Wir haben zu viel Liquidität



Der Bundesfinanzminister im Interview mit dem Handelsblatt

Handelsblatt: Herr Minister Schäuble, in wenigen Tagen jährt sich die Einführung des Euro-Bargeldes zum zehnten Mal. Ist das überhaupt ein Anlass zum Feiern?

Schäuble: Der Euro hat sich bewährt. Er ist eine stabile Währung. Nach innen und nach außen. Und wenn wir gerade die Annäherung zwischen Japan und China bei ihren Währungen sehen, zeigt das ja, dass es eine kluge Entscheidung der Europäer war, für den noch immer größten Wirtschaftsraum der Welt eine gemeinsame Währung zu schaffen.

Wir dürfen nicht vergessen: Wir haben keine Euro-Krise, sondern eine Staatsschuldenkrise in einigen Euro-Ländern, die uns über die Verflechtung in den internationalen Finanzmärkten[Glossar] und die daraus entstehenden Ansteckungsgefahren einige Probleme bereitet.

Handelsblatt: Der Euro ist gestern unter 1,30 Dollar gesunken. Die Inflation [Glossar] war dieses Jahr höher als zuvor. Nach einer Emnid-Umfrage schätzt eine Mehrheit der Deutschen die Zukunft des Euros negativ ein. Beunruhigt Sie das nicht?

Schäuble: Ich verstehe, dass die Bürger sich Sorgen machen. Die intensive Diskussion über die Schuldenkrise in den letzten zwei Jahren hat natürlich dazu beigetragen. Das nehme ich ernst. Das ändert aber nichts daran, dass Europa eine gemeinsame Währung braucht.

Europa tut zudem alles dafür, dass das Vertrauen in diese Währung bestehen bleibt, respektive da, wo notwendig, wieder verbessert wird. Zum Thema Wechselkurs sollte sich ein Finanzminister immer zurückhalten.

Ich möchte nur daran erinnern, dass dieser bei Einführung des Euros deudich niedriger lag und man anfing, sich in der europäischen Exportwirtschaft Sorgen zu machen, als er eine Zeit lang auf 1,40 stieg. Auch gewisse Preisauftriebstendenzen nehmen wir ernst. Allerdings ist die durchschnittliche Preissteigerungsrate beim Euro bisher niedriger als zu D-Mark-Zeiten.

Handelsblatt: Sie haben mehrfach kritisiert, dass der Währungsunion keine Politische Union gefolgt ist …

Schäuble: Für eine Politische Union gab es in Maastricht schlicht und ergreifend keinen Konsens unter den Mitgliedstaaten. Das müsste man damals so akzeptieren. Daher sollte man jetzt umso mehr die Gelegenheit ergreifen, das nachzuholen, was damals noch nicht möglich war.

Handelsblatt: Die Euro-Staaten haben kürzlich einen ersten Schritt zu einer Fiskalunion gewagt. Die haushaltspolitische Souveränität der Mitgliedsländer bleibt aber erhalten. Ist das nicht halbherzig?

Schäuble: Die Beschlüsse des letzten Euro-Gipfels waren richtig. Wie immer kommt es jetzt auf die Umsetzung an. Wenn wir die Beschlüsse so umsetzen, wie von den Staats- und Regierungschefs geplant, dann haben wir die Perspektive einer echten Stabilitätsunion. Daran wird auch über den Jahreswechsel intensiv gearbeitet. Dabei müssen wir aber darauf achten, dass die jeweiligen Haushaltsrechte der Mitgliedstaaten mit den europäischen Regelungen nicht in Kollision geraten – gerade auch, was die Verlagerung von Souveränität betrifft.

Wenn wir diesbezüglich alle Entscheidungen ganz auf die europäische Ebene verlagern würden, dann brauchten wir ganz andere Institutionen in Europa. Aber das steht ja zurzeit nicht an. Es geht vielmehr darum, die bestehenden Regeln tatsächlich durchzusetzen. Das ist das Ziel.

Handelsblatt: Glauben Sie, dass die Euro-Staaten in einem Jahr die Schuldenkrise gelöst haben werden?

