Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Focus über seine angebliche Abneigung gegen die Liberalen und seine Sympathien für eine Amtskollegin.
Focus: Sie sind der dienstälteste Spitzenpolitiker Deutschlands und haben viele Höhen wie Tiefen erlebt. Wie lautet Ihre Prognose für die politische Karrlere Ihres Kabinettskollegen Karl-Theodor zu Guttenberg?
Schäuble: Karl-Theodor zu Guttenberg ist ein ungewöhnlich leistungsstarker und hochangesehener Politiker. Er gehört sicherlich zu den herausragenden Talenten der deutschen Politik. Und er ist ein junger Mann: Deshalb hat er noch eine lange, große Laufbahn vor sich.
Focus: Sie zitieren in Krisenzeiten gern den Spruch von Wilhelm Teil: „Da rast der See und will sein Opfer haben.“ Gilt der Spruch für ihn nicht?
Schäuble: Karl-Theodor zu Guttenberg hat seinen Fehler zugegeben und erklärt. Ich habe nicht die Absicht, dazu ein längeres Interview zu geben. Seinen Doktortitel hat er nun eingebüßt. Das Thema wird sich erledigen.
Focus: Danach sieht es aber nicht aus. Ist die große Aufregung bloß ein Medienphänomen?
Schäuble: Wir haben mit dem Internet und anderen neuen Kommunikationsformen eine Fokussierung auf weniger Themen in kürzerer Zeit mit schnellem Wechsel. Es sind schon gelegentlich große Übersteigerungen, manchmal im Positiven. Aber manchmal auch im Negativen. Ich beklage das gar nicht.
Focus: Was bedeutet das für den Sturm, in dem zu Guttenberg steht?
Schäuble: Der wird sich schnell wieder abschwächen. Mein junger Kollege wird sich wieder erholen.
Focus: Ein politisch geschwächter Verteidigungsminister kommt dem Finanzminister aktuell sicher sehr gelegen. Denn schließlich ringen Sie um Milliarden, die der Wehretat bekommt oder nicht bekommt.
Schäuble: Da haben Sie völlig falsche Vorstellungen von der Verantwortung des politischen Personals. Sie unterschätzen uns. Der Finanzminister hat doch keine Krämerseele und will überall immer nur Geld zusammenkratzen. Wir müssen das tun, was sicherheitspolitisch notwendig ist. Der Verteidigungsminister ist politisch führungs- und durchsetzungsstark. Deswegen brauchen wir ihn ja auch. Es war eine große Leistung, die Bundeswehrreform in Angriff zu nehmen.
Focus: Die Reform sollte auch Geld sparen. Jetzt kostet sie aber erst mal mehr. Das Ist doch ein Konflikt.
Schäuble: Wir haben keinen Konflikt, aber begrenzte Mittel. Deshalb müssen wir in der Gesamtverantwortung der Bundesregierung die richtige Lösung finden. Der Verteidigungsminister zu Guttenberg ist genauso überzeugt, dass wir unsere hohen Staatsdefizite verringern müssen, wie der Finanzminister Schäuble davon, dass wir für die Sicherheit unseres Landes und die Soldaten das Notwendige tun müssen.
Focus: Das Kabinett beschließt erstmals gemeinsam die Eckwerte für den künftigen Haushalt[Glossar], bevor über einzelne Ausgabenposten verhandelt wird. Welche Vorteile hat dieses neue Top-down-Verfahren für Sie?
Schäuble: Wenn wir am 16. März 2011 die Eckwerte zum Bundeshaushalt [Glossar] 2012 beschließen, kennt jeder Minister seinen Rahmen, in dem sich seine Ausgaben bewegen dürfen. Das diszipliniert ungemein. Wir wollen schließlich die Regeln der Schuldenbremse[Glossar] weiter einhalten. Das haben wir bisher geschafft, obwohl uns viele das nicht zugetraut haben.
Focus: Das Loch zwischen Einnahmen und Ausgaben ist noch immer ziemlich groß. Im Aufschwung schließt sich zwar manche Lücke fast von selbst. Aber der Sparwille lässt nach, oder?
