Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Christiane Kaess
Christiane Kaess: In den letzten Tagen war es etwas ruhiger geworden um das Thema Euro- und Schuldenkrise. In dieser Woche wird es wohl wieder an die Spitze der politischen Agenda zurückkehren. Am Donnerstag will der Rat der Europäischen Zentralbank über den weiteren Ankauf von Staatsanleihen kriselnder Euro-Staaten beraten. Mittlerweile gibt es zudem Streit über die Bankenunion. Aus der EU-Kommission kommt der Plan, alle Banken unter die Kontrolle der Europäischen Zentralbank zu stellen, bis hin zu den kleinen Banken wie zum Beispiel den Sparkassen. Absurd sei das, kontert man auf deren Seite.
Allerdings: die Regierungschefs der Euro-Länder haben auf ihrem Gipfel Ende Juni in Brüssel beschlossen, eine einheitliche Aufsicht über die Banken in der Euro-Zone einzuführen, und die EU-Kommission wurde beauftragt, einen Vorschlag auszuarbeiten. Die Bankenaufsicht soll verhindern, dass marode Institute das gesamte Finanzsystem gefährden. Außerdem ist sie die Voraussetzung dafür, dass Banken in finanziellen Schwierigkeiten künftig direkt auf Kredite aus dem Euro-Rettungsfonds ESM zugreifen können und nicht mehr den Umweg über die Regierungen gehen müssen. Die brachte wiederum das Beantragen von Hilfen für die Banken in den Teufelskreis immer neuer Schulden, und dieser Teufelskreis soll unterbrochen werden. – Am Telefon ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Guten Morgen!
Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Herr Schäuble, eine Kontrolle aller Banken durch die EZB bis hin zu den Sparkassen – hat die EU-Kommission da was falsch verstanden?
Schäuble: Nein. Aber die EZB selber hat gesagt, dass sie gar nicht das Potenzial hat, um 6000 Finanzinstitute in der Europäischen Union in absehbarer Zeit zu beaufsichtigen. Wir haben ja das damals im Kreise der Finanzminister mit der EZB diskutiert, bevor die Staats- und Regierungschefs dann den Beschluss gefasst haben, dass eine europäische Bankenaufsicht in Kraft sein muss, arbeiten muss, unter Beteiligung der Europäischen Zentralbank, ehe man den Banken oder damit man den Banken, wie Sie es gerade gesagt haben, den unmittelbaren Zugang zum europäischen Stabilisierungsfonds geben kann, um damit den Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und Bankrisiken zu unterbrechen.
Deswegen ist das wahrscheinlich ein nicht so einfach durchzuführender Vorschlag. Deswegen habe ich ja im Vorfeld auch vorgeschlagen, man soll doch einheitliche Kriterien für die vielen kleineren Banken schaffen. Und die großen Banken, die systemrelevanten grenzüberschreitenden Institute, die ja auch definiert sind, die zunächst einmal unmittelbar der Aufsicht zu unterstellen, das wird eher eine Chance haben, in absehbarer Zeit realisiert zu werden.
Kaess: Das Argument der EU-Kommission ist hier ja, dass es in Spanien die regional arbeitenden Sparkassen waren, die die große Bankenkrise verursacht haben.
Schäuble: Ja, das ist richtig. Aber die sind ja inzwischen zusammengeschlossen zu der großen Bankia, die auch jetzt gerade im Mittelpunkt der aktuellen Bemühungen und Besorgnisse in Spanien steht. Nichts desto weniger: die EZB hat ja damals schon gesagt – ich will es einfach noch einmal sagen, es geht um die Realisierbarkeit solcher Vorschläge -, auf dem Papier nützt uns das ja nichts. Es muss ja umgesetzt werden, es muss funktionieren können. Und die Europäische Zentralbank hat damals gesagt, sie sei gar nicht in der Lage, mit den Mitteln, mit den Mitarbeitern, die sie hat, 6000 Banken zu kontrollieren. Deswegen haben wir einen realistischen Vorschlag versucht, in die Debatte einzubringen. Die Vorschläge der Kommission sind ja noch gar nicht beschlossen, die Kommission beschließt das erst in absehbarer Zeit. Und dann werden wir es im Kreise der Finanzminister diskutieren.
