Rede bei der Philip Breuel Stiftung am 20. März 2015 in der Nienstedtener Kirche in Hamburg
„Diese schöne Nienstedtener Kirche ist ein guter Ort, um über den Westen und seine Werte zu sprechen. Ohne Christentum und Reformation geht das nicht. Der Westen ist mehr als Geographie. Er ist ein „normatives Projekt“ – wie Heinrich August Winkler sagt, der gerade den letzten Band seiner groß angelegten Geschichte des Westens vorgelegt hat. Der Westen ist ein Bündel von politischen Ideen, für mich deswegen in erster Linie ein Ordnungsprinzip. Der Westen – das sind: Menschenrechte, Herrschaft des Rechts, Gewaltenteilung und repräsentative Demokratie, soziale Stabilität und ökologische Nachhaltigkeit.
Vor allem seit der Amerikanischen Revolution von 1776 und der Französischen Revolution von 1789 ist die Geschichte des Westens eine Geschichte der zunehmenden Verwirklichung dieser Werte, eine Reihe von Kämpfen um die Aneignung oder Verwerfung jener Ideen des Westens, und oft genug eine Geschichte der Verstöße gegen die eigenen Ideale. Denn das dürfen wir nicht: die Werte des Westens umstandslos mit der Praxis des Westens gleichsetzen. Es gab und gibt immer wieder eine Kluft zwischen beidem. Und dennoch oder gerade deswegen halten wir als Imperativ, als Projekt, als Korrektiv an diesen Werten fest.
Die Werte des Westens haben sich entwickelt auch aus dem christlichen Menschenbild und aus der Reformation, über Jahrhunderte aus tief eingewurzelten Glaubensüberzeugungen. Reformatorische Gewissensfreiheit ist eine der Kraftquellen der Entwicklung zu Freiheit der Person und Rechtsgleichheit, zur eigenwilligen und eigenverantwortlichen Selbstentfaltung eines jeden Menschen. Aus dem christlichen Bild vom Menschen stammen die politischen Werte des Westens: Dem von Gott geschaffenen Menschen kommt die unantastbare Würde ohne Unterschied zu; unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft, Religion.
Daraus folgt die weltanschauliche Neutralität unseres Grundgesetzes, die nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln ist. Werteorientierung und Freiheit bedingen sich, weil Freiheit ohne Grenzen und Voraussetzungen selbstzerstörerisch wird. So ist der Mensch. Der freiheitliche Verfassungsstaat lebt – so der frühere Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde – von Voraussetzungen, die er selbst nicht zu schaffen vermag. Werteorientierung und Toleranz – daran orientiert sich auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Auf diese Menschenwürde aus dem christlichen Menschenbild beziehen sich die für alle geltenden Menschenrechte. „Vor Gott sind alle Menschen gleich“, oder in Luthers Übersetzung: „Es ist kein Ansehen der Person vor Gott“ – dieser Gedanke im Brief des Paulus an die Römer hatte weitreichende Konsequenzen über die politische Ideengeschichte hinaus bis in die Wirklichkeit unseres Rechtsstaates und der politischen Teilhabe in der Demokratie.
Nun sieht sich der Westen heute mit seinem „normativen Projekt“, seinem Ordnungsprinzip, vielfach in Frage gestellt – nicht erst seit den jüngsten vielfältig krisenhaften und unübersichtlichen Entwicklungen.
Wir haben seit Ende des Kalten Krieges leider keinen weltweiten Siegeszug der Demokratie erlebt. Nicht-demokratische Herrschaft hält sich zäh, oft in neuem Gewand; in China gar mit wirtschaftlichem Erfolg. Russland stellt sich unter seiner gegenwärtigen Regierung immer offener in die Reihe der Kräfte dieser Welt, die die Werte und damit die Lebensweise und das Gesellschaftsmodell des Westens in Frage stellen. Der Islamismus wird immer bedrohlicher. Seine schockierende Gewalt trägt er auch nach Europa, nach Paris, nach Kopenhagen. Viele alte Konflikte, wie der im Nahen und Mittleren Osten zwischen Israelis und Palästinensern, scheinen nicht enden zu wollen. Dazu neue Religionskonflikte und -kriege innerhalb der islamischen Welt. Von vielen Regionen Asiens und Afrikas gehen Gefahren aus für Frieden und Stabilität. Wenn man das kaum noch zu entwirrende Durcheinander von religiösen und fundamentalistischen Konflikten, von marodierenden Mörderbanden, politischen und wirtschaftlichen Interessen aus allen Himmelsrichtungen, sieht, fühlt man sich an das Entsetzen des Dreißigjährigen Krieges erinnert.
