Mit vereinten Kräften: Katastrophenschutz in Deutschland



Rede von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble bei der 3. Flussgebietskonferenz der Bundesregierung in Berlin

Wenn die Natur ins Spiel kommt, gibt es immer wieder Überraschungen. Manche sind eher harmlos. Vor zwei Jahren tauchte mitten im Sommerloch ein Bär namens Bruno in Bayern auf. Er wurde als Problembär bekannt und hat einige Aufregung verursacht ? selbst bei den zuständigen Behörden. Man kann nicht für alles Erdenkliche einen Plan in der Schublade haben. Und dann muss man improvisieren. Ein Bär mit Appetit auf Schafe oder ein Buckelwal vor der Insel Rügen sind das eine. Naturkatastrophen und Großschadenslagen sind das andere. Hier brauchen wir dann doch Pläne für den Notfall, vorab definierte Verantwortlichkeiten und feste Spielregeln der Zusammenarbeit.

Wir haben eine föderale Ordnung in unserem Land mit einem hohen Maß an Effizienz. Darauf können wir stolz sein. Sie gewährt ein hohes Maß an Schutz und Sicherheit. Das liegt vor allem daran, dass die Verantwortlichen in den Kommunen und den Ländern viele Dinge selbst entscheiden. Vor Ort ist das beste Wissen gebündelt um die Hintergründe, die Betroffenen und die Besonderheiten einer Situation. Deshalb ist es besser, wenn die Menschen dort auch die Möglichkeit haben, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Erst wenn sie aus eigener Kraft nicht weiterkommen, tritt eine höhere Ebene unterstützend hinzu. Das folgt aus unserer föderalen Ordnung und entspricht dem Subsidiaritätsprinzip.

Auch im Katastrophenfall gilt unser föderales Prinzip. Unser Notfallvorsorge- und Hilfeleistungssystem beruht ganz wesentlich auf dem Prinzip der Subsidiarität. Die Zuständigkeit, die Verantwortung und die Mittel für die Bewältigung solcher Notlagen liegen in erster Linie bei den Ländern und Gemeinden. Hier arbeiten Länder und Gemeinden im Verbund mit den großen Hilfsorganisationen und den Feuerwehren eng zusammen. Und der Bund ist Teil dieses Systems. Und zwar dann ? und nur dann ?, wenn die Länder den Bund im Katastrophenfall um Hilfe ersuchen.

Die kommunale Ebene ist zuständig und verantwortlich für die flächendeckende Vorsorge und die Entschärfung alltäglicher Notsituationen. Hieran wirken über 1,6 Millionen überwiegend ehrenamtliche Helferinnen und Helfer mit. Die Länder verstärken und unterstützen die kommunalen Einrichtungen bei schweren örtlichen Notlagen und auch beim überörtlichen Einsatz. Der Bund ist zuständig für den Schutz der Bevölkerung vor Gefahren und Risiken, die von militärischen Konflikten und Kriegen ausgehen. Dazu kommt der Ergänzende Katastrophenschutz. Wenn der Bund Einsatzgeräte und dergleichen mehr für den Schutz der Bevölkerung im Kriegsfall vorhält, liegt es nahe, die Geräte auch bei Großschadenslagen in Friedenszeiten einzusetzen. Deshalb unterstützt der Bund die Länder im Rahmen der Amts- und Katastrophenhilfe bei Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen. So sind die Kompetenzen in unserer Verfassung geregelt.

Die erste Flussgebietskonferenz fand im September 2002 statt. Sie war eine unmittelbare Reaktion auf die größte Hochwasserkatastrophe in der Geschichte unseres Landes. 21 Todesopfer waren zu beklagen. Die materiellen Schäden lagen schätzungsweise bei 9,1 Milliarden Euro. Die Bundesregierung leistete damals schnelle und unbürokratische Hilfe. Bereits Mitte August 2002 verkündete das Kabinett ein 12-Punkte-Programm mit einer Soforthilfe in Höhe von 100 Millionen Euro für die vom Hochwasser betroffenen Bürgerinnen und Bürger.