Kaess: Aber Sie sind grundsätzlich dafür, dass die Überwachung oder die Kontrolle der kleineren Institute bei den nationalen Behörden bleibt, die allerdings – das muss man ja auch sagen – auf der anderen Seite versagt haben, angesichts der Krise, die wir derzeit haben.
Schäuble: Na ich weiß nicht, ob die nationalen Behörden versagt haben. Das kann man jedenfalls so allgemein nicht sagen. In Deutschland würde ich das schon zurückweisen. Im übrigen: Sparkassen, Raiffeisenbanken bei uns haben eigene Aufsichtsmechanismen auch. Man muss da ein bisschen differenzieren. Im übrigen kann man es ja so machen, Frau Kaess, dass man Regeln findet, dass die europäische Aufsicht die Vorschriften vorgibt, dass man die nationalen Aufseher für die einzelnen Institute auch beaufsichtigt, und dass man, wenn das nicht funktioniert, Durchgriffsrechte hat. Wie gesagt, es geht darum, dass diese europäische Bankenaufsicht nicht nur auf dem Papier steht, sondern dass sie in absehbarer Zeit tatsächlich ihre Aufgaben realisieren kann. Sonst wird das, was damit geplant ist, nicht erreicht werden. Und wenn die EZB selber sagt, sie habe gar nicht das Potenzial dazu, dann wird man das auch in der Europäischen Kommission noch einmal bedenken müssen.
Kaess: Aber Sie finden es generell richtig, dass die Kontrolle der großen oder, wie Sie sagen, der systemrelevanten Banken an die EZB übergeben wird?
Schäuble: Jedenfalls an eine europäische Ebene, die die EZB mit einschließen muss, weil die die größte Expertise, die größte Sachkenntnis hat. So ist das ja auch in Deutschland mit der nationalen Bankenaufsicht, wo wir die Bafin haben, das Bundesamt für Finanzdienstleistungen, aber auch ein Teil der Bankenaufsicht durch die Bundesbank gemacht wird, und das Zusammenwirken hat sich ja sehr bewährt. Und der entscheidende Punkt ist eben: wer möchte, dass der europäische Stabilitätsfonds den Banken unmittelbar Kapital zur Verfügung stellen kann, der muss natürlich der europäischen Ebene auch die Aufsichtsmöglichkeit geben. Wir können ja Banken nur dann mit Kapital ausstatten, wenn wir gleichzeitig auch die Möglichkeit haben, das durchzusetzen, was die Banken für die Kapitalspritze an Reformen, an Restrukturierungen machen müssen. Wer bezahlt, muss auch die Aufsicht haben und die Kompetenz, die Aufsicht durchzusetzen. Das war der Gedanke der Entscheidung der Staats- und Regierungschefs.
Kaess: Und bei dieser neuen Rolle der EZB fürchten Sie nicht um deren Unabhängigkeit, denn Kritiker weisen ja darauf hin, die EZB kann nicht gleichzeitig Banken mit Geld versorgen und sie kontrollieren?
Schäuble: Deswegen muss – auch dafür haben wir Überlegungen angestellt, die wir der Kommission übermittelt haben – natürlich innerhalb der Europäischen Zentralbank der Teil, der überhaupt erst aufgebaut werden muss für eine solche bankenaufsichtliche Funktion, von dem Teil der Europäischen Zentralbank, der in ihrer Unabhängigkeit die Geldpolitik macht, schon sauber getrennt werden. Das ist ganz klar. Man kann Bankenaufsicht und Geldpolitik nicht unmittelbar miteinander verknüpfen. Die Bankenaufsicht muss letzten Endes auch einer gerichtlichen und demokratischen Kontrolle unterliegen. Die Geldpolitik ist ja der Zentralbank durch den europäischen Vertrag, nicht zuletzt aufgrund guter deutscher Erfahrungen, in voller Unabhängigkeit übertragen. Deswegen muss man innerhalb der Europäischen Zentralbank auch eine Konstruktionsform finden, die beide Bereiche hinreichend voneinander trennt.