Und die schroffe Ungleichzeitigkeit unseres Erlebens verschärft das noch: hier globalisierte Eliten und Lebenswelten, dort Kämpfer für neue Kalifate. Die Pluralisierung unserer Gesellschaften, vorangetrieben von Globalisierung und Migration, verlangt vielen vieles ab. Hinzu kommen die Auswirkungen des Klimawandels und beunruhigende Krankheitsepidemien. Und dann noch die neuen Kommunikationstechnologien, deren Auswirkungen auf unser Leben und unsere überlieferten Ordnungen wir erst zu ahnen beginnen. Und all das passiert gleichzeitig. Da überrascht es kaum, dass bei manchen innere Mutlosigkeit und Verzagtheit zunehmen, Pessimismus und Defätismus.
Manche sagen, unsere Ordnung von Demokratie und Rechtsstaat, von Entscheidungsfindung durch Verhandeln, von bindendem Interessensausgleich, von Konsens und Kompromiss, von Maß und Mitte, sei angesichts der dynamischen Entwicklungen auf anderen Kontinenten und in anderen politischen Systemen zu schwerfällig, nicht dauerhaft wettbewerbsfähig. So groß sei die Attraktivität des Westens gar nicht. Auch wächst der Zweifel, ob bei uns selbst unsere Werte fest genug gegründet sind. Ob wir überhaupt noch wissen, was wir der aggressiven Infragestellung unserer Lebensweise und unseres Gesellschaftsmodells, unseres alltäglichen Lebens in einer freien und selbstbestimmten Gesellschaft, entgegensetzen sollen und können.
Und so heißen die skeptischen Bücher in diesen Jahren: „Niedergang des Westens“ (Niall Ferguson, 2013), „Untergang des Westens“, (Dambisa Moyo, 2010), oder „Wie der Westen seine Zukunft verspielt“ (Michael Lüders, 2012).
Ich denke trotz alledem, dass wir Grund zur Zuversicht haben. Aus mehreren Gründen. Zunächst: Unübersichtlich, krisenhaft, verstörend – so ist die Menschheitsgeschichte eben, und so war sie immer. Die angeblich übersichtlichen Jahrzehnte des Kalten Krieges waren, wenn sie es überhaupt waren, eine historische Ausnahme. Und nach den Zeiten von deutscher und europäischer Teilung und von direkter atomarer Bedrohung wollen wir uns auch nicht wirklich zurücksehnen.
Vielleicht könnte man die damalige Prophezeiung des amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama vom „Ende der Geschichte“, das mit 1989 erreicht gewesen sei, eher umdrehen: Die Auflösung der Blöcke von Ost und West, ihrer starren Konfrontation, bedeutete die Rückkehr der Geschichte – mit all ihren Folgen, die wir heute als etwas angeblich Neues zu erleben glauben, nicht zuletzt vermittelt durch die nach immer neuen Neuigkeiten dürstende und sich dabei immer schneller um sich selbst drehende Medienwelt.
Mein zweiter Punkt für Zuversicht: Der Westen nimmt seine Herausforderungen an. Er sammelt immer wieder seine Kraft, den entfesselten Mächten zu begegnen, die unsere Freiheit, unsere Vorstellungen von Selbstbestimmung und Menschenrecht bedrohen – auch heute: Die Unübersichtlichkeit der globalisierten Finanzmärkte ordnen wir und machen dabei gute Fortschritte. Machtballungen in der Welt der Digitalisierung beginnen wir, zurzeit auf europäischer Ebene, aufzubrechen und politisch einzuhegen: Dem menschlichen Handeln eine Rahmenordnung zu geben – das geht auch heute.
Auf die Herausforderung durch die gegenwärtige russische Regierung reagiert Europa, reagiert der Westen einmütiger und entschlossener, als wir das lange erlebt haben. Was diese Herausforderung betrifft, denke ich überhaupt, dass wir aus der Geschichte einen eher beruhigenden Schluss ziehen können: Wie stark schien uns früher die Sowjetunion; und auf wie tönernen Füßen stand sie in Wahrheit; wie schnell brach sie am Ende zusammen.
