„Wir müssen Schleusern die Geschäftsgrundlage entziehen“



Interview mit Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble auf www.rheinischer-merkur.de

Rheinischer Merkur: Was denken Migranten aus Ihrem persönlichen Freundeskreis über die deutsche Einwanderungspolitik: Fühlen sie sich in Deutschland willkommen?

Wolfgang Schäuble: Menschen, die seit längerer Zeit hier leben, fühlen sich nach meinem Eindruck willkommen. Sie verstehen auch besser, dass ein Land Zuwanderung steuern muss. Andernfalls wird die Bereitschaft der Bevölkerung, Zuwanderer zu integrieren, gefährdet.

RM: Auf dem EU-Gipfel werden die Regierungschefs nächste Woche den Pakt zu Asyl und Einwanderung beschließen.Was bringt er für Deutschland?

Schäuble: Das Konzept macht deutlich, dass wir die legale Zuwanderung nach Europa steuern müssen. Gleichzeitig ist Europa ein Kontinent, der hilfsbedürftigen Menschen und Flüchtlingen solidarisch verpflichtet ist. Wenn man beides will, muss man illegale Migration bekämpfen. Das beste Instrument, um der Schleuserkriminalität zu begegnen, ist eine schnelle Rückführung von Menschen, die kein Aufenthaltsrecht haben. Denn das entzieht den Schleusern die Geschäftsgrundlage. Das alles ist eine kohärente Politik für Migrationssteuerung durch die EU-Mitgliedsstaaten.

RM: Die EU will illegale Einwanderung stärker bekämpfen und hat deshalb die Mittel für die europäische Grenzagentur Frontex aufgestockt: Wird Europa zur Festung?

Schäuble: Das Bild von der Festung Europa ist ein böswilliges Zerrbild. Flüchtlinge, die nicht in ihren Nachbarländern Zuflucht finden, werden in Europa aufgenommen. Da sind wir der mit Abstand großzügigste Kontinent. Weil an den Binnengrenzen die Kontrollen weggefallen sind, müssen wir sicherstellen, dass sie an den Außengrenzen stattfinden. Und zwar nach den Standards, nach denen wir sie bisher an Binnengrenzen durchgeführt haben. Die Verlagerung der Kontrollen von der deutsch-polnischen an die polnisch-ukrainische Grenze heißt nicht, dass Europa zur Festung wird.

RM: Trotzdem erweist es sich schon als schwierig, 10 000 irakischen Christen in Europa Zuflucht zu gewähren. Wo hakt es denn?

Schäuble: Die irakische Regierung hat uns gebeten, das nicht zu tun. Sie bemüht sich sehr darum, dass die Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren. Deshalb haben wir mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), António Guterres, geredet. Er hat bestätigt, dass die meisten der zwei Millionen Flüchtlinge in den Irak zurückkehren können und sollen. Das entspricht auch der Forderung der christlichen Kirchen aus der Region selbst. Sie haben uns gebeten, keine Politik zu betreiben, die schließlich dazu führt, dass alle Christen die Region verlassen.

RM: Was passiert mit den Flüchtlingen, die nicht zurück können oder wollen?

Schäuble: Für diese Gruppe brauchen wir ein Resettlement (Umsiedelung). Dabei geht es um Menschen, die den Irak verlassen haben und unter der Obhut des UNHCR sind. Sie müssen umgesiedelt werden, um außerhalb des Landes eine neue Heimat zu finden. Einen entsprechenden Beschluss der Europäischen Innenminister werden wir noch in diesem Jahr fassen. Im Rahmen dieser Regelung wird Deutschland eine angemessene Zahl dieser Flüchtlinge aufnehmen.

RM: Wer hindert Deutschland daran, bei der Aufnahme irakischer Christen mit gutem Beispiel voranzugehen?

Schäuble: Es kommen bereits jeden Monat über 500 irakische Flüchtlinge nach Deutschland. Wir haben mit die höchsten Aufnahmezahlen weltweit. Bislang haben wir uns an Umsiedelungsaktionen des UNHCR nicht beteiligt, weil die meisten Flüchtlinge in der Regel direkt zu uns gekommen sind. Wir sind aber dafür, dass sich Europa auch an den Bemühungen des UNHCR beteiligt und Deutschland ebenfalls.

