Der Bundesfinanzminister im Interview mit dem Deutschlandfunk



Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat der Europäischen Zentralbank sein Vertrauen ausgesprochen. Der geplante Ankauf von Staatsanleihen sei Geldpolitik und damit vom Mandat der EZB gedeckt. Wenn man eine Obergrenze für die Ankäufe genannt hätte, wäre dies eine Einladung an Spekulanten gewesen, unterstrich der CDU-Politiker.

Deutschlandfunk: 700 Milliarden Euro sollen im dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus bereitgestellt werden. Gestern hat der Bundespräsident das Gesetz ausgefertigt, das ist die Vorstufe der Ratifizierung. Deutschland soll 22 Milliarden Euro einzahlen und für weitere 168 Milliarden haften, macht zusammen 190 Milliarden. Das Bundesverfassungsgericht hatte festgelegt, dass die Bundesregierung völkerrechtlich bindend erklären muss, dass diese Grenze ohne die Zustimmung des Bundestages nicht überschritten werden kann.

Vor seinem Abflug nach Zypern, zum Treffen mit seinen europäischen Amtskollegen, haben wir gestern mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) telefoniert. Ich habe Herrn Schäuble zunächst gefragt, ob und wenn ja wie er seinen europäischen Kollegen die Bedingungen des Bundesverfassungsgerichts erklären will.

Schäuble: Ich werde natürlich meinen Kollegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erläutern, die ja darin besteht, dass das Bundesverfassungsgericht bestätigt hat, die Verträge verstoßen nicht gegen das Grundgesetz, weil sie so zu interpretieren sind, wie wir es alle gemeinsam immer gesagt haben. Sie müssen wissen: Wir haben ja im Kreise der 17 Mitgliedsstaaten schon Leitlinien für den ESM verabredet, die allerdings formell erst in Kraft treten können, wenn der ESM auch wirklich in Kraft ist, und da ist genau diese Festlegung noch einmal gemacht, dass sich, was immer die Auffassung der Bundesregierung gewesen ist, natürlich die Haftung aus dem Vertrag auf diese Obergrenze beschränkt, die auf den Anteil am Gesellschaftskapital sich beschränkt. Daraus ergeben sich diese rund 190 Milliarden Euro für Deutschland. Das war immer die klare Aussage, das ist im Kreise der Eurostaaten überhaupt nicht bestritten. Aber es ist nur von den Klägern, na ich glaube, sogar gegen besseres Wissen infrage gezogen worden.

Und das andere ist – auch das ist völlig unstreitig: Dass die Verschwiegenheitspflichten der Mitarbeiter des ESM nicht die Informationsrechte des deutschen Parlamentes irgendwie begrenzen, das ist auch ganz logisch. Das kann man sich klar machen. Die Verschwiegenheitsverpflichtung eines Arztes besteht gegenüber Dritten, nicht gegenüber dem Patienten. Wir sind, die Bundesrepublik Deutschland ist der Anteilseigner im ESM, und deswegen gibt es natürlich gegenüber den Vertretern des Volkes keine Beschränkung der Auskunftspflicht der Mitarbeiter.

Deutschlandfunk: Noch mal zu dem Ersten, was Sie gesagt haben. Es ist aber im Kreis der Kolleginnen und Kollegen auch ganz klar: Wenn die Karlsruher Vorbehalte nicht berücksichtigt werden, ist die Bundesregierung an den ESM-Vertrag nicht gebunden?

Schäuble: Im Kreise der Kolleginnen und Kollegen ist ganz klar, dass der Vertrag so ausgelegt wird und nicht anders, wie es auch das Verfassungsgericht zugrunde gelegt hat. Deswegen ist dieses „Wenn, dann“ eine im Grunde ganz grundlose Spekulation. Wir werden das aber noch einmal klar machen, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, der Vertrag, weil er so ausgelegt wird, wie wir ihn auslegen, verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Wenn jemand auf die Idee käme, ihn anders auslegen zu wollen, würde das in der Tat gegen das Grundgesetz verstoßen.

