Sind die Deutschen die Verlierer der Schuldenkrise, Herr Schäuble?



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Bild am Sonntag

BILD am SONNTAG (BamS): Herr Minister, die Europaische Zentralbank will künftig Staatsanleihen von Schuldenstaaten in unbegrenztem Umfang aufkaufen. Sind die Deutschen damit die Verlierer der Schuldenkrise?

Schäuble: Mal halblang. Jeder in Europa ist für seine Zuständigkeiten und Aufgaben verantwortlich. Die Regierungen sind dafür verantwortlich, die Haushalte zu sanieren, die Reformen umzusetzen, aber auch für alle Fragen des EFSF/ESM. Die EZB wiederum muss die Geldwertstabilität sichern. Die EZB hat sich in der Vergangenheit immer an ihr Mandat gehalten und ich gehe davon aus, dass sie das auch in der Zukunft machen wird. Denn eines ist klar: Zur Staatsfinanzierung darf die Geldpolitik nicht dienen. Diese Grenze darf nicht überschritten werden. Was übrigens den „unbegrenzten Umfang“ betrifft, so scheint mir doch auf der Hand zu liegen, däss die EZB keine Obergrenzen nennen kann, ohne die Spekulanten förmlich herauszufordern. Und eines ist auch sicher: Deutschland ist eindeutig ein Gewinner des Euro. Ohne die gemeinsame Währung wäre unser Wohlstand schwer vorstellbar.

BamS: Wo genau verläuft denn die Grenze zwischen Geldwertstabilisierung und Staatsfinanzierung?

Schäuble: Es wäre ein schwerer Fehler, wenn die EZB-Entscheidung falsch interpretiert werden würde in dem Sinne, dass man jetzt mit den Anstrengungen nachlassen könne. Das Gegenteil ist richtig. Die Probleme der Eurozone müssen dort bekämpft werden, wo sie entstehen: in den Mitgliedsstaaten. Sie müssen weiter ihre Hausaufgaben machen, ihre Haushaltsdefizite verringern, ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern und wir müssen die notwendigen institutionellen Reformen in der EU und der Eurozone zügig angehen. Deshalb betont Mario Draghi den engen Zusammenhang zwischen den möglichen EingrifFen in den Markt und weiteren Reformen. Richtig ist aber auch: Wenn es keinen Vertrauensverlust in den Märkten gäbe, wäre die Zinsdifferenz beispielsweise zwischen Deutschland und Italien nicht annähernd so hoch, wie sie derzeit ist. Wir werden die Vertrauenskrise des Euro nur dann überwinden, wenn wir mit den Reformen nicht nachlassen. Noch sind sich die Märkte nicht sicher, dass die Eurozone hält.

BamS: Können Sie den Bürgern versprechen, dass der Euro die Krise überlebt?

Schäuble: Ja, das kann ich. Der Euro bleibt eine vertrauenswürdige Währung, wenn ich auch befürchte, dass die Verunsicherung noch eine Weile anhalten wird. Da gilt wie im privaten Leben auch: Verspieltes Vertrauen gewinnt man nur langsam zurück.

BamS: Das wichtigste Instrument der Krisenbekämpfung wird in Zukunft der Euro-Rettungsfonds ESM sein. Wie groß ist Ihre Sorge, dass das Bundesverfassungsgericht Ihnen dieses Instrument kommende Woche aus der Hand nimmt?

Schäuble: Diese Sorge habe ich nicht. Wir haben bei der Schaffung des ESM sorgfältig geprüft, dass er nicht gegen die Verfassung verstößt. Und eines darf man auch nicht vergessen: Bisher hat das Bundesverfassungsgericht niemals den Kurs der europäischen Integration als gegen das Grundgesetz gerichtet beurteilt.

BamS: Diese Woche wurde bekannt: Das Altersarmut-Risiko ist in Deutschland erheblich höher als gedacht, selbst 35 und 40 Jahre Vollzeitarbeit schützen davor nicht. Ist das ein Skandal oder unvermeidlich angesichts der Oberalterung der Gesellschaft?

Schäuble: Die Menschen leben immer länger und bekommen weniger Kinder. Frau von der Leyen hat in einer bedeutenden Sonntagszeitung unüberhörbar auf das Problem der Altersversorgung hingewiesen. Die Aussage, es drohe Altersarmut, ist aber verkürzt. Kein Mensch weiß heute, wie hoch die Löhne in 20 Jahren sein werden. Der Lebensstandard in Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen.

BamS: Gibt der Haushalt die Milliarden für eine Zuschussrente her?

Schäuble: Die bisherigen Vorstellungen der Arbeitsministerin waren immer mit der Finanzpolitik der Regierung zu vereinbaren. Eine Perspektive bis 2030 ist aber rein zeitlich weit jenseits unserer langfristigen finanzpolitischen Planungen. Und nur mal als Hinweis: Der Zuschuss zur Rentenkasse ist mit über 80 Milliarden Euro jährlich schon jetzt mit Abstand der größte Posten im Haushalt.

BamS: Herr Schäuble, Sie werden am 18. September 70. Wie wird gefeiert?

Schäuble: Zu Hause in Offenburg, mit meiner Frau und den vier Kindern. Wir gehen essen und eines ist sicher: Den ganzen Tag wird das Telefon mal schweigen.

BamS: Mit 70 müssen Sie es ja wissen: Wird man im Alter weise?

Schäuble: Na, sagen wir es mal so: Je älter man wird, desto weniger werden die Haare, doch an Erfahrung nimmt man zu. Wenn man dann die Erfahrungen richtig nutzt, kann daraus so etwas wie Weisheit erwachsen.

