Privater Kernbereich bei Online-Durchsuchung soll geschützt bleiben



Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit dem Deutschlandfunk

Moderation: Christoph Heinemann

Christoph Heinemann: Wie man in den Sprachen der Europäischen Union Nein sagt, hat sich in Brüssel inzwischen herumgesprochen. No, non, nee, zuletzt „N I L“ auf der grünen Insel. Die Staats- und Regierungschefs der Union überlegen gegenwärtig beim Gipfel in Brüssel, wie es nach dem Referendum in Irland nun weitergehen soll. Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, der erfahrenste Europäer im Kreis der Regierungschefs, hat hier im Deutschlandfunk die Idee eines Kerneuropa wieder ins Gespräch gebracht. Diese Idee ist knapp 15 Jahre alt und stammt von zwei CDU-Politikern: Karl Lamers und Wolfgang Schäuble. Sie sieht eine Gruppe von Staaten innerhalb der Union vor, welche die Integration verstärken und beschleunigen und nicht jeweils auf den langsamsten warten will. Wir haben den früheren französischen Außenminister Hubert Védrine von der sozialistischen Partei seines Landes gefragt, ob er diese Therapie für die gegenwärtige Malaise empfiehlt?

Védrine: Ich beobachte diese Diskussion seit langem mit Interesse, mindestens seit dem Vorschlag von Lamers und Schäuble vor einigen Jahren. Es ist niemals Einvernehmen darüber erzielt worden, welche Länder zu Kerneuropa gehören sollten, was sie gemeinsam tun wollen, ob dazu ein internationaler Vertrag ratifiziert werden sollte, wenn ja, wie, und wie man Staaten an einem Beitritt hindert, die zu Kerneuropa dazugehören wollen. Es gibt nämlich viele europäische Staaten, die ein Kerneuropa, dem sie nicht angehören, nicht mögen. Meine Prognose lautet: es wird kein Kerneuropa geben. Stattdessen wird sich eine neue Politik und werden sich Projekte in kleinen Gruppen entwickeln.

Heinemann: „Kein Kerneuropa“ sagt der frühere französische Außenminister Hubert Védrine. – Herr Schäuble, wäre das jetzt nicht ein günstiger Zeitpunkt für Ihre Idee?

Wolfgang Schäuble: Nein! Die Bundeskanzlerin hat ja gestern im Bundestag ganz richtig gesagt, es wäre jetzt ganz falsch, eine Debatte zu beginnen. Es hat ein Referendum in Irland gegeben. Das muss man respektieren, das muss man ernst nehmen. Trotzdem brauchen wir den Lissabon-Vertrag. Deswegen sollen alle anderen mit der Ratifizierung weitermachen. Und dann ist es an Irland selbst zunächst einmal sich klar zu werden, wie es denn nun weitergehen soll. Kerneuropa – das war ein Vorschlag von Karl Lamers und mir vor 15 Jahren, um Europa in einer damals besonders schwierigen Frage, wo es um die Debatte ging: Erweiterung vor Vertiefung oder Vertiefung vor Erweiterung, ein Stück weit mehr Dynamik zu geben. Wir haben nie – das hat Védrine falsch verstanden – Europa so formuliert, dass nicht wer dazu gehören will, nicht dazu gehören darf, sondern wir haben gesagt, es müssen einige Länder eine besondere Verantwortung wahrnehmen Das hat ja seitdem immer wieder stattgefunden Beispielsweise haben Frankreich und Deutschland den Lissabon-Vertrag ja in der deutschen Präsidentschaft überhaupt erst zustande gebracht nach den Referenden, die wir in Frankreich und in den Niederlanden hatten. Also das Element der Dynamik brauchen wir!

Wir haben im Übrigen die Europäische Währungsunion; daran nehmen auch nicht alle Mitglieder teil. Wir haben die europäische Sicherheitspolitik, da nimmt Dänemark nicht teil. Wir haben Schengen, da sind auch nicht alle Länder dabei. Wir haben den Prüm-Vertrag, wo wir schrittweise in der polizeilichen Zusammenarbeit vorangehen. Das was Karl Lamers und ich damals formuliert haben, ist in wesentlichen Teilen längst Wirklichkeit geworden. Und wir werden auch in der Zukunft ein Element der Dynamik brauchen, um die europäische Entwicklung voranzubringen. Das wird sich auch jetzt wieder zeigen Aber das ist jetzt nicht eine Antwort so nach dem Motto: Wer nicht will, der fliegt raus oder so. Sondern wir wollen ja Europa insgesamt einen und voranbringen. Deswegen muss das in dem Weg gehen, wie es die Kanzlerin gestern im Bundestag gesagt hat.