Deutschlandfunk: Gleichwohl sagen die Richter, es muss völkerrechtlich sichergestellt werden, dass diese Haftungsgrenze nur mit Zustimmung des Bundestages erhöht werden kann. Jetzt Frage an den Juristen Wolfgang Schäuble: In welchem Verfahren kann man so etwas völkerrechtlich sicherstellen?

Schäuble: Zunächst einmal, ich sage noch mal, es steht schon im Vertrag drin. Wissen Sie, das Eigentliche im Völkerrecht ist: Die Verträge gelten und man kann sie auch nicht gegen das, was da geregelt ist, auslegen. Zweitens: Wir werden das aber in einer geeigneten Weise auch aus Respekt vor dem Urteil des Verfassungsgerichts natürlich noch einmal klarstellen. Das wird aber keine Probleme verursachen.

Deutschlandfunk: Was heißt „geeignete Weise“?

Schäuble: Ja, entweder durch eine einseitige Erklärung oder durch eine gemeinsame Erklärung. Das lassen Sie jetzt nun gerade die Völkerrechtsexperten noch einmal klären und lassen Sie mich auch mit meinen Kollegen besprechen. Sie können ganz sicher sein: Wenn wir sonst keine Sorgen haben als das, was das Verfassungsgericht entschieden hat, noch einmal klarzustellen, dann geht es uns wirklich gut.

Deutschlandfunk: Wir wollen es ja nur verstehen. Wird da ein Text noch drangestrickt, oder wie geht das rein praktisch?

Schäuble: Nein, der Text ist völlig klar. Der Text ist völlig klar. Die Erklärung ist lediglich: Wenn der Text anders ausgelegt werden würde, als wir gemeinsam feststellen, dass er ausgelegt wird, dann wäre er nicht durch unsere Zustimmung gedeckt.

Deutschlandfunk: Herr Schäuble, wenn ein Mitglied des ESM nicht mehr einzahlen kann, dann müssen die anderen die Lücke füllen.

Schäuble: Falsch! – Falsch!

Deutschlandfunk: Was ist daran falsch?

Schäuble: Sehen Sie: Jetzt wiederholen Sie den Fehler, von dem das Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, dass er so nicht ist. Wenn ein Mitglied nicht einzahlen kann, dann verringert sich die Gesamtsumme des ESM. Deswegen kann der deutsche Haftungsanteil genauso wenig wie der aller anderen Länder über den Anteil an der Gesamtsumme von 700 Milliarden Euro nicht erhöht werden. Es verringern sich dann die 700 Milliarden und nicht die Prozentsätze der anderen.

Deutschlandfunk: Und wenn einer nach dem anderen ausfällt?

Schäuble: Ja, dann verringert sich es immer mehr. Wenn keiner mehr einzahlt, ist auch nichts da. Dann sind 700 Milliarden null.

Deutschlandfunk: Aber dann wäre doch der Finanzbedarf umso höher?

Schäuble: Nein, dann ist null. Dann gibt es keinen Rettungsschirm.

Deutschlandfunk: Und dann?

Schäuble: Die Frage können Sie sich selbst beantworten, tut mir furchtbar leid. Nur noch einmal: Der Vertrag ist völlig klar. Artikel acht, Absatz vier des Vertrages, da steht es ausdrücklich drin: Wenn ein Land ausfällt, verringern sich die 700 Milliarden, der Prozentsatz. Jedes Land haftet mit seinem Prozentsatz, bei Deutschland sind es diese rund 28 Prozent, an den 720 Milliarden, und dieses erhöht sich nicht, sondern die 700 Milliarden verändern sich.

Deutschlandfunk: Herr Schäuble, was passiert, wenn die Europäische Zentralbank – wir reden ja immer noch über die Haftungsgrenze – also die Truppe von Mario Draghi, wenn sie ihre Ankündigung wahr macht und unbegrenzt zum Beispiel griechische oder spanische Staatsanleihen aufkauft? Würde die Bundesregierung in einem solchen Fall gegen die Bank klagen?

