Zur Bedeutung von Glaubwürdigkeit und Transparenz in der politischen Diskussion



Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble auf dem Kommunikationskongress 2008 in Berlin

Freiheitliche Gesellschaften gründen auf Kommunikation, Diskussion und Diskurs. Deshalb sind Meinungs- und die Pressefreiheit für jede freiheitliche Verfassung konstitutiv. Um das zu erkennen, reicht ein Blick dorthin, wo es freie Medien nicht gibt oder nicht gegeben hat. Dafür muss man in Deutschland gar nicht weit in die Geschichte zurückblicken. Heute ist der 9. Oktober. Am 9. Oktober vor 19 Jahren sind die Menschen in Leipzig auf die Straße gegangen. Nicht erst am 9. Oktober – die so genannten Montagsdemonstrationen hatten schon einige Wochen zuvor angefangen –, aber der 9. Oktober 1989 brachte die Zäsur. An diesem Montag gingen in Leipzig über 70.000 Menschen auf die Straße – 50.000 mehr als noch eine Woche zuvor. Die DDR-Regierung sah sich machtlos angesichts solcher Massen und ließ ihre in Stellung gebrachten Truppen wieder abziehen. Damit war der Bann gebrochen.

Der 9. Oktober 1989 ist mit dem 9. November 1989 und dem 3. Oktober 1990 eines der entscheidenden Daten auf dem kurzen Weg zu einem unglaublichen Wunder und Geschenk für die Deutschen. In diesen aufregenden Wochen und Monaten damals ging es vor allem auch um Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. Vielleicht hat der eine oder andere von Ihnen in dieser Woche im Fernsehen den Zweiteiler „Wir sind das Volk!“ gesehen und noch einmal die besondere Atmosphäre dieser Tage gespürt. Diejenigen, die damals unmittelbar dabei waren, haben diese unglaubliche Kraft erlebt: Wenn die Freiheit erst einmal anfängt, sich Bahn zu brechen, ist sie kaum oder – Gott sei Dank – gar nicht mehr aufzuhalten.

Der Untergang der DDR, dieser geschlossenen Ordnung, die sich jeglicher Kritik und geistigen Unabhängigkeit verschloss, bestätigt einen Philosophen, Karl Popper, der ausdrücklich kein Prophet sein wollte. Die Propheten sind ja immer ein bisschen schwierig, weil sie zu wissen glauben, wie es wird. Und wenn sie dann der Versuchung nicht widerstehen können und durchsetzen wollen, dass es so wird, wie es nach ihrer Überzeugung werden muss, dann ist das für die freiheitliche Entwicklung gefährlich. Karl Popper hat sich aber gerade gegen jede Form totalitären oder auch totalisierenden Denkens gewandt. Er hat gesagt: Nicht übermächtige Ideen und nicht die in ihrem Dienst stehenden Kollektive bringen die besseren Lebensbedingungen hervor. Träger des Fortschritts sind für Popper allein selbstverantwortlich handelnde Subjekte, also wir Menschen. Und wir sind jederzeit und immer dem Irrtum ausgesetzt. Geschlossene Systeme sind zum Fortschritt unfähig und gehen am Ende an ihrer eigenen Unbeweglichkeit zugrunde. Das haben wir in Deutschland erlebt. Offene Systeme, die das Risiko auf sich nehmen, dass gültige Konzepte und Wahrheiten widerlegt werden können – es gibt ja nichts, was man nicht immer noch verbessern könnte –, sind nicht nur humaner, weil sie nichts erzwingen, sondern sie sind letztlich auch leistungsfähiger.

