Bundesinnenminister Dr. Schäuble äußert sich im Interview mit dpa zu aktuellen Themen des Sports
dpa: Haben Sie es in den turbulenten Monaten des vergangenen Jahres eigentlich bereut, als Innenminister auch für den Sport zuständig zu sein?
Wolfgang Schäuble: „Nein, die Zuständigkeit für den Sport ist in der breiten Aufgabenpalette des Innenministeriums zweifellos eine der schöneren Aufgaben, und für jemand wie mich, der Zeit seines Lebens sportbegeistert war, gilt dies ganz besonders.“
dpa: Dopingskandal im Radsport, Wettmanipulation im Fußball, Tennis und Basketball, Spionage in der Formel 1. Ist der Hochleistungssport tot?
Schäuble: „Der Hochleistungssport ist nicht tot, und er wird auch so schnell nicht sterben. Er wird sich immer wieder gefährden, und er wird auch immer wieder die Kraft zur Reinigung haben. Das ist die Fähigkeit gesellschaftlicher Systeme, Fehlentwicklungen zu korrigieren.“
dpa: Heißt das, dass diese Runderneuerung gerade im Zeitalter einer glaubwürdigen Anti-Doping-Politik nur möglich ist, wenn in gewissen Sportarten Weltrekorde abgeschafft werden?
Schäuble: „Ich fand diese Anregung von Thomas Bach interessant, aber fragen Sie bitte nicht den Bundesinnenminister danach. Das soll der Sport selber diskutieren und entscheiden. Und wie Rekordlisten geführt werden, müssen sowieso die internationalen Fachverbände entscheiden.“
dpa: Was kann die Politik vom Sport lernen, und was kann der Sport von der Politik lernen?
Schäuble: „Alle können lernen, dass Wettbewerb etwas Positives ist. Die Demokratie beruht ja auch auf dem Wettbewerbsgedanken, aber Gier kann nicht nur in der Politik sondern auch im Sport zerstörerische Kräfte freisetzen. Übermaß tut selten gut.“
dpa: Also Gigantismus sehen Sie als große Gefahr?
Schäuble: „Übertreibung haftet immer etwas Zerstörerisches an. Diejenigen Sportarten, die nicht im jeweiligen Fokus der TV-Anstalten und der Öffentlichkeit stehen, klagen sehr, dass sie immer mehr in den Hintergrund treten und das ist natürlich eine Entwicklung, die der faszinierenden Vielfalt des Sports überhaupt nicht gerecht wird.“
dpa: Was können Sie als Sportminister gegen diese Entwicklung tun?
Schäuble: „Ziemlich wenig. Man kann Akzente setzen und nicht nur Fußballspiele besuchen, sondern auch andere Sportveranstaltungen wie die Kanu-, Ruder- oder Turn-WM. Beim Tennis war zu beobachten, wie eine Sportart innerhalb einer Generation Aufmerksamkeit verlieren kann. Ende der 80er Jahre habe ich ältere Damen kennengelernt, die noch nie in ihrem Leben einen Tennisplatz gesehen und dann auf einmal von Longline, Return und Volley geredet haben. Heute wird ein Daviscup-Halbfinale mit deutscher Beteiligung nur noch im Spartenfernsehen übertragen.“
dpa: Der Hochleistungssport steckt in einer großen Glaubwürdigkeitskrise. Trotzdem gibt es vom Bund in diesem Jahr eine finanzielle Rekord- Förderung für den deutschen Sport. Warum?
Schäuble: „Der internationale Wettbewerb wird härter. Wir wollen dem deutschen Sport helfen, und das muss sich eine sportbegeisterte Wohlstandsgesellschaft wie Deutschland auch leisten können. Vor allem im Bereich der Sommersportarten – im Winter waren wir noch ganz erfolgreich – sind wir in der internationalen Rangliste deutlich rückläufig, und diesen Trend wollen wir stoppen. Hoffentlich kann der deutsche Sport dies mit den zusätzlichen Mitteln auch umsetzen. Unser Bestreben, einen sauberen Sport zu haben, spielt bei der zusätzlichen Förderung auch eine Rolle.“
dpa: Seit 1992 sind die deutschen Medaillenzahlen bei Olympischen Spielen rückläufig. Was erwartet der Sportminister von der deutschen Mannschaft in Peking?
