Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich der Eröffnung der Messe und des Fachkongresses ?Moderner Staat 2007? in Berlin



Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich der Eröffnung der Messe und des Fachkongresses ?Moderner Staat 2007? am 27. November 2007 in Berlin

Es ist ein Kennzeichen der Moderne, dass sie nie an ihr Ende kommt. Das Unperfekte, Offene, sich Wandelnde, über die Gegenwart Hinausweisende ist ihr Charakteristikum. Insofern ist auch der moderne Staat nur unzureichend in Form fester Ziele zu beschreiben. Vielleicht bringt es mehr, den modernen Staat nicht so sehr als Ziel, sondern als einen Prozess zu begreifen. Modern ist ein Staat, der seine eigene Imperfektheit ? seine begrenzte Macht ? bejaht, der seine Bürger aktiv am Wandel beteiligt und der den freien Wettbewerb der gesellschaftlichen Kräfte unterstützt. Modern ist ein Staat, der eine offene Gesellschaft fördert.

Sein Voranschreiten beruht nicht auf letzten Gewissheiten, sondern auf dem Prinzip von trial und error. Dieses Prinzip macht auch vor der öffentlichen Verwaltung nicht Halt, ganz im Gegenteil: Eine Verwaltung, die mit den Entwicklungen in Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft mithalten will ? und das muss sie ?, ist darauf angewiesen, das eigene Handeln immer wieder zu hinterfragen. Je radikaler oder auch visionärer die Ziele sind, die sie sich setzt, umso genauer muss man hinschauen, was im Kern wirklich dahinter steckt und wie realistisch die Umsetzung ist. Das gilt auch für die Themen dieses Fachkongresses und dieser Messe. Die schönsten Ziele bringen nichts, wenn die Prozesse nicht stimmen.

Die öffentliche Verwaltung steht vor großen Aufgaben. Die Welt wandelt sich und auch Deutschland wandelt sich. Nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche sind von Änderungen erfasst, die sich in den nächsten Jahren mit noch größerer Dynamik fortsetzen werden: Globalisierung, demographischer Wandel, immer schnellere technische Entwicklungen, aber auch die Haushaltskonsolidierung sind Themen, die auch und gerade den öffentlichen Dienst betreffen. Die öffentliche Verwaltung muss mit den globalen und nationalen Entwicklungen Schritt halten.

Die Globalisierung führt dazu, dass Deutschland heute stärker als früher in einem wirtschaftlichen Wettbewerb mit anderen Ländern steht ? in dem wir uns bisher gut behaupten. Die zunehmende Dominanz des Marktes lässt einige Menschen glauben, dass auch die öffentliche Verwaltung am besten wie ein Wirtschaftsunternehmen zu führen sei. Das greift aber zu kurz. Es gibt keinen Markt für staatliche Leistungen. Die öffentliche Verwaltung steht nicht in Konkurrenz mit der Wirtschaft, sondern nur mit sich selbst.
Die Globalisierung hat dennoch unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit der Verwaltung. Denn ohne eine leistungsfähige Verwaltung und ohne ein vernünftiges Maß an Vorschriften laufen wir Gefahr, unsere Marktchancen nicht voll ausschöpfen zu können. Unsere Unternehmen haben durchschnittlich etwa 130 Verwaltungskontakte im Jahr. Zur Attraktivität des Standorts Deutschland gehört auch, dass die Dienstleistungsqualität der Verwaltung stimmt und dass sie das freie Spiel des Marktes zwar regelt, aber nicht mit einem Wust an Verordnungen behindert. Eine moderner Staat muss die Selbstentfaltung der gesellschaftlichen Kräfte unterstützen.
Durch die gesetzlichen Informationspflichten entstehen zeitlich wie auch finanziell erhebliche Belastungen für die Unternehmen und Bürger. Wir sprechen hier von nicht weniger als 2.100 Pflichten mit einem Kostenvolumen von 27 Milliarden Euro pro Jahr. Die Bundesregierung hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, diese Kosten um 25 Prozent bis zum Jahr 2011 zu senken. Schon in den nächsten zwei Jahren wollen wir die Hälfte davon erreicht haben. Der Abbau von Bürokratie fördert Wachstum und Beschäftigung, er beseitigt Wettbewerbshemmnisse und er entlastet auch die Verwaltung selbst. Ein moderner Staat mit weniger Bürokratie schafft flexiblere Strukturen und damit Raum für Neues.

