Bundesinnenminister Schäuble zur Einbringung des Gesetzentwurfs zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt
Rede von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble in 170. Sitzung des Deutschen Bundestages zum Gesetzentwurf zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (Protokollauszug)
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ist hoch. Deutschland und Europa sind in das Fadenkreuz des Netzwerks des internationalen Terrorismus gerückt. Das ist die unerfreuliche Nachricht nach einem Bericht von Europol über die Bedrohung durch den Terrorismus. Im vergangenen Jahr sind in Europa 201 Terrorismusverdächtige verhaftet worden. Wer sich Internetbotschaften ‑ in der Regel mit deutschen Untertiteln und einer hohen Professionalität erstellt ‑ anschaut, in denen Anleitungen formuliert sind, wie man Anschläge und Selbstmordattentate durchführt und Selbstmordattentäter anwirbt, der weiß, dass wir nicht von Kleinigkeiten reden, sondern einer ernsten Bedrohung ausgesetzt sind.
Diese Bedrohungslage hat den Verfassungsgesetzgeber vor zwei Jahren veranlasst ‑ eine Mehrheit von über zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags und Bundesrates hat dies beschlossen ‑, dem Bundeskriminalamt für die Abwehr der Gefahren des internationalen Terrorismus auch eine polizeiliche Gefahrenabwehrbefugnis zu übertragen, ergänzend zu den polizeilichen Gefahrenabwehrbefugnissen der Länderpolizeien. Diese Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers setzen wir mit diesem Gesetzentwurf um; wir füllen sie aus.
Es geht nicht darum ‑ und ich finde, dieser Aspekt ist in der öffentlichen Debatte gelegentlich ein wenig zu kurz gekommen ‑, dem Bundeskriminalamt neue Befugnisse zu verschaffen, sondern es geht darum, dem Bundeskriminalamt eine neue Aufgabe zu übertragen,
(Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beides!)
die bisher ausschließlich die Polizeien der Länder haben. Und wenn man dem Bundeskriminalamt die Aufgabe polizeilicher Gefahrenabwehr überträgt, dann muss man ihm dafür natürlich auch die gesetzlichen Instrumente zur Verfügung stellen, über die die Länderpolizeien seit 50 Jahren verfügen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es geht also nicht um neue Befugnisse, sondern es geht um eine neue Aufgabe angesichts einer neuen Bedrohung.
Dabei gilt die Systematik des Grundgesetzes: In jeden grundrechtlich geschützten Bereich darf nur unter engen tatbestandsmäßigen gesetzlichen Voraussetzungen eingegriffen werden, und zwar in der Regel nur aufgrund einer unabhängigen richterlichen Entscheidung. Das ist bei allen klassischen Instrumenten der polizeilichen Gefahrenabwehr so, insbesondere bei der Wohnungsdurchsuchung und bei der Kontrolle von Kommunikation unter engen Voraussetzungen: Eingriff ins Post- und Fernmeldegeheimnis, Wohnraumüberwachung. Das Bundeskriminalamt bekommt, wenn dieser Gesetzentwurf angenommen wird, diese Instrumente in der gleichen Weise: enge tatbestandliche Voraussetzungen, Entscheidung eines unabhängigen Richters.
