„Wir haben die Chance, dass wir wieder ein starkes Amerika bekommen“



Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im Deutschlandfunk-Interview

Dirk Müller: Ein fulminanter Sieg von Barack Obama, ein fulminanter Sieg auch für die Demokraten. Nach den ausgiebigen Feiern muss sich die amerikanische Hauptstadt nun auf den Regierungswechsel vorbereiten.
Am Telefon ist jetzt Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Guten Morgen!

Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Herr Müller.

Müller: Herr Schäuble, ist die Welt jetzt schon besser geworden?

Schäuble: Es ist ein neuer Präsident gewählt und alle diejenigen, die geglaubt haben, Amerika werde nicht mehr seine Führungsrolle spielen können, sind ja durch die Art, wie diese Wahl gelaufen ist, durch die Art, wie beide Bewerber nach der Entscheidung reagiert haben, überzeugt worden. Auch die Ansprache von McCain war ja wirklich großartig und das war bewegend. Deswegen glaube ich, wir haben die Chance, dass wir wieder ein starkes Amerika bekommen, was auch in dieser Welt, wo wir so viele Krisen haben, notwendig ist. Die Kooperation kann verbessert werden. Es ist eine Chance, aber die Probleme sind noch nicht gelöst. Wir sollten auch Präsident Obama nicht mit zu vielen Erwartungen in zu kurzer Zeit überfordern.

Müller: Hat Ihr konservatives Herz für einen Demokraten geschlagen?

Schäuble: Wissen Sie, ich bin ein Mensch, der sagt, wer Präsident in Amerika wird, das entscheiden die Amerikaner. Wir müssen mit jedem, den die Amerikaner wählen, gut zusammenarbeiten. Die Amerikaner haben entschieden. Ich glaube, dass es gut ist, dass nach all den Schwierigkeiten, nach all den Krisen, nach all der Spaltung, ein Wechsel stattgefunden hat. Die Tatsache, dass die Amerikaner, dass Amerika so sehr in der Welt auch von Vielen gehasst worden, das ist ja nicht im Interesse globaler Verantwortung. Deswegen ist das eine Chance. Amerika selbst ist dabei, seine Spaltung zu überwinden. Jedenfalls hat man das in dieser Wahlnacht so gefunden. Das ist eine Chance. Wir sollten uns daran halten und ich glaube, wir haben jedes Interesse daran, mit dem künftigen amerikanischen Präsidenten so eng und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Das was er an Programmen angekündigt hat, lässt ja hoffen, dass wir viele der Probleme unserer Zeit besser lösen.

Müller: Das war der Politiker Wolfgang Schäuble. Hat sich denn die Privatperson Wolfgang Schäuble gefreut über den Wahlsieg?

Schäuble: Ja. Ich finde, es ist natürlich schon eine fantastische Geschichte, dass die Amerikaner, nachdem sie ja nun lange genug mit Rassenkonflikten und Auseinandersetzungen beschäftigt waren, die Offenheit dieses Landes zeigen. Da kann man ja nun wirklich sagen und hat es ja auch gesehen in der Nacht, wie sie stolz sind darauf, und diese Leistung der Integration ist toll. Ich finde zum Beispiel ungeheuer bemerkenswert, dass ja nach dem, was wir gehört haben, ein Großteil der Hispanics Obama gewählt hat. Vor einigen Jahren hat man immer gesagt, die Hispanics wählen keinen Afroamerikaner, und das ist nun ganz anders gewesen. Auch darin liegt eine Chance. Die starke Mobilisierung, dass so viele junge Menschen zum ersten Mal wählen gegangen sind – die Wahlbeteiligung scheint ja sehr hoch gewesen zu sein für amerikanische Verhältnisse -, das alles ist eine Aufbruchstimmung und darauf können wir nur hoffen. Einen Teil davon können wir uns auch ein bisschen zum Vorbild nehmen. Die Amerikaner haben die Fähigkeiten, große Krisen auch zu meistern, sie zu überwinden, sich am Riemen zu reißen und zu sagen okay, wir haben Fehler gemacht, es sind große Schwierigkeiten, jetzt packen wir es an, lasst uns zusammen stehen. Das ist ein Spirit, wie die Amerikaner sagen. Von dem können sich die Europäer und die Deutschen auch ein Stück weit was wünschen.

Müller: Bleiben wir, Herr Schäuble, doch noch einmal dabei, was Sie anfangs gesagt haben. Kann ein Präsident aus einer Minderheit ein guter Präsident für die Mehrheit sein?

Schäuble: Ja. Er ist ja von allen gewählt. Was heißt Minderheit? Wir sind alle Minderheiten. Das wichtige ist ja, dass wir zusammenstehen, dass wir eine Nation sind, dass wir eine gemeinsame Verantwortung haben, dass die Europäer zusammenstehen, dass wir weltweit um unsere Verantwortung wissen, und Amerika war immer das große Land der Offenheit, in der die Menschen egal wo sie herkommen, welche Religion, welche Hautfarbe, eine Chance haben. Wir hatten schon zum zweiten Mal einen Außenminister in Amerika, Colin Powell, den wir gerade in der Sendung gehört haben, und Condoleezza Rice; das sind ja auch keine Weißen in Amerika und die waren auch ungeheuer erfolgreich. Davon können wir auch ein Stück weit lernen. Jedenfalls können wir darauf vertrauen: Amerika ist in der Lage, Fehler, die auch Amerikaner begehen – und es sind schwere Fehler begangen worden -, zu korrigieren und die Freiheit und die Offenheit und die Toleranz haben auch für die Zukunft eine gute Chance.

Müller: Kann, Herr Schäuble, ein Mann denn so wichtig sein, wie wir jetzt alle tun?

