Interview mit der Welt am Sonntag
Welt am Sonntag (WamS): Herr Minister, Sie sind gerade von Sylt zurückgekommen. Wie geruhsam war der Urlaub?
Schäuble: Schön war’s, aber auch von den Turbulenzen an den Finanzmärkten [Glossar]beeinflusst. Ich habe ständig die Nachrichten verfolgt und viel mehr telefoniert, als ich mir vorgenommen hatte.
WamS: Dann müssten Sie sich zumindest nicht über das schlechte Wetter ärgern.
Schäuble: Leider ist das Mobilfunknetz dort, wo ich auf Sylt wohne, dünn. Ich müsste zum Telefonieren ständig vor das Haus. Bei Wind und Regen ist das nicht so angenehm.
WamS: Wenn Sie jetzt jammern, werden die Notenbanker der Europäischen Zentralbank[Glossar] EZB sauer. Anders als Sie müssten die ihren Urlaub unterbrechen, um den Ankauf europäischer Anleihen zu beschließen. Das Bundeskabinett hat keine Krisensitzung einberufen.
Schäuble: Das hätte die Märkte nur noch weiter beunruhigt. Die Bundeskanzlerin und ich haben bewusst auf spektakuläre Aktionen verzichtet und hinter den Kulissen hart gearbeitet.
WamS: Das Problem ist doch ein anderes: Die EZB muss mit den Anleihekäufen Feuerwehr spielen. Sie ist dazu gezwungen, weil die Politik nicht handlungsfähig ist.
Schäuble: Die Unabhängigkeit der EZB ist ein hohes Gut, das wir respektieren und verteidigen. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet legt großen Wert darauf, dass noch nicht einmal der Eindruck entsteht, dass daran gerüttelt würde. Und das ist auch richtig so.
WamS: Die EZB ist verpflichtet, für Geldwertstabilität zu sorgen. Mit den Anleihekäufen finanziert sie nun aber Staaten mit der Notenpresse. Das hat man in Deutschland aus gutem Grund immer abgelehnt.
Schäuble: Wenn Sie über die Entscheidungen der EZB diskutieren wollen, dann reden Sie doch mit deren Präsidenten. Der deutsche Finanzminister wird sich dazu nicht äußern.
WamS: Dann reden wir doch über die Finanzpolitik [Glossar]. Wir haben den Euro [Glossar]eingeführt, ohne diese zu vergemeinschaften, was sich inzwischen als Problem erweist …
Schäuble: Schon damals war Deutschland für eine politische Union, fand dafür aber keine Mehrheit. Wir haben uns deshalb entschieden, über die Wirtschafts- und Währungsunion[Glossar] hin zur politischen Einheit zu kommen. Wir hatten die Hoffnung – und haben sie auch heute noch -, dass der Euro schrittweise die politische Union herbeiführen wird. Dass es aber noch nicht so weit ist, ist einer der Gründe für das Misstrauen der Märkte.
WamS: Erzwingen die Märkte nun die politische Einigung?
Schäuble: Die meisten Mitgliedstaaten sind noch nicht vollständig bereit, die notwendigen Einschränkungen nationaler Souveränität hinzunehmen. Aber glauben Sie mir, das Problem ist lösbar.
WamS: Wäre der deutsche Finanzminister denn bereit, Souveränität nach Brüssel zu delegieren?
Schäuble: Die Privatperson Wolfgang Schäuble,wäre dazu schon bereit. Ich habe kein Problem mit der Idee eines europäischen Finanzministers. Aber als Bundesfinanzminister sage ich: Es ist hier und jetzt unsere Aufgabe, auf der Basis der existierenden Verträge die Probleme so schnell wie möglich zu lösen. Wir können den weiteren Weg nur so schnell und weit gehen, wie wir die Menschen in den Staaten und deren parlamentarische Vertreter überzeugen.
WamS: Verliert Europa wegen dieser Krise die Zustimmung in der Bevölkerung?