Heinemann: Die nächsten Fragen richten sich an den Bundesinnenminister. Das Bundeskriminalamt soll künftig auch für die Abwehr terroristischer Gefahren zuständig sein. Die Mittel für diese neue Aufgabe: Online-Durchsuchung privater Computer, akustische und optische Videoüberwachung von Wohnungen. In der Theorie sind sich Union und SPD einig in der Praxis noch nicht ganz, wie unsere Hauptstadtkorrespondentin Gudula Geuther erklärt…

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Heinemann: Berichtet Gudula Geuther. – Herr Schäuble was passiert mit intimen Daten, die von einer Festplatte kopiert werden?

Schäuble: Also zunächst würde ich doch gerne einmal sagen, es geht bei diesem BKA-Gesetz darum, dass wir durch eine Verfassungsänderung zum ersten Mal Teile der polizeilichen Gefahrenabwehr, die bisher ausschließlich Sache der Länderpolizeien sind, dem Bundeskriminalamt übertragen, weil die Gefahren durch den internationalen Terrorismus vom Verfassungsgesetzgeber für so schwerwiegend angesehen worden sind. Und wenn das Bundeskriminalamt die Aufgabe übernimmt, die bisher nur Länderpolizeien haben, braucht es auch die Befugnisse, die die Länderpolizeien seit 50 Jahren haben. Das ist der erste Punkt.

Heinemann: Deshalb spricht die Opposition vom deutschen FBI.

Schäuble: Ja, das ist aber Unsinn! Wenn der Gesetzgeber die Anforderungen des Verfassungsgesetzgebers umsetzt, dann darf man ihm ja nicht irgendwelche bösartigen Absichten unterstellen. Man muss ja noch wissen, was der Deutsche Bundestag und Bundesrat mit mehr als zwei Dritteln Mehrheit vor knapp zwei Jahren beschlossen hat, und das setzen wir jetzt um.

Der zweite Punkt ist: Der Schutz des Kernbereichs – ob das nun durch optische oder akustische Überwachungsmaßnahmen oder durch Telefonkontrolle oder eben bei der neuen Kommunikationsform mit Online-Verbindungen stattfindet – ist durch das Grundgesetz garantiert, und der muss in jedem Fall berücksichtigt werden. Deswegen sieht dieser Gesetzentwurf wie bei allen anderen Maßnahmen vor, wenn es überhaupt kernbereichsrelevante Informationen sein können, dann muss in der Tat der zuständige Richter, der unabhängige Richter, der die Maßnahme ja auch alleine anordnen kann, entscheiden, ob dieses Material den Kernbereich verletzt. Dann muss es gelöscht werden.

Heinemann: Das heißt diese Auswahl, intim oder nicht intim, soll kein BKA-Beamter treffen?

Schäuble: Nein! Der BKA-Beamte prüft wie bei anderen Maßnahmen nach den bisherigen Gesetzen auch, ob es kernbereichsrelevant sein kann. Und in dem Moment, wenn der Verdacht entsteht, da kann er gar nicht mehr weiterschauen, sondern muss es dem Richter übergeben.

Heinemann: Bei aller Wertschätzung für die Arbeit des BKA, wird denn da nicht der Bock zum Gärtner befördert?

Schäuble: Nein, überhaupt nicht, sondern genauso wie bei einer normalen Telefonabhörkontrolle ist es ja so – das hat das Verfassungsgericht übrigens ausdrücklich bestätigt -, wenn der Eindruck entsteht, es könnte den Kernbereich verletzen, dann darf kein Beamter mehr mithören. Dann darf nur noch technisch aufgezeichnet werden, und die Aufzeichnung muss dem Richter vorgelegt werden.

Heinemann: Aber wie ist das mit den Informationen auf der Festplatte?

Schäuble: Genauso! Wenn bei der Festplatte Material auftaucht, das den Kernbereich verletzen könnte, muss es dem Richter vorgelegt werden. Das sieht der Gesetzentwurf vor. Vielleicht haben die, die den Gesetzentwurf kritisieren, ihn noch nicht so genau gelesen. Es ist genau dieselbe Regelung wie bei der Telekommunikation, und die ist nun seit Jahrzehnten nicht wirklich im Kern bestritten.