Soweit es sich um notwendige Informationspflichten handelt, ohne die unser Zusammenleben nicht funktionieren würde, ist der bürokratische Aufwand gerechtfertigt. An dieser Stelle dürfen wir die Axt auch in Zukunft nicht anlegen. Es gibt aber auch vermeidbare und nicht effizient organisierte Bürokratie, die wir guten Gewissens abbauenkönnen. Welche Informationspflichten wirklich notwendig sind und welche nicht, das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten genau unter die Lupe nehmen.

Ich bin zuversichtlich, dass wir auch mit der Föderalismusreform II Bürokratiekosten abbauen werden, indem wir überflüssige Doppelstrukturen beseitigen und hemmende administrative Verflechtungen lösen. Voraussetzung dafür ist, dass wir zu einer klareren Abgrenzung der Verantwortlichkeiten von Bund, Ländern und Kommunen kommen.
Das wäre sicherlich auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, die kein großes Vergnügen daran haben, wenn sie für eine einzige Genehmigung bei mehreren Behörden vorsprechen müssen. Für jedes Anliegen sollte eine Behörde als einheitlicher Ansprechpartner auftreten, der den Dialog mit den Bürgern führt. Einen schönen Namen ? One-Stop-Government ? gibt es dafür schon.
Die Europäische Dienstleistungsrichtlinie etwa schreibt explizit vor, dass eine Person die Anmeldung einer Dienstleistungstätigkeit europaweit über einen einheitlichen Ansprechpartner abwickeln können muss ? wie auch immer die Verwaltungszuständigkeiten im Detail aussehen. In Zukunft werden vergleichbare Anforderungen voraussichtlich auch in anderen Bereichen auf uns zukommen. Die Umsetzung dieser Richtlinie bis Ende 2009 ist für uns keine Kleinigkeit. Gerade ein föderaler Staat wie Deutschland hat auf dem Weg zum One-Stop-Government noch eine gute Strecke zurückzulegen.

Auch das Projekt Einheitliche Behördenrufnummer 115 setzt auf die Idee, einen einheitlichen Ausgangspunkt für alle Anliegen der Bürger zu schaffen. Über die 115 sollen zukünftig alle öffentlichen Einrichtungen in Deutschland erreichbar sein. Die Bürger können dann noch direktere Hilfestellungen bekommen, Auskünfte einholen und an den politischen Prozessen teilhaben. Die Partner für die Erprobungsphase ? Berlin, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen ? stehen schon fest, so dass wir im nächsten Jahr zügig an die Umsetzung gehen können.

Diese Projekte zeigen, dass die öffentliche Verwaltung insgesamt recht erfolgreich lernt, sich selbst und ihre eigenen Verfahren stärker aus dem Blickwinkel der betroffenen Bürger zu betrachten. Das ist die notwendige Voraussetzung für mehr Bürgernähe. In der Praxis setzt ein Mehr an Bürgernähe voraus, dass die einzelnen Ämter hinter den Kulissen stärker zusammenarbeiten, dass sie sich besser miteinander vernetzen und dass die Verwaltungsverfahren insgesamt einfacher werden. Eine bürgernahe Verwaltung bedeutet auch, dass der Staat Informationsangebote bereitstellt,
die die gesetzliche Grundlage des behördlichen Handelns transparent machen.

Bereits heute sind alle bestehenden Gesetze und Verordnungen in der Juris-
Datenbank für Jedermann kostenlos im Internet abrufbar. Auf dieser Messe wird Herr Staatssekretär Hahlen eine Erweiterung dieser Datenbank um die Verwaltungsvorschriften vorstellen.