Schäuble: Das Entscheidende ist, dass wir beim Sparen weiter Kurs halten. Sonst verfallen wir in den Fehler früherer Legislaturperioden, in denen nach den ersten Erfolgen gleich wieder neue Löcher aufgerissen wurden. Die Koalition ist sich einig, dass solide Staatsfinanzen weiter Vorrang vor allem haben werden. Da waren wir schon sehr ehrgeizig und müssen es auch bleiben. Denn die vergangenen zwölf Monate haben den Erfolg dieser Politik gezeigt: Weil wir die Defizite verringern, haben wir auch mehr Wirtschaftswachstum [Glossar] und weniger Arbeitslosigkeit. Dass wir dadurch finanzpolitische Spielräume gewinnen, ist doch nicht schlecht.
Focus: Der Begriff „finanzpolitische Spielräume“ löst bei einigen in der Koalition wie beim Pawlow’schen Hund die Forderung nach Steuersenkungen aus.
Schäuble: Ich bin nicht Pawlow und auch nicht sein Hund. Ich halte mich an das, was in der Koalition verabredet worden ist. Jetzt verringern wir erst einmal die Defizite. Das hat Priorität. Wenn sich dann Spielräume ergeben, werden w darüber reden. Aber solange wir sie noch nicht erschlossen haben, sollten wir das auf keinen Fall tun. Wir schaffen dann nur Erwartungen, die wir am Ende nicht erfüllen können.
Focus: Selbst wenn rein rechnerisch Spielraum da wäre: Die Koalition hat doch keine Mehrheit Im Bundesrat und kann Steuersenkungen nicht durchsetzen.
Schäuble: Nach den Erfahrungen im Vermittlungsverfahren bei der Hartz-IV-Reform sollten wir uns gut überlegen, welche Projekte wir anpacken. Wir müssen sehr genau abwägen, welche zustimmungspflichtigen Gesetze wir auf den Weg bringen.
Focus: Steuerpolitik ist nicht gerade Ihr Lieblingsthema, oder?
Schäuble: Ich habe schon sehr konkrete Vorstellungen. Ich könnte Ihnen sofort grundlegende Reformen des Steuersystems auf den Tisch legen. Aber das mache ich nur, wenn ich eine Chance sehe, sie auch umzusetzen. Und die ist jetzt nicht da.
Focus: Der Grund Ist bei Ihnen also nicht eine tiefe Abneigung gegen die FDP, wie etliche Liberale vermuten?
Schäuble: Ach was. Das ist nun wirklich Unsinn. Ich habe eine sehr lange gepflegte, faire Partnerschaft mit der FDP. Außerdem ist eine Koalition nur so stark, wie alle Partner sind. Wenn einer Probleme hat, zieht das immer auch die Koalition als Ganzes runter. Deshalb bin ich froh, dass wir alle in den Umfragen wieder besser dastehen. Wir haben die höchsten Defizite nach dem Zweiten Weltkrieg und eine Schuldenbremse im Grundgesetz. An den Zahlen kommt keiner vorbei, und über die Schuldenbremse bin ich sehr froh. Ich bin keiner, der Politik durch Wishful Thinking ersetzt.
Focus: Gilt das auch für eine mögliche Reform der Mehrwertsteuersätze?
Schäuble: Das muss die Koalition entscheiden. Ich bin der Meinung: Wenn wir da nicht eine große Reform zu Stande bringen, sollten wir lieber ganz die Finger davon lassen.
Focus: Ihre wichtigste politische Verbündete scheint in vielen aktuellen Fragen die französische Finanzministerin Christine Lagarde zu sein. Warum Ist das so?