Schäuble: Ich hoffe zuversichdich, dass alle Euro-Staaten große Fortschritte bei der Bewältigung der jeweiligen Probleme gemacht haben werden. Aber in einigen Ländern sind die Probleme schon beeindruckend groß, nachdem sie über lange Zeit angehäuft worden sind, und es braucht einen langen Atem. Ich glaube, dass wir in den nächsten zwölf Monaten so weit sind, dass wir die Ansteckungsgefahren gebannt und die Euro-Zone stabilisiert haben werden.

Handelsblatt: Was sind die entscheidenden Schritte, damit dies gelingen kann?

Schäuble: Man muss vor allen Dingen die richtige Reihenfolge der Schritte einhalten.

Erstens müssen die betroffenen Länder wirklich glaubhaft alles unternehmen, um selbst nachhaltig ihre Probleme zu lösen. Also klare Schritte von der Ankündigung bis hin zur konkreten Umsetzung. Und das betrifft nicht nur Griechenland.

Zweitens müssen wir uns in Europa Strukturen geben für eine Stabilitätsunion, mit denen durchsetzbar ist, was vereinbart wurde.

Und der dritte Schritt ist, dass wir über die Rettungsschirme Lösungen für die akuten Finanzierungsprobleme einzelner Länder bereithalten. Letzteres darf die Motivation für die ersten beiden Schritte aber nicht schwächen.

Handelsblatt: Können Sie ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone definitiv ausschließen?

Schäuble: Nach allem, was ich zurzeit weiß: ja. Eine Währungsgemeinschaft schweißt das Schicksal von Staaten zusammen. Die politisch Verantwortlichen in der Euro-Zone tun deshalb alles, um ein Auseinanderfallen der Währungsgemeinschaft zu verhindern. Natürlich kann die Europäische Union niemanden zwingen, dabeizubleiben, falls er nicht mehr dazugehören möchte. Eine solche Entwicklung ist aber zurzeit nicht zu erkennen.

Handelsblatt: Wie soll Griechenland trotz der schlechten Wirtschaftslage Mitglied der Währungsunion bleiben?

Schäuble: Wir sind im Augenblick in der Endphase der Verhandlungen des neuen Programms für Griechenland, mit dem die griechische Gesamtverschuldung bis 2020 auf 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sinken soll.

Daneben muss Griechenland durch strukturelle Reformen und effizienteren Mitteleinsatz der EU wieder auf einen Wachstumspfad kommen, beispielsweise durch den Ausbau regenerativer Energien und deren Export. Die griechische Bevölkerung braucht Licht am Ende des Tunnels.

Handelsblatt: Reformen scheitern vor allem an den mangelhaften Verwaltungsstrukturen. Wie soll der Schuldenabbau gelingen, wenn es der Finanzverwaltung nicht gelingt, die Steuern einzutreiben?

Schäuble: Da wird jetzt manches sehr negativ dargestellt. Sicherlich gibt es Verbesserungsbedarf in einiger Hinsicht. Wir können und wir werden Griechenland technische Hilfe beim Aufbau einer funktionsfähigen Finanzverwaltung anbieten. Dasselbe gilt für die Privatisierungen: Man braucht sehr viel mehr Zeit für die Umsetzung als für die Ankündigung.

Und der weitere Aufbau des Landes braucht ja immer auch Investoren.

Handelsblatt: Wird die Hilfe denn angenommen?

Schäuble: Manches könnte schneller gehen. Aber die Aufgaben sind auch groß.

Handelsblatt: Deutsche-Bank-Chef Ackermann hat kürzlich Zweifel daran geäußert, dass es reicht, nur die Schulden Griechenlands bei Privatgläubigern um 50 Prozent zu kürzen. Auch die Schulden bei öffentlichen Gläubigern müssten einbezogen werden. Hat er recht?

Schäuble: Der öffendiche Sektor trägt ja sowieso das, was der Privatsektor nicht übernimmt. Insofern muss sich niemand bei den privaten Finanzinstituten Gedanken machen, dass sich der öffentliche Sektor nicht genügend in Griechenland engagiert.

Sollte die Äußerung von Herrn Ackermann auf die Europäische Zentralbank zielen, würde ich Herrn Ackermann und allen anderen inklusive mir raten, mit Blick auf die Unabhängigkeit derselben solche Diskussionen nicht fortzusetzen.

Handelsblatt: Sie bleiben also bei Ihrer Ablehnung, die öffentlichen Anleihen, die bei derEZB [Glossar] liegen, einzubeziehen?

