„Die notwendigen Sozialleistungen dürfen die Aufnahme von Arbeit nicht unattraktiv machen.“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Frankfurter Rundschau

Herr Schäuble, die ganze Regierung steht derzeit in der Kritik. Nur der Finanzminister schwebt mit sehr guten Umfragewerten über den Dingen. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?

Den Eindruck habe ich nicht, dass ich über den Dingen schwebe. Allerdings versuche ich, mich von den Aufregungen des Tages unabhängig zu machen. Das ist der Vorteil des etwas Älteren. Dadurch wird man ruhiger und gelassener, vielleicht auch sturer. Möglicherweise war das auch ein Grund, weshalb mich die Bundeskanzlerin gebeten hat, die Aufgabe zu übernehmen.

Nun droht Ihnen durch die Griechenland-Krise doch öffentlicher Ärger. Wie erklären Sie den deutschen Steuerzahlern, dass sie für die Defizite eines anderen Landes aufkommen sollen?

Das sollen sie gar nicht. Die Solidarität, auf die Griechenland einen Anspruch hat, wird die EU leisten. Sie besteht in allererster Linie darin, dass wir helfen, die Bevölkerung von der Notwendigkeit einer soliden Finanzpolitik zu überzeugen. Es wird schwere Belastungen für die griechische Bevölkerung mit sich bringen, so wie die Iren und Esten Einschnitte ertragen müssen. Das ist der Preis für Jahrzehnte mit einer unseriösen Politik und einem unverantwortlichen Leben über die Verhältnisse.

Wäre es wirklich eine Hilfe, wenn die deutsche Kanzlerin oder der französische Präsident nach Athen reisten, um den Menschen dort Einschnitte vorzuschreiben?

Wir schreiben nichts vor. Die Einschnitte sind die logische und zwangsläufige Folge der griechischen Haushaltslage. Wir müssen darauf achten, dass die Stabilität der gemeinsamen Währung nicht gefährdet wird.

Wie groß ist die Gefahr für den Euro?

Die Gefahr ist begrenzt. Aber die EU muss nun handeln, weil an den Finanzmärkten gegen den Euro spekuliert wird. Mit den Wetten etwa gegen griechische und portugiesische Anleihen wird Geld verdient – wie ich finde, zu viel Geld. Dabei ist die Gemeinschaftswährung ein Segen. Stellen sie sich die Turbulenzen an den Devisenmärkten nach der Lehman-Pleite vor, wenn wir nicht den Euro gehabt hätten.

Können Sie uns erklären, was die Staats- und Regierungschefs eigentlich konkret beschlossen haben. Und bereitet die Bundesregierung einen Notfallplan vor – etwa über die KfW?

Die Staats- und Regierungschefs sind sich darüber einig geworden, Griechenland in seinen Bemühungen zu unterstützen, seine ehrgeizigen Ziele zur Haushaltskonsolidierung zu erreichen. Wir erwarten, dass Griechenland gravierende Schritte unternimmt und seine Anstrengungen konsequent umsetzt. Die Europäische Kommission wird in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank die Umsetzung der griechischen Konsolidierungsanstrengungen beobachten und überprüfen.

Also in letzter Instanz doch Geld von Berlin für Athen?

Griechenland muss sich selbst helfen. Darin wollen wir Griechenland unterstützen.

Aber Sie wollen nicht, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) Griechenland im Fall von Zahlungsschwierigkeiten hilft?

Wenn eine Währung in Schwierigkeiten gerät, gibt es auch in der EU Beistand durch den IWF. So war es im Fall der EU-Mitglieder Estland oder Ungarn. Bei Griechenland ist das anders. Kein Lehrbuch beschreibt, was passiert, wenn ein Land innerhalb einer Währungsunion zahlungsunfähig wird. Dafür gibt es kein Beispiel. Der amerikanische Bundesstaat Kalifornien bittet auch nicht den IWF um Beistand. Das Schuldenproblem lösen die USA. Genauso wird der Fall Griechenland innerhalb des Euroraums gelöst. Die Verantwortung für die europäische Währung hat die Europäische Währungsunion. Die wollen wir nicht an den IWF delegieren. Eine andere Frage ist, ob Griechenland von den Erfahrungen des IWF in der Umsetzung von Maßnahmen profitieren kann.

Probleme gibt es ebenfalls, wenn auch nicht vergleichbar, mit der Schweiz. Plädieren Sie grundsätzlich für den Ankauf illegal erworbener Steuerdaten?

Wenn die Sachlage im Einzelfall gleich ist, werde ich den Ankauf unterstützen. Ich werde in dem einen Fall nicht anders entscheiden als in dem anderen. Das war auch mein Argument bei der aktuellen Entscheidung, dass wir unsere Linie von vor zwei Jahren nicht einfach und ohne sachlichen Grund wechseln können.