Schäuble: Darf ich zunächst, Herr Heinemann, darauf hinweisen: Das hat mit der Haftungsgrenze des ESM-Vertrages nichts zu tun.

Deutschlandfunk: Nicht des ESM-Vertrages!

Schäuble: Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Die EZB hat ein Mandat für die Geldpolitik. Geldpolitik heißt, unter vorrangiger Gewährleistung der Preiswertstabilität die Geldversorgung des Euroraums, der Wirtschaft im Euroraum über die Banken sicherzustellen. Das ist der geldpolitische Auftrag, den die EZB in eigener Unabhängigkeit zu erfüllen hat, den sie übrigens seit zehn Jahren hervorragend erfüllt. Der Euro ist stabiler, die Preissteigerungen sind niederer, als sie zu Zeiten der D-Mark gewesen sind. Deswegen hat niemand einen Grund, daran zu zweifeln, dass die EZB das auch in der Zukunft machen wird. Sie hat ausdrücklich kein Mandat zur Staatsfinanzierung. Das hat das Verfassungsgericht in seinem Urteil richtigerweise auch erwähnt, weil die Kläger nämlich etwas anderes behauptet haben. Und deswegen: Die EZB wird nicht Entscheidungen treffen, die mittelbar zur Staatsfinanzierung führen. Damit würde sie ihr Mandat verletzen. Das wird sie nicht tun, und deswegen kann auch da jeder sich darauf verlassen.

Deutschlandfunk: Aber wie lesen Sie denn diese Ankündigung, dass man unbegrenzt solche Staatsanleihen aufkaufen will?

Schäuble: Wenn ich Ihnen jetzt das Funktionieren von Geldpolitik an Sekundärmärkten versuchen kann zu erklären: die Tatsache, dass Anleihen … Es gibt ja zum Beispiel griechische Anleihen, die können Sie kaufen, mit einem bestimmten Prozentsatz, mit einer Restlaufzeit. Die Anleihen notieren natürlich lange unter 100, vielleicht mit 70 oder je nachdem, wie der Zinssatz und die Restlaufzeit ist. Wenn nun eine Bank viele Anleihen eines Staates, die weit unter 100 bewertet sind, in ihrer Bank hat, dann verringert sich damit der Aktivbestand der Bank, und damit wird die Fähigkeit der Bank, Kredite auszuleihen, geringer. Deswegen können Übertreibungen in den Sekundärmärkten, dort wo Anleihen, die längst von den Mitgliedsstaaten oder den Emittenten ausgegeben sind, aber dort gehandelt werden – die werden ja unendlich gehandelt -, die können über das Bankensystem Auswirkungen auf die Geldversorgung einer Wirtschaft haben. Damit sind wir im Bereich der Geldpolitik. Und insoweit kann die EZB, wenn sie es für notwendig hält, solchen Marktübertreibungen entgegenwirken. Das ist Geldpolitik, kurzfristig. Wenn sie das tut, tut sie es in ihrer Unabhängigkeit, nach eigenem Urteil. Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen offenbar im Board. Ich lege keinen Wert darauf, dass die Meinungen zu sehr öffentlich ausgetragen werden, aber das ist nicht meine Sache. Solange sich die EZB und weil sie sich an dieses Mandat hält, haben wir es zu akzeptieren, müssen die unabhängigen Entscheidungen respektieren.

Dass die EZB keine Summe nennt, das ist nun wiederum auch nur so zu erklären: Würde sie eine Summe nennen, dann wäre das die Einladung an die Spekulanten, genau dagegen zu spekulieren. Deswegen sagt sie, wir nennen keine Grenze. Das kann man natürlich in der politischen Debatte jetzt plötzlich als große Sorge verstehen, unbegrenzt kaufen die Anleihen auf. Dann wäre es in der Tat die Rutschbahn. Auf der sind wir nicht und die würden wir auch niemals akzeptieren, denn das würde das Mandat der EZB verletzen und darüber würde der Europäische Gerichtshof wachen.