In einem modernen Staat sollen die Bürger so frei wie möglich entscheiden können, wann und wo sie den Kontakt zur öffentlichen Verwaltung suchen. Das Internet hat den Menschen ganz neue und insgesamt recht komfortable Möglichkeiten zur Information und Kommunikation eröffnet, die rund 60 Prozent aller Deutschen regelmäßig nutzen. Damit steigen auch die Anforderungen der Bürger und Unternehmen an die Verwaltung: Sie erwarten zügige, transparente Verfahren und den Einsatz moderner Informationstechnologien. Die öffentliche Verwaltung muss diese Technologien nutzen und ihr E-Government weiter ausbauen.
Ein gutes Beispiel für verbesserte Verfahren ist das Projekt ?IT Food Trace? aus dem Programm E-Government 2.0. Die Software ermöglicht es, die Produktion von Lebensmitteln lückenlos entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu dokumentieren. Die Behörden können so bei Verdachtsfällen die Herkunft und die Verarbeitung der Materialien schnell und zielsicher kontrollieren. Die Industrie kann damit zugleich ihre Qualitätsmaßnahmen verbessern.

Wir werden uns auch beim zweiten nationalen IT-Gipfel in Hannover im Dezember damit beschäftigen, wie wir solche Prozesse weiter optimieren können. Bei diesem Gipfel treffen sich Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung. Wir werden gemeinsam auswerten, wie weit wir mit den Aufgaben gekommen sind, auf die wir uns vor einem Jahr beim ersten Gipfel geeinigt haben. Dort hatten wir zum Beispiel festgehalten, dass wir alle Transaktionen zwischen Unternehmen und Verwaltung in absehbarer Zukunft auf eine elektronische Basis stellen wollen.

Es ist viel Bewegung in das E-Government in Deutschland gekommen. Eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission zeigt, dass in Deutschland bereits 75 Prozent der wichtigsten Verwaltungsdienstleistungen über das Internet abrufbar sind. Damit liegen wir im oberen Drittel der untersuchten Mitgliedstaaten.

Bund, Länder und Kommunen können dem Leitbild einer modernen Verwaltung nur gerecht werden, wenn wir einen übergreifenden elektronischen Kommunikationsraum schaffen. Das ist das Anliegen von Deutschland-Online. Dazu brauchen wir in unserer föderalen Ordnung gemeinsame technische Standards für die Datenübertragung. Erst dann können wir, ganz praktisch gesehen, One-Stop-Government betreiben. Selbst die beste Insellösung bringt da wenig. Im 19. Jahrhundert zum Beispiel hatten die Unternehmen auch beim Eisenbahnbau noch viele unterschiedliche Schienenbreiten und Signaltechniken. Heute wissen wir, dass das keine gute Idee war.

Ich habe zwei Jahre Debatten um den Digitalfunk BOS hinter mir. Auch mit dem
Schengener Informationssystem und dem europäischen Datenaustausch habe ich gelegentlich zu tun. Inzwischen bin ich überzeugt, dass es aberwitzig kompliziert ist, wenn wir unterschiedliche IT-Systeme haben und dass sehr viel dafür spricht, einheitliche Systeme zu verwenden. Einheitliche Lösungen heißt im Übrigen nicht, dass alles der Bund machen muss. Auch ein oder zwei Bundesländer zusammen könnten eine Lösung entwickeln, solange die anderen bereit sind, sie zu übernehmen. Ich hätte jedenfalls nichts dagegen.

Unsere politischen Großprojekte werden insgesamt zunehmend auch zu IT-Projekten. Nehmen Sie zum Beispiel den fälschungssicheren elektronischen Reisepass, der seit dem 1. November zusätzlich mit zwei gespeicherten digitalen Fingerabdrücken ausgegeben wird. Das ist ein Projekt, das unsere Sicherheit erhöht, weil wir besser kontrollieren können, wer über unsere Grenzen zu uns kommt. Voraussetzung dafür war, dass wir ein innovatives IT-Verfahren finden, das eine zentral durchgeführte Passproduktion für die 5.400 Antragsstellen in den Gemeinden gewährleistet. Das ist uns gelungen. Im Übrigen wird der ePass auch das E-Business unterstützen, weil er eine sichere Authentifizierung einer Person beim Abschluss von Online-Geschäften ermöglicht.