Die Prognosen aller nationalen und internationalen Forschungseinrichtungen zeigen, dass die globale Erderwärmung für den Bevölkerungsschutz, die Katastrophen- und Notfallvorsorge weit reichende Folgen haben wird. Wir müssen uns einstellen auf Situationen wie im Sommer 2002, auf eine veränderte Niederschlagsverteilung und -intensität, auf zunehmende Wetterextreme. Die Wahrscheinlichkeit flutartiger Überschwemmungen, schwerer Hochwasser und Sturzfluten wird aller Voraussicht nach steigen. Wir müssen dafür die nötige Vorsorge treffen. Hysterie ist freilich nicht am Platz. Das gilt ? heute ist ja ein besonderes Datum ? auch für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus.

Wir müssen uns diesen Szenarien bei allseits knappen Ressourcen stellen. Wir müssen die vorhandenen Erkenntnisse nutzen, ohne das Rad neu zu erfinden. Die Analyse des Hilfseinsatzes beim Hochwasser 2002 hat erbracht, dass Information, Zusammenarbeit und Ressourcenverteilung verbesserungsfähig sind. Bund und Länder haben deshalb verabredet, dass der Bund sein Unterstützungsangebot um ein koordinierendes Katastrophen- und Notfallmanagement erweitert.

Parallel müssen wir unsere Strategien ganzheitlich aufeinander abstimmen. Konzepte zum Katastrophenschutz müssen Hand in Hand gehen mit Konzepten des vorbeugenden Hochwasserschutzes, Fragen der Raumordnung und der Siedlungspolitik. Ebenso müssen staatliche Maßnahmen und der Selbstschutz der Bürgerinnen und Bürger Hand in Hand gehen. Schaulustige und Katastrophentouristen helfen niemandem etwas. Wir werden Katastrophen am besten bewältigen können, wenn die Bürger umsichtig, vorsorgend und informiert handeln.

Die Sommerhochwasser von 2002 bilden zusammen mit den Terroranschlägen in New York und Washington vor heute sieben Jahren eine Zäsur für unseren Zivil- und Katastrophenschutz. Sie brachten ein verändertes Gefahrenbewusstsein und sie gaben dem Zivil- und Katastrophenschutz einen neuen Stellenwert in unserem nationalen Sicherheitsnetz. Nicht zuletzt haben uns die Anschläge vom 11. September gezeigt, dass die traditionelle Unterscheidung von Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz obsolet geworden ist.

Dieses grundlegend veränderte Bewusstsein fand Ausdruck in zwei Beschlüssen der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom Juni und Dezember 2002. Darin haben sich Bund und Länder auf eine neue Rahmenkonzeption für den Zivil- und Katastrophenschutz verständigt, die sogenannte ?Neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland?.

In der Sache geht es um eine deutlich engere Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei Großschadenslagen, also Notlagen, die mehrere Bundesländer betreffen. Wir sind übereingekommen, dass Bund und Länder bei national bedeutsamen Ereignissen gemeinsam in der Verantwortung stehen. Gemeinsame Verantwortung nicht im Sinne von neuen Zuständigkeiten, von Mischverwaltung oder als Gemeinschaftsaufgabe im verfassungsrechtlichen Sinne. Gemeinsame Verantwortung vielmehr in einem pragmatischen Sinn: als partnerschaftliches Zusammenwirken über föderale Grenzen hinweg. Ziel ist ein effektives Krisenmanagement von Bund und Ländern bei Großschadenslagen, das die verschiedenen Ressourcen bestmöglich zusammen führt.

Die Entscheidung, welches Fachressort das Krisenmanagement auf Bundesebene im Bedarfsfall übernimmt, richtet sich nach der konkreten Gefahren- oder Schadenslage. Die Krisenstäbe der einzelnen Ministerien ? darunter des Bundesministeriums des Innern ? sind kurzfristig einsatzbereit, auch ressortübergreifende Krisenstäbe können rasch eingerichtet werden.