Der Sozialismus als geschlossenes System ist eine ernsthaft zu diskutierende Idee. Das Problem ist nur: Wenn man versucht hat, ihn in der Wirklichkeit umzusetzen, hat er nicht funktioniert. Deswegen wurde immer gesagt: Der Sozialismus ist gut, der real existierende allerdings schlecht. Soweit besteht Einigkeit. Aber warum hat der real existierende Sozialismus nicht funktioniert? Weil er die Menschen zu etwas zwingen wollte, anstatt die Menschen so zu nehmen, wie sie sind und wie sie sein wollen. Das ist der Unterschied zu denjenigen, die wie Popper sagen: Die offene Gesellschaft bewegt sich in dem immerwährenden Prozess von „trial and error“, von Versuch und Irrtum. Sie ist in der Lage, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Wir brauchen nur an die Finanzkrise zu denken, um zu wissen, dass wir dazu vielfältig Grund haben. Solche Prozesse setzen Meinungsvielfalt, öffentliche Debatte und den Streit der Ideen voraus. Nur so können wir Schwachstellen aufdecken und bessere Lösungen finden. Deswegen gehört freie, vom Staat unabhängige Kommunikation zu den Funktionsbedingungen freiheitlich verfasster Gesellschaften. Deswegen ist die Pressefreiheit eine unerlässliche Grundvoraussetzung – wie die Juristen sagen: eine condition sine qua non – jeder freiheitlich-demokratischen Ordnung. Ohne Kritik, ohne Kritikfähigkeit gibt es keine gelebte Demokratie, weil Kritik diesen Prozess von „trial and error“, von Versuch und Irrtum, also von Offenheit und Korrigierbarkeit der Fehlentwicklungen, überhaupt ermöglicht. Das heißt natürlich auch – das ist die Kehrseite für Politiker, aber auch für andere –, dass man leider damit leben muss, ständig kritisiert zu werden. Das gefällt einem dann nicht so sehr, das findet man oft falsch und darf man im Sinne des Pluralismus auch falsch finden, aber es gehört notwendigerweise mit dazu. Die Erfahrung lehrt, dass der uneingeschränkte öffentliche Diskurs auf Dauer am besten gewährleistet, dass sich Vernunft und Gemeinwohl durchsetzen.

Nun erleben wir seit einiger Zeit einen rasanten Wandel der Kommunikation. Eigentlich erleben wir das schon immer: Wir haben gerade die Luther-Dekade eröffnet, und für die Reformation hat die Erfindung der Buchdruckkunst eine bedeutende Rolle gespielt. Luthers Thesen verbreiteten sich dank des neuen Mediums Buchdruck rasch im ganzen Deutschen Reich und darüber hinaus. Der Wandel von Kommunikation ist also nicht ganz so neu, aber es scheint, dass der Wandel durch den technologischen Fortschritt schneller geworden ist. Unsere Medien werden besonders in den letzten Jahren und Jahrzehnten vielfältiger und fragmentierter. Ein Verband wie den Ihren hätte es vor 30 Jahren wahrscheinlich nicht gegeben. Anfang der 80er Jahre gab es in Deutschland ganze drei Fernsehprogramme und an einem Montag diskutierten alle über dieselbe Sendung vom Wochenende, die ein erheblicher Teil der Bevölkerung gesehen hatte. Wenn Sie heute als Benutzer von öffentlich-rechtlichen Programmen mit ihren Kindern über Fernsehsendungen diskutieren, dann wissen Sie, wie fragmentiert es geworden ist. Wir haben in Deutschland inzwischen etwa 150 Fernsehsender, darunter übrigens eine ganze Reihe türkischsprachiger Angebote. Es gibt mehr aktive Mobilfunkanschlüsse als Einwohner in Deutschland, über die jeder praktisch jederzeit erreichbar ist.

Die neuen Kommunikationsformen, allen voran natürlich das Internet, verändern nicht nur Kommunikation und damit journalistische Arbeit und Öffentlichkeitsarbeit. Sie verändern die Kommunikationskultur und damit vermutlich auch die Denkmuster unserer Gesellschaft. Wir überblicken die gesellschaftlichen Folgen dieser neuen Medien wahrscheinlich allenfalls in Ansätzen. Computer, Mobiltelefone, die unsere Arbeit effizienter machen und so Freiräume schaffen sollen, lassen uns alle zu Kommunikationsmanagern werden, die die unterschiedlichen Kanäle im Blick halten müssen: E-Mails, SMS, Anrufe, Internetforen, Blogs, Netzwerke. Die Zeitfenster für ungestörte konzentrierte Tätigkeiten werden kleiner. Es besteht die Gefahr, dass sie ganz verschwinden. Und nicht nur in der Politik, sondern ganz allgemein macht die Erwartung sofortiger Reaktion es oft schwieriger, überlegte Antworten zu geben.