Schäuble: Wir sollten die Dinge nicht vermischen. Die EZB ist kein privater Gläubiger. Sowohl das erste als auch das zweite Griechenland-Hilfspaket ist ein Engagement der europäischen Steuerzahler – Solidarität für Solidität. Hilfe gegen harte Konditionen.

Dass auch ein freiwilliges Engagement des Privatsektors vereinbart wurde, ist angemessen, denn dieser hat hinreichend eigene Interessen an der Gesundung Griechenlands. Jetzt geht es um die Ausgestaltung des Engagements des Privatsektors im Einzelnen, und ich hoffe, dass die Verhandlungen jetzt bald zum Abschluss kommen.

Handelsblatt: Der dauerhafte Europäische Rettungsfonds ESM soll bereits im nächsten Jahr und nicht erst 2013 aktiv werden. Wie sollen sich bis dahin Staaten wie Italien und Spanien Geld an den Kapitalmärkten besorgen?

Schäuble: Es ist richtig, dass der Refinanzierungsbedarf in der EU in den ersten Monaten des Jahres 2012 nicht trivial ist. Aber je mehr wir das Vertrauen auf den Märkten zurückgewinnen, desto eher werden die Investoren, die ja gute Anlagemöglichkeiten suchen, in den Euro-Raum investieren – und nicht nur in deutsche Anleihen. Am Geld mangelt es ja weltweit nicht.

Für manche Staatsanleihen muss im Zweifel ein etwas höherer Zinssatz bezahlt werden. Das ist per se nicht schädlich und kann zudem die Einsicht fördern, dass man die eigentlichen Ursachen der Krise in Angriff nehmen muss: zu hohe Schulden und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit.

Handelsblatt: Wäre es nicht ein gutes Signal, den ESM gleich komplett mit Barmitteln auszustatten?

Schäuble: Über die Höhe der Barmittel zum Start des ESM werden wir rechtzeitig in 2012 entscheiden. Je früher wir die 80 Milliarden Euro Kapitaleinlage zusammenhaben, umso besser ist dies. Nicht nur für die Handlungsfähigkeit des ESM, sondern auch für das Vertrauen der internationalen Investoren und Finanzmärkte in die europäische Währungsgemeinschaft.

Es wäre das stärkste Signal, dass die Mitgliedsländer der Euro-Zone zu ihrer gemeinsamen Währung stehen, und zwar unter allen Umständen. Dabei kommt es aber nicht nur auf Deutschland an. Die Bereitschaft und Fähigkeit der anderen Staaten sind auch relevant.

Handelsblatt: Wer hält Sie denn ab, im nächsten Jahr mehr einzuzahlen?

Schäuble: Die Verhandlungen in Brüssel zum ESM dauern an. Wir wollen den ESM im Januar finalisieren. Es geht um eine gemeinsame Entscheidung und Umsetzung. Aber ich sage noch einmal: Deutschland wird in dieser „Frage nicht der Bremser sein.

Handelsblatt: Was tun Sie, wenn sich die Finanzmärkte im ersten Halbjahr nicht beruhigen? Muss dann die EZB im großen Stil Staatsanleihen aufkaufen?

Schäuble: Erstens brauchen wir für die Einrichtung des ESM nicht das ganze erste Halbjahr. Der Prozess soll schon im ersten Quartal abgeschlossen sein und der ESM dann Mitte 2012 aktiv sein können. Zudem bleibt es bei der notwendigen Reihenfolge: Jedes Land muss jetzt seine Probleme lösen. Und die Euro-Zone braucht die klare Perspektive einer Stabilitätsunion.

Wenn diese beiden Schritte stattfinden, dann kann zugleich europäische Solidarität die Zeit überbrücken, bis ein Land das Vertrauen der Märkte zurückgewinnt, ohne unerträgliche Lasten tragen zu müssen. Wir dürfen uns dabei nicht ablenken lassen: Das Gerede über Bazookas und Ähnliches führt nur dazu, dass wir die Ursachen der Krise nicht nachhaltig angehen …

Handelsblatt: …indem die Europäische Zentralbank Staatsanleihen kauft. Deshalb haben in diesem Jahr mit Axel Weber und Jürgen Stark zwei deutsche Notenbanker ihren Job quittiert. Hat die deutsche Stabilitätspolitik eine Zukunft?