Schäuble: Das glaube ich nicht. Jetzt sind sogar Schritte denkbar, die vorher schwieriger waren. Sicher, große Reformen lassen sich leichter nach alles erschütternden Ereignissen wie Katastrophen oder Kriegen durchsetzen. Im Jahr 2011 sind wir davon erfreulicherweise weit entfernt. Dennoch: Krisen bringen die Chance mit sich, Dinge wieder schärfer ins Bewusstsein zu bringen, scheinbar Selbstverständliches zu hinterfragen und deshalb auch Entscheidungen zu beschleunigen.
WamS: Seit anderthalb Jahren wird diese Krise immer schlimmer. Bleiben Ihnen am Ende nur zwei Auswege: das Zerbrechen der Euro-Zone oder eine weitere politische Einigung samt Transferunion?
Schäuble: Das ist zu schwarz-weiß und simplifizierend gedacht. Richtig ist: Es gibt viele, die unsere Maßnahmen jetzt kritisieren und die denken, es wäre besser, wenn einige schwache Mitglieder die Euro-Zone verlassen würde. Die Bundesregierung schließt das kategorisch aus.
WamS: Was wäre so schlimm, wenn Griechenland die Euro-Zone verlassen würde?
Schäuble: Wir würden auf allen anderen Kontinenten und Märkten dramatisch an Vertrauen und Einfluss verlieren. Mit dementsprechenden Konsequenzen. Ich habe im Urlaub einen Menschen getroffen, der für eine deutsche Firma in China tätig ist. Und er hat gesagt: Für die Chinesen sei es völlig unvorstellbar, dass wir Europäer nicht in der Lage sind, Griechenland in der Euro-Zone zu halten.
WamS: Was geschieht, wenn sich die Krise nicht beruhigt?
Schäuble: Wir schöpfen mit dem, was wir beim vergangenen Euro-Gipfel beschlossen haben, den Spielraum der europäischen Verträge weitestgehend aus. Größere Schritte lassen sich ohne deren Änderung nicht mehr machen. Das würde aber viel Zeit kosten. Deshalb noch einmal: Wir müssen die Krise jetzt innerhalb der geltenden Verträge lösen. Zugleich sage ich aber: Wir werden diese europäische Währung nicht nur unter allen Umständen verteidigen, sondern wir werden sie auch schrittweise weiterentwickeln.
WamS: Gehören dazu am Ende auch gemeinsame europäische Anleihen – also Euro-Bonds?
Schäuble: Euro-Bonds sind inzwischen ein Synonym dafür, dass wir Maßnahmen ergreifen, die die zu großen Zinsdifferenzen für die einzelnen Mitgliedsländer verkleinern. Eine Frage ist ja: Kann man eine Währungsunion haben, wenn die wirtschaftliche Leistungskraft und die Finanzpolitik so unterschiedlich sind? Eine stärkere Vergemeinschaftung der Finanz- und Wirtschaftspolitik wird diese Differenzen verringern. Darin liegt der Schlüssel.
WamS: Die Beschlüsse vom Treffen der Kanzlerin mit Frankreichs Präsident sind dazu nicht angetan. Das Wort „Wirtschaftsregierung“ ist doch ein Euphemismus.
Schäuble: Ich glaube, der deutsche Regierungssprecher hat das kürzlich ganz treffend charakterisiert. Governance, wie es im gemeinsamen Brief von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy steht, heißt nun einmal Regierung oder eben Steuerung. Und daraus muss man auch nicht mehr machen, als es dann ist. Ohne eine Änderung der europäischen Verträge gibt es keine europäische Regierung, wie Sie sie normalerweise verstehen würden.
WamS: Wäre es einfacher, wenn die FDP auf das Wort Wirtschaftsregierung nicht wie ein Hund mit pawlowschen Reflexen reagieren würde?
Schäuble: Die FDP hat keine pawlowschen Reflexe. Die Reaktionen bei allen Beteiligten innerhalb der Bundesregierung sind einvernehmlich.