Und noch etwas: Anders als ein Buch ist das Internet nicht linear und strukturiert aufgebaut. Das Internet ist ein Netzwerk. Es gibt neue Möglichkeiten, sich schnell, gezielt und breit zu informieren und Verknüpfungen von einem Thema zum nächsten zu verfolgen. Aber das Internet fördert nicht die Stringenz linearen Denkens, weil es anders als ein Buch nicht einen klaren Gedankengang verfolgt. Dieser Netzwerkgedanke mag auch unsere kommunikativen Strukturen und die Art, wie wir denken, verändern. Meine Generation, die gelernt hat, Dinge systematisch zu erfassen, muss sich an diese neue Formen kommunikativer Verknüpfung gewöhnen.

Das Internet hat aber nicht nur neue Formen der Individualkommunikation hervorgebracht. Es ermöglicht auch die Massenkommunikation aller mit allen. Es führt so zu einer Vermischung der gewohnten Sphären. Massen- und Individualkommunikation verschmelzen genauso wie Produzenten und Konsumenten. Nachrichten zu vermitteln, ist nicht mehr nur Aufgabe von Journalisten, die den Beruf ausüben. Im Internet werden Nutzer zu Akteuren, die die öffentliche Kommunikation gestalten. Im amerikanischen Wahlkampf gibt es zurzeit eine Internetplattform, die ganz bewusst in Konkurrenz zu den traditionellen Medien von Fernsehen und Printmedien steht und die den Nutzern eine ganz neue Form von Kommunikation ermöglicht.

Das Internet eröffnet so neue Freiräume und neue Chancen. Das kollektive Wissen von Gruppen ist oft besser, schneller und aktueller als das von Einzelnen. Wikipedia ist hierfür ein Beispiel. Die unüberschaubare Vielfalt von Wortmeldungen im Internet bringt aber natürlich auch neue Probleme mit sich. Die Selektionsleistung klassischer Medien wird dadurch gefährdet. Man kann das unter dem Stichwort „Medienmacht“ als Vorteil empfinden, aber ich sehe eher eine Gefahr, dass der politische Diskurs dadurch verflachen könnte. Wir können das nicht ändern. Deswegen sollten wir die Dinge akzeptieren, wie sie sind und versuchen, das Beste daraus zu machen. Aber wir müssen diese Entwicklungen reflektieren. Die Verflachung der öffentlichen Debatte mangels Selektionsfunktion klassischer Medien führt zu der Gefahr, dass einfache Themen dominant werden. Die bundesweite politische Debatte in diesem Jahr um das Rauchverbot mit allen Höhen und Tiefen ist ein Beispiel dafür ebenso wie die frühere Diskussion über BSE. BSE galt einige Wochen lang nach allen Meinungsumfragen als die größte Gefahr für den Menschen. Bisher gibt es nach meiner Information aber niemanden, der – wie weithin prophezeit – daran gestorben wäre.

Es geht aber nicht nur die journalistische Selektionsleistung verloren, es geht auch der alte Rhythmus der Berichterstattung verloren. Es gibt nicht mehr nur die Abendnachrichten im Fernsehen, die den Tag zusammenfassen, und die Zeitungen am nächsten Morgen. Wir bekommen und lesen Nachrichten ohne Unterbrechung, ständig in real time, von Minute zu Minute in einer unendlichen Abfolge.

Das alles bedeutet eine enorme Vielfalt und Beschleunigung von Kommunikation durch Internet, Mobiltelefone, E-Mails mit vielfältigen Folgen. Die Beschleunigung ist auf der einen Seite ein großer Vorteil: Man erfährt sofort, was ist. Sie lässt das öffentliche Gedächtnis aber auch kurzfristiger werden. An die BSE-Aufregung erinnert sich schon fast niemand mehr, weil mit der Übersättigung auch schnell der Überdruss kommt. In der Flut von Nachrichten droht das öffentliche Gedächtnis kurzatmiger zu werden. Kein Thema ist länger als eine Woche zu halten – die erfahrenen Redakteure wissen das –, weil sonst ein Ermüdungseffekt eintritt. Ich bin 1972 das erste Mal in den Bundestag gewählt worden. Damals konnte man sich noch über längere Zeit mit einem Problem befassen und das auch nach außen vermitteln. Das ist heute schwieriger. Ich habe vor einiger Zeit – es ist noch gar nicht so lange her – die Bitte nach einer Live-Zuschaltung in eine Nachrichtensendung absagen müssen, weil es einfach zeitlich nicht ging. Das hat mir Leid getan und ich habe daher angeboten, das Interview am nächsten Tag zu machen. Da bekam ich zur Antwort, dass das Thema am nächsten Tag nicht mehr aktuell sei.

