„Sonst geht der Streit weiter“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Spiegel

SPIEGEL: Das Sparpaket der Bundesregierung belastet vor allem Hartz-IV-Empfänger, Arbeitslose und Familien. Warum kürzen Sie unsozial?

Schäuble: Das ist nicht unsozial, das ist maßvoll. Wir haben bei jeder Kürzung genau darauf geachtet, dass wir sie auch den Betroffenen in der Sache gut begründen können, auch wenn die sich nicht freuen. Alle, denen wir Kürzungen zumuten, können sich noch selbst helfen. Wer sich nicht mehr selbst helfen kann, bekommt vom Staat das Existenzminimum. Das ist das Prinzip unseres Sozialstaats, den wir erhalten wollen und nur erhalten können, wenn wir uns auf diesen Grundsatz beschränken.

SPIEGEL: Sogar der CDU-Wirtschaftsrat findet die Pläne unausgewogen. Er fordert, wie schon Unionsminister bei der Klausur, einen höheren Spitzensteuersatz.

Schäuble: Wir sind in einer Koalitionsregierung, da muss man Rücksicht nehmen auf die Partner. Jeder geht mit unterschiedlichen Vorstellungen in die Verhandlungen. Aber jetzt haben wir eine einvernehmliche Lösung, es hat keinen Zweck nachzukarten, sonst geht der Streit weiter.

SPIEGEL: Abgeordnete der Union haben bereits angekündigt, dass sie im parlamentarischen Verfahren Änderungen vornehmen werden.

Schäuble: Es ist gutes Recht der Abgeordneten, Maßnahmen der Regierung durch andere zu ersetzen. Meine Vorstellung von Demokratie ist nicht, dass das Parlament die Vorgaben der Regierung nur abnickt.

SPIEGEL: Gilt das auch für den Spitzensteuersatz?

Schäuble: Für den gesamten Haushalt gilt das. Warum denn nicht, wenn sie darüber Einigkeit erzielen? Wenn wir uns in dieser Frage mit der FDP einigen, wunderbar, das Parlament ist Herr des Verfahrens.

SPIEGEL: Ein Hoffnungswert in Ihrer Kalkulation ist die neue Brennelementesteuer. Große Teile Ihrer Fraktion wollen die nur einführen, wenn auch die Laufzeiten der Meiler verlängert werden. Was machen Sie, wenn das nicht passiert?

Schäuble: Ich gehe davon aus, dass die Laufzeitverlängerung keine Frage des Ob ist, sondern des Wie. Da sind der Umwelt- und der Wirtschaftsminister besonders gefordert, und die werden sich schon einigen. Die 2,3 Milliarden Euro, die wir vom nächsten Jahr an eingeplant haben, sind seriös.

SPIEGEL: So seriös wie die von Ihnen ebenfalls eingeplante Finanztransaktionsteuer. Was machen Sie, wenn sich die nicht einmal in der Euro-Zone durchsetzen lässt? Wagen Sie dann den nationalen Alleingang?

Schäuble: Wenn wir das im Alleingang durchsetzen, wird jede Sparkasse, jede Volks- und Raiffeisenbank ihre Geschäfte per Knopfdruck ins benachbarte Ausland verlagern, ganz ohne Wechselkursrisiko. Deshalb müssen wir das in der Euro-Zone durchsetzen, noch lieber wäre es mir, wir schafften es in der gesamten EU.

SPIEGEL: Wie wollen Sie das machen?

Schäuble: Hart verhandeln. Ich glaube zu wissen, wie man Ziele in Europa erreicht. Die Bankenabgabe haben wir zusammen mit Frankreich in Europa durchgesetzt, das Verbot von ungedeckten Leerverkäufen ist auf gutem Weg. Ich bin also zuversichtlich.

SPIEGEL: Gesundheitsminister Philipp Rösler soll im nächsten Jahr noch einmal 2 Milliarden Euro für die Krankenkassen zusätzlich bekommen, insgesamt 15 Milliarden Euro. Kann das noch lange so weitergehen?

Schäuble: Der Kollege Rösler verdient unsere Solidarität, weil er mit seinen Vorschlägen zur Gesundheitsreform nicht so durchkam, wie er sich das vorgestellt hat…

SPIEGEL: Sie meinen, dass ihn die CSU hat auflaufen lassen.

Schäuble: Jedenfalls muss er in den nächsten Wochen einen neuen Vorschlag vorlegen. Aus Sicht des Finanzministers ist es erforderlich, dass die Zuschüsse des Bundes für das Gesundheitswesen auf Dauer zurückgeführt werden.

SPIEGEL: Gleichgültig in welcher Frage, immerzu gibt es neuen Streit zwischen den Koalitionsparteien. Ende vergangener Woche setzte sich Wirtschaftsminister Brüderle gegen Sie und die Kanzlerin bei den Opel-Hilfen durch. Fühlen Sie sich düpiert?

Schäuble: Nein, aber zur Verbesserung unseres Ansehens in der Öffentlichkeit hat das bestimmt nicht beigetragen. Ich hätte auf diese Diskussion gut verzichten können.

SPIEGEL: Das Klima in der Koalition ist offenkundig zerrüttet. Die CSU bezeichnet die FDP als „Gurkentruppe“, die revanchiert sich mit „Wildsau“. Haben Sie eine Erklärung, warum die ehemalige Wunschkoalition aus Union und FDP so gar nicht zusammenpassen will?

Schäuble: Das ist jedenfalls nicht mein Sprachgebrauch. Die Substanz dieser Koalition ist viel besser als der Eindruck, den wir in der Öffentlichkeit hinterlassen. Wir müssen unser Erscheinungsbild noch verbessern.

SPIEGEL: Was passiert, wenn Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff bei der Wahl zum Bundespräsidenten durchfällt, weil zu viele Koalitionäre die Lust am Untergang packt?

Schäuble: Das wird nicht passieren. Unser Kandidat ist der bessere Kandidat. In Zeiten wie diesen ist es kein Nachteil, wenn sich der Bundespräsident im politischen Gefüge der Republik auskennt.

SPIEGEL: Sie sind also zuversichtlich, dass die Koalition Ende des Monats ihren Präsidentschaftskandidaten durchbringt und im November ihren Haushaltsentwurf?

Schäuble: Aber sicher, davon bin ich überzeugt.

Interview: Christian Reiermann,

Michael Sauga

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