Schäuble: „Wir hoffen, dass dieser Negativ-Trend nicht anhält. Ich erwarte, dass sie mindestens so erfolgreich ist, wie bei den Spielen in Athen. Vielleicht sogar eher ein bisschen besser. In Peking werden sich unsere Maßnahmen nur begrenzt auswirken. Wir haben eher London 2012 im Blick, aber wenn man in London erfolgreicher sein will, sollte man in Peking nicht noch einmal einen großen Rückschlag erleben.“
dpa: Die oft kritisierte Fusion zwischen NOK und DSB liegt geraume Zeit zurück. Wie sieht Ihre persönliche Bilanz nach mehr als eineinhalb Jahren DOSB aus?
Schäuble: „Die Entscheidung der Fusion war richtig. Sie war schwierig zu vollziehen, aber die DOSB-Führung macht gute Arbeit. Thomas Bach hat sowohl national als auch international das nötige Verständnis, den deutschen Sport richtig zu positionieren. Beim Akquirieren und Organisieren internationaler Wettbewerbe sind wir erfolgreich. Wenn Sie aber beispielsweise an Ex-Weltklasseathleten, wie Sebastian Coe oder Sergej Bubka denken, lässt sich nur konstatieren, dass wir uns derzeit schwertun, Spitzenpositionen im internationalen Sport zu besetzen.“
dpa: Ein ehemaliger Weltklasse-Athlet, Ihr Parteifreund Eberhard Gienger, ist in einer führenden Position im DOSB, dort aber als Vizepräsident Leistungssport umstritten. Interessenkonflikt ist nur nur ein Vorwurf. Inwieweit haben Sie sich von ihm mehr versprochen?
Schäuble: „Personalentscheidungen des DOSB kommentiere ich nicht. Eberhard Gienger ist ein Freund und Kollege von mir und hat einen großen Namen im Sport.“
dpa: Der Sport drängt darauf, als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen zu werden. Wie sehen Sie die Chancen?
Schäuble: „Ich bin kein Anhänger davon. Bisher gibt es auch keine Festlegung auf eine Grundgesetzänderung. Eine Prognose, ob diese Änderung kommt oder nicht, kann ich ihnen amtlich nicht geben.“
Es gibt mehr als 100 neue Planstellen im Sport (Bundeswehr, Bundespolizei, Bundesgrenzschutz). Ist das nicht schon Staatssport?
Schäuble: „Nein, Staatssport wäre, wenn der Staat die Sportorganisationen reglementiert. Wir greifen dagegen in die Autonomie des Sports nicht ein. Der Staat ist ein Partner, aber Entscheidungen trifft der Sport ganz allein.“
dpa: Kritiker bemängeln einen Sittenverfall im Spitzensport. Haben wir im deutschen Sport zu viele Stars und zu wenige echte Vorbilder wie zum Beispiel Uwe Seeler?
Schäuble: „Wir haben immer noch genügend Vorbilder. Außerdem sind auch Sportler Menschen wie Du und ich, mit allen Fehlern, und die man muss jungen Menschen auch zugestehen. Schauen sie Magdalena Neuner an, die im Vorjahr so unglaublich hochgeschossen ist. Jetzt trat sie mit einem Sack voller Erwartungen bei der WM in Östersund an und hat trotz zwischenzeitlicher Probleme am Schießstand drei Goldmedaillen nach Hause gebracht. Das finde ich toll. Fabian Hambüchen ist sicher auch ein Talent, wie es nicht alle Tage geboren wird.“
dpa: Spitzensportler sollen bzw. müssen gläsern und für Dopingkontrollen rund um die Uhr erreichbar sein. Es gibt Klagen von Athleten, die dadurch ihre Menschenrechte verletzt sehen. Geht der Sport zu weit?
