„An deutschen Schulen wird deutsch gesprochen“



Bundesinnenminister Dr. Schäuble im Interview mit Stern.de

Stern: Herr Schäuble, müssen sich die Deutschen zurzeit vor Terroranschlägen fürchten?
Schäuble: Alle Fachleute sagen, dass wir im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus sind. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es leider nicht. Unsere Sicherheitsbehörden sind vorbereitet und gut aufgestellt.

Stern: Am Donnerstag tagt zum dritten Mal die Islamkonferenz, die Sie im September 2006 ins Leben gerufen haben. Hilft diese Konferenz, die Terrorgefahr zu mindern?

Schäuble: Die Gefahr geht von islamistischen Netzwerken aus. Und es wäre völlig falsch, die Muslime in Deutschland unter Generalverdacht zu stellen. Die muslimischen Verbände in der Bundesrepublik haben immer zur Gewaltlosigkeit aufgerufen.

Stern: Gleichwohl fühlen sich nicht alle Teilnehmer ans Grundgesetz gebunden. Im Islamrat ist zum Beispiel auch Milli Göris vertreten, eine Gemeinschaft, die Sie vom Verfassungsschutz beobachten lassen.

Schäuble: Milli Görres ist eine Strömung im Islamrat und der Islamrat ist bei der Deutschen Islamkonferenz vertreten. Aber dies darf uns nicht an dem Dialog mit dem Islamrat hindern. Schließlich sitzt ja auch die Linkspartei im Bundestag und wird auch vom Verfassungsschutz beobachtet.

Stern: Verträgt sich der Islam überhaupt mit unserem Grundgesetz?

Schäuble: Die meisten Muslime leben in voller Übereinstimmung mit dem Grundgesetz in diesem Land. Wer dies nicht tut, kann nicht hier bleiben.

Stern: Tatsache ist, dass viele der 3,5 Millionen Muslime hier in einer parallelen Welt leben.

Schäuble: Nur für einen kleinen Teil trifft das zu. Da müssen wir helfen, dass auch dieser Teil sich in unserer Welt zurechtfindet.

Stern: Die Frage ist: Wie?

Schäuble: Aufgabe der Politik ist es, den Menschen die Möglichkeit zu geben, Meinungsverschiedenheiten friedlich und rechtstaatlich zu regeln. Und wir müssen zum Beispiel den muslimischen Kindern bessere Chance verschaffen. Natürlich haben wir da Defizite. Aber die Islamkonferenz gibt die Gelegenheit, die Probleme offen zu diskutieren.

Stern: Trotzdem hat es die Konferenz noch immer nicht geschafft, dass der Zentralrat der Muslime die Gleichberechtigung von Mann und Frau akzeptiert, der Scharia abschwört und die Steinigung ächtet. Das tut der Zentralrat nicht.

Schäuble: Doch. Wir werden auf der Islamkonferenz ein Thesenpapier vorlegen, in dem die Teilnehmer die Normen unseres Grundgesetzes als Grundlage des Zusammenlebens anerkennen.

Stern: Wird es eine Verpflichtung der Teilnehmer auf diese Normen geben?

Schäuble: Ich lese Ihnen vor, was wir dazu vorbereitet haben – und diesen Passus werden wir in einer Erklärung wohl auch so verabschieden. „Die Integration verlangt von denen in Deutschland lebenden Muslimen die aktive Bereitschaft zum Erwerb und Gebrauch der deutschen Sprache und darüber hinaus die vollständige Beachtung der deutschen Rechtsordnung und der Werteordnung des Grundgesetzes.“

Stern: Die Muslime in Deutschland drängen auf islamischen Religionsunterricht. Wird es den an deutschen Schulen geben?

Schäuble: Wenn Muslime sagen, wir möchten Religionsunterricht, so wie für Katholiken und Protestanten oder Juden, dann muss der Innenminister sagen, dass ihn das Grundgesetz zur Neutralität verpflichtet. Wir haben Religionsfreiheit. Also gilt die Gleichbehandlung und so kann auch islamischer Religionsunterricht eingeführt werden. Allerdings müssen die Muslime die Voraussetzungen dafür selbst schaffen, dass sie als Religionsgemeinschaft anerkannt werden. Wenn dies gelingt, sind die Bundesländer meiner Überzeugung nach dazu bereit.