Ich glaube, so ähnlich verhält es sich auch heute: Viele nehmen Russland unter der gegenwärtigen russischen Regierung als stark und in seiner Rücksichtslosigkeit und strategischen Vorgehensweise als überlegen wahr. Aber auf wie tönernen Füßen steht das doch auch heute: Gesellschaft und Wirtschaft Russlands haben bisher nicht wirklich Anschluss gefunden an die Globalisierung. Das Land leidet unter dem Bedeutungsverlust des Industriesektors und der zunehmenden Dominanz des Rohstoffsektors. Selbst zu Zeiten der Sowjetunion war die Wirtschaft vielfältiger. Das kann man im Kreml allenfalls kurzfristig durch die populistisch-demagogische Mobilisierung nationalistischer Strömungen überspielen.
Die westlichen Ideen und Werte – Herrschaft des Rechts, Gewaltfreiheit, friedliche Konfliktlösung durch geduldiges Verhandeln und Interessenausgleich, partnerschaftliche Zusammenarbeit – zusammen mit unserer Wirtschaftsstärke, werden sich auch in dieser Auseinandersetzung als überlegen erweisen und durchsetzen. Wir haben vor 25 Jahren schon einmal erlebt, wie eine damals im Westen weit verbreitete Haltung der Resignation und Kapitulation vor der Unfreiheit von der wirklichen Entwicklung beschämt wurde: Die Freiheitssehnsucht der Ostdeutschen hat über die Unfreiheit gesiegt. Und eine gebürtige Hamburgerin begann ihren Aufstieg zur mächtigsten Frau der westlichen Welt, die heute einen großen Anteil daran hat, dass der Westen Respekt genießt in der Welt.
Es gibt keine strukturelle Menschenrechtsunfähigkeit mancher Gesellschaften. Unsere Werte sind überall attraktiv. Wir sehen es in Hongkong. Wir haben es in der Türkei gesehen. Die arabischen Gesellschaften machen sich auf den Weg. Ja, es dauert, und es geht nicht geradlinig – aber das ging es noch nie in der Geschichte. In China haben im Jahr 2008 mehr als 5000 Intellektuelle und Künstler die „Charta 08“ unterzeichnet, ein bedeutendes Menschenrechtsdokument. Es gibt eine gute Chance, dass sich die wachsende chinesische Mittelschicht davon im Denken inspirieren und dann im Handeln leiten lässt.
Und wir selbst, in Europa, in Deutschland? Werden unsere Werte schwächer? Weil traditionelle Bindungen in den heute rasend schnellen Veränderungen schwinden, wie wir es in allen Teilen unserer Gesellschaft erleben? Tanzen wir wieder um das Goldene Kalb – wenn wir an die unglaublichen Übertreibungen und Hemmungslosigkeiten der Finanz- und Bankenkrise denken?
Wir müssen uns das fragen, wieder und wieder. Aber gerade weil wir uns das fragen, brauchen wir nicht zu resignieren: Der Philosoph Karl Popper hat in seinem Buch über die „Offene Gesellschaft“ 1945 gezeigt, dass freiheitliche Ordnungen genauso mit Fehlern behaftet sind wie unfreie, aber dass ihre Überlegenheit darin gründet, dass sie Fehler korrigieren können. Totalitäre Ideologien können das nicht. Deswegen scheitern sie früher oder später.
Nein, wir brauchen uns nicht zu verstecken. Unsere Werte sind attraktiv und lebendig. Der Westen hat Grund zur Zuversicht. Und niemand von uns im Westen hat das Recht, durch einen vorauseilenden Kulturrelativismus Menschen in anderen Kulturen die Fähigkeit abzusprechen oder gar ihnen die Möglichkeit zu nehmen, die Werte der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für sich zu gewinnen. Wir sollten an der universellen Gültigkeit unserer Werte selbstbewusst festhalten. Frei zu sein von Verfolgung und Folter, nicht der politischen Willkür ausgeliefert, sondern dem für alle geltenden Recht unterworfen zu sein – das ist Menschenwunsch und Menschenrecht unabhängig von Kultur oder Religion.