Schäuble: Es ist ja nicht ein einzelner Mann. In diesem Mann symbolisieren sich die Hoffnungen, die Erwartungen, die Träume vieler Menschen. Der Einzelne ist immer auch Teil eines Systems. Diese Bewegung, die er in Gang gesetzt hat, die er ausgelöst hat, das symbolisiert sich in einem Menschen. Das war ja bei Kennedy ein Stück weit ähnlich. Aber es ist immer nicht nur der Einzelne und er hat ja die Verantwortung, die ihm mit dieser Wahl zukommt. Die war ihm ja in seiner Ansprache auch deutlich anzuspüren.

Müller: Wir können einiges lernen, haben Sie eben gesagt, Herr Schäuble. Was können wir lernen?

Schäuble: Wir können lernen, dass große Krisen dazu da sind, nicht den Kopf hängen zu lassen, zu resignieren, sondern zu sagen okay, jetzt haben wir ein Problem – wir haben die Weltwirtschaftskrise, wir haben die Finanzkrise -, lasst uns nicht resignieren, sondern lasst uns umso entschiedener zusammenstehen, wir werden das packen, wir werden das meistern. Man fällt immer einmal hin – das ist auch so ein Spruch in Deutschland -, aber es kommt darauf an, wieder aufzustehen. Die Amerikaner sind dabei, aufzustehen.
Ich glaube auch, dass die Russen falsch reagiert haben, und ich glaube, es ist eine gute Chance und die russische Führung sollte diese Einladung und diese Chance auch wahrnehmen, die Kooperation aller Länder, der Amerikaner und der Europäer, aber auch Russlands, Chinas und Indiens, die anderen großen Mächte, die Schwellenländer, zu verbessern. Wir haben in dieser Welt der Globalisierung eine gemeinsame Verantwortung und wir können viele dieser Probleme nur lösen, wenn wir nicht in den alten Schützengräben verharren, sondern wenn wir zusammenarbeiten für eine Welt, in der sechs, sieben, acht Milliarden Menschen eine Chance auf ein faires, auf ein friedliches Leben in Sicherheit haben.

Müller: Könnte man von den Vereinigten Staaten gerade mit Blick jetzt auf diesen speziellen Wahlkampf, den wir erlebt haben, auch auf mit Blick auf die Wahlnacht, die wir alle erlebt haben, zumindest am Fernseher, auch davon lernen, dass Emotionen in der Politik in Wirklichkeit viel, viel wichtiger sind als das, wie wir das in Deutschland gerne hätten?

Schäuble: Ja, Emotionen sind wichtig. Das ist etwas ganz Starkes für jeden Menschen und da kann man von den Amerikanern wirklich lernen. Man kann übrigens auch lernen, wie man, sobald die Entscheidung gefallen ist, dann auch zusammensteht. Ich sage noch einmal: Die Reden beider, von Obama wie von McCain, waren doch wirklich wunderbare Beispiele dafür, dass man einen ganz harten, bitterharten, langen, schweren Wahlkampf führt. Dann ist die Entscheidung getroffen und dann stehen wir alle zusammen. McCain hat gesagt, ich fordere alle, die mich unterstützt haben, auf, Obama nicht nur zu gratulieren, sondern ihn zu unterstützen. Er ist jetzt unser aller Präsident und wir haben ein Interesse, dass wir mit diesem Präsidenten unser Land voranbringen und die Welt sicherer machen. Das ist vorbildlich demokratisches Verhalten.

Müller: In Amerika ist alles möglich. Das haben wir häufig jetzt wieder gehört in den vergangenen Tagen. Ist in Deutschland so etwas auch möglich?

Schäuble: Ja, in Deutschland ist auch vieles möglich. Schauen Sie, es bewegt sich auch in Deutschland sehr viel. Wir sind gut voran gekommen. Heute haben wir den nächsten Integrationsgipfel. Die Bundeskanzlerin hat vor drei Jahren gesagt, wir müssen Defizite, die wir in unserem Land haben, entschlossen angehen. Da ist auch vieles in Bewegung gekommen. Wir haben vor drei Jahren gesagt, wir finden uns mit der Arbeitslosigkeit nicht ab, und Anfang dieses Jahres waren wir zum ersten Mal seit vielen Jahren in der Arbeitslosigkeit wieder unter drei Millionen angekommen. Das hätte vor drei Jahren niemand für möglich gehalten. Natürlich haben wir viele Probleme. Neue sind hinzugekommen. Aber wir haben überhaupt keinen Grund zu resignieren, sondern wir haben genau wie die Amerikaner allen Grund zu sagen, lasst uns zusammenstehen, lasst uns anpacken, wir schaffen das.

Müller: Wir haben noch eine halbe Minute. Dennoch die Frage: Was ist alles möglich in Deutschland? Beispiel: ein türkischer Bürgermeister?

Schäuble: Aber natürlich! Warum soll nicht ein türkischstämmiger Deutscher Bürgermeister werden? Abgeordnete haben wir und das ist genauso. Der Prozess der Integration, der Offenheit geht voran. Wichtig ist nur, dass alle sich auch mit unserem Land identifizieren. Das ist ja das Tolle in Amerika. Die sagen alle, „we are proud to be American“. Die sind stolz, Amerikaner zu sein. Die Anhänger von Obama haben in der Nacht skandiert, „USA, USA“. Das ist die Voraussetzung, dass alle sich auch mit der Art, wie wir leben, mit dem Rechtsstaat, mit dem Verfassungsstaat, mit Toleranz, mit Rücksicht identifizieren. Auf dieser Grundlage können wir dann offen sein und dann ist Verschiedenheit eine Bereicherung und keine Bedrohung.

Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Vielen Dank für das Gespräch.

Schäuble: Bitte sehr.