Namensartikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Dezember 2014.
Deutschland und Europa stehen vor großen Herausforderungen: Die Megatrends Globalisierung, Digitalisierung und Beschleunigung des Wandels in allen Lebensbereichen schaffen eine Wirklichkeit, die sich nicht mehr innerhalb von Staatsgrenzen bewegt, sondern grenzenlos ist. Unsere Antwort darauf ist die europäische Einigung. Europa hat in den letzten Jahren die Krise genutzt, um sich auf soliderem Fundament neu aufzustellen.
Vertrauen in den Euro und in den Euroraum ist spürbar zurückgekehrt. Struktur- und Fiskalreformen haben Europa gestärkt. Die Haushaltsdefizite in der Eurozone wurden seit 2009 halbiert. Die Wettbewerbsfähigkeit nimmt zu. Diesen Weg müssen wir nun konsequent fortsetzen.
Wir müssen die europäischen Verträge an den durch die Krisenbekämpfung erreichten Integrationsstand anpassen. Wir müssen in Europa Entscheidungen sehr viel stärker durch die europäischen Institutionen treffen. Ich halte viel von der Idee, dass das Europäische Parlament eine Eurozonen-Kammer bildet. Wir brauchen auch eine Aufgabenkritik mit klarer Verteilung von Zuständigkeiten zwischen den Ebenen in Europa.
Die Europäische Union muss sich auf Bereiche konzentrieren, in denen nur die europäische Ebene nachhaltig erfolgreich handeln kann: auf die Sicherstellung eines fairen und offenen Binnenmarktes, auf Handel, Finanzmarkt und Währung, Klima, Umwelt und Energie sowie Außen- und Sicherheitspolitik. Wenn die Aufgaben dort angesiedelt sind, wo sie am besten bewältigt werden können, muss jede Ebene in Europa künftig die Gesetzgebungskompetenz und die Vollzugskompetenz für ihre Zuständigkeiten haben. Dafür brauchen wir auch eine stärkere demokratische Legitimation der europäischen Institutionen.
Das Ziel sollte eine von Europas Bürgerinnen und Bürgern eindeutig legitimierte Legislative, Exekutive und Judikative auch auf europäischer Ebene sein – neben denen auf nationaler Ebene. Dies würde nicht zuletzt die Handlungsfähigkeit der Europäischen Kommission erhöhen. Sie muss stärker und unabhängiger werden für eine noch konsequentere Umsetzung der Fiskalregeln in den Mitgliedstaaten. Die Europäische Kommission muss sich in den nächsten Jahren stärker auf die wesentlichen Herausforderungen und politischen Prioritäten der Europäischen Union ausrichten: die Förderung von Wachstum, Investitionen und Beschäftigung.
Der vom neuen Präsidenten der Europäischen Kommission vorgestellte Investitionsplan für Europa ist Teil dieser Prioritätensetzung. Um Wachstum und Beschäftigung nachhaltig zu stärken, sind geordnete Staatsfinanzen eine zentrale Voraussetzung. Wir müssen die Finanzmärkte weiter so regulieren, dass sie der Realwirtschaft nützen. Wir müssen die Strukturreformen auf den Arbeitsmärkten voranbringen, den Binnenmarkt vertiefen, das transatlantische Freihandelsabkommen abschließen und schädlichen Steuerwettbewerb eindämmen. Und wir brauchen für Europa eine Energieunion und eine Digitale Union.
Wenn uns all dies gelingt und wir in Europa unsere Fähigkeiten noch stärker bündeln, können wir unser europäisches Modell durch dauerhafte wirtschaftliche Stärke untermauern. Wir sichern damit unsere Möglichkeiten, weltweit neue Ordnungen mitgestalten zu können, die von europäischen Werten geprägt sind. Dann werden wir auch künftig in einer Welt leben können, die unseren eigenen Ansprüchen gerecht wird.