Max Weber hat über die Staatskunst gesagt, sie sei das „starke, langsame Durchbohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß“. Dazu gehören ein langer Atem und eine gründliche, möglichst sachliche politische Debatte. Beides wird natürlich schwerer, wenn mit der technologischen Beschleunigung der Kommunikation auch die Erwartung steigt, schnelle Lösungen zu präsentieren. Wir diskutieren politisch jedes Thema, das die Öffentlichkeit erregt, in einem Stadium, in dem noch nicht einmal ein Referentenentwurf nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung formuliert ist. Dann geht der Streit los – rauf und runter. Wenn dann eines Tages das Kabinett ein Regierungsentwurf beschließt, der dann einen langen Weg hat – erst Stellungnahme des Bundesrates, dann mit der Gegenäußerung der Bundesregierung an den Bundestag, dort Beratung in drei Lesungen, dann gegebenenfalls Zustimmung des Bundesrates, am Schluss Ausfertigung durch den Bundespräsidenten und Verkündung des Gesetzes –, interessiert das keinen Mensch mehr. Wenn das Gesetz im Bundestag beraten oder verabschiedet wird, ist die Diskussion längst vorüber. Das ist ein Problem, denn politische Entscheidungen sollten diskutiert und entwickelt werden können. Natürlich müssen Krisen wie die gegenwärtige Finanzkrise entschlossen und mit schneller Reaktion bekämpft werden. Aber langfristige Lösungen brauchen neben entschlossenem Handeln auch Besonnenheit.

Nicht nur die Beschleunigung, auch die Vielfalt der Kommunikation bringt Probleme mit sich: Der zunehmende Konkurrenzdruck führt zu einem immer härter werdenden Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Die menschliche Fähigkeit, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, bleibt begrenzt. Also wird der Wettbewerb darum, welche Information sich durchsetzt, umso härter. Es fällt auf, dass die Fokussierung auf wenige Themen immer intensiver wird, je mehr Medien und Informationen wir haben. Früher gab es an jedem Zeitungskiosk eine große Vielfalt von Aufmachermeldungen. Heute ist es in der Regel so, dass die meisten sogar dasselbe oder ein ähnliches Titelbild haben. Der intensivere Wettbewerb fördert die Konzentration auf weniger Themen mit der Folge, dass die Themen schneller wechseln, weil der Überdrusseffekt schneller eintritt. Das führt dann zu der alten Erfahrung: „Bad news are good news.“ Ein nicht abgestürztes Flugzeug ist keine Nachricht, aber ein abgestürztes ist eine. Darüber ist nicht zu klagen, aber man muss den Zusammenhang erkennen und den darin steckenden Trend zur Skandalisierung von Nachrichten. Selbsterkenntnis ist immer der erste Weg zur Besserung. Und natürlich fördert die Übertreibung dieses Prinzips nicht gerade Zuversicht und Gelassenheit, sondern Hysterie und Unsicherheit. Ich habe das Beispiel BSE genannt. Auch bei der ersten Volkszählung haben sich die Menschen bedroht gefühlt. Als sie zwei Jahre später den Fragebogen gesehen haben, haben sie sich gefragt, warum sie sich eigentlich so aufgeregt hatten. Es ist in diesen Entwicklungen schon die Gefahr einer Übertreibung.