Auch der Schutz des Kernbereichs, der nach unserem Grundgesetz absolut ist, wird in diesem Gesetzentwurf in der bewährten Weise verwirklicht, nämlich so, dass in dem Augenblick, in dem die Möglichkeit entsteht, dass Informationen, die etwa durch Fernmeldekontrolle oder durch Wohnraumüberwachung anfallen, kernbereichsrelevant sein können, nur noch mit technischen Mitteln aufgezeichnet werden darf und dass ein unabhängiger Richter und niemand sonst zu entscheiden hat, ob der Kernbereich tatsächlich verletzt ist. In diesem Fall muss das Material gelöscht werden. Dieses Löschen muss transparent sein, das heißt, es muss überwacht werden können, damit sichergestellt ist: Der Kernbereich wird nicht verletzt. Das alles ist nichts Neues, sondern es entspricht der bewährten Rechtstradition unseres Verfassungsstaates. Dieser Verfassungsstaat schützt seine Bürgerinnen und Bürger. Er späht sie nicht aus.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die technische Entwicklung geht weiter. Wir haben in den letzten Jahren eine lange Debatte darüber gehabt, ob die neue Kommunikationsform Voice over IP mit neuen Formen der Verschlüsselung unter die Regeln der klassischen Telekommunikationsüberwachung fällt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen jüngsten Entscheidungen bestätigt, dass die klassischen Regeln der Telekommunikationsüberwachung auch für die neue Kommunikationstechnologie Voice over IP gelten. Das wird in diesem Gesetzentwurf klargestellt. Das ist
aber nichts Neues.
Neu in diesem Gesetzentwurf ist die Onlinedurchsuchung. Die hat sich in den letzten Jahren entwickelt, wiederum durch die technische Entwicklung, durch das Entstehen neuer Kommunikationsformen, nicht durch irgendwelche Überlegungen von Sicherheitsbehörden oder Parlamentariern. Der Bundesgerichtshof hat, wie ich finde, richtigerweise entschieden, dass der ursprüngliche Ansatz der verantwortlichen Sicherheitsbehörden und auch der Bundesanwaltschaft ‑ ich sage es ohne jede Kritik ‑, das Ganze als analoge Anwendung der Rechtsgrundlagen für Telekommunikationsüberwachung und der damit verbundenen Voraussetzungen zu interpretieren, nicht zulässig ist, sondern dass man dafür eine eigene gesetzliche Grundlage braucht; nicht mehr und nicht weniger. Diese gesetzliche Grundlage versuchen wir mit diesem Gesetzentwurf zum ersten Mal zu schaffen.
Diejenigen, die gesagt haben, dass sei verfassungsrechtlich überhaupt nicht zulässig, haben nicht recht. Auch das Bundesverfassungsgericht hat bei einem Urteil über ein nordrhein-westfälisches Landesgesetz bestätigt: Unter den engen Voraussetzungen der Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis ist auch die Onlinedurchsuchung möglich. Auch dort gilt im Übrigen der Schutz des Kernbereichs in derselben Weise. Das durch Onlinedurchsuchungen entstehende Material wird nach der Systematik des Gesetzentwurfs zunächst einmal durch zwei Beamte des Bundeskriminalamtes, von denen mindestens einer die Befähigung zum Richteramt haben muss, dahin gehend geprüft, ob es überhaupt kernbereichsrelevant sein könnte. In dem Augenblick, in dem sich herausstellt, dass diese Möglichkeit besteht, muss dieses Material genau wie bei der Wohnraumüberwachung oder der Telekommunikationsüberwachung dem unabhängigen Richter, der diese Maßnahme anordnet, vorgelegt werden. Nur er entscheidet, ob es verwendet werden darf oder nicht.
