Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.09.2014
Die politischen Verhandlungen über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen nach 2019 haben noch nicht einmal begonnen, da summieren sich die Forderungen der Länder an den Bund und damit letztlich an den Steuerzahler bereits auf bis zu vierzig Milliarden Euro. Solche Vorschläge nur für Finanzverschiebungen lenken davon ab, worum es in Wirklichkeit geht: Wir wollen den Gesamtstaat handlungsfähiger machen. Dafür brauchen wir eine sachgerechte Aufgabenzuordnung zwischen den staatlichen Ebenen und klare Verantwortlichkeiten.
Laut dem Koalitionsvertrag der Großen Koalition soll es bei den nun beginnenden Verhandlungen nicht zuletzt um eine bessere Aufgabenzuordnung von Bund, Ländern und Kommunen gehen sowie um die Zukunft des Solidaritätszuschlags und um den Umgang mit den Altschulden. Bei all dem lautet die entscheidende Frage: Wollen wir den Trend zu einem kooperativen Zentralstaat fortsetzen oder wollen wir die Autonomie der Länder und Kommunen stärken? Ein lebendiger Föderalstaat setzt eigenständige Länder und starke Kommunen voraus.
Daraus ergibt sich für die Verhandlungen: Was Länder und Kommunen brauchen, sind mehr Gestaltungsrechte bei den Einnahmen und Ausgaben. Die Verantwortung für die Finanzierung sollte in der Regel einhergehen mit der Möglichkeit, Art und Umfang der Aufgabe weitgehend selbst zu bestimmen. Dies gilt für Bund und Länder gleichermaßen. Hier liegt gerade bei den sozialen Aufgaben und ihrer Finanzierung manches im Argen. Die Aufgaben müssen jeweils von der staatlichen Ebene erfüllt und finanziert werden, die dies am besten und effizientesten leisten kann. Bei Leistungen, die einen besonderen Bezug zu den jeweiligen örtlichen Verhältnissen haben, sollten die Handlungs- und Entscheidungsspielräume gestärkt werden und dann auch die Finanzierungsverantwortung vor Ort liegen. Nur so fördern wir effizienten und sparsamen Mitteleinsatz. Gerade bei solchen Leistungen, bei denen wir schon jetzt große regionale Unterschiede in der Interpretation der Aufgabe beobachten können, ist eine Übernahme durch den Bund gewiss nicht der Königsweg.
Die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag fließen dem Bund zu, da er die Aufgaben der deutschen Einheit zu finanzieren hat. Ausgleichsbedarf der neuen Länder bleibt auch weiterhin bestehen. Hier wird der Bund in der Verantwortung bleiben müssen. Nicht vergessen werden darf, dass im Zuge der Wiedervereinigung der Bund bei der Einbeziehung der neuen Länder in den Länderfinanzausgleich zugunsten der Länder 1995 auf sieben Prozentpunkte seines Umsatzsteueranteils verzichtet hat. Auch deshalb sind die Spielräume des Bundes begrenzt.
Zweierlei ist hier nun wichtig, wenn wir in den nächsten Monaten über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen verhandeln: Es muss für den Bund gewährleistet bleiben, dass er seinen Aufgaben auch nach 2019 weiterhin angemessen nachkommen kann. Und der Bürger darf keinesfalls stärker belastet werden. Dies würde gerade auch bei einer Eingliederung des Solidaritätszuschlags in die Gemeinschaftssteuern gelten.
Eine Übernahme der Altschulden der Länder durch den Bund würde ihn nicht nur finanziell vollkommen überfordern. Es gibt dafür auch keinen sachlichen Grund. Der Bund ist heute nicht nur höher verschuldet als die allermeisten Länder, sondern auch als die Gesamtheit von Ländern und Kommunen. Es deutet zudem aus heutiger Sicht sehr viel darauf hin, dass fast alle Länder bis zum Jahr 2020 die Schuldenbremse ohne größere Probleme einhalten können. Dafür muss eine konsequente Haushaltsdisziplin selbstverständlich sein. Sie ist Grundlage kooperativen Verhaltens im Föderalstaat.
Wenn einzelne wenige Länder dennoch Hilfe brauchen sollten, muss ein strikter Kriterienkatalog gelten: Hilfe kann nur unter strengen Auflagen, die von Bund und Ländern in einem gestärkten Stabilitätsrat überwacht werden, in Betracht kommen. Dazu müsste der Stabilitätsrat mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet werden, um in Zukunft Haushalte zurückweisen zu können, die den gemeinsam vereinbarten Regeln der Schuldenbremse und des europäischen Fiskalvertrags widersprechen. Auch wäre eine Beteiligung der Gesamtheit der Länder an der Finanzierung derartiger Hilfen unerlässlich. Alles andere würde zu Fehlanreizen führen. Diese Lehre haben wir aus der Krise in Europa gezogen. Sie muss uns auch im deutschen Föderalstaat leiten.
Für die anstehenden Verhandlungen liegen viele Vorschläge auf dem Tisch. Die meisten sind jedoch bislang Forderungen aus den Ländern nach mehr finanziellen Mitteln ohne einen gestaltenden Anspruch. Doch nur wenn sich die Länder ernsthaft an den Überlegungen beteiligen, wie der Gesamtstaat effizienter und leistungsfähiger werden kann, wird der föderale Staat auch in Zukunft handlungsfähig bleiben.
Der Autor ist Bundesminister der Finanzen.