Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sitzt seit mehr als 25 Jahren im Rollstuhl. Mit der „Paralympics Zeitung“ sprach er über seine sportliche Leidenschaft und warum behinderte Menschen nicht die besseren sind
Herr Schäuble, Sie waren früher passionierter Skifahrer. Haben Sie sich auch mal an der para-athletischen Variante versucht?
Ich habe mir das zwar bei den Paralympischen Winterspielen in Turin angesehen, aber ich habe mich nie dazu überreden lassen. Das ist mir zu kalt und zu nass. Und wenn ich im Schnee liege, wie komme ich dann wieder hoch? Ich war schon 48, als ich Rollstuhlfahrer wurde. Im Rollstuhl Ski zu fahren, war da nicht mein dringendstes Bedürfnis. Ganz davon abgesehen, dass Kälte für Querschnittgelähmte nicht so furchtbar angenehm ist. Ich bin eigentlich froh, wenn der Winter wieder vorbei ist.
Die Paralympics wurden in diesem Jahr in Südkorea ausgetragen. Was verbinden Sie mit dem Land?
Wir empfinden natürlich die Sorge um den Frieden auf der koreanischen Halbinsel. Da kann Südkorea wenig dazu, aber Nordkorea eine große Menge. Es geht ja nicht nur um den olympischen Frieden, sondern darum, dass die Kriegsgefahr beherrscht und der Diktator in Nordkorea einigermaßen zur Zurückhaltung gebracht wird. Das ist aber leicht gesagt und schwer getan. Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, hat gefordert, nur noch Länder als Austragungsort zu wählen, die Menschenrechte und Umweltstandards respektieren. Was halten Sie davon? Im Prinzip ist das richtig. Aber wir sehen andererseits, dass in vielen Ländern, in denen das einigermaßen gewährleistet ist, die Bevölkerung nicht mehr bereit ist, die immensen Investitionen für die Spiele zu tragen. Das Olympische Komitee hat zunehmend Probleme, überhaupt Bewerber zu finden. Die Verantwortlichen müssen sich Gedanken machen, ob es sinnvoll ist, den Aufwand so weit zu treiben, dass es in freiheitlichen, rechtsstaatlichen Demokratien nicht mehr möglich ist, die Bevölkerung zu überzeugen, dass man das haben will.
Bei den Paralympics wird immer wieder auch von den positiven Effekten für das Gastgeberland gesprochen. Wie wirken sich die Spiele auf eine Gesellschaft aus?
Die Paralympischen Spiele haben eine ungeheure Wirkung. Viele, die sich sonst nicht mit den Problemen und Chancen von Behinderten beschäftigen, setzen sich plötzlich damit auseinander. Sonst erfahren Behinderte das Jahr über nicht so viel Aufmerksamkeit von der Öffentlichkeit und den Medien. Deswegen sind die Paralympics ausgesprochen hilfreich für das, was wir Inklusion nennen.
Sie selbst sitzen seit mehr als 25 Jahren im Rollstuhl. Wie entwickelte sich Inklusion seitdem in Deutschland?
Ich bin immer privilegiert gewesen. Ich war damals Innenminister, als ich in den Rollstuhl kam und habe seitdem entsprechende Unterstützung und Aufmerksamkeit gehabt. Ich kann eigentlich mit meinen Erfahrungen wenig für Behinderte sprechen. Das habe ich immer abgelehnt. Durch meine Person haben aber viele Menschen begriffen, dass Behinderte zwar bestimmte Probleme haben, aber genauso leistungsfähig und genauso viel oder wenig tüchtig und sympathisch sind wie andere auch. Manchmal sage ich zu anderen Behinderten: „Eigentlich sind alle Menschen behindert. Der Unterschied ist nur, wir Behinderte wissen es wenigstens. Andere wissen es nicht und glauben, dass sie völlig uneingeschränkt sind.“ So ist menschliches Leben niemals. Aber zu wissen, dass körperliche oder seelische Benachteiligungen und Behinderungen mit dem Wert des Menschen nichts zu tun haben, das ist der entscheidende Punkt. Und das macht eine Gesellschaft menschlicher.
Sie haben einmal gesagt, Behindertensportler seien Vorbilder, weil sie der Gesellschaft deutlich machen, „dass jeder Mensch eine eigene unverwechselbare Würde hat“. Sind Behindertensportler andere Vorbilder als Sportler ohne Behinderung?
Ich beobachte es bei Behindertensportlern, die ich kennen gelernt habe: Die haben einen ungeheuren Willen, eine ungeheure Disziplin. Je größer die Herausforderungen für Menschen sind, desto stärker strengen sie sich an. Trotzdem sind Behinderte, wie alte anderen auch, Menschen mit Fehlern. Es wird genauso betrogen, es gibt genauso Doping. Behinderte sind keine besseren Menschen. Das gilt leider auch für mich.
Fühlen Sie sich Para-Athleten dennoch besonders nah?
Na klar. Wenn man im Rollstuhl sitzt, dann hat man natürlich ganz spontan eine andere Beziehung zu solchen Menschen. Wenn ich jemand anderen im Rollstuhl sehe, dann habe ich sofort das Gefühl, dass es da ein größeres Maß an Gemeinsamkeiten gibt. Das ist ganz logisch.
Im Sport zählt vor allem das Leistungsprinzip. Sollten nicht gerade die Paralympics zeigen, dass es um mehr geht als um Zeiten und Weiten?
Generell war ja das alte olympische Prinzip: Teilnahme ist wichtiger als Sieg. Aber Teilnahme heißt nicht, dass nicht jeder versucht, seine persönliche Bestleistung zu bringen. Die menschliche Existenz beruht ja ein Stück weit darauf, dass man versucht aus dem, was einem gegeben ist, möglichst viel zu machen. Im Streben danach steckt ja auch ein.Stück weit Erfüllung.
Sie selbst haben Ihre sportliche Leidenschaft im Handbiken gefunden.
Mit dem Handbike fahre ich gerne, weil man was für sein Herz-Kreislauf-System tun muss. Die ersten Jahre bin ich mit dem Rollstuhl spazieren gefahren. Als ich das Handbiken entdeckt habe und das praktikabel war, fand ich das eine sehr gute Möglichkeit, um sich an der frischen Luft zu bewegen und sich physisch und psychisch zu erholen! Jetzt habe ich mir auch ein E-Bike zugelegt. In meinend vorgerückten Alter darf ich das. Ich soll mich schon anstrengen, aber nicht zu viel. Und das geht ganz gut.
DIE FRAGEN STELLTE ANN-KATHRIN HIPP