der SPD. Ich glaube zwar, dass das eher passiert ist als dass es geplant war. Aber eine Spaltung wäre tödlich für uns gewesen. Die Reaktion von Helmut Kohl darauf gehört zu den stärkeren Dingen in seinem politischen Leben. Er drohte: Entweder nehmt ihr den Beschluss zurück oder wir gehen nach Bayern. Diese Partie hat er gewonnen.
SZ: Kohl hat oft gegen Strauß gewonnen. Er wurde Kanzler, Strauß nicht.
Schäuble: Strauß hat Kohl unterschätzt. Der Machtwille von Kohl war viel größer als der Machtwille von Strauß. Der war immer ein Cunctator, ein Zauderer.
SZ: Ist es in sich logisch, dass ein CSU-Mann nie Kanzler werden kann? Weil die CSU davon lebt, immer gegen den Bund zu opponieren.
Schäuble: Theo Waigel wusste das. Strauß wusste das und wollte es trotzdem werden. Und auch Stoiber wollte sich über dieses politische Gesetz hinwegsetzen.
SZ: Weil Stoiber nach Berlin wollte und sich dann doch nicht traute, musste er letztlich gehen. Nun zittern seine Nachfolger Erwin Huber und Günther Beckstein vor dem Verlust der Mehrheit.
Schäuble: Die beiden tragen eine unglaubliche Last an diesem Erbe. Die, die Stoiber loshaben wollten, haben jetzt vergessen, warum sie ihn loshaben wollten. Nun meinen sie, unter ihm wäre alles besser gewesen.
SZ: Was raten Sie den beiden?
Schäuble: Die beiden sollten einigermaßen gelassen bleiben. Ich weiß, das ist schwer. Aber auch Stoiber hatte nach Strauß ein schweres Erbe und ist ein Großer geworden. Er hat die CSU nach Strauß in die Zukunft gerettet. Auch, weil er sich mit großer Konsequenz von FJS distanziert hat.
SZ: Huber und Beckstein haben sich nie wirklich von Stoiber abgenabelt. Ist die CSU seit den Zeiten von Franz Josef Strauß unbedeutender geworden?
Schäuble: Natürlich hat die CSU noch Einfluss, aber Deutschland ist größer geworden, es ist anders. Früher gab es Mannschaften, heute focussiert sich alles auf einen Spitzenkandidaten.
SZ: Hätte FJS heute noch Chancen?
Schäuble:Die Sehnsucht nach echten Typen kommt wieder. Das sieht man an der Sehnsucht der SPD nach Franz Müntefering. Und Strauß hatte ungewöhnliche Fähigkeiten, eine hohe Intelligenz.
SZ: Allein einer seiner Skandale würde ihn heute zum Rücktritt zwingen.
Schäuble: Aber auch er würde heute anders agieren. Natürlich ist es fraglich, ob er in diese medial glatte Welt hineinpassen würde. Aber er hatte Charme und er konnte die Leute faszinieren. Und er war Neuem aufgeschlossen. Er hatte ein Gefühl für Technik. Als ich einmal zu ihm nach München kam, fragte er mich, mit welchem Flugzeug ich geflogen sei. Ich sagte: „mit der Bundeswehr“. Ja, aber mit welcher Maschine. Ich sagte: „mit einem Düsenflugzeug“. Da hat er sich sicher gedacht: Wieder so ein hoffnungsloser Idiot. Als ich in der Staatskanzlei ankam, standen da eine Menge Fotografen. Ich frage ihn, ob er denn einen Staatsbesuch erwarte. Er sagte: „Klar, Sie!“ Ich stand da mit meiner Aktentasche und wunderte mich.
Interview: Annette Ramelsberger
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