Keynote von Dr. Wolfgang Schäuble beim Entscheider-Forum von Tagesspiegel und Handelsblatt



Keynote von Dr. Wolfgang Schäuble beim Entscheider-Forum von Tagesspiegel und Handelsblatt
„50 Jahre Top-Management-Beratung in Deutschland“ – Was ist das eigentlich: Beratung? Was macht ein Berater? Welche Rolle hat er, welche wird ihm zugewiesen oder weist er sich selbst zu?

„Politik kennt seit der Antike die Figur des Beraters. Aristoteles war Schüler von Platon und Lehrer von Alexander dem Großen.

Und wie Politiker selbst werden auch ihre Berater mitunter kritisch hinterfragt. Das kennen wir schon aus der Geschichte und der Kulturgeschichte der Neuzeit. Umstrittene Protagonisten, die uns bis heute beschäftigen und als Folie zur Betrachtung aktueller Vorgänge und Ereignisse dienen. Immer wieder fallen dann Namen wie Machiavelli, der Astrologe Seni bei Wallenstein oder der intrigante Marinelli in Lessings „Emilia Galotti“. Übrigens: Auch Mephisto ist Fausts Berater.

Das sollte uns zu denken geben.

Guter Rat ist teuer, heißt es. In meinem Amt bekomme ich im wahrsten Sinne des Wortes die Rechnung dafür auf den Tisch, wenn es um Beratung für den Bund geht. Nichts gegen einen guten Rat. Der sollte einem ruhig auch teuer sein. Darauf legt nicht nur der Anwalt wert.

Guter Rat hat etwas mit Sachverstand oder auch Erfahrung zu tun. In eigener Sache ist man meist ein schlechter Ratgeber. Das weiß der Mediziner. Und für den Anwalt ist eherne Regel, nicht in eigener Sache tätig zu sein. Für solche Beratung ist also Distanz wesentlich. Weil es aber ohne konkrete Sachkenntnis auch nicht geht, braucht es die richtige Balance zwischen Vertrautheit und Distanz. Und dann Spezialkenntnis.

Deshalb geht man zum Arzt, Anwalt oder Steuerberater. Auch in den Ministerien brauchen wir trotz aller Qualifikation der Mitarbeiter immer wieder auch Sachverstand von außen.

Managementberatung, Optimierung von Abläufen durch Organisationsberatung – was unterscheidet den Berater vom Manager? Wobei – zugegeben – viele in ihrem Berufsleben zwischen beiden Tätigkeiten wechseln. Breitere Erfahrungen oder eben doch Reduktion auf Teilbereiche, die letztlich nur zuliefert für die Entscheidung und selbst kein Risiko übernimmt.

Bei der Beratung in Teilbereichen liegt auch das Gutachten nahe, das oft mehr Objektivität verspricht, als es tatsächlich beinhaltet. Keine interessengeleitete Position ist so abwegig, dass es dafür nicht auch ein wissenschaftlich genanntes Gutachten gibt für entsprechendes Honorar.

Dahinter steckt dann meist auch das Interesse des Auftraggebers, sich vom Risiko der eigenen Entscheidung zumindest teilweise frei zu zeichnen.

Das gilt gewiss auch für die Beratung bei Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung.

Nun ist eine funktionierende Verwaltung heute weitgehend unbestritten ein wichtiger Standortfaktor. Deshalb ist Beratungshilfe beim Aufbau leistungsfähiger Strukturen durch internationale Institutionen, wie dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank oder auch bilateral in Europa, oder eben durch erfahrene Managementberater, so wichtig geworden.

Auch in eingeschliffenen Verwaltungen können, müssen Abläufe immer wieder in Frage gestellt und optimiert werden. Da hilft externer Sachverstand, Beratung. Aber Vorsicht vor den einfach wirkenden Schlagworten: Natürlich tut unternehmerisches Denken in Verwaltungen gut, genauso übrigens wie gesamtgesellschaftliches Denken und Verantwortung auch bei Unternehmen nicht schadet.

