Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagt im Bild am Sonntag Interview, worüber er sich an Weihnachten besonders freut, wie der Euro [Glossar] überleben wird, und was er über die Affäre von Bundespräsident Christian Wulff denkt.
BILD am SONNTAG (BamS): Herr Schäuble, wenn dieses Interview erscheint, sitzt Deutschland unter dem Weihnachtsbaum und freut sich über Geschenke. Worauf freuen Sie sich?
Schäuble: Ich freue mich vor allem darauf, dass die Kinder und Enkel da sein werden. Geschenke sind in meinem Alter nicht mehr ganz so wichtig. Auf die Freude der Enkelkinder über die Geschenke kommt es an!
BamS: An welche Geschenke erinnern Sie sich besonders gern?
Schäuble: In der Kindheit war es für meine Brüder und mich das Schönste, wenn wir eine neue Lokomotive für die elektrische Eisenbahn geschenkt bekamen.
BamS: Wie verläuft Weihnachten im Hause Schäuble?
Schäuble: Heiligabend gehen wir in die Kirche. Danach zünden wir zu Hause die Kerzen am Weihnachtsbaum an und hören Weihnachtsmusik und dann ist Bescherung. Wir essen – sehr badisch – Schäufele mit Kartoffelsalat. Und dann geht die Unterhaltung weiter – meist bis spät in den Abend. Am ersten Feiertag gehen wir dann in ein Restaurant, damit meine Frau nicht kochen muss.
BamS: Was ist für Sie der Kern der Weihnachtsbotschaft in heutiger Zeit?
Schäuble: Friede auf Erden! Dabei geht es nicht nur um die Abwesenheit von Krieg, sondern darum, dass man mit seinen Mitmenschen und sich in Frieden lebt.
BamS: Am 1. Januar feiert der Euro seine zehnjährige Existenz als Zahlungsmittel. Und am 18. September werden Sie 70.
Welcher Geburtstag ist Ihnen wichtiger?
Schäuble: Das kann man nur schwer miteinander vergleichen. Der 1. Januar 2002 war ein wichtiges Datum für unser Land und Europa. Der eigene Geburtstag, vor allem wenn es ein runder ist, ist in erster Linie für einen selber von Bedeutung, zeigt er einem doch, dass das Leben ein fortlaufender Prozess ist.
BamS: Täuscht der Eindruck, dass man sich um den Euro derzeit mehr Sorgen machen muss als um Sie?
Schäuble: Um mich muss man sich keine Sorgen machen, ich komme gut zurecht. Aber mich treibt die Verunsicherung der Menschen über die Krise an den Finanzmärkten [Glossar]um. Wenn die Gefahr besteht, dass die Bürger das Vertrauen verlieren und sich um Stabilität und soziale Gerechtigkeit sorgen, kann einen das nicht unberührt lassen.
BamS: Die EZB [Glossar] hat am Mittwoch rund 500 Milliarden Euro an über 500 Banken zu niedrigsten Zinsen verliehen, um einen Zusammenbruch der Finanzmärkte zu verhindern. Wie gefährlich ist die Situation?
Schäuble: Ich halte die Situation für beherrschbar. In der EU gibt es eine große Entschlossenheit der Mitglieder, die Lage stabil zu halten. Es wird noch ein paar Überraschungen und Aufgeregtheiten geben, aber wir sind in der Lage, das zu managen. Ich rate zu etwas mehr Gelassenheit.
BamS: Hat das internationale Krisenmanagement der vergangenen drei Jahre gar nichts gebracht?
Schäuble: Wir haben in Deutschland aus der Krise 2008 eine Fülle von Konsequenzen gezogen. In der Mehrzahl der Fälle im Verbund der Euro-Gruppe, der EU oder der G-20-Staaten. Das braucht seine Zeit. Manchmal mehr als einem lieb ist.
Wir müssen global und innerhalb der EU schneller reagieren. Deshalb kämpfe ich so unverdrossen für eine Finanztransaktionssteuer, die aberwitzige Entwicklungen an den Finanzmärkten vielleicht nicht stoppen aber zumindest abbremsen würde.
Derzeit beschäftigen sich die Märkte viel zu stark mit sich selbst, statt die Realwirtschaft zu unterstützen. Wir müssen das Tempo der Transaktionen entschleunigen. Wenn das weltweit zunächst nicht zu realisieren ist, dann müssen wir die Abgabe EU-weit oder auch nur in der Euro-Zone einführen. Ich bin sehr dafür, dass Europa hier vorangeht.
BamS: Kommt die Finanztransaktions-Steuer [Glossar] im nächsten Jahr?
Schäuble: Wir setzen uns sehr für eine schnelle Einführung ein! Wir haben uns in der EU verabredet, in den ersten Monaten des neuen Jahres die Chancen für eine Finanztransaktionssteuer auszuloten.
Sollten die Hürden zu hoch sein, werden sich Deutschland und Frankreich dafür einsetzen, die Steuer nur in der Euro-Zone einzuführen. Ich möchte hier Fortschritte sehen. Dies kann auch bedeuten, dass künftig einige spekulative Geschäftsmodelle nicht mehr profitabel sind, aber das ist gewollt. Ich möchte nicht abwarten, bis eine solche Steuer weltweit eingeführt worden ist. Sonst riskieren wir nicht nur die Stabilität unserer Finanzmärkte und neue Risiken, sondern gefährden die Legitimation des ganzen Systems bei den Bürgern.
BamS: EZB-Präsident Draghi weist darauf hin, dass im ersten Quartal 2012 fast 300 Milliarden Euro refinanziert werden müssen. Macht Sie das nervös?