Deutschlandfunk: Das heißt, Sie können mit dieser Entscheidung der EZB, gegen die Herr Weidmann gestimmt hat, leben?

Schäuble: Ja, was soll ich sonst tun? – Ich respektiere sie. – Und Herr Weidmann? Ich respektiere, dass Herr Weidmann dagegen gestimmt hat. Ich habe gerade gesagt, ich bin gar nicht interessiert, die Abstimmungsverhältnisse aus der Bank immer zu erfahren. Es ist eine Entscheidung der unabhängigen Notenbank, und sie ist im Rahmen ihrer geldpolitischen Verantwortung. Ich habe Vertrauen in die EZB, und sie hat zehn Jahre lang bewiesen, dass sie dieses Vertrauen rechtfertigt.

Deutschlandfunk: Das Bundesverfassungsgericht möchte insgesamt die parlamentarische Kontrolle verstärken. Wenn man mal in die Zukunft denkt, und dies künftig auf die europäische Ebene übertragen würde, wie müsste sich das Europäische Parlament verändern, damit es diese Kontrolle übernehmen könnte?

Schäuble: Also zunächst einmal hat das Bundesverfassungsgericht klar gesagt, die parlamentarische Kontrolle, so wie wir sie jetzt in unserer Gesetzgebung haben, ist richtig und ausreichend. Das Bundesverfassungsgericht hat ja auch gesagt, wenn man eine höhere Haftung eingehen wollte, müsste eben der Bundestag so wie bisher entsprechende Entscheidungen treffen. Wenn man nun die Entscheidung auf europäischer Ebene treffen wollte, dann muss das Europäische Parlament durch institutionelle Veränderungen, das heißt durch Vertragsänderungen eine stärkere Rolle bekommen, dann muss man Teile des Haushaltsrechts – darüber wird man sehr genau verhandeln müssen – übertragen müssen und dann muss man darauf achten, dass auch das Europäische Parlament wirklich als das Parlament, also die parlamentarische Vertretung aller Europäer verstanden wird. Und dann wissen wir ja aus einem früheren Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass das Bundesverfassungsgericht dazu kritische Anmerkungen gemacht hat, indem es gesagt hat, ja, das Europäische Parlament, da sei ja die Vertretung von kleinen Mitgliedsländern im Verhältnis zur Bevölkerungszahl größerer als in großen Mitgliedsländern. Ich weise zwar darauf hin, dass die Wahlsysteme in vielen klassischen Demokratien, im Vereinigten Königreich von Großbritannien, in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Frankreich und in vielen anderen Ländern, nicht wie bei uns, wo das Proportionalsystem sehr hoch entwickelt ist, davon ausgehen, dass unterschiedlich große Wahlkreise jeweils einen Abgeordneten entsenden können, dass wir übrigens auch im Bundesrat ja nicht eine proportionale Vertretung der Länder haben. Aber die Debatte wird zu führen sein. Ich bin jedenfalls dafür, dass wir die europäischen Institutionen, also vor allen Dingen das Parlament, stärken, auch die Kommission und die Kommission demokratisch eines Tages in Richtung einer europäischen Regierung weiterentwickeln.

Deutschlandfunk: Benötigen wir ein Parlament für die Eurozone?

Schäuble: Das kann in der Zeit, bis wir alle in Europa haben, auch ein Weg sein. Ich habe gelesen, dass die vier Präsidenten, die ja solche Vorschläge für die Staats- und Regierungschefs ausarbeiten, mit der Überlegung sich beschäftigen, ob man nicht etwa aus den Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die aus den Mitgliedsländern der Eurostaaten stammen, ein solches Parlament bilden könnte. Ich habe solche Überlegungen auch schon einmal genannt und finde, dass man darüber auch intensiver nachdenken und diskutieren sollte.

Das Interview führte Christoph Heinemann.

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