In diesem Sinne und mit diesem Ziel sollte Deutschland – im europäischen Verbund – heute in der Welt mehr Verantwortung übernehmen. Wir leben in einer Zeit, die von uns Deutschen mehr verlangt, als unsere Werte nur gesinnungsstark und ansonsten eher untätig zu propagieren. Der verbreitete Wunsch in unserem Land, sich aus den Dingen da draußen in der Welt möglichst herauszuhalten, hat viel mit zwei Weltkriegen und mit den entsetzlichen Verbrechen der Nazibarbarei zu tun, vielleicht auch etwas mit der jahrzehntelangen Eingewöhnung in das eigentlich künstliche und unwirkliche Leben in den weltpolitischen Nischen zweier teilsouveräner deutscher Staaten.
Deutschland kam in vielerlei Hinsicht oft sozusagen „zu spät“; es sah sich im internationalen Vergleich als einen Nachzügler, der sich besonders ins Zeug zu legen habe, um aufschließen zu können zu anderen, vergleichbar großen Nationen – mit oft katastrophalen Folgen. Heute nehmen wir die Verantwortung des wiedervereinigten Deutschlands in der Welt eher widerwillig wahr. Hier scheinen wir wieder „spät“ dran. Die Debatte, die wir gegenwärtig darüber führen, ist deshalb wichtig. In der globalisierten, eng miteinander vernetzten und verwobenen Welt haben wir mit Ereignissen und Entwicklungen andernorts unweigerlich zu tun – ob uns das gefällt oder nicht. Und diese Ereignisse und Entwicklungen richten sich nicht automatisch nach unserer Tagesordnung in Deutschland und nach unseren Denkmustern und Interpretationen.
Das haben wir letztes Jahr wieder erlebt. Und das erleben wir auch dieses Jahr: Eigentlich hatten wir 2014 in Erinnerung an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren und an den Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren dafür dankbar sein wollen, dass Kriege in Europa heute nicht mehr denkbar sind. Das hat sich als ein Irrtum herausgestellt. Das Gedenkjahr hat sich zu einem Jahr bedrückender Gegenwart entwickelt, in der Ukraine, im Irak und in Syrien. Wer kannte vor einem Jahr Debalzewe? Wer Kobane? Das Ende der Geschichte hat es nicht gegeben.
Wir haben also in dieser erneut krisenhaften und kriegerischen Welt mehr Interessen als wir wahrnehmen. Viele spüren das noch nicht so recht in ihrem Alltag, weil es uns in Deutschland gegenwärtig so erstaunlich gut geht – trotz all der Krisen und Kriege um uns herum. Im Übrigen: Die Menschen in unserem Land sind nicht so unzufrieden. Und weil sie sich alles in allem nicht unzufrieden fühlen, sind sie auch nicht so schnell grundlegend beunruhigt durch Geschehnisse außerhalb unseres Landes – eine Gelassenheit, die als Haltung in Krisen eine Tugend sein kann, jedoch nicht in Gleichgültigkeit umschlagen darf.
Hinzu kommt, dass wir als Gesellschaft älter werden und daher von außen oder durch Veränderung eher nicht gestört werden wollen. Gegen „Stuttgart 21“ hat viel gehobener, bürgerlicher Mittelstand in meinem Alter protestiert. Auch an anderen Orten und zu anderen Themen, Pegida als Stichwort, wird der Protest älter. Lieber keine Veränderung, so denken viele, bitte nichts Anstrengendes, Ungewisses. Doch so ist die Welt nicht, so ist menschliches Leben nicht. Das 21. Jahrhundert wird uns gewiss viel an Veränderungen und Anstrengungen abfordern – ob wir es wollen oder nicht.
Und es geht nicht nur um Reaktion, nicht nur um die Abfederung der Folgen der Veränderungen. Wir haben auch eine Verantwortung, aktiv neue globale Ordnungen mitzugestalten. Spätestens da wird manchem, der in Deutschland gern über Amerika die Nase rümpft, klar, dass wir Europäer die Amerikaner brauchen. Natürlich auch umgekehrt. Wer „Westen“ sagt, muss die transatlantische Wertegemeinschaft betonen – bei allen Irritationen und Verstimmungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis in den letzten Jahren. Amerika ist – historisch gesehen – ein Kind Europas. Immer wenn wir mit den Amerikanern diskutieren und verhandeln, sind das Debatten und Kontroversen über unterschiedliche Auslegungen gemeinsamer Werte.