Kaess: Aber bei all diesen Einwänden, die Sie jetzt haben gegen den EU-Kommissionsvorschlag, das hört sich nicht so an, als könne das so wie vorgesehen schon ab kommendem Jahr dann in Kraft treten.
Schäuble: Nein, das halte ich auch für ziemlich unrealistisch. Da bin ich ein bisschen überrascht. Aber wie gesagt: die Kommission hat die Vorschläge noch gar nicht beschlossen. Was wir kennen ist ein Interview des zuständigen Kommissars, Michel Barnier. Die Kommission will, wenn ich es richtig weiß, in der kommenden Woche beschließen und wir werden in der Gruppe der Finanzminister vermutlich über die Vorschläge der Kommission zum ersten Mal in unserer Sitzung am Freitag der kommenden Woche, also am 15. September, informiert werden.
Kaess: Herr Schäuble, an die Bankenaufsicht geknüpft – das haben Sie auch schon gesagt – ist der direkte Zugriff der Banken auf den Rettungsschirm ESM. Bisher hat die Bundesregierung eigentlich immer erklärt, so ein direkter Zugriff sei, wenn überhaupt, erst in ferner Zukunft möglich. Wenn man sich jetzt den Vorschlag der EU-Kommission anschaut, dann würde das heißen, schon ab kommendem Jahr haften deutsche Steuerzahler für spanische Banken?
Schäuble: Der Beschluss der Staats- und Regierungschefs war sehr klar. Wenn eine solche Aufsicht arbeitet, wenn sie in Kraft ist, dann ist der direkte Zugriff möglich, weil ich ja gerade gesagt habe, es gibt einen klaren Zusammenhang, den kann man auch ernsthaft nicht bestreiten.
Kaess: Aber wenn diese Aufsichtsbehörde so schnell kommt und diese Aufsicht so schnell eingerichtet werden kann, zum Beispiel durch die EZB, dann wäre das nächstes Jahr schon so weit?
Schäuble: Ich habe eben Zweifel, dass das so schnell kommt, und deswegen glaube ich, dass da wieder Erwartungen geschaffen werden, die dann nicht erfüllt werden können, auch nicht annähernd. Das ist immer ein Grund von Ärger und von Nervosität auf den Finanzmärkten: erst macht man durch voreilige Ankündigungen Hoffnungen, schürt Spekulationen auf den Finanzmärkten, dann kommt das nicht so schnell, weil es gar nicht geht, und hinterher wundert man sich, dass die Finanzmärkte nicht genügend Vertrauen in den Euro haben, weil sie sagen, die Entscheidungsstrukturen in Europa sind so komplex. Aber das werden wir diskutieren, sobald die Kommission ihre Vorschläge überhaupt beschlossen hat. Wie immer ist es so: es gibt erst ein Interview und dann stürzen sich die Medien darauf und dann werden Erwartungen geschaffen, die sich dann hinterher nicht so verwirklichen lassen.
Kaess: Wir wollen uns noch auf etwas anderes stürzen, Herr Schäuble. An diesem Donnerstag beschließt der Rat der EZB über sein weiteres Vorgehen zum Ankauf von Staatsanleihen kriselnder Euro-Länder. EZB-Chef Mario Draghi ist für weitere Ankäufe, Bundesbankchef Jens Weidmann ist dagegen. Hat Jens Weidmann mit seiner Haltung Ihre volle Unterstützung?
Schäuble: Jetzt, Frau Kaess, sind wir in dem Bereich, wo die EZB ganz unabhängig ist und wo deswegen Finanzminister sich mit Kommentaren und öffentlichen Äußerungen ganz zurückhalten müssen, am besten alle anderen auch. Im übrigen weiß ich auch nicht, was die EZB in ihrer Ratssitzung beschließen wird. Das ist ja das übliche bei der Europäischen Zentralbank, dass hier spekuliert wird, aber dass die EZB zurecht überhaupt nicht ankündigt, was sie beschließen wird, und dass es klar ist, dass die EZB …
Kaess: Aber es ist klar, worüber diskutiert wird?
