Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Wirtschaftswoche



Der CDU-Finanzminister will die Euro [Glossar]-Krise nutzen, um die politische Einigung Europas voranzutreiben. Angst und Unmut der Bevölkerung möchte er später bekämpfen.
Wirtschaftswoche: Herr Minister, die Regierung stilisiert die Zukunft des Euro zur Frage von Krieg und Frieden. Ist das nicht so übertrieben, dass sich das Argument selbst entwertet?

Schäuble: Die Kanzlerin sagt: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.

Wirtschaftswoche: Scheitert es wirklich?

Schäuble: Ich glaube, dass sie damit recht hat. Wir haben uns in der europäischen Einigung entschieden, Schritt für Schritt voranzugehen. Die wirtschaftliche Integration soll die politische nach sich ziehen. Man hat den Euro gegründet, um die wirtschaftliche Integration unumkehrbar zu machen und gemeinsam die Wettbewerbsfähigkeit der unterschiedlichen Staaten im Kontext der einheitlichen Währung zu steigern. Wenn diese Methode scheitern sollte, wäre diese evolutionäre Entwicklung am Ende.

Wirtschaftswoche: Oder sie ginge einen anderen Weg.

Schäuble: Es besteht die reelle Gefahr, dass die Währungsunion auseinanderfallen würde. Die EU würde enorm an politischem Vertrauen und weltweiter Handlungsfähigkeit verlieren. In Asien beispielsweise gilt Europa als das Modell für die internationale Zusammenarbeit der Zukunft. Wenn wir es nicht schafften, den Euro stabil zu halten, leidet mehr als nur die Währung – unser Zusammenhalt und unser Handlungsspielraum in einer globalisierten Welt.

Wirtschaftswoche: Aber hängt das von der Euro-Mitgliedschaft Griechenlands ab?

Schäuble: Das ist die nächste Frage. Wenn Europa nicht in der Lage wäre, jedes Land, welches wir einmal in die Euro-Zone aufgenommen haben, auch in dieser zu halten, wäre das ein schwerer Schlag gegen die Überzeugungskraft des europäischen Modells. Eine andere Frage ist, ob ein Land für sich selber entscheiden kann, die Euro-Zone zu verlassen. Das ist in den Verträgen nicht geregelt.

Wirtschaftswoche: Griechenland könnte eine Euro-Pause nehmen, wenn die Last zu groß ist. Abwertungen machen die Anpassung leichter.

Schäuble: Wir sollten Respekt haben vor den enormen Anpassungslasten, die dem griechischen Volk abverlangt werden. Dabei scheint es auch nicht immer fair zuzugehen, wenn man den Medienberichten über Yachten in Piräus oder Mykonos und anderem glauben darf. Wir können dem griechischen Volk die erforderlichen Anpassungsleistungen nicht ersparen. Am Ende muss das Volk entscheiden, ob es die Last tragen kann und will. Die griechische Regierung ist auf jeden Fall klar entschlossen, unter allen Umständen im Euro zu bleiben.

Wirtschaftswoche: Fließt die nächste Tranehe, wenn die Bedingungen erfüllt sind, oder reicht die Aussage der Troika aus EU-Kommission, EZB [Glossar] und IWF, Griechenland sei auf gutem Wege?

Schäuble: Die Auszahlung der Tranchen hängt vom Votum der unabhängigen Institutionen ab. Das ist einer der Gründe, weshalb der IWF dabei ist.

Wirtschaftswoche: Weil er die einzige unabhängige Institution in dem Spiel ist?

Schäuble: Weil der IWF die globale Fachinstanz für Fragen von Staatsschulden ist. Die EZB ist auch vollkommen unabhängig. Dazu nur eins: Die Bundesregierung tut entgegen manchem Missverständnis in Deutschland alles, um diese Unabhängigkeit der EZB zu verteidigen. Und die EU-Kommission bringt als das von den Mitgliedstaaten unabhängige EU-Organ ebenfalls ihre Expertise in die Troika ein. EZB, EU-Kommission und IWF prüfen sehr genau, Gefälligkeitsgutachten gibt es da nicht. Das hat man an der Unterbrechung der Mission und den Verhandlungen der vergangenen Tage gesehen.