Schäuble: Wir ergänzen uns ganz gut. Sie ist eine große weltgewandte Dame, die lang in Amerika gelebt hat und sehr gute Kenntnisse der Finanzmärkte [Glossar] hat. Ich bin ein älterer und relativ erfahrener Politiker. Beide sind wir der Überzeugung, dass Deutschland und Frankreich innerhalb Europas nur gemeinsam viel voranbringen können. Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist der Schlüssel für europäische Entwicklung. Wir müssen diese Verantwortung so wahrnehmen, dass sich die anderen Länder nicht abgestoßen oder ausgeschlossen fühlen, sondern mitgenommen werden.
Focus: Das klingt sehr rational. Aber schwingen bei Ihnen nicht auch Emotionen mit? Menschen, die Sie gut kennen, sagen: Wenn Wolfgang Schäuble über die Europabrücke bei Kehl fährt, hat er Tränen in den Augen.
Schäuble: So sentimental bin ich nicht. Aber ich habe ein tiefes Verständnis dafür, dass die europäische Einigung mit das Beste ist, was wir nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs erreicht haben. Ich bin auch ganz fest davon überzeugt, dass wir diese europäische Einigung weiter vertiefen müssen. So mühsam das im Alltag bisweilen ist.
Focus: Warum mehr Europa?
Schäuble: Wir alle zusammen haben eine gewisse Rolle in der globalisierten Welt. Jedes einzelne europäische Land allein hat zu wenig Möglichkeiten. Europa ist nicht bloß Romantik, sondern auch knallharte Vertretung deutscher Interessen.
Focus: Viele Deutsche fühlen sich durch den Euro [Glossar] benachteiligt.
Schäuble: Das ist aber ein Trugschluss. Ohne den Euro hätten wir nicht drei Millionen Arbeitslose, sondern vielleicht fünf oder sechs Millionen. Wir hätten 2009 nicht 4,7 Prozent Rückgang unserer Wirtschaftsleistung erlebt, sondern wahrscheinlich das Doppelte. Die D-Mark wäre doch stark aufgewertet worden. Und das hätte uns sehr getroffen, denn zwei Drittel unserer Exporte gehen in andere Länder der Europäischen Union. Unsere Ausfuhren nach Belgien und Luxemburg sind höher als die nach China.
Focus: Aber wird der Preis, den wir Deutsche für den Euro bezahlen, nicht immer höher?
Schäuble: Wir haben eine klare Strategie, wenn wir in Europa verhandeln. Aber es ist klar, dass wir uns dabei nicht immer und überall zu 100 Prozent durchsetzen können. Hätten wir diesen Anspruch, dann würden wir im Zweifel nichts erreichen. Und das wäre ganz schlecht – auch für Deutschland.
Focus: Namhafte Ökonomen empfehlen, Problemländer wie Griechenland sollten zumindest vorübergehend aus der Euro-Zone ausscheiden. Ist die Rückkehr zur Drachme ein Tabu?
Schäuble: Es ist kein Tabu. Aber ich halte es für falsch. Das wäre der Anfang vom Ende der gemeinsamen Währung. Die meisten Ökonomen sagen, dass das katastrophale Folge insbesondere für die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland hätte. Wir würden eine starke Aufwertung unserer Währung erleben und – damit verbunden drastische Einbrüche bei den Exporten. Das würde sehr viel mehr Arbeitslose und sehr viel geringere Steuereinnahmen bedeuten. Ich kann es nicht verantworten.
Focus: Dennoch: Es verdichten sich Hinweise, dass Griechenland trotz starker eigener Anstrengungen seine erdrückende Schuldenlast nicht mehr beherrschen kann. Rechnen Sie mit einer Umschuldung?
Schäuble: Alle drei Monate wird Griechenland vom Internationalen Währungsfonds und derEuropäischen Zentralbank [Glossar] begutachtet. Die Experten haben uns gerade erst wieder attestiert, dass das Land seine Schulden tragen kann.
Focus: Wie viel Geld kann Deutschland durch europäische Rettungsaktionen noch verlieren?
Schäuble: Was heißt hier verlieren? Wir investieren in unsere gemeinsame Währung, die wir damit sichern. Das rechnet sich – gerade auch für Deutschland. Das sollten wir nie vergessen.
Das Interview führte Margarete van Ackeren und Frank Thewes.
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