Dr. Wolfgang Schäuble im Deutschen Bundestag zur Lage der Kommunen
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Bundesregierung dankt Ihnen, Herr Präsident, für die Worte, die Sie eben zu der katastrophalen Flut und zu der Situation der Menschen, die wieder von einem solch schrecklichen Ereignis betroffen sind, gesprochen haben. Was Sie gesagt haben, ist die Haltung aller Fraktionen und ist die Haltung der Bundesregierung. Uns alle machen die Bilder von dieser Flut betroffen. Wir fühlen mit den Menschen und tun alles, um so rasch, so wirkungsvoll und so unbürokratisch wie möglich zu helfen.
Jetzt geht es zunächst darum, die Schäden möglichst gering zu halten. Deswegen sind die Rettungsdienste vor Ort im Einsatz. Die Bundeswehr und das Technische Hilfswerk helfen nach besten Kräften. Die Verwaltungen, die Polizeien, die Rettungsdienste, die ehrenamtlichen Helfer und die vielen freiwillig tätigen Bürgerinnen und Bürger leisten großartige Arbeit. Wir können stolz auf dieses hohe Maß an bürgerschaftlichem Engagement sein.
Wir werden über die Sofortmaßnahmen hinaus mit den Ländern zusammen alles Notwendige tun, um bei der längerfristigen Bewältigung der Flutfolgen solidarisch zu helfen. Darauf können sich alle verlassen.
Niemand kann im Augenblick die Schäden abschätzen. Das ist auch gar nicht die entscheidende Frage. Vielmehr muss jetzt getan werden, was jetzt getan werden kann, und danach wird man gründlich aufarbeiten und tun, was dann zu tun ist. Das werden wir wie beim letzten Mal solidarisch, gemeinsam leisten.
Man sieht im Übrigen in diesen Tagen auch, was alles in den letzten zehn Jahren vielerorts erfolgreich geleistet worden ist. Auch das gehört in diesen Tagen der Betroffenheit zu unserer Botschaft.
Meine Damen und Herren, darin zeigt sich um zum Gegenstand unserer Debatte zu kommen , dass bürgerschaftliches Engagement vor allem vor Ort gelebt wird. Das gilt übrigens besonders in Zeiten der Globalisierung, europäischer Krisen und Diskussionen. Deswegen sind lebensfähige Kommunen von entscheidender Bedeutung für eine lebensfähige Demokratie. Deswegen ist die Gestaltungs- und Leistungsfähigkeit der Kommunen von einer entscheidenden zentralen Bedeutung.
Aus diesem Grund hat die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode viel, wahrscheinlich mehr als die meisten kommunalen Vertreter erwartet haben, für die Kommunen getan, obwohl das muss man gelegentlich dann doch in Erinnerung rufen die prioritäre Zuständigkeit für die Kommunen nach unserem Grundgesetz bei den Ländern liegt. Die Länder achten auch gelegentlich sehr darauf, dass ihnen in ihre Zuständigkeit nicht eingegriffen wird. Lediglich bei der Finanzierung sind sie bereit, dem Bund hinreichend Verantwortung zu überlassen. Wir haben diese Verantwortung wahrgenommen und in dieser Legislaturperiode Leistungen in einem enormen Umfang, unbeschadet der Zuständigkeit der Länder, für die Gemeinden übernommen. Ich erinnere daran, dass wir die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vollständig übernehmen. Wir haben damit eine Entscheidung der rot-grünen Regierung korrigiert. Wir entlasten die Kommunen damit um fast 20 Milliarden Euro in den Jahren 2012 bis 2016.
Das schafft für alle Kommunen Spielräume zur Stärkung von Investitionen. Es profitieren vor allen Dingen struktur- und finanzschwache Kommunen.
Der Bund unterstützt die Kommunen massiv beim Ausbau des Kinderbetreuungsangebots für unter Dreijährige. Auch für diesen Bereich haben die Länder nach dem Grundgesetz die prioritäre Zuständigkeit. Wir haben die Mittel gerade noch einmal um weitere 580 Millionen Euro aufgestockt, um den Ausbau zu beschleunigen und das Angebot zu erweitern.