Wenn zugunsten der Sensation journalistische Standards vernachlässigt werden, wird es problematisch. Die Veröffentlichungen der Obduktionsberichte der in Leipzig getöteten achtjährigen Michelle vor ein paar Wochen sind ein Beispiel, bei dem man sagen kann, dass die Beteiligten ihre Verantwortung besser hätten wahrnehmen können. Der Staat kann das nicht alles regeln. Das bringt die Freiheit mit sich. Aber man darf allen Beteiligten, den Journalisten, den Politikern, den Kommunikationsexperten der Unternehmen und Verbände sagen: Ihr habt eine Verantwortung, bedenkt die Zusammenhänge und versucht, der Übertreibung ein Stück weit entgegen zu wirken. Es ist auch in der politischen Berichterstattung so, dass Skandal und Streitigkeiten die Inhalte häufig verdrängen, weil sie sich natürlich besser in dem Wettbewerb um das knappe Gut Aufmerksamkeit durchsetzen. Dabei besteht die Gefahr, dass Bewertung und Kommentierung am Ende wichtiger werden als die Sachverhaltsdarstellung. Natürlich sind die Politiker kein Haar besser. Denn wir müssen uns alle um mediale Aufmerksamkeit bemühen, und hinterher beklagen wir uns dann. Auch unter Missachtung politischer Zuständigkeit bemühen wir uns, medienwirksam populäre Themen aufzugreifen. In der Sommerpause gibt es dafür besonders amüsante Beispiele.

Die Mediendemokratie ist eine Realität, die für Politiker wie für Journalisten problematisch ist, weil der eine wie der andere ein genuines Interesse an der Qualität der politischen Auseinandersetzung haben muss. Ich rede natürlich aus der Sicht des Politikers, die eine andere ist und sein muss als die des Journalisten. Aber im Grunde sind beide mit denselben Problemen konfrontiert und werden auch zu ähnlichen Entstellungen politischer Kommunikation verleitet, wenn sie sich nur noch an den Gesetzen medialer Vermarktung orientieren. Wenn uns an der demokratischen Kultur in unserem Lande gelegen ist, und das ist uns, dann ergibt sich daraus ein unmittelbares Interesse an der Pflege einer transparenten politischen Kommunikation. Denn demokratische Entscheidungsprozesse setzen politische Diskussionsprozesse voraus. Und diese müssen so beschaffen sein, dass der Zweck, die beste Lösung für das Gemeinwesen zu erreichen, erfüllt werden kann. Was die beste Lösung ist, dafür gibt es keinen objektiven Maßstab. In der Diskussion muss sich herausstellen, was für die beste Lösung gehalten wird. Aber das muss in einer sachbezogenen Debatte versucht werden, sonst funktioniert das System nur suboptimal. Deswegen sollten wir uns bemühen, die wirklich wichtigen Probleme im Vordergrund zu halten und stärker zu debattieren. Man muss prinzipiell bereit sein, pragmatisch die beste Lösung im Rahmen des Machbaren zu suchen. Ohne Transparenz in der Diskussion und der Meinungsbildung ist das nicht zu erreichen.

Man kann immer darüber streiten, welche Lösung in einem konkreten Fall die richtige ist. Es gibt nicht die perfekte Lösung. Auch das ist eine Erkenntnis, die mit Popper zu tun hat: Wenn man glaubt, es gäbe eine perfekte Lösung, geht die Demokratie schnell zugrunde. Deswegen verteidige ich auch das Mehrheitsprinzip mit großer Entschiedenheit – selbst gegenüber manchen Versuchungen, zu viele politische Gestaltungsfragen etwa unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten entscheiden zu wollen. Natürlich setzt die Verfassung Grenzen. Aber die Entscheidung, wie die Interessen zwischen den Einzelnen und zwischen verschiedenen Grundrechten abzuwägen sind, muss Sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers bleiben, sonst ist es keine offene Demokratie mehr. Auch darauf muss man aufmerksam machen. Es gibt also nicht die eine richtige Lösung, sondern es gibt die demokratische Legitimation. Dazu gehört, dass die Entscheidung und die Gründe, warum und warum gerade jetzt eine Entscheidung getroffen wird, nachvollziehbar sind. Demokratie beruht nicht zuletzt darauf, dass die Menschen auch Entscheidungen akzeptieren, denen sie persönlich nicht zustimmen. Ohne die Akzeptanz des Mehrheitsprinzips funktioniert es nicht. Wir können demokratische Entscheidungen auch nicht durch Meinungsumfragen oder durch ständigen Abstimmungsprozess im Internet ersetzen. Wir brauchen das Prinzip der Repräsentation. Aber Repräsentation heißt, dass Entscheidungen im Rahmen demokratischer Legitimation nachvollziehbar sein müssen, damit sie akzeptiert werden können – auch von denjenigen, die sie zunächst nicht für richtig halten.