Stern: Wird dies ein Thema auf der Islamkonferenz sein?

Schäuble: Wir werden auf der Islamkonferenz Handreichungen liefern, die die organisatorischen und inhaltlichen Anforderungen der Unterrichtseinführung präzisieren. Wir sind da seit 2006 einen guten Schritt weiter gekommen.

Stern: Wird dieser Unterricht auch auf türkisch oder arabisch abgehalten werden?

Schäuble: An deutschen Schulen wird grundsätzlich deutsch gesprochen.

Stern: Haben Sie ein Interesse daran, dass an den Schulen eine friedliche Auslegung des Islam gelehrt wird?

Schäuble: Ja unbedingt. Für Hassprediger gibt es keinen Raum an deutschen Schulen.

Stern: Andererseits sträuben sich gerade muslimische Eltern, ihre Kinder vollständig in das Unterrichtsprogramm zu integrieren. Zum Beispiel schicken sie ihre Töchter nur ungern oder gar nicht zum Sport- und Schwimmunterricht.

Schäuble: Wissen Sie: Unsere Rechtsordnung verhindert nicht, dass man dagegen verstoßen kann, seien es nun Muslime oder auch Nicht-Muslime. Wir bestehen allerdings mit aller Entschiedenheit darauf – im Sinne der Gleichheit von Mann und Frau sowie gleicher Lebenschancen – dass muslimische Mädchen am Sport- und Schwimmunterricht teilnehmen.

Stern: Sowie am Sexualkundeunterricht?

Schäuble: Auch am Sexualkundeunterricht. Das sehen die Lehrpläne an deutschen Schulen eben vor und ich meine, dass hat sich bewährt. Wer nicht will, dass seine Tochter unter diesen Bedingungen aufwächst, wer diese Bedingungen vielleicht sogar für unerträglich hält, der muss sich entscheiden und dorthin gehen, wo seine Tochter so aufwachsen kann, wie er es sich vorstellt.

Stern: Ihr Vorgänger Schily hat mit Blick auf die Muslime gesagt, „die beste Integration ist Assimilation.“ Stimmen Sie dem zu?

Schäuble: Die freiwillige Anpassung an unser Land ist das Ziel der Integration. Wenn viele Muslime hier heimisch werden und unser Leben bereichern – und ich gehe davon aus, dass Schily das so gemeint hat -, dann stimme ich völlig mit ihm überein. Es darf keinen Zwang geben. Das funktioniert nicht.

Stern: Aber sie werden immer seltener heimisch. Die dritte Generation der Einwanderer ist schlechter integriert als die erste.

Schäuble: Das kann man so nicht sagen. Ein Teil ist hervorragend integriert, zum Beispiel gibt es viele erfolgreiche Unternehmer mit Migrationshintergrund in Deutschland. Aber: Die ausländischen Arbeitnehmer, die wir angeworben haben, in den 60er Jahren, haben Kinder, die in einer kulturellen Unsicherheit aufgewachsen sind. Wird diese Unsicherheit nicht aufgehoben, verstärkt sie sich im Laufe der Zeit. Deswegen war es richtig, dass die Kanzlerin gesagt hat: Jetzt ist Schluss, jetzt müssen wir was verändern. Nun haben wir den Integrationsgipfel und die Islamkonferenz. Als ich das Projekt im Bundestag vorgestellt habe, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen: Das hätte uns auch einfallen können. Ich erwiderte: Ja, stimmt, früher wäre besser gewesen.

Stern: Ist das Integrationsproblem nicht eigentlich ein soziales Problem?

Schäuble: Vielleicht haben wir nur zu wenig Jobs für Geringqualifizierte.
Wir brauchen mehr Qualifikation. Es kann nicht sein, dass ein wachsender Teil der Jugendlichen nicht einmal den Hauptschulabschluss schafft. Um unseren Wohlstand zu halten, benötigen wir gut ausgebildete Menschen.