Entsprechend wurde in Nordrhein-Westfalen verfahren. In Baden-Württemberg streitet die Landesregierung aber noch über ihren Kurs.

Aus Baden-Württemberg liegt eine Anfrage vor. Dieses Finanzministerium wird nicht jede Woche eine andere Auffassung vertreten. Das wäre das Gegenteil von Berechenbarkeit und Rechtsstaatlichkeit.

Auf die berufen sich auch die Kritiker, die den Kauf illegal erworbener Daten etwa aus der Schweiz ablehnen.

Niemand hat ein gutes Gefühl dabei, ich auch nicht. Aber wir haben auch die Verpflichtung, im Interesse der Gerechtigkeit und des Vertrauens der Menschen in die Fairness unseres Sozialstaates, die Gesetzmäßigkeit der Besteuerung auch im Verwaltungsvollzug durchzusetzen. Ich lese mit Aufmerksamkeit Zeitungsannoncen von Rechtsanwälten, die sich als Experten für Selbstanzeigen anbieten. Und ich lese, dass die Zahl der Selbstanzeigen stark steigt. Mein Mitleid für Menschen, die sich der regelmäßigen Besteuerung entziehen, indem sie ihr Vermögen in ein anderes Land bringen, ist jedenfalls begrenzt.

Dann reden wir über das andere Ende der sozialen Skala: Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine Neuordnung von Hartz IV. Wie teuer kann das werden?

Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich nicht gesagt, die Hartz-IV-Sätze seien unzureichend. Nur die Berechnungsmethode soll geändert werden. Ich sehe nicht, dass das Auswirkungen auf den Bundeshaushalt haben muss.

Aber auf jeden Fall muss es mehr Geld für die Bildung der Kinder geben.

Wir dürfen den Grundgedanken von Hartz IV nicht aus den Augen verlieren: Die notwendigen Sozialleistungen dürfen die Aufnahme von Arbeit nicht unattraktiv machen. Mit anderen Worten: Das Lohnabstandsgebot muss gewahrt werden. Dieses Land gibt einschließlich der Sozialversicherungen etwa eine Billion Euro Sozialleistungen im Jahr aus. Das sind im Durchschnitt 12.500 Euro pro Kopf der Bevölkerung. Da muss man schon die Frage stellen, ob wir die Effizienz unserer Sozialleistungen nicht verbessern können.

Unterm Strich wird es also nicht mehr Geld für Hartz IV geben?

Das ist Ihre plakative Formulierung. Aber ich glaube, Sie haben mich nicht falsch verstanden.

Eigentlich hatte die Koalition beschlossen, erst nach der Steuerschätzung im Mai über die weitere Steuerpolitik zu entscheiden. Nun will die FDP mit einem Konzept vorpreschen

Die FDP hat im April ihren Parteitag. Da wäre es merkwürdig, wenn sie sich da nicht mit diesen vielfältig diskutierten Fragen beschäftigen würde. Sie wird es nach ihren eigenen politischen Überzeugungen und mit maximaler Klugheit tun.

Sie dürfen ruhig über den Koalitionspartner schimpfen!

Auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen. Aber da muss ich Sie enttäuschen. Es gibt keinerlei Verbot – weder für die FDP, noch die CDU oder die CSU – , sich mit allen Fragen der Politik zu beschäftigen und darüber zu diskutieren. Entscheiden werden wir gemeinsam, vertrauensvoll und einvernehmlich im Juni.

Vertrauensvoll und einvernehmlich geht es derzeit in der Gesundheitspolitik nicht gerade zu. Ihr Haus hat eine Horrorrechnung präsentiert, derzufolge der Spitzensteuersatz auf 73 Prozent steigen müsste, um die von der FDP gewünschte Kopfpauschale zu finanzieren.

Die Bundestagsfraktion der Grünen hat um eine Berechnung auf Grundlage vorgegebener Annahmen gebeten. Der Respekt vor dem Parlament gebietet es, die Antworten mit Zahlenangaben versehen vorzulegen. Die Antwort der Bundesregierung wurde im Übrigen mit dem Gesundheitsministerium und mit dem Wirtschaftsministerium abgestimmt.

Wie realistisch ist es denn bei solchen Dimensionen, das Projekt „Kopfpauschale“ überhaupt weiter zu verfolgen?

Um diese Frage zu beantworten, setzen wir ja eigens eine Kommission ein. Völlig klar ist aber: Wenn man für irgendeine große Aufgabe einen zweistelligen Milliardenbetrag an Steuergeldern braucht, muss man sagen, wo er herkommen soll. Zaubern kann ich nämlich nicht.

(Interview: Karl Doemens, Robert von Heusinger, Markus Sievers)

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