Wirtschaftswoche: Müssen die Bedingungen und Daten genau erfüllt sein?

Schäuble: Die Troika gibt eine Empfehlung ab, und auf dieser Grundlage entscheiden die Mitgliedstaaten des EFSF. So klar ist das und auch durch weitere Fragen nicht weiter aufzuspalten.

Wirtschaftswoche: Bleibt Griechenland nur, um die Milliardengeber zu halten? Wenn man raus ist, ist man ein hinterbalkanischer Problemstaat.

Schäuble: Ihre Formulierung lehne ich ab. Athen, Griechenland ist – auch historisch ein zentraler Bestandteil Europas. Jeder Verantwortliche weiß, dass ein Ausscheiden erhebliche Folgen hätte für Griechenland, aber auch weit darüber hinaus.

Wirtschaftswoche: Eine Bank, die noch nicht alle Griechenpapiere an die EZB verkauft hat, hätte einen schlechten Job gemacht. Droht das Risiko eines Dominoeffektes wirklich noch?

Schäuble: Wie groß es wirklich ist, lohnt nicht zu spekulieren. Es ist nach Einschätzung aller Experten jedenfalls erheblich. Man darf die potenziellen Auswirkungen für die Banken nicht unterschätzen, und es gibt die Ansteckungsgefahr unter den Staaten. Einige Akteure an denFinanzmärkten [Glossar] haben Zweifel, ob eine Konstruktion wie Europa seine Währung stabil halten kann. Das testen sie. Und manche Marktteilnehmer haben Interesse an Volatilität, nicht an Stabilität, weil sie daran verdienen. Das alles spricht dafür, dass unser Weg der mit Abstand beste ist.

Wirtschaftswoche: Gibt es Ihnen zu denken, dass die Mehrheit der Ökonomen den Weg falsch findet?

Schäuble: Mehrheitsentscheidungen von Ökonomen sind mir nicht bekannt. Und öffentlich wird vor allem wahrgenommen, wer vom Mainstrcam abweicht, egal, für wie wenige er steht. Zudem scheinen manche – vor allem nicht europäische – Ökonomen das Prinzip der europäischen Währung nicht vollkommen verstanden zu haben oder verstehen zu wollen. Und bei manchen habe ich den Eindruck, dass publizistische Interessen im Vordergrund stehen, nicht wissenschaftliche.

Wirtschaftswoche: Im Sachverständigenrat findet einer den Kurs richtig, vier halten eine Umschuldung Griechenlands für unvermeidlich.

Schäuble: Die klare Mehrheit im Sachverständigenrat ist für den Erhalt der Euro-Zone.

Wirtschaftswoche: Das ist kein Widerspruch.

Schäuble: Aber man muss die Argumente auch umfassend beleuchten.

Wirtschaftswoche: Das Haus Roland Berger empfiehlt, griechisches Vermögen auf eine europäische Treuhand zu übertragen und dafür Griechenland zu entschulden. Ist das ein Weg?

Schäuble: Die griechische Regierung hat bislang großen Wert darauf gelegt, ihre souveränen Rechte wahrzunehmen. Das ist eine Frage des Selbstbewusstseins. Zudem gehen die Vorgaben des Griechenlandpakets, wie beschleunigte und umfassendere Privatisierung, sowieso in diese Richtung. Wir haben unsere Hilfe angeboten, weil wir seit der deutschen Einheit wissen, wie schwierig das ist. Einfach aufzulisten, welche privatisierungsfahigen Vermögenswerte Griechenland hat, und irgendwelche Werte hinzuschreiben reicht nicht. Man muss auch Investoren finden, die Mittel bereitstellen. Diese Überlegung liegt aber auf der Linie, in der wir auch denken.