Stern: Muss die Zuwanderung also so gestaltet sein, dass die Bundesrepublik nur noch gut Qualifizierte ins Land lässt?

Schäuble: Damit lösen wir nicht die Probleme. Wir müssen weiter an den Qualifikationsdefiziten und Integrationsdefiziten arbeiten. Wir dürfen die Menschen damit nicht allein lassen. Richtig ist aber auch: Durch die Auswirkungen der demographischen Entwicklung haben wir schon jetzt einen Mangel an qualifizierten Arbeitkräften – dieses Problem wird sich verschärfen. Deswegen müssen wir uns auch für die Zuwanderung von Qualifizierten behutsam öffnen.

Stern: Ist Integration ein Thema, mit dem sich 2009 Wähler gewinnen lassen?

Schäuble: Ich würde als Partei immer diejenige wählen, von denen ich das Gefühl habe, sie gehen ein Problem entschlossen an.

Stern: Bislang hat die CDU unter Ausländern in Deutschland bei Wahlen ziemlich schlecht abgeschnitten. Spielt das im Hinterkopf eine Rolle bei Ihnen?

Schäuble: Mein Hinterkopf ist der Kernbereich meiner Privatsphäre. Aber ich sage Ihnen folgendes: Mein Verständnis von Politik ist, dass ich möglichst gute Lösungen anbieten will.

Stern: War die doppelte Staatsbürgerschaft nicht eine dieser guten Lösungen?

Schäuble: Dieses Spiel von rot-grün haben wir gestoppt und das war richtig. Ich kann den Menschen die Entscheidung nicht ersparen, ob ihre Kinder eines Tages Deutsche oder Türken sein sollen. Das ist eine Entscheidung, die man treffen muss. Wer hier politisch mitentscheiden will, muss deutscher Staatsbürger sein.

Stern: Hat Ihnen Hessens Ministerpräsident Roland Koch mit seinem Wahlkampf in die Suppe gespuckt bei Ihren Bemühungen um Integration?

Schäuble: Nein. Erstens ist Roland Koch missverstanden worden

Stern: mehrere Wochen lang?

Schäuble: Zweitens hat er nach der Wahl gesagt, dass er nicht ganz unschuldig daran ist, dass er missverstanden wurde. Drittens werden solche Themen im Wahlkampf emotionaler diskutiert als sonst. Viertens muss man nach dem Wahlkampf wieder seine Pflicht tun und fünftens muss man provozierende Journalistenfragen so beantworten, wie ich das gerade getan habe.

Stern: Koch versucht gerade verzweifelt denen Grünen-Chef Tarik Al Wazir in seinen politischen Pläne zu integrieren – ausgerechtet jenen Mann, den er vorher verunglimpft hat.

Schäuble: Übrigens: Ich bin ein großer Anhänger von Karl Popper. Nach seinen Worten liegt die Stärke von freiheitlichen Gesellschaften darin, dass sie Irrtümer korrigieren können, dass sie aus Fehlern lernen. Ich würde abraten, Menschen zu wählen, die immer sagen, sie hätten alles richtig gemacht. Wie es zum Beispiel der SPD-Vorsitzende Kurt Beck gerade gemacht hat.

Stern: Das Thema Integration ist eines, das Deutschland noch Jahre beschäftigen wird. Also müssten Sie eigentlich noch eine Legislaturperiode dran hängen.

Schäuble: Das ist eine langfristige Aufgabe. Aber ich werde auch die Islamkonferenz nicht zum Anlass nehmen, um über meine politische Zukunft zu sinnieren. Mir macht Politik Freude, amtsmüde bin ich nicht. Und wenn ich mir die demografische Entwicklung in Deutschland so anschaue, dann kann ich nicht erkennen, warum es keinen Sinn haben sollte, wenn 70-jährige, wenn sie fit sind, im Parlament sitzen.

Interview: Lutz Kinkel, Frank Thomsen, Hans Peter Schütz