BamS: Zur Weisheit gehört auch das Wissen, wann es Zeit ist aufzuhören. Sie kandidieren 2013 erneut für den Bundestag und würden sicher auch Finanzminister bleiben. Trauen Sie es keinem anderen Politiker zu, die Krise zu meistern?

Schäuble: Ob ich weitermache, entscheiden die Jüngeren in meinem Wahlkreis. Denen habe ich gesagt: Ich bin bereit, noch einmal zu kandidieren. Ich traue es mir zu, und die Politik macht mir Freude. Aber die müssen mich jetzt erst einmal wieder aufstellen. Aber natürlich müsste ich mir vorher die Frage stellen, bzw. muss ich sie mir stellen lassen.

BamS: Was sagt eigentlich Ihre Frau dazu, die noch nie begeistert war von Ihrem Beruf als Politiker?

Schäuble: Sie sagt: Das musst du entscheiden. In der Vergangenheit war sie nicht immer begeistert über meinen Weg, das ist wahr. Aber jetzt hält unsere Ehe schon so lange und so gut, da werden sie weitere vier Jahre in der Politik nicht wirklich gefährden.

BamS: Mehr als acht Millionen Deutsche haben in diesem Jahr den Film „Ziemlich beste Freude“ gesehen. Sie waren mit Angela Merkel im Kino. Haben Sie mehr gelacht oder geweint?

Schäuble: Mehr gelacht, auch wenn der Film sehr anrührend war. Zuerst hatte ihn meine Frau gesehen und mir davon erzählt. Aber allein wollte ich nicht rein. Und dann fragte mich die Bundeskanzlerin eines Tages, ob ich mit ihr reingehen wolle. Ich sagte nur: Gern – nur Popcorn müssen wir ja nicht essen. Wir sind dann in ein großes Kino am Alexanderplatz gegangen. Das hat im Saal kaum jemand zur Kenntnis genommen. Manchmal sieht man nur das, was man erwartet. Das betrifft übrigens manchmal auch die Finanzmärkte.

BamS: Wer ist Ihr „ziemlich bester Freund“ und kommt er aus der Politik?

Schäuble: Freundschaften und Politik sind eigentlich zwei verschiedene menschliche Lebensbereiche. Lothar de Maiziere ist mir ein echter Freund geworden, aber die meisten meiner Freunde sind nicht aus der Politik.

BamS: Es gab Zeiten, da galten Sie und Helmut Kohl als Freunde. Jedenfalls hat Kohl das gesagt…

Schäuble: Wir waren enge politische Vertraute, aber keine Freunde. Er war Bundeskanzler, ich war ein zehn Jahre jüngerer politischer Mitstreiter. Kohl hatte andere Freunde. Auch zu Angela Merkel habe ich in der heutigen Bundesregierung ein gutes und enges Vertrauensverhältnis, aber wir sind keine persönlichen Freunde.

BamS: Helmut Kohl wird jetzt Mitschuld an der Eurokrise in dem Sinn vorgeworfen, dass er die D-Mark leichtfertig aufgegeben habe. Ist da etwas dran?

Schäuble: Die Kritik ist nicht begründet. Die Entscheidung, die D-Mark abzuschaffen, war nicht leicht, aber richtig. Die Einfuhrung des Euro war einer der bedeutendsten geschichtlichen Erfolge Helmut Kohls.

BamS: In wenigen Wochen jährt sich Kohls Kanzlerschaft zum 30. Mal. Seine und Ihre Karriere sind miteinander verbunden. Wäre es nicht Zeit für eine Versöhnung?

Schäuble: Wir haben gut zusammengearbeitet, ich gehe respektvoll mit ihm und seinem bedeutenden politischen Lebenswerk um, aber alles im Leben hat seine Zeit. Wir haben unsere Beziehung beendet.

BamS: Können Sie Kohl nicht verzeihen, dass er Sie lange Zeit in dem Glauben hielt, er wolle Sie als seinen Nachfolger, Sie in Wahrheit aber verhindern wollte?

Schäuble: Das habe ich nie so gesehen und damit beschäftige ich mich auch nicht.

BamS: Sie haben eine der glanzvollsten politischen Karrieren der Bundesrepublik gemacht, für die Nummer eins aber hat es nicht gereicht. Sind Sie kein Alphatier?

Schäuble: Keine Ahnung, das sollen andere beurteilen. Es gibt 80 Millionen Deutsche. Wenn Sie es unter die ersten zehn schaffen, ist das doch nicht schlecht.

BamS: 1990 sind Sie bei einem Attentat fast gestorben und seither auf den Rollstuhl angewiesen. Kaum einer weiß, dass Sie mit fast drei Jahren bei einem Bombenabwurf in den letzten Kriegstagen fast umgekommen wären. Ihr inzwischen verstorbener älterer Bruder Frieder hat Ihnen damals das Leben gerettet, als er Sie aus brennenden Decken kurz vor dem Ersticken geborgen hat. Hat der Tod seinen Schrecken für Sie verloren?

Schäuble: Nein, nicht wirklich. Aber er ist Teil des menschlichen Lebens. Mit zunehmendem Alter und auch mit dem Verlust von Weggefahrten wird einem präsenter, dass der Tod irgendwann kommen wird. Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod? Ja. Wie dieses Leben aussieht, wissen wir nicht, aber dass wir nicht aus eigener Macht leben, das glaube ich.

Von Michael Backhaus und Roman Eichinger.

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