Aber Effizienz in Verwaltung und Politik misst sich anders als in wirtschaftlichen Erfolgen. In der Politik gibt es die eine richtige Lösung meist nicht. Die darf es eigentlich gar nicht geben, weil es sonst mit der Demokratie schnell zu Ende ginge.

Weil Effizienz in Verwaltung und Politik schwieriger zu bestimmen ist, unterliegen diese dafür auch mehr der öffentlichen Kritik, stehen stärker unter medialer Beobachtung.

Das mag die Risikobereitschaft verringern – aber noch einmal: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit haben nicht zuerst die Aufgabe der Ablauf- und Kostenminimierung, sondern der Gewährleistung von Freiheit, Rechtsschutz und Beteiligung, auch der Konfliktvermeidung.

Und dann das Spannungsverhältnis zwischen Experten und Theorien zu Politik und Praxis, von Konzeptionen und gesellschaftlicher Realität. Es ist sachlich problematisch. Und es ist normativ problematisch.

Sachlich problematisch ist es wegen der verschiedenen Logiken der Handlungsfelder von Politik und wissenschaftlicher oder nicht-wissenschaftlicher Beratung.

Auf der einen Seite die argumentative Stimmigkeit nach den Regeln einer wissenschaftlichen Disziplin und innerhalb eines Sachzusammenhangs.

Auf der anderen Seite fängt für die Politik die Arbeit dann erst richtig an – und ist dann von vielen sachfremden Umständen bestimmt: von unmittelbar persönlichen Umständen der Handelnden bis zu solchen der Stimmung von Großgruppen und ganzer Gesellschaften.

Sachlich muss alles Hand und Fuß haben. Aber die politischen Prozeduren und Verfahren haben eben ihre ganz eigenen Logiken.

Man spricht politikwissenschaftlich etwas abschätzig auch von „Vetospielern“: Politik findet in Deutschland auf so vielen Ebenen, zwischen so vielen Mitsprache- und Mitentscheidungsberechtigten statt, dass die Argumentation selten ganz sauber im wissenschaftlichen, fachlichen Sinne bleiben kann.

Das kann allerdings nur den erschrecken, der vergisst, dass demokratische Politik mit Interessen und mit der Pluralität von Blickwinkeln zu tun hat, die in der Demokratie nicht das Störende sind, sondern die zur Sprache kommen sollen.

Es klingt wie eine Banalität: Politik hat um Mehrheiten zu werben. Doch das ist alles andere als banal. Es ist eine höchst anspruchsvolle und anstrengende Übung und ein Punkt, in dem sich Politik und Wissenschaft oder Beratung unterscheiden: Ein Wissenschaftler kann auch alleine Recht haben. In der Politik nützt das recht wenig.

Auch die Zeithorizonte sind verschieden: Ein Gutachten etwa wird in einer bestimmten Debattenlage in Auftrag gegeben. Zwei Jahre später liegt es auf dem Tisch des Ministers. Sie können sich vorstellen, dass es nicht immer ganz einfach ist, an die Debattenlage von vor zwei Jahren nahtlos anzuknüpfen.

Andererseits kann die Zeit für bestimmte Argumente dann auch wieder kommen. Gute Argumente erhalten sich über die Zeit. Aber das Ganze folgt eben keinem wissenschaftlichen, fachlichen Rhythmus.

Man kann etwa einer Dissertation vorwerfen, sie habe den sogenannten „Forschungsstand“ nicht berücksichtigt. Aber bei einem Gesetz hat ein solcher Vorwurf meist wenig politische Wirkung.

Das führt zur zweiten Problematik des Verhältnisses von Politik und Beratung oder Wissenschaft.

Normativ ist das Verhältnis problematisch, weil es in der Politik um viel mehr und anderes geht als darum, in einer Sachfrage Recht zu haben.

Es geht um Verantwortung, um Überzeugungsarbeit, auch um Befriedung von Konflikten. Es geht um Verantwortung für das Gemeinwesen als Ganzes. Darum, eine Gesellschaft zusammenzuhalten.