Demokratie wäre von innen bedroht, wenn sie nur noch auf Menschen zurückgreifen könnte, die nach den Gesetzen der Mediendemokratie funktionieren. Die Demokratie gibt Spielregeln vor. Die sind wichtig, sie bilden aber nur einen Rahmen, der der Ausfüllung durch Werte bedarf. Deshalb ist es für die Glaubwürdigkeit und damit für die Funktionsfähigkeit von Kommunikation in diesem demokratischen Sinne notwendig, dass die Menschen auch ein Gefühl des Vertrauens haben. Das Prinzip der repräsentativen Verfassung ist auf Vertrauen angewiesen. Die Menschen müssen spüren: Da redet einer nicht nur, weil es gerade gut ankommt, sondern weil er sich mit der Sache beschäftigt und weil er sich einen eigenen Standpunkt erarbeitet hat, den er vertritt. Dann ist man in der Regel auch bereit, diesen Standpunkt zu respektieren, selbst wenn man anderer Ansicht ist. Nehmen Sie als ein besonders herausragendes Beispiel die öffentliche Anteilnahme am Tod des letzten Papstes. Der große Respekt, den – bei aller Kritik im Einzelnen an seinen Positionen in manchen Fragen – viele, gerade auch junge Menschen in unserem Land und überall in der Welt Johannes Paul II. entgegengebracht haben, hat etwas damit zu tun, dass er eine hohe persönliche Glaubwürdigkeit ausgestrahlt hat. Das hat gezeigt, dass gerade die Suche nach Glaubwürdigkeit und nach Vertrauen in die Seriosität einer Person auch und gerade unter den Gesetzen unserer modernen Wirklichkeit nicht weniger wichtig, sondern offenbar wichtiger geworden ist. Und so ist vielfältig zu sehen – und damit ist das Positive verbunden, das mich zuversichtlich stimmt –, dass Übertreibungen zwar Gefahren schaffen, dass Übertreibungen sich dann aber auch selbst wieder korrigieren.

Friedrich Merz hat vor ein paar Jahren einmal gesagt: Eine Talk-Show am Sonntagabend – Sabine Christiansen – ist wichtiger als jede Bundestagsdebatte. Diese Sichtweise hat sich etwas verschoben: Talk-Shows sind heute nicht mehr von besonderer Bedeutung für die politischen Diskussionsprozesse. Ein Großteil der Politiker geht inzwischen eher selten in Talk-Shows, weil man den Übermüdungseffekt inzwischen festgestellt hat. So zeigt sich: Das Prinzip der Korrektur von Fehlentwicklungen funktioniert, deswegen müssen wir gar nicht so pessimistisch sein. Natürlich bleibt es dabei, dass wir die Glaubwürdigkeit politischer Kommunikation am ehesten fördern, wenn wir einen Standpunkt vertreten, von dem wir überzeugt sind, wenn wir uns mit der Sache auseinandergesetzt haben, wenn wir die Argumente dafür und dagegen möglichst unvoreingenommen abgewogen haben – und wenn wir den Mut haben, notfalls gegen Widerspruch und auch gegen den Widerspruch einer Mehrheit zu unserer eigenen Überzeugung zu stehen. Wenn keiner mehr zu seiner eigenen Überzeugung steht, dann sind diese Prozesse nicht zu vermitteln. Wir sollten meines Erachtens versuchen, dem Druck der Überbeschleunigung Stand zu halten und auf Qualität statt auf Schnelligkeit der Information achten. Auch Politiker können nicht zu allen Themen sofort etwas sagen. Glaubwürdigkeit wird auf Dauer durch eine spätere, aber dann eben überlegte und belastbare Stellungnahme gestärkt. Diese Verantwortung für inhaltliche und sachliche Qualität haben alle an der öffentlichen Kommunikation Beteiligten: Politiker, Journalisten und Pressesprecher. Ich glaube, es geht hier nicht nur um Verantwortung und Pflicht, sondern es geht letztlich um anhaltenden nachhaltigen Erfolg. Kurzfristig mag sich eine populistische Strategie auszahlen. Kurzfristig mag derjenige erfolgreich sein, der schwierige Themen vereinfacht und auf eine provokante Pointe bringt. Aber auf Dauer nutzt die beste Verpackung wenig, wenn sie sich als leere Hülle entpuppt. Ebenso wenig nützt ein schnell entworfenes Konzept, wenn es kurz darauf wieder umgestoßen wird oder verpufft.