Bei allen Meinungsunterschieden, bei allem politischen Streit sollten wir deswegen aufhören, aus Anlass dieses Gesetzentwurfs oder anderer Debatten den Eindruck zu erwecken, dieser freiheitliche Verfassungsstaat sei ein Staat, der seine Bürger rechtswidrig überwacht. Das Gegenteil ist der Fall. Unsere Sicherheitsorgane haben diese Diffamierung nicht verdient.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Wir regeln in diesem Gesetzentwurf das Zeugnisverweigerungsrecht und die privilegierten Rechte von bestimmten Berufsgruppen in der Weise, wie sie seit Jahrzehnten in der Rechtsprechung und in der Strafprozessordnung geregelt sind, und in derselben Weise, wie sie übrigens ausdrücklich auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden sind. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich in ständiger Rechtsprechung immer wieder darauf hingewiesen, dass etwa Zeugnisverweigerungsrechte für privilegierte Berufsgruppen aufgrund ihres Ausnahmecharakters bestimmte Voraussetzungen erfordern. Deswegen ist in der ständigen Rechtsprechung zu § 53 der Strafprozessordnung das Zeugnisverweigerungsrecht des Geistlichen immer an die Voraussetzung geknüpft, dass er einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft angehört. Um diese Ausnahme, diese Privilegierung zu begründen, muss die Verlässlichkeit der Organisation einigermaßen gewährleistet sein. Auch das ist nichts Neues, sondern es ist die klassische Form. Angesichts neuer tatsächlicher Entwicklungen in den Debatten mit Bezugnahme auf § 53 Strafprozessordnung und auf die Rechtsprechung zu dieser Vorschrift schreiben wir das in der Begründung zu diesem Gesetzentwurf lediglich fest.
Noch einmal: Wir brauchen im Hinblick auf Gefahren des internationalen Terrorismus die zusätzliche Gefahrenabwehr durch das Bundeskriminalamt. Ich halte die Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers für richtig und notwendig.
Wir nehmen den Ländern übrigens keinerlei Zuständigkeit. Die Zuständigkeit des Bundeskriminalamts kommt ergänzend zu der Zuständigkeit der Länderpolizeien und der Landeskriminalämter hinzu; sie ist additiv. Wenn das Bundeskriminalamt seine Zuständigkeit als gegeben ansieht, muss es in jedem Einzelfall ‑ so sieht es § 4 a in Art. 1 des Gesetzentwurfs vor ‑ unverzüglich die Länder informieren und jede Maßnahme im Benehmen mit den zuständigen Länderpolizeien durchführen. Dass die gegenseitige Unterrichtung, die Zusammenarbeit, gegeben ist, ist über jeden Zweifel erhaben. Wir haben das GTAZ, das im Alltag gut funktioniert. Wir haben die gemeinsame Antiterrordatei.
Wir haben bei der Großaktion im vergangenen Jahr, die zu der Verhaftung der drei Tatverdächtigen im Sauerland geführt hat, gesehen, dass die Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes ‑ Polizeien, Bundeskriminalamt, Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern ‑ vertrauensvoll und verlässlich zusammenarbeiten
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD ‑ Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, eben! Warum ändern Sie das jetzt?)
und dass die Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten, auch internationalen Nachrichtendiensten, ebenfalls notwendig und vertrauensvoll ist. Hätten wir die Hinweise von Partnerdiensten nicht bekommen, wären wir zu dem Vorgehen gar nicht in der Lage gewesen.
Ich will doch noch einmal daran erinnern: Die Tatverdächtigen, die im Sauerland verhaftet wurden, hatten 600 Liter Wasserstoffperoxid gebunkert. Dazu muss man wissen, dass 3 Liter dieses Materials vor zwei Jahren für den Sprengstoffanschlag auf einen Bus in London verwendet worden sind, der verheerende Auswirkungen hatte. Die 200-fache Menge dieses Materials war im Sauerland gebunkert. Das war eine große Gefahr für die Sicherheit unseres Landes und für die Bürgerinnen und Bürger, die in Deutschland leben. Die Realisierung dieser Gefahr ist verhindert worden.
Deswegen sage ich: Wir reden nicht von Kleinigkeiten, wir reden von einer ernsten Bedrohung. Wir sind ein sicheres Land. Unsere Sicherheitsbehörden haben jeden Anspruch auf Respekt und Unterstützung. Sie haben jeden Anspruch darauf, per Gesetz Instrumente an die Hand zu bekommen, damit sie zu jeder Zeit und bei jeder Bedrohung nur im Rahmen von Verfassung und Gesetz handeln. Genau das ist der Inhalt dieses Gesetzentwurfs. Ich bitte um Zustimmung.
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