Wirtschaftswoche: Es würde den Zeitdruck herausnehmen.

Schäuble: Deshalb haben wir Griechenland ja auch mehr Zeit für die Privatisierung und Stabilisierung eingeräumt. Denn dass Griechenland nicht wie 2010 gedacht, schon 2012 an den Kapitalmarkt zurückkehren kann, ist klar.

Wirtschaftswoche: Welchen Zeitplan haben Sie?

Schäuble: Griechenland wird zur vollen Herstellung seiner Wettbewerbsfähigkeit sicher eher ein Jahrzehnt brauchen als ein Jahr.

Wirtschaftswoche: So lange muss es alimentiert werden?

Schäuble: Wie lange wir helfen müssen, wird man sehen. Und Alimentierung ist das falsche Wort – es sind Kredite, die zurückzuzahlen sind. Zudem: Alle Hilfspakete sind Hilfe zur Selbsthilfe. Wir verschaffen Griechenland, aber auch Portugal und Irland, Zeit. Zeit, die sie brauchen, um die notwendigen Reformen zu absolvieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, und Zeit, die sie am Kapitalmarkt nicht zu erträglichen Bedingungen kaufen können.

Wirtschaftswoche: Bislang versucht Griechenland, durch mehr Sparen und mehr Steuern die Kasse in Ordnung zu bringen, nicht die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Schäuble: Der erste und schnellste Schritt müssen Maßnahmen sein, das Defizit [Glossar] zu reduzieren. Angesichts einer zumindest teilweise deutlich verbesserungsfähigen Steuerverwaltung haben sie es nicht leicht, das alles umzusetzen. Griechenland hat darüber hinaus auch schon einige wichtige strukturelle Reformen – zum Teil unter großen Schmerzen – auf den Weg gebracht. Das haben übrigens auch andere Länder, die gar nicht solchen Anpassungsprogrammen unterliegen, wie Spanien gemacht. Es bewegt sich eine Menge in Europa, was zeigt, dass die Grundannahme der Währungsunion funktioniert: Wir bewegen uns aufeinander zu.

Wirtschaftswoche: Nun hat Standard & Poor’s auch Italien heruntergestuft. Offensichtlich können die viel gescholtenen Ratingagenturen ganz gut politische Prozesse beschleunigen.

Schäuble: Die Verantwortlichen in Italien und in allen anderen Ländern – müssen wissen, dass es problematisch ist, Maßnahmen oder Verpflichtungen anzukündigen und dann nicht dazu zu stehen. So kann man das Vertrauen der Finanzmärkte verlieren. Vertrauen ist die wichtigste, aber derzeit auch die knappste Ressource.

Wirtschaftswoche: Ist Italien ein ernstes Problem?

Schäuble: Italien ist ein starkes Land, seine wirtschaftlichen Daten sind gut. Italiens Schulden sind beherrschbar und wären relativ schnell in die Regeln des Paktes zurückzuführen. Vielleicht nimmt Italien die Herabstufung zum Anlass, die bereits beschlossenen Maßnahmen noch schneller und zügiger umzusetzen.

Wirtschaftswoche: Wie kann die Europaische Union vertrauen zurückgewinnen, nachdem man die Regeln selbst gebrochen hat?

Schäuble: Was glauben Sie, wie oft ich in Europa vorgehalten bekomme, dass es Deutschland unter der rot-grünen Bundesregierung und Frankreich gewesen seien, die als Erste gegen den Stabilitätspakt verstoßen haben. Und es ist leider wahr. Seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, ist es anders. Die erste Regierung Merkel hat sich ohne Wenn und Aber dem Defizitverfahren unterworfen und alle Auflagen erfüllt. Der jetzige Finanzminister in der zweiten Regierung Merkel hat gleich nach Amtsantritt erklärt, dass die Bundesregierung das Defizit bis 2013 zurückführt. Und wir werden schon in diesem Jahr deutlich unter der Grenze von drei Prozent bleiben.