Wir haben in dieser Legislaturperiode auch dafür gesorgt, dass sich noch mehr Kreise und Städte, wenn sie es wollen, selbstständig um Langzeitarbeitslose kümmern können. Wo diese Entscheidung getroffen wurde, hat es sich übrigens sehr bewährt. Auch darin zeigt sich, dass Föderalismus, dezentrale Entscheidungen und Subsidiarität die effizientere Gestaltungs- und Ordnungsform sind.
Wir haben das Bildungspaket bei voller Kostenerstattung durch den Bund in kommunale Zuständigkeit überführt.
Wir haben uns übrigens auch daran will ich erinnern auf dem Höhepunkt der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise stellvertretend für Länder und Kommunen verschuldet das war die finanzpolitische Lage, um den Kommunen mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm durch ein Tal zu helfen und einen Modernisierungsschub für die kommunale Infrastruktur zu ermöglichen. Das haben wir in der Finanz- und Wirtschaftskrise getan. Wir haben die Folgen für die Neuverschuldung im Bundeshaushalt in dieser Legislaturperiode gut bewältigt.
Ich möchte aber sagen: Es ist kein Zufall. Das Rekordjahr kommunaler Defizite war nicht etwa 2010, sondern 2003. Jedermann weiß, wer damals Regierungsverantwortung in Deutschland getragen hat.
Darin zeigt sich die unterschiedliche Haltung früherer Bundesregierungen und der heutigen Bundesregierung. Wir reden nicht nur von kommunalfreundlicher Politik, sondern handeln.
Ich weiß schon, dass Sie die Zahlen nicht gerne hören. In einer Zeit der großen Parolen und großen Versprechungen ist es gelegentlich ganz gut, an Folgendes zu erinnern: Das Jahr 2003, als Sie regiert haben, war, ohne Wirtschaftskrise, der Höhepunkt kommunaler Defizite.
Im Übrigen zahlt sich unsere kommunalfreundliche Politik aus. Die Kommunen haben das Jahr 2012 mit einem Finanzierungsüberschuss von 1,8 Milliarden Euro abgeschlossen. Sie erreichen als erste staatliche Ebene vor Bund und Ländern einen positivenFinanzierungssaldo. Die Zahlen sind wirklich eindrucksvoll. Diese erfreuliche Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Das zeigen auch die Schätzungen der kommunalen Spitzenverbände selbst.
Natürlich ist die finanzielle Situation der einzelnen Kommunen unterschiedlich. In diesem Zusammenhang wird auf die hohen Kassenkredite hingewiesen. Sie sind vor allen Dingen ein Problem einzelner Bundesländer. Meine Damen und Herren, da können Sie sich gleich wieder empören – es ist auch empörend -: Die Hälfte der bundesweiten kommunalen Kassenkredite entfällt allein auf Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Auch dort sind übrigens nicht alle Kommunen betroffen, auch dort bestehen erhebliche Ungleichgewichte; aber die Landesregierung tut nichts, um diesen Ungleichgewichten entgegenzuwirken.
Reden wir einmal, was die Eigenverantwortung der Länder für die Kommunen anbetrifft, über Rheinland-Pfalz. Dort ist höchstrichterlich festgestellt worden, dass das Land die Kommunen entgegen Recht und Gesetz finanziell zu schlecht ausgestattet hat. Auch das ist eine Wahrheit, die in dieser Debatte gesagt werden muss.
Die Länder müssen ihrer Verantwortung für die Kommunen, die ihnen das Grundgesetz zuweist, nachkommen, und zwar alle Länder; sie müssen für eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen und für einen Ausgleich kommunaler Finanzkraftunterschiede sorgen. Darauf haben die Gemeinden einen Anspruch.
Es ist doch für die Länder wirklich kein Ruhmesblatt, dass sich viele Kommunen, übrigens auch in Nordrhein-Westfalen, in erster Linie auf den Bund verlassen, nach dem Bund rufen, nicht nach der zuständigen Landesregierung, weil sie von dort wenig Hilfe erwarten.
Der Bund nimmt seinen Teil der Verantwortung wahr. Wir schultern übrigens zunehmend Dinge, die ursprünglich in Länderverantwortung lagen. Darüber werden wir auch in den nächsten Jahren miteinander reden müssen, wenn wir erneut über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu diskutieren haben.
