Schreiben zur Islamdebatte



Sehr geehrte Damen und Herren,

in den vergangenen Tagen hat mich eine Vielzahl von Zuschriften zu einem kürzlich gegebenen Interview erreicht, in dem ich geäußert hatte, dass der Islam ein Teil unseres Landes geworden ist. Das möchte ich zum Anlass nehmen, um meine Position etwas näher zu erläutern.

Verantwortliche Politik hat immer von den Realitäten auszugehen. Dass die Muslime und mit ihnen der Islam ein Teil Deutschlands sind, ist eine Realität. Es war bereits 2006, als ich diesen Satz erstmals sagte, längst eine Tatsache. Wir sollten aber weniger über Tatsachen diskutieren als über die Frage, wie wir den Zusammenhalt in unserer unbestreitbar offenen Gesellschaft erhalten. Denn natürlich gibt es im Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher kultureller Herkunft Konflikte, und es gehen damit große Herausforderungen einher, die viel zu lange unterschätzt wurden. Deshalb habe ich noch als Bundesinnenminister die Deutsche Islamkonferenz ins Leben gerufen, welche die neue Bundesregierung wiederbeleben will. Das begrüße ich ausdrücklich.

Abschottung ist nach meiner Überzeugung keine realistische Option. In einer zunehmend globalisierten Welt machen die Probleme nicht an unseren Grenzen halt. Wir können nicht vor ihnen weglaufen, sondern wir müssen mit den Veränderungen leben – und sie gestalten. Ein friedliches Miteinander und das Respektieren von kulturellen und religiösen Unterschieden braucht Regeln. Je vielfältiger unsere Gesellschaft ist, desto notwendiger wird die verlässliche Einübung und Beachtung dieser Regeln – übrigens auch ihre Durchsetzung. Hier steht der Rechtsstaat in der Pflicht.

Unsere freiheitliche Grundordnung beruht auf dem Grundgesetz und seinen Werten. Alle, die in unserem Land leben, müssen sie akzeptieren. Muslime müssen sich zudem klarmachen, dass sie in einem Land leben, das von christlichen Traditionen geprägt ist. Es braucht zugleich Offenheit und Engagement in der Gesellschaft des Aufnahmelandes sowie die Bereitschaft zu differenzieren. Viel zu oft werden alle Muslime über einen Kamm geschoren: der islamistische Terrorist, der Hassprediger und der Angehörige eines kriminellen Clans genauso wie unbescholtene Bürgerkriegsflüchtlinge und Zuwanderer sowie liberale Muslime, die seit Jahren und Jahrzehnten bei uns integriert sind.

Integration fordert uns alle. Eine freiheitliche Gesellschaft bleibt nur stabil, wenn sie ein hinreichendes Maß an Zugehörigkeit und Vertrautheit vermittelt – Alteingesessenen wie Zugewanderten. Das ist die Gestaltungsaufgabe, die uns unter den realen Bedingungen der globalisierten Welt gemeinsam gestellt ist.

Meine Interview-Aussagen sind in vielen Medien etwas verkürzt wiedergegeben worden. Hier können Sie das ganze Interview nachlesen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Schäuble