Aber es reicht noch nicht aus, dass der Westen als Wertegemeinschaft stark bleibt. Das ist nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung für eine gute Zukunft Europas und des Westens insgesamt. Ich bin zwar überzeugt, dass Marktwirtschaft auf Dauer nur in Demokratie, Rechtsstaat und mit sozialen Rechten funktioniert. Aber diese Systemfrage unserer Zeit ist noch nicht für alle abschließend beantwortet. In der globalisierten Welt aufstrebender Volkswirtschaften müssen Europa und der Westen auch ökonomisch eine Erfolgsgemeinschaft bleiben: Ohne wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit wird die Besinnung auf Werte nicht reichen, werden wir andere nicht überzeugen.
Europas Stellung in der Welt ist nicht so – und auch nicht die des Westens insgesamt, schon gar nicht mit Blick auf unsere Geschichte –, dass wir mit erhobenem moralischem Zeigefinger viel gewinnen. Um etwas in dieser Welt des 21. Jahrhunderts zu erreichen, müssen wir institutionell und wirtschaftlich überzeugen. Deswegen ist die europäische Einigung nicht nur ein Friedensprojekt, sondern vor allem auch ein Globalisierungsprojekt. Angesichts zunehmender globaler Interdependenzen können Nationalstaaten allein den notwendigen Rahmen von Regeln und Institutionen nicht schaffen. So ist die europäische Einigung eben auch der Weg zu neuen Formen zwischen- und überstaatlicher Zusammenarbeit. Und angesichts unterschiedlicher Bevölkerungsentwicklungen und neuer wirtschaftlicher und politischer Zentren wird nur ein wirklich vereintes Europa unsere Werte noch wirksam einbringen können.
Nur in guter wirtschaftlicher und geistiger Verfassung, als Kontinent von Innovation, Wissenschaft und Technik, werden wir unseren Beitrag leisten können zur Beantwortung der globalen Nachhaltigkeitsfragen. Und nur besser integriert und in guter institutioneller Verfassung werden wir mit neuen Formen von „Governance“ das nötige Miteinander in dieser Einen Welt inspirieren können. Europa kann mit seiner besonderen Gestalt – seiner Verknüpfung von einzelstaatlicher und übernationaler Souveränität – ein Modell für neue Arten des koordinierten Regierens in der Welt werden.
In all diesen Fragen sind wir durch die Krise im Euroraum – denn in Krisen bewegen wir uns am stärksten – ein gutes Stück vorangekommen: Wir haben in sehr kurzer Zeit den Finanzmärkten neue Regeln gegeben und Risiko und Haftung wieder stärker zusammengebracht. Das Bankensystem ist schon heute stabiler. Und der Steuerzahler ist besser vor Bankenschieflagen geschützt. Wir koordinieren heute die Finanz- und Wirtschaftspolitik in Europa besser. Wir kontrollieren uns gegenseitig stärker. Wir haben Verfahren geschaffen, in denen wir uns gegenseitig immer wieder unsere nationalen Politiken erläutern, sie rechtfertigen müssen. Das ist nicht angenehm, wenn man da nicht bestehen kann.
Das war übrigens das Positive in den mühsamen Verhandlungen mit der griechischen Regierung im Februar: Dass achtzehn Länder gegenüber dem neunzehnten auf den Reformen bestanden haben, die ja in Irland, Portugal, Spanien bereits gegen die Krise gewirkt haben und es auch in Griechenland tun. Nur wenn wir jetzt weiter konsequent reformieren und Haushalte sanieren, kann Europa in der Welt relevant bleiben. Und nur dann wird auch der Westen mit seinen Werten noch eine Zukunft haben.
Wir werden natürlich als Gesellschaften weder ökonomisch noch sonst wie vorankommen, wenn wir es nicht schaffen, unsere Kinder auf einen guten Weg zu bringen. Was die Philip Breuel Stiftung dafür tut, hier in der eigenen Stadt, ganz individuell und konkret, das ist vorbildlich. Und ich hoffe, dass es sich viele zum Vorbild nehmen. Kinder, die solche Anregungen und Erfahrungen dringend brauchen, in „KinderKunstKlubs“ zu fördern, wie Sie es tun, mit Kunst, Theater, Musik, das ist eine großartige Idee. Deshalb mein Dank an die Philip Breuel Stiftung für Ihre Arbeit, die Kindern hilft, neu und anders in ein hoffentlich gelingendes Leben zu finden.“