Schäuble: Axel Weber und Jürgen Stark waren bedeutende Notenbanker, für deren Arbeit wir dankbar sein dürfen. Jens Weidmann ist ein starker Bundesbank-Präsident, und niemand zweifelt daran, dass Jörg Asmussen ein starker Notenbanker im EZB-Direktorium sein wird. Weber und Stark sind durch Weidmann und Asmussen gleichwertig ersetzt.

Handelsblatt: EZB-Präsident Mario Draghi hat kürzlich vor einer Kreditklemme gewarnt und damit das billige, langlaufende Zentralbankgeld für die Banken begründet. Ist die Gefahr einer Kreditklemme real?

Schäuble: Ich habe bisher aus der deutschen Finanzwirtschaft und aus der Realwirtschaft keinerlei Hinweise auf eine Kreditverknappung.

Handelsblatt: Und wie sieht es in anderen Ländern aus?

Schäuble: Bei den Maßnahmen, die die EZB ergriffen hat, um die Banken mit Liquidität auszustatten, fällt es schwer, sich vorzustellen, dass die Banken nun nicht in der Lage sein sollten, die Wirtschaft ausreichend mit Krediten zu versorgen.

Im Übrigen haben wir in den Finanzmärkten noch immer das Problem, dass wir viel zu viel Liquidität haben und ein Großteil von Finanztransaktionen mit der Finanzierung der Realwirtschaft nur noch ganz entfernt etwas zu tun hat. Das ist ja eines der großen Ärgernisse.

Eine meiner großen Sorgen ist, dass wir den Elan verlieren, die richtigen Konsequenzen aus den Ursachen der Finanzkrise von 2008 zu ziehen. Ich dränge darauf, dass wir da nicht nachlassen.

Handelsblatt: Ziel ist es, den Bankensektor zu schrumpfen, oder?

Schäuble: Was ich gesagt habe, ist, dass wir dafür sorgen müssen, dass der Finanzsektor seine dienende Funktion für die Gesamtwirtschaft erfüllt und sich nicht zu sehr mit Finanzgeschäften mit sich selber beschäftigt. Dies kann nur wieder zu neuen Blasenbildungen führen. Wir haben zwei Hauptursachen der Krise: zu viel Staatsverschuldung und zu wenig Regulierung und Transparenz der Finanzmärkte. An beiden Ursachen müssen wir arbeiten.

Handelsblatt: Nach dem jüngsten Stresstest [Glossar] der europäischen Bankenaufsicht[Glossar] aktivieren Sie den Bankenrettungsfonds Soffin. Welche Bank wird ihn brauchen?

Schäuble: Mit der Neuauflage des Soffin erfüllen wir einen Teil der Abreden in Europa, mit denen wir den Finanzsektor stressresistenter machen wollen. Jeder Mitgliedstaat soll demnach einen nationalen Mechanismus bereitstellen, auf den gegebenenfalls die Banken zurückgreifen können – natürlich mit klaren Konditionen. Deshalb haben wir das Gesetz auf den Weggebracht.

Handelsblatt: Als hilfsbedürftig gilt einmal mehr die Commerzbank. Wird Herr Blessing zum Soffin gehen müssen?

Schäuble: Sie sollten nicht damit rechnen, dass der Bundesfinanzminister diese Frage beantwortet. Wir kennen die Erklärungen des Vorstands der Commerzbank, und wir haben volles Vertrauen in das Management der Commerzbank.

Handelsblatt: 2011 war wohl das anstrengendste Jahr für einen Finanzminister. Wie lange tun Sie sich den Job noch an?

Schäuble: Im Jahr 2011 noch knapp zwei Tage. Was die Anstrengung betrifft – auch beim Prozess der deutschen Wiedervereinigung gab es doch den einen oder anderen Moment, der ein bisschen intensiver war.

Aber nun im Ernst: Wenn man daran beteiligt ist, wichtige Weichenstellungen für die Zukunft – nicht nur der Europäischen Union – mitzugestalten, und man sich dafür verantwortlich fühlt, die Ersparnisse und Währung der Bürger, die einen gewählt haben, noch sicherer und stabiler zu machen, kann man sich als politisch interessierter Mensch wahrlich nicht beschweren.

Handelsblatt: Herr Minister Schäuble, vielen Dank für das Interview.

Das Interview führten Sven Afhüppe und Donata Riedel Berlin.

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