Wirtschaftswoche: Wie sicher ist, dass die Verstöße der heutigen Sünder tatsächlich und verlässlich sanktioniert werden? Ohne Automatismus ist das Vertrauen futsch.

Schäuble: Wir versuchen, aus dem Geschehenen zu lernen. Wir schärfen den Stabilitäts- und Wachstumspakt [Glossar], das wird Anfang Oktober beschlossen. Das sind zwar keine vollautomatischen Sanktionen, aber quasiautomatische. Das wird ergänzt durch ein sehr viel schärferes präventives Überwachungsverfahren. Aber das wird nicht ausreichen. Deshalb sagt die Bundesregierung: Wenn wir auf Dauer dem Euro eine stabile Struktur geben wollen, müssen wir auch auf der Seite der Finanzpolitik [Glossar] sehr viel enger zusammenwachsen und uns institutionell verstärken und damit die vergemeinschaftete Geldpolitik [Glossar]ergänzen – zumindest so weit, wie es erforderlich ist, die gemeinsame Währung stabil zu halten.

Wirtschaftswoche: Wollen das wirklich alle Partner?

Schäuble: Noch nicht, da muss man noch Überzeugungsarbeiten leisten. Wir brauchen nach den geltenden Verträgen für Vertragsänderungen einen Verfassungskonvent, aber der muss ja nicht so lang dauern wie beim letzten Mal. Vielleicht hilft da der Druck der in der Finanzkrise gemachten Erfahrungen.

Wirtschaftswoche: Der Euro sollte die europäische Einheit stärken. Inzwischen hat man den Eindruck, er zerstört sie.

Schäuble: Gerade durch Krisen ist Europa immer wieder vorangekommen. Der wirtschaftliche Integrationsschritt, der mit dem Euro vollzogen wurde, macht politische Integration notwendig. Das kann jetzt nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden – das ist gut so und bringt für die europäische Entwicklung auf längere Sicht sogar Vorteile. Nur wenn man gerade mittendrin steckt, gibt es eine gewisse Verunsicherung. Das ist eigentlich das größte Problem: Die Bevölkerung hat Schwierigkeiten, die Entwicklungen der letzten Zeit nachzuvollziehen. Da bleibt eine riesige Aufgabe politischer Führung, die man bei allem Krisenmanagement nicht aus den Augen verlieren darf.

Wirtschaftswoche: Mehr Europa wollen alle Parteien im Bundestag, aber mindestens 30 Prozent der Bevölkerung nicht. Verträgt es die Demokratie, wenn eine so große Gruppe in einer so zentralen Frage nicht im Parlament vertreten ist?

Schäuble: Es zeigt die große Verantwortung, die wir haben. Schicksalsfragen kann man nicht nach Meinungsumfragen entscheiden. Wir brauchen ein Europa des Vertrauens, derNachhaltigkeit [Glossar] und der Stabilität. Man hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland öfters sehen können: Regierungen hatten zeitweise große Widerstände in Umfragen und konnten diese überwinden. Wenn sie die Kraft haben, ihre Überzeugung durchzuhalten, sie ausreichend zu erklären und für sie zu werben, dann wird die Bevölkerung sich ihrer Sichtweise auch anschließen. Und um zu ermessen, ob das funktioniert, gibt es ein ganz einfaches Instrument in einer Demokratie: die Wahlen.

Wirtschaftswoche: Wenn die Stabilisierung Griechenlands gelingt, dann wird das überzeugen. Aber noch ein neuer Rettungsschirm würde die Menschen auf die Straße treiben.

Schäuble: Deswegen wollen wir eine dauerhafte Lösung, nämlich den Europäischen Stabilisierungsmechanismus ESM. Den EFSF müssten wir als vorübergehende Lösung schnell machen und jetzt ertüchtigen. Ich hatte ja letztes Jahr einen Europäischen Währungsfonds vorgeschlagen, da war man in Europa noch nicht so weit. Jetzt kommt der ESM – auch gut.

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