Man könnte ganz allgemein an den Unterschied zwischen Handeln und Betrachten erinnern. Die Erkenntnis ist ja nicht falsch, nur weil sie alt ist. „Der Handelnde ist immer gewissenlos; es hat niemand Gewissen als der Betrachtende.“

So hat Goethe in den „Maximen und Reflexionen“ formuliert, dass der Handelnde die Chuzpe haben muss, nicht alles zu berücksichtigen und sich von Unsicherheit nicht hemmen zu lassen – sonst wird es nichts mit dem Handeln.

Politik ist jedenfalls deutlich mehr, als die Handlungsempfehlungen von Gutachten auszuführen.

Man muss heute immer stärker begründen: „Warum tun Sie nicht, was das Gutachten empfiehlt?“

Aber ich will nicht über Rechtfertigungszwänge klagen. Sich zu rechtfertigen ist eine vornehme Pflicht der Politik. Vor allem der Politik, könnte man sagen. Nicht Viele müssen sich so viel rechtfertigen wie Politiker.

Zugleich muss sich die Politik selbst fragen: Nutzt sie ihren Gestaltungsspielraum immer genügend aus?

Wichtig wäre also ein besseres Gespür für die Logiken und Zwänge der jeweils anderen Seite. Das kann man am ehesten erreichen über einen zeitweisen Personalaustausch für den wechselseitigen Blick in die verschiedenen Welten:

Berater und beratende Wissenschaftler sollten auch einmal in der Verwaltung arbeiten, Beamte wiederum von Zeit zu Zeit in Unternehmen oder politiknahen Forschungsinstituten.

„Man muss etwas Neues machen, um etwas Neues zu sehen“, hat Georg Christoph Lichtenberg gesagt.

Das ist dann am Ende auch eine Frage von beamtenrechtlichen Beurlaubungsregelungen für eine zeitweise Tätigkeit außerhalb des Staatsdienstes und von Möglichkeiten des Ein- und Ausstiegs in den öffentlichen Dienst von Seiten der Privatwirtschaft sowie eines klaren Rahmens aus Compliance-Regeln.

Letztes Jahr im Sommer haben die Bundesministerien ausgerechnet, wieviel sie gemeinsam in vier Jahren für Beratung und externe Dienstleistungen ausgegeben haben:
fast 1 Milliarde Euro.

Hier fragen manche, ob man nicht häufiger mit dem Sachverstand der Ministerialbürokratie selbst arbeiten könnte.

Aber ein wenig Schuld an dieser Zahl hat auch die mediale Öffentlichkeit: Es scheint schon wichtig, wenn man in der heutigen medialen Öffentlichkeit bestehen will, dass man für seine Position oder sein Vorhaben ein Gutachten vorweisen kann.

Ob wir diese Kultur des Rechtfertigungsgutachtenwesens wirklich brauchen, ob das die richtige Form von Beratung ist, das ist eine andere Frage.

Die sich oft widersprechenden Gutachten von interessierter Seite zeigen einem allerdings, was man oft schon ahnte: Dass die Sache oftmals nicht klar auf der Hand liegt. Handeln, entscheiden, muss man trotzdem – siehe Goethe.

Grundsätzlich problematisch finde ich auch, wenn Experten manchmal zu Phantasien von Masterplänen und Gesellschaftssteuerung neigen.

Da kann dann die Sicherheit der eigenen Überzeugung auch freiheitsgefährend werden.

Es gibt etwa Klimaberater, die dem Bundestag am liebsten demokratisch nicht legitimierte Räte mit Vetofunktionen zur Klimaverträglichkeitsprüfung aller Gesetze zur Seite stellen möchten.

Zukunftsszenarien, Prognosen und Pläne verfehlen allzu oft die künftige Wirklichkeit, gerade auch in den Wirtschaftswissenschaften und in der Wirtschaftsberatung. Wenn man doch immer vorher wüsste, was sich später als Flop oder Blase entpuppt!