Schäuble: „Wenn man Dopingmittel wirklich ein paar Stunden nach der Einnahme nicht mehr nachweisen kann, ist diese Dauer-Erreichbarkeit ganz sicher kein Verstoß gegen die Menschenrechte. Es ist natürlich eine Belästigung, aber im Interesse eines sauberen Sports geht es nicht anderes. Außerdem verlangen doch die meisten Athleten diese Kontrollen, denn sie wollen nicht skeptisch angeschaut und gefragt werden, ist diese tolle Leistung auch ehrlich errungen? Dieser Generalverdacht kann nicht richtig sein.“
dpa: Welche Defizite und Möglichkeiten gibt es, den Anti-Doping-Kampf in Deutschland noch zu verbessern?
Schäuble: „Wir sind schon ein ganzes Stück vorangekommen, aber wir dürfen den Sport nicht aus der Verantwortung entlassen und auch nicht den Eindruck erwecken, dass er sich hinter der Staatsanwaltschaft verstecken kann. Wir brauchen weitere finanzielle Mittel. Der Bund hat seine Mittel für die NADA aufgestockt. Wir werden in diesem Jahr auch gemeinsam mit den Ländern, dem Sport und der NADA einen nationalen Doping-Präventionsplan entwickeln. Und ich hoffe auch, dass auch die Wirtschaft ihre Verantwortung durch Taten stärkt.“
dpa: Die Wirtschaft als Retter des verseuchten Sports?
Schäuble: „Die Wirtschaft, die in den Bereichen Werbung und Sponsoring unglaubliche Summen in den Sport steckt, wäre gut beraten, dem Sport auch dabei zu helfen, seine Sauberkeit sicherzustellen. Man hat es doch im Radsport gesehen; zweistellige Millionenbeträge als Werbebudgets sind obsolet geworden, weil der Sport durch unzureichende Sauberkeit die Faszination verloren hat.“
dpa: Menschenrechtsorganisationen drängen das IOC, in China zu intervenieren. Inwieweit ist der Sport gefordert bzw. überfordert?
Schäuble: „Der Sport kann nicht leisten, was die Politik nicht leisten kann, aber er darf sich auch nicht missbrauchen lassen. Die Verantwortlichen im deutschen und internationalen Sport sind sich der Problematik sehr bewusst. Die Olympischen Spiele sind für die chinesische Regierung eine Chance, sich attraktiv darzustellen und sie bringen auch ein Stück Öffnung in das Land. Die Bundesregierung pflegt eine sogenannte strategische Partnerschaft mit China. Die Olympischen Spiele bieten eine weitere, gute Gelegenheit, die Gespräche zu intensivieren. In diesem Sinne werde ich auch meine Gespräche führen, wenn ich im Sommer nach Peking reise.“
dpa: München bewirbt sich um Winterspiele 2018. Welche finanzielle Beteiligung des Bundes können Sie sich dafür vorstellen?
Schäuble: „Der Bund unterstützt diese Bewerbung vorbehaltlos. Wir beteiligen uns aber nicht an den Kosten der Bewerbung. Sollte München den Zuschlag bekommen, wird das gleichwohl erhebliche Anforderungen an den Bund stellen, aber jetzt Zahlen zu nennen, wäre zu früh. Wenn wir die Spiele bekommen, wird der Bund das seine tun.“
dpa: Es heißt immer so schön, die Musik spielt in Berlin. Wann muss der DOSB seinen Hauptsitz nach Berlin verlegen?
Schäuble: „Ach nein. Ich sehe dafür aus Sicht der Bundesregierung überhaupt keinen Grund. Das kann der Sport entschieden, wie er will. Wenn er nach Berlin kommen will, soll er kommen, wenn er in Frankfurt bleiben will, soll er in Frankfurt bleiben.“