Beispielsweise tritt bei einer Hochwasserkatastrophe von nationaler Bedeutung ein Krisenstab des Bundesinnenministeriums zusammen, wenn die betroffenen Länder um eine Beteiligung des Bundes ersuchen. Dieser Krisenstab wird in seiner Arbeit vom Gemeinsamen Melde- und Lagezentrum des Bundes und der Länder unterstützt, der zum Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gehört. Dieses Bundesamt hat die Bundesregierung 2004 als Konsequenz aus der ?Neuen Strategie? errichtet. Es bündelt die Dienstleistungen und Serviceangebote des Bundes im Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes und ist zum Beispiel für die Warnung und Unterrichtung der Bevölkerung zuständig.

Das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum des Bundes und der Länder sorgt für das länder- und organisationsübergreifende Informations- und Ressourcenmanagement bei großflächigen Schadenslagen oder sonstigen Lagen von nationaler Bedeutung. So kann der Krisenstab des BMI über das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz- und Katastrophenhilfe erfahren, wo bestimmte Spezialgeräte oder Einsatzfahrzeuge gebraucht werden und an welcher Stelle sie verfügbar sind. Dazu dient das ?deutsche Notfallvorsorge-Informationssystem?, eine hochmoderne Datenbank, die die Vernetzung von Informationen für das Management von Großkatastrophen ermöglicht. Alle Lagezentren der Bundesressorts, der Innenministerien der Länder, auch die obersten Gefahrenabwehrbehörden und Fachbehörden des Bundes haben Zugang zu diesem System.

Um das Zusammenwirken der Krisenstäbe von Bund und Ländern zu üben, führen wir seit dem Jahr 2004 ressort- und länderübergreifende Krisenmanagementübungen (LÜKEX) und Planbesprechungen der Interministeriellen Koordinierungsgruppe durch. Die Übungen dienen ebenso der engen Verzahnung der polizeilichen und nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr sowie des öffentlichen und privaten Sektors. Inzwischen haben alle Bundesländer an diesen Übungen teilgenommen. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei der Krisenbewältigung hat davon erheblich profitiert.

Der Bund unterstützt das Krisenmanagement der Länder auch sonst in vielfältiger Weise, zum Beispiel bei der Einsatzausstattung und Ausbildung. Wir stellen beim Ergänzenden Katastrophenschutz sogar mehr Mittel etwa bei den Feuerwehren zur Verfügung, als es bei einer engen gesetzlichen Auslegung notwendig wäre.

Um die notwendigen rechtlichen Grundlagen für diese neue Form der Unterstützung zu schaffen, sind wir mit den Ländern seit längerem im Gespräch. Das ist keine einfache Aufgabe, auch nicht im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Begründung.

Ein Beschluss der diesjährigen Frühjahrssitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder hat den Weg frei gemacht für eine Fortentwicklung der Rechtsgrundlagen im Bevölkerungsschutz. Der Bund hat ein Konzept vorgelegt, das die Länder gebilligt haben. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann.

Dieses Gesetz ermöglicht eine zentrale Koordinierung durch den Bund, allerdings nur auf Ersuchen und im Einvernehmen mit den betroffenen Ländern. Das operative Krisenmanagement verbleibt in jedem Fall bei den Ländern. Es wird kein operatives Weisungsrecht des Bundes gegenüber Landesbehörden geben.

Bund und Länder passen den Zivil- und Katastrophenschutz konsequent an die neuen Herausforderungen an. Das weiterentwickelte Bevölkerungsschutzsystem bietet die Gewähr für hohe Effektivität, aber auch für hohe Flexibilität. In diesem System gestaltet der Bund den Bevölkerungsschutz aktiv und partnerschaftlich mit. Er leistet damit einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in einem Kernbereich staatlicher Daseinsvorsorge. Auch und gerade die Menschen in den Flussgebieten profitieren davon, dass der Bevölkerungsschutz in Deutschland gut vorangekommen ist. Und natürlich hoffen wir auf eine umfassende, nachhaltige Flussgebietspolitik, damit wir über den Katastrophenschutz gar nicht viel sprechen müssen.