Die öffentliche Verwaltung muss auch intern die großen Potenziale der Informationstechnologien noch stärker nutzen. Dazu gehört, dass wir alle standardisierbaren, verwaltungsinternen Unterstützungsleistungen, etwa in den Bereichen Personal, Haushalt, Beschaffung und innere Dienste, bündeln. Das Regierungsprogramm Zukunftsorientierte Verwaltung durch Innovationen sieht vor, so genannte Shared Service Center, also behörden- und ressortübergreifende Dienstleistungszentren, einzurichten. Die einzelnen Behörden können sich dann noch besser auf ihre Kernaufgaben konzentrieren.

Die Bundesverwaltung hat in den vergangenen Jahren mehrere Shared Service Center eingerichtet. Das hat die Qualität erheblich gesteigert und die Kosten beachtlich gesenkt. Bis zum Jahr 2009 sollen alle Bundesbehörden die Möglichkeit haben, solche Unterstützungsleistungen von Kompetenz- und Dienstleistungszentren in Anspruch zu nehmen.
Der Staat erfüllt seine Aufgaben durch die Menschen, die für ihn arbeiten. Modernisierung bedeutet, dass sie auch im Einsatz neuer Informationstechnologien immer up to date sein müssen. Der Spruch ?gelernt ist gelernt? entspricht nicht mehr der Realität. Wer mit den rasanten Entwicklungen Schritt halten will, muss vielmehr zum lebenslangen Lernen bereit sein. Dazu wiederum brauchen wir eine gezielte Personalförderung. Am 5. Oktober haben die Vorsitzenden des Deutschen Beamtenbundes, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und ich für die Bundesregierung eine Modernisierungs-
und Fortbildungsvereinbarung unterzeichnet. Damit haben wir den Grundstein für eine Stärkung der Fortbildung und der Führungskräfteentwicklung gelegt.

Der moderne Staat braucht motivierte Mitarbeiter, die etwas bewegen wollen, um die notwendigen Veränderungen umzusetzen. Angesichts der demografischen Entwicklung muss der Staat zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um insbesondere für hochqualifizierte Absolventen als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist dabei nicht der kleinste Trumpf, den er ausspielen kann. Das alleine reicht aber nicht.

Für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes haben wir deshalb ein zeitgemäßes Dienst- und Tarifrecht entwickelt. Höhere Entgelte für jüngere Beschäftigte, ein schnellerer Einkommenszuwachs nach Berufserfahrung und die Einführung leistungsbezogener Bezahlungselemente haben die bisherige Vergütung nach Lebensalter und Familienstand abgelöst.

Auch eine Reform der beamtenrechtlichen Regelungen haben wir im Kabinett auf
den Weg gebracht. Sie gilt lediglich für die Bundesbeamten. Die Länder können nach der Föderalismusreform I ihre eigenen Regelungen treffen. Die Dienstrechtsreform zielt auf einen flexibleren Personaleinsatz, eine langfristige Sicherung der Beamtenversorgung und eine Stärkung des Leistungsprinzips. Besonders leistungsstarke Beamtinnen und Beamte können künftig zum Beispiel schon in der Probezeit befördert werden.

Die Messe und der Kongress ?Moderner Staat? stehen in diesem Jahr unter dem
Motto ?Treffpunkt für Entscheider?. Sie sind als Entscheider hoffentlich diejenigen, die die Erkenntnisse, die Sie hier gewinnen, in ihre Behörden tragen werden. In Bund, Ländern und Kommunen brauchen wir Führungskräfte, die Veränderungswillen, Überzeugungskraft, Fingerspitzengefühl und Sachverstand haben. Ich wünsche Ihnen eine anregungsreiche Veranstaltung, interessante Diskussionen und viele Impulse für Ihre zukünftige Arbeit.