WamS: Bei der in Paris beschlossenen Finanztransaktionssteuer maulte die FDP doch sofort wieder.
Schäuble: Die Bundesregierung ist geschlossen für eine Finanztransaktionsteuer in Europa. Nun versuchen wir sie innerhalb der 27 Mitgliedstaaten der EU einzuführen. Wenn das gelingt, ist es gut. Wenn nicht, plädiere ich ganz persönlich für die Steuer [Glossar] in der Euro-Zone. Darüber werden wir dann – falls wir auf der Ebene der 27 nicht durchdringen – gegebenenfalls mit dem Koalitionspartner diskutieren müssen.
WamS: Die EZB kauft Anleihen von Italien und Spanien auf; 20 Milliarden Euro hat sie dafür in wenigen Tagen ausgegeben. Im Herbst soll der EFSF diese Aufgabe übernehmen. Lange werden die Mittel nicht reichen. Muss der Fonds aufgestockt werden?
Schäuble: Nein. Sobald klar ist, dass die Euro-Zonen-Mitglieder den Euro verteidigen, werden die Spekulationen geringer. Deshalb werden auch die Anleihekäufe und die dafür notwendigen Summen sinken.
WamS: Was, wenn Sie sich täuschen?
Schäuble: Die 17 Mitgliedstaaten der Euro-Zone werden zu jedem Zeitpunkt alles tun, um diese Währung stabil zu halten, und die Mittel haben wir dazu auch.
WamS: Die Finnen wollen sich ihre Griechenland-Hilfe mit einem Pfand absichern lassen. Weil Athen ja kein Geld hat, wären wir die Dummen, die dafür zahlen.
Schäuble: Die Forderung Finnlands hat mir einige Telefonate im Urlaub beschert. Wir wissen um die innenpolitisch schwierige Situation in Finnland. Da muss man sich manchmal gegenseitig ein wenig helfen. Das ist doch selbstverständlich. Aber eine Lösung des Problems muss für alle Mitgliedstaaten darstellbar sein.
WamS: An den Börsen geht es seit Tagen bergab. Die Anleger fürchten einen Wirtschaftsabschwung. Muss die Bundesregierung ihre Prognose reduzieren?
Schäuble: Allen ist klar, dass Deutschland nicht jedes Jahr so wie in der letzten Zeit wachsen wird. Deshalb habe ich ja auch gewarnt, als die Steuerschätzer hohe Einnahmesteigerungen prognostiziert haben und einige das Geld gleich verteilen wollten. Wir sollten uns jetzt aber auch nicht durch leichte Korrekturen beim Wachstum verunsichern lassen.
WamS: Wirtschaftsminister Philipp Rösler plädiert nun erst recht für Steuersenkungen, um dieKonjunktur [Glossar] zu stimulieren.
Schäuble: Die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und FDP haben vor der Sommerpause vereinbart, dass wir etwas gegen die kalte Progression unternehmen. Damit werden wir uns im Herbst beschäftigen. Mal schauen, wie die Lage dann aussieht. Jetzt beschäftige ich mich mit einem Urteil des Bundesfinanzhofs zur Absetzbarkeit von Ausbildungskosten. Das ist für den Bundeshaushalt [Glossar] auch nicht unwichtig.
WamS: Wird es einen Nlchtanwendungserlass geben?
Schäuble: Dieses Instrument wollen wir vermeiden. Das steht schon im Koalitionsvertrag. Ich bin für eine Gesetzesänderung. Wir brauchen eine klare Linie. Als ich Steuerrecht gelernt habe, war klar, dass die Erstausbildung nicht als Werbungskosten oder Sonderausgaben[Glossar] anerkannt wird. Die Abgrenzung ist sonst einfach sehr schwierig. Theoretisch könnte man ja auch behaupten, dass für Lebensmittel getätigte Ausgaben Werbungskosten sind: Man muss ja essen, um zu studieren oder arbeiten zu können.
Das Gespräch fährten Jan Dams, Olaf Gersemarm und Jan Hildebrand