Heinemann: Herr Schäuble, Priester und Pastoren sollen geschützt werden, Imame nicht, weil, wie es heißt, sie keiner öffentlich-rechtlichen Körperschaft angehören. Sind Imame an sich verdächtig?

Schäuble: Nein! Darum geht es gar nicht, sondern es geht darum, das ist auch wiederum überhaupt nichts Neues, sondern nur die Fortschreibung dessen, was seit Jahrzehnten bewährte Rechtsprechung ist. Das ist in der Strafprozessordnung ja so geregelt, dass das besondere Zeugnisverweigerungsrecht, das Geistliche unter bestimmten Voraussetzungen in Anspruch nehmen können, nur dann gilt, wenn sie einer Religionsgemeinschaft angehören, die auch die Gewähr dafür bietet, dass diese Ausnahme des Zeugnisverweigerungsrechts – das ist ja eine Privilegierung – auch verliehen werden kann. Das hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung genauso bestätigt, und deswegen sagen wir in dem Gesetzentwurf nur: Es gilt die Regelung, die bisher immer schon in der Strafprozessordnung gegolten hat, die bisher auch niemand als eine Diskriminierung empfunden hat. Und bloß weil wir jetzt dasselbe in das neue Gesetz hineinschreiben, entsteht eine Art von Debatte, wo man sich wirklich an den Kopf fasst.

Heinemann: Wann werden ausgespähte Bürgerinnen und Bürger über die Ermittlungen des BKA in Kenntnis gesetzt?

Schäuble: Die Bürgerinnen und Bürger werden ja nur unter engen Voraussetzungen überwacht, wenn wirklich Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefahr und Bedrohung durch den internationalen Terrorismus vorliegen, und dann muss ein unabhängiges Gericht entscheiden, dass eine solche Maßnahme angeordnet werden darf. Deswegen gefällt mir der Begriff „Ausspähung von Bürgerinnen und Bürgern“ gar nicht. Es geht darum, Bürgerinnen und Bürger vor schweren terroristischen Bedrohungen zu schützen.

Jede Maßnahme muss protokolliert werden, und wenn die Maßnahme abgeschlossen ist und wenn sich herausstellt, der Verdacht und diese Besorgnis hat sich nicht bestätigt, dann muss der Bürger, der betroffene Bürger unterrichtet werden.

Heinemann: Herr Schäuble, welche konkrete Bedrohung rechtfertigt eine so weit reichende Einschränkung der bürgerlichen Freiheitsrechte, wie das neue BKA-Gesetz dies jetzt vorsieht?

Schäuble: Das neue BKA-Gesetz bringt keine neue Beschneidung der Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger, Herr Heinemann – ich muss das noch einmal sagen -, sondern das neue BKA-Gesetz gibt dem Bundeskriminalamt die Instrumente, die seit Jahrzehnten jede Länderpolizei hat, weil im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger die Polizei Gefahren abwehren muss, und dazu braucht sie auf der Grundlage von Verfassung und Gesetz auch die notwendigen Rechte. Sonst kann sie ihre Aufgabe nicht wahrnehmen. Dass die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus groß ist, das ist nun leider eine Tatsache, die wir nicht wegreden können. Wir haben im letzten Jahr die Verhaftungen im Sauerland gehabt. Europol hat veröffentlicht, dass im letzten Jahr 200 Terrorismusverdächtige in Europa verhaftet worden sind. Europa und auch Deutschland sind in das Fadenkreuz des internationalen Terrorismus gerückt, und deswegen hat der Verfassungsgesetzgeber – ich sage noch einmal – schon vor zwei Jahren gesagt: Die Gefahr ist so groß, dass auch das Bundeskriminalamt mit der Aufgabe beauftragt werden muss, diese Gefahren abzuwehren. Und dazu – noch einmal – braucht das Bundeskriminalamt dann die gesetzlichen Instrumente, die heute jede Länderpolizei hat.

Heinemann: Wer kontrolliert das BKA?

Schäuble: Das BKA wird kontrolliert durch das zuständige Amtsgericht, durch die Vorschriften, dass jede dieser Maßnahmen protokolliert werden muss, dass das hinterher den Betroffenen mitgeteilt werden muss. Wir haben ein Maß an Transparenz, auch an Datenschutz, das international vorbildlich ist.