RM: Illegale Zuwanderung wollen die EU-Innenminister künftig auch mit der sogenannten zirkulären Migration bekämpfen, also befristeter Arbeits- migration. Was versprechen Sie sich von diesem Konzept?

Schäuble: Ich halte es für sinnvoll, denn wir müssen bei der Migration immer die Interessen der Aufnahmeländer, die Interessen der Migranten und die Interessen der Herkunftsländer berücksichtigen. Wir müssen alles tun, um einen Braindrain zu vermeiden. Wenn wir sagen, die Menschen können auf Dauer bei uns bleiben, ist das eine Politik gegen die Interessen der Entwicklungsländer.

RM: Was macht Sie so sicher, dass auf Zeit angeworbene Arbeitskräfte nach Ablauf der Befristung wirklich in ihre Herkunftsländer zurückkehren wollen?

Schäuble: Zunächst einmal gehe ich davon aus, dass jemand, mit dem ich eine Vereinbarung treffe, diese auch einhält. Außerdem arbeiten wir bei dieser Form von Zuwanderung mit den Herkunftsländern zusammen. Das ist eine neue Situation. Heute können unsere Behörden häufig nur schwer herausfinden, aus welchem Land ein illegaler Einwanderer stammt.

RM: Durch das Konzept der zirkulären Migration wird die Verdunkelungsgefahr also reduziert. Heißt das, wir brauchen die neue Abschieberichtlinie der EU eigentlich gar nicht?

Schäuble: Der Begriff verwirrt mehr, als er zur Erkenntnis beiträgt. In Wahrheit regelt diese Rückführungsrichtlinie nur einen ganz schmalen Bereich und legt gemeinsame Mindeststandards fest. Wir in Deutschland sind bei Abschiebungen in Teilbereichen zurückhaltender als die EU-Richtlinie. Insofern wird sie an unserer nationalen Entscheidungspraxis nur wenig verändern.

RM: Manche EU-Länder haben auf ein anderes Konzept gesetzt und Illegale nicht abgeschoben, sondern legalisiert. Ein Modell für Deutschland?

Schäuble: Die massenhafte Legalisierung, die Spanien vor zwei Jahren durchgeführt hat, wird von der Regierung dort inzwischen selbst als ein Fehler angesehen, insbesondere weil sie eine Ermutigung für die hochkriminellen Menschenhändler ist. Die sagen jetzt: Seht her, wir haben die Menschen nach Europa gebracht und sie dürfen bleiben. In Deutschland haben wir diese Debatte bereits geführt. Wir haben eine gute Regelung.

RM: Was tut die Bundesregierung, um die dringend notwendige Einwanderung von Hochqualifizierten zu fördern?

Schäuble: Wir haben mit dem Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz eine maßvolle Öffnung für qualifizierte Fachkräfte geschaffen. Die Forderung nach dringend benötigten hoch qualifizierten Arbeitskräften höre ich oft. Bei genauerem Hinsehen geht es dabei aber eher um billige Arbeitskräfte. Um es klar auszusprechen: Es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, Zuwanderer ins Land zu holen, weil ebenso qualifizierte Arbeitskräfte in Deutschland manch einem zu teuer erscheinen. Dafür sind wir nicht da.

RM: Ist das der Grund dafür, dass die Öffnung nur „maßvoll“ ausgefallen ist?

Schäuble: Mit unserem Konzept helfen wir da, wo Arbeitskräftemangel besteht. Aber wir entlassen die Wirtschaft auch nicht aus der Verantwortung. Wir haben in Deutschland immer noch drei Millionen Arbeitslose und eine erhebliche Zahl von jungen Menschen, die wir qualifizieren müssen.

RM: Das Regelwerk, von dem Sie sprechen, heißt Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz. Hand aufs Herz, Herr Minister: Ein Willkommenssignal an Zuwanderer hört sich anders an, oder?

Schäuble: Das sehe ich nicht so. Wir suchen Arbeitskräfte, die wir dringend brauchen. Aber wir können ja nicht so tun, als wollten wir alle Höchstqualifizierten aus der Welt in Deutschland haben und die armen Schlucker sollen bitte woanders bleiben. Das ist auch nicht mein Verständnis von Solidarität in dieser einen Welt.

Das Gespräch führten Markus Fels und Astrid Prange.