Schäuble: Jetzt kommt es darauf an, dass wir die beschlossenen Maßnahmen beherzt umsetzen. Zuerst müssen die Länder, in denen die Probleme bestehen, ihre Defizite und ihre Verschuldung abbauen sowie ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken.
Wir wollen eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik etablieren, damit das Vertrauen der Finanzmärkte und Investoren in die Euro-Zone zurückkehrt. Ich bin zuversichtlich, dass uns dies gelingt. Europa ist eine der wirtschaftsstärksten Regionen der Welt und die Investoren wollen ihr Geld gewinnbringend anlegen.
BamS: Der permanente Rettungsschirm ESM soll schneller Geld aus deutschen Kassen erhalten. Bereits nächstes Jahr fließen die ersten Milliarden. Wie viele genau?
Schäuble: Für den ESM geben die Staaten nicht nur Garantien, da wird erstmals Kapital eingezahlt. Je schneller und je mehr Kapital der ESM hat, desto früher und besser kann er seine Aufgaben erfüllen.
Verabredet ist bisher eine erste Tranche für Deutschland von 4,3 Milliarden Euro und danach jährlich vier weitere gleich hohe Zahlungen. Möglicherweise werden wir aber diesen Prozess beschleunigen, um die Schlagkraft des Rettungsschirms schnell zu erhöhen. Aber zunächst müssen wir die Entscheidungen in Brüssel im Januar abwarten.
BamS: Damit wird Ihr Haushalt [Glossar] für 2012 doch zur Makulatur…
Schäuble: Dadurch könnte die Nettokreditaufnahme [Glossar] im nächsten Jahr steigen. Auf die Verschuldung nach den Maastricht-Kriterien hätte das aber keinen Einfluss, da wir im Gegenzug am ESM-Kapital beteiligt sind.
BamS: Was bedeuten Milliarden-Zahlungen für das Ziel der Koalition, 2013 die Steuern zu senken?
Schäuble: Wir haben ein Gesetz auf den Weg gebracht, das dafür sorgt, dass künftig Lohnerhöhungen im Bereich der Inflationsrate nicht mehr durch die kalte Progression aufgefressen werden. Damit schaffen wir mehr Steuergerechtigkeit.
BamS: Die Opposition will Ihr Gesetz im Bundesrat zum Scheitern bringen.
Schäuble: Da kann ich mich nur wundern. Die Opposition kann doch nicht wollen, dass der Staat durch Inflationseffekte den Bürgern Steuern abnimmt, die vom Gesetzgeber so gar nicht gewollt sind. Dieses Argument kann die Opposition nicht widerlegen, und daher bin ich zuversichtlich, dass wir am Ende auch im Bundesrat eine Mehrheit bekommen.
BamS: Wie sieht Ihr Plan B aus, wenn SPD und Grüne bei ihrem Nein bleiben?
Schäuble: Jetzt malen wir mal nicht schwarz. Unsere Argumente wiegen schwer. Daher braucht es auch keinen Plan B.
BamS: Herr Schäuble, als junger Mann haben Sie einst ein Haus gebaut und das über einen Kredit finanziert. Kam der von der Bank oder wie bei Christian Wulff von einem guten Freund?
Schäuble: Seit vielen, vielen Jahren ist die Volksbank Offenburg meine Hausbank. Die hat damals auch die Hausfinanzierung übernommen.
BamS: Sie standen auch schon häufiger im Sturm der Kritik. Was ist das für ein Gefühl, wenn alle nur noch darauf warten, dass man fällt?
Schäuble: Wir haben ein hohes Interesse daran, dass das Amt des Bundespräsidenten unbeschädigt bleibt. Die Debatten, die im Augenblick geführt werden, sind Belastung für das Amt. Und daher halte ich ein gewisses Maß an Zurückhaltung für sinnvoll.
BamS: Stimmt es, dass Sie jetzt, kurz vor Ihrem 70. Geburtstag, umgezogen sind und Ihr Haus im Badischen aufgegeben haben?
Schäuble: Meine Frau und ich haben 1976 in Gengenbach ein wunderschönes Haus gebaut, in dem wir mit unseren vier Kindern sehr viele glückliche Jahre hatten. Aber die Kinder leben alle seit Längerem nicht mehr zu Hause. Und so ist das Haus etwas groß und leer geworden. Jetzt sind wir in eine neuere Wohnung in einem Haus, in dem auch Freunde wohnen, in Offenburg gezogen.
BamS: Durften Sie vor zwei Jahrzehnten nach dem Attentat überhaupt darauf hoffen, die 70 zu erreichen?
Schäuble: Ja, und das können Sie beispielsweise an den Statistiken ablesen. Die durchschnittliche Lebenserwartung für Querschnittsgelähmte war in den 70er- und 80er Jahren noch sehr begrenzt. Aber die Medizin hat große Fortschritte gemacht. Seit den 90er-Jahren ist allein der Aspekt dieser Behinderung für die Frage der Lebenserwartung nur noch nachrangig von Bedeutung.
Trotzdem steckt in Ihrer Frage ja mehr: Wenn man auf ein so langes Leben zurückblickt, auf die vier Kinder, die mit uns aufgewachsen sind, dann macht man sich ja nicht in erster Linie Sorgen über das, was kommen mag, sondern man empfindet vor allem ein Stück Dankbarkeit für alles, was einem geschenkt worden ist. Auch das ist für mich Weihnachten.
Von Michael Backhaus und Roman Eichinger.