Ich will das besonders dringliche und wichtige Thema des Ausbaus der Betreuung in Kindertagesstätten als Beispiel nennen. Wir alle sind gemeinsam der Auffassung, dass allen Eltern in Deutschland, wenn sie es wünschen, ein Betreuungsplatz für ihre unter dreijährigen Kinder zur Verfügung gestellt werden sollte. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode die Weichen dafür gestellt, dass aus einem Nischenangebot ein flächendeckendes Angebot wird. Unser gemeinsames Ziel ist es, die Zahl der Betreuungsplätze auf 780 000 zu erhöhen und damit gegenüber dem Stand von 2006 zu verdreifachen.
Wir sind auf einem guten Weg: Der Deutsche Landkreistag hat vor einigen Wochen darauf hingewiesen, dass mit Beginn des Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz im August das notwendige Angebot letztlich zur Verfügung stehen wird. Die Bereitstellung eines solchen Angebots ist nach dem Grundgesetz originäre Aufgabe der Länder und Kommunen. Der Betrieb von Kindertagesstätten gehört zu den klassischen kommunalen Aufgaben. Es ist die Aufgabe der Länder und Kommunen, hier die Eltern zu unterstützen. Das schließt natürlich die Finanzierungsverantwortung mit ein.
Ohne den Anstoß des Bundes wäre aber in der Fläche nichts geschehen. Dass sich hier in den vergangenen Jahren in Deutschland so viel getan hat – es sind Hunderttausende neue Kitaplätze geschaffen worden -, ist die Folge der Initiative des Bundes und vor allem der von ihm bereitgestellten massiven finanziellen Hilfen: Wir stellen bis zum Jahre 2014 insgesamt 5,4 Milliarden Euro für Investitionen und Betrieb im Bereich der Kindertagesstätten bereit; ab 2015 werden es dauerhaft jährlich 845 Millionen Euro sein.
Der Ausbau der Kinderkrippenplätze ist zwischen Bund und Ländern vereinbart. Der Bund hat alle seine Zusagen eingehalten, er hat die Mittel freiwillig sofort weitergegeben, und er hat den Ausbau mit weiteren Initiativen flankiert: Bereitstellung von KfW-Krediten, Unterstützung betrieblicher Kinderbetreuung, Initiativen zur Sprach- und Integrationsförderung, Elternbegleitung, Gewinnung von Fachkräften für die Kitas. All dies hat der Bund zusätzlich getan, und dennoch gibt es Diskussionen, ob denn alle Länder alle Mittel des Bundes wirklich zügig an die Kommunen, für die sie gedacht sind, weitergeben; auch dies muss erwähnt werden.
Die Länder dürfen am Ende nicht Sand im Getriebe sein, wenn es darum geht, die Leistungsfähigkeit der Kommunen zu gewährleisten. Deshalb werden wir in der kommenden Legislaturperiode in Bezug auf die Gesamtverantwortung von Bund und Ländern darüber verhandeln müssen, auch über die Finanzierung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen; das muss in einem grundsätzlichen Kontext geschehen. Wir haben uns verpflichtet, hier in der nächsten Legislaturperiode eine Neuregelung auf den Weg zu bringen. Aber das erfordert, dass Bund und Länder gemeinsam Verantwortung übernehmen; das will ich festhalten.
Eine letzte Bemerkung. Es bleibt entscheidend, dass die Kommunen vor Ort hinsichtlich der Ausgaben und Einnahmen mehr Gestaltungsmöglichkeiten bekommen, sonst wird kommunale Selbstverwaltung ausgehöhlt.
Nur mit der Zuweisung von Aufgaben gegen volle Finanzierung ist kommunale Selbstverwaltung inhaltlich noch nicht hinreichend ausgestaltet. Umgekehrt brauchen die Gemeinden mehr Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf ihre eigenen Einnahmen. Wir haben es in dieser Legislaturperiode leider nicht geschafft, darüber einen hinreichenden Konsens zu erzielen. Das Angebot bleibt, dass wir in der nächsten Legislaturperiode noch einmal einen solchen Versuch unternehmen wollen. Es geht entscheidend darum, dass wir die Kommunen stärken. Das ist das eigentliche Anliegen; denn sie sind die Grundlage einer lebendigen Demokratie. Sie sind im Übrigen auch Basis eines Europas, wenn dieses Europa dem Titel „In Vielfalt geeint“ gerecht werden will.