Gründliche und sachliche politische Debatten sind in unser aller Interesse, weil unsere Demokratie und unsere Freiheit in ihrer Nachhaltigkeit, in ihrer Krisenfestigkeit davon abhängen. Dazu gehört, dass die Öffentlichkeit möglichst gut und sorgfältig informiert ist. Es gibt auch heute ein Bedürfnis nach gründlicher, ernsthafter, ausgewogener Berichterstattung. Dieses Bedürfnis bleibt, auch wenn sich der Zugang der Menschen zu Nachrichten und Informationen ändert. Ich glaube, dass hierin auch eine Stärke und Chance klassischer Medien im Wettbewerb mit neuen Medien liegen wird.

Ich bin nicht pessimistisch. Durch Übertreibung gefährdet man alle Fortschritte, selbst die Offenheit von Märkten – wir erleben das in diesen Tagen –, aber die Welt wird deswegen nicht untergehen. Übertreibungen korrigieren sich, und dann müssen wir schauen, wie wir den richtigen Weg finden. Ich glaube nicht, dass der Staat alles regeln kann. Herr Lafontaine hatte sich als Ministerpräsident im Saarland so sehr über Medienkritik geärgert, dass er ein Mediengesetz schaffen wollte, um die Journalisten an die Kandare zu nehmen. Das halte ich für großen Unsinn und im Kern für demokratiefeindlich. Wir können diese freiheitlichen Prozesse nicht regulieren, und wir dürfen es nicht wollen, weil es ein prinzipielles Missverständnis der Offenheit und der Freiheit solcher Prozesse wäre. Aber wir müssen natürlich darauf achten, dass sich auch freiheitliche Prozesse selbst zerstören können. Alles im menschlichen Leben, in menschlichen Gemeinschaften ist in der Gefahr, sich durch Übertreibung selbst zu zerstören. Der Egoismus ist einer der stärksten menschlichen Antriebskräfte, deswegen sind marktwirtschaftliche Ordnungen anderen überlegen. Aber der Egoismus führt auch zur Gier und mit der Gier kann er wieder viel zerstören. Ganz neu ist das nicht. Bei den Medien und bei der Kommunikation ist das nicht anders. Die Politik kann und darf das nicht regeln, und sie darf auch nicht alles regulieren wollen. Aber was sie wollen muss und was sie wollen darf, ist, sich an dem Diskurs über diese Dinge zu beteiligen. Deswegen ist meine Rede keine Kritik, sondern ein Betrag zu einer öffentlichen Debatte. Wir müssen uns die Funktion der Medien für unsere Kommunikation und für unsere freiheitlich verfasste Gesellschaft wieder und wieder bewusst machen. Ich plädiere dafür, dass wir dem Druck schnellerer medienwirksamer Kommunikation Ernsthaftigkeit entgegenzusetzen versuchen, im Vertrauen darauf, dass sich am Ende nach dem Prinzip von „trial and error“ doch die bessere Lösung, die bessere Entscheidung, die bessere Information durchsetzt.

In jeder Krise liegt eine Chance. In der Gefahr liegt das Rettende nahe, hat mein schwäbischer Landsmann Hölderlin gesagt. Und Martin Luther hat gesagt: Wenn ich wüsste, dass die Welt morgen untergeht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen. Wir sind nicht am Ende aller Probleme angelangt. Wir leben, bei allen Sorgen, besser als jede Generation vor uns. Es lohnt sich, sich in dieser freiheitlichen Kommunikation einzubringen und sich unter den Bedingungen unserer Medien- und Informationswelt zu engagieren. Dazu wünsche ich Ihnen viel Freude an Ihrer Arbeit und viel Erfolg.