Schäuble: Ja klar. Die EZB diskutiert wieder und wieder über ihre geldpolitische Verantwortung in einer Situation, wo wir dabei sind, schrittweise verloren gegangenes Vertrauen in den Euro zurückzugewinnen, und da muss man sehr darauf achten, dass wir jetzt nicht auch da wieder falsche Erwartungen schaffen. Die Länder haben die notwendigen Maßnahmen in Kraft gesetzt.
Kaess: Aber, Herr Schäuble, wenn ich Sie da mal kurz unterbrechen darf? Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), der sieht das wohl anders. Der stellt sich hinter Bundesbankpräsident Weidmann.
Schäuble: Mag sein, aber ich bin der Bundesfinanzminister, ich muss auch nicht über Interviews mit meinen Kollegen diskutieren.
Kaess: Aber was ist denn jetzt die Haltung der Bundesregierung?
Schäuble: Innerhalb der Bundesregierung ist jeder für seinen Geschäftsbereich zuständig.
Kaess: Und was ist dann die einheitliche Haltung der Bundesregierung?
Schäuble: Die Haltung der Bundesregierung ist, dass wir die Unabhängigkeit der Bundesbank achten, dass wir darüber hinaus glauben, es muss ganz klar bleiben, Staatsschulden dürfen nicht durch Geldpolitik finanziert werden. Deswegen darf es keine Entscheidungen geben, die würden wir für ganz falsch halten, die wären auch durch das Mandat der Europäischen Zentralbank nicht gedeckt, aber das wird die Europäische Zentralbank auch nicht machen, die letzten Endes darauf hinauslaufen, dass man über die Geldpolitik, also den Bereich, für den die Europäische Zentralbank zuständig ist, die Staatsverschuldung finanziert. Das ist das, was wir auf gar keinen Fall machen dürfen, und da muss man auch den Anfängen wehren.
Kaess: Herr Schäuble, ganz zum Schluss noch kurz zu einem anderen Thema, mit der Bitte um eine kurze Antwort. Fahnder haben anhand der Daten von Steuersündern auf den von Nordrhein-Westfalen gekauften CDs aus der Schweiz jetzt Methoden der Steuerhinterziehung nachvollzogen, bei denen es offenbar weiße und schwarze Konten gab. Rechtfertigt allein diese Entdeckung nicht den Ankauf dieser CDs?
Schäuble: Bisher ist unstreitig, dass der Ankauf von CDs – die Bundesregierung hat sich daran, an diesen nicht einfachen Entscheidungen, ja auch beteiligt, auch ich selbst – rechtlich gerechtfertigt ist. Wir sind allerdings der Überzeugung, dass der bessere Weg ist, dass wir durch das Abkommen mit der Schweiz die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich diese Fragen gar nicht mehr stellen, weil in Zukunft Kapitalanlagen in der Schweiz genauso behandelt werden wie Kapitalanlagen in Deutschland. Das ist der eigentliche Punkt.
Kaess: Aber der Ankauf der CDs sollte nicht unter Strafe gestellt werden?
Schäuble: Die Frau Kollegin Leutheusser hat in einem Interview einen solchen Vorschlag gemacht, darüber müssen wir im einzelnen diskutieren. Das ist aber nicht die Hauptsache, das ist ein Nebenkriegsschauplatz. Der eigentliche Punkt ist: wir müssen durch ein Abkommen mit der Schweiz wie mit allen anderen Ländern die Dinge so regeln, dass der Staat nicht darauf angewiesen ist, mit Kriminellen zusammenzuarbeiten, um die Gerechtigkeit des Steuervollzugs sicherzustellen. Das ist ja auf die Dauer für den Rechtsstaat keine befriedigende Situation.
Kaess: Vielen Dank für das Interview – Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble von der CDU. Danke schön, schönen Tag noch.
Schäuble: Bitte sehr, Frau Kaess!
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