Nebenbei, weil wir gerade von der Hayek’schen „Anmaßung von Wissen“ reden:

Sie kennen wahrscheinlich die Versuche mit Affen oder Papageien, die bei der Auswahl gewinnbringender Aktien regelmäßig hoch bezahlte Anlageberater schlagen.

Das sind keine Märchen. Der Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer hat diese weltweiten tierischen Portfolio-Erfolge einmal höchst amüsant zusammengestellt.

Das sollte alle bescheidener machen, die sich was auf ihre Fähigkeiten zur Voraussicht zugutehalten.

Also ich rate vor allem dazu, Berater stärker in die Häuser zu holen zur Mitarbeit, und nicht allein auf externes Gutachtenwesen zu setzen.

Ein Beispiel dafür aus meiner Zuständigkeit ist der Bankenbereich. Da ist der Austausch heute wichtiger denn je, aber zugleich seit Ausbruch der Finanzkrise auch schwieriger denn je.

Den Rat, es mit der Regulierung jetzt aber mal gut sein zu lassen, würde ich allerdings nicht annehmen.

Peter Sloterdijk hat in einer historischen Überschau zur Figur des Beraters einmal festgestellt, es sei „für alle Ratgeber unumgängliche Notwendigkeit, sich vor der Rache des Klienten in Sicherheit zu bringen“.

„Die Undankbarkeit des Klienten“, so Sloterdijk weiter,
sei „ohne Zweifel die solideste Konstante in der Geschichte der konsultativen Berufe“, und wer sie nicht rechtzeitig in Rechnung stelle, bekomme sie wohl früher oder später selbst zu spüren.

Vermutlich würde Sloterdijk sagen, dass ich für diese Undankbarkeit heute hier selbst ein Beispiel gegeben hätte.

Aber mir ist vor allem wichtig, das Berater und die von ihnen Beratenen einander besser verstehen und dadurch gemeinsam zu besseren Ergebnissen kommen. Das ist dringend erforderlich:

Die Welt des 21. Jahrhunderts wird immer komplexer: Globalisierung, Digitalisierung, Beschleunigung in allen Bereichen.

Wer in der Politik glaubt, er könne unsere heutige Welt alleine mit den Bordmitteln der Ministerien und Verwaltungen gestalten, der wird scheitern.

Beratung ist deswegen umso dringlicher. Doch sie muss passgenau sein. Sie muss den zu Beratenen und sein politisches wie gesellschaftliches Umfeld mit abbilden. Sonst erzielt sie keine Wirkung.

Wir müssen also stärker „von der Beraterrepublik zur gut beratenen Republik“ kommen, wie das einmal auf einer Konferenz der Bertelsmann Stiftung hieß.

Um das zu schaffen, brauchen wir mehr Austausch zwischen allen Bereichen, ob Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft oder Medien. Hier hemmt allerdings die immer noch starke Versäulung von Berufsbereichen in Deutschland.

Aber wie sollen wir uns gegenseitig wirklich verstehen, wenn wir die sogenannte „andere Seite“, ein Ausdruck übrigens, der für ein Denken steht, das angesichts unserer immer enger miteinander vernetzten Welt auch nicht mehr zeitgemäß erscheint, immer nur aus der äußeren Betrachtung heraus kennen und nicht von innen?

Zwar wird allgemein mehr Dialog zwischen Politik und Gesellschaft gefordert und von Beratung mehr Anschlussfähigkeit an die Politik. Aber wie sollen diese Forderungen zufriedenstellend erfüllt werden, wenn Berufsbiographien in unserem Land in der Regel kaum über einen Sektor hinausgehen? Und wenn sogar Nebentätigkeiten von Abgeordneten zunehmend kritisch beäugt werden, und der Wechsel aus dem Mandat in eine andere Berufswelt noch mehr?

Wir brauchen hier ein stärkeres Umdenken – in der Politik, in der Verwaltung, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, auch in den Medien.

Dann wird Beratung das leisten können, was wir von ihr erwarten: Argumente für Entscheidungen transparent zu machen, ohne dass sie jedoch den Entscheidungsträgern letztlich das Risiko und die Verantwortung für die Entscheidung abnehmen kann.“