„In der Krise zu sparen, wäre falsch“



Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Passauer Neuen Presse
Die Staatsfinanzen tief in der Krise, doch Schwarz-Gelb plant Steuerentlastungen. Wie passt das zusammen?

Schäuble: Das Ergebnis der Steuerschätzung ist nicht überraschend. Die gesamtwirtschaftlichen Rahmendaten sind besser geworden. Dass es dennoch zu zusätzlichen Steuerausfällen in diesem Jahr kommt, beruht auf Steuerrechtsänderungen, die bei der Mai-Schätzung noch nicht berücksichtigt werden konnten. Zum 1 . Januar wird ein finanziell begrenztes Sofortmaßnahmenpaket in Kraft treten. Wir werden das Kindergeld und die Kinderfreibeträge erhöhen. Es geht auch um Korrekturen bei der Unternehmensteuer und der Erbschaftsteuer, und der Mehrwertsteuersatz für Beherbergungsleistungen in der Gastronomie wird gesenkt. Dieses Sofortpaket kommt – unabhängig vom heutigen Ergebnis der Steuerschätzung.

Um welche Entlastungssumme geht es?

Schäuble: Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz wird Bürger und Unternehmen um 8,4 Milliarden Euro jährlich entlasten. 4,5 Milliarden Euro der Steuerausfälle trägt der Bund.

Selbst Unions-Ministerpräsidenten stellen sich gegen steuerliche Entlastungen. Können die Pläne im Bundesrat scheitern?

Schäuble: Davon gehe ich nicht aus. Die Maßnahmen sind notwendig, richtig und maßvoll. Der Koalitionsvertrag hat im Übrigen die ungeteilte Zustimmung aller drei Koalitionsparteien. Die Bedenken richten sich eher gegen die geplanten Steuersenkungen 2011.

Können Sie den Ländern finanziell entgegenkommen?

Schäuble: Beim Kindergeld wird der Bund 74 Prozent der Kosten übernehmen, die Länder nur 26 Prozent. Das ist eine faire Aufteilung. Ich will die Länder nicht über den Tisch ziehen. Die Zeit drängt extrem. Deshalb berücksichtige ich das, was die Länder durchsetzen wollen, und biete es ihnen direkt an. Aber das ist es dann auch. Mehr ist nicht drin.

Muss der Bund höhere Schulden aufnehmen, um die Wohltaten zu finanzieren?

Schäuble: Wir haben das Ziel, die geplante Neuverschuldung von 86,1 Milliarden Euro 2010 nicht zu überschreiten. Diese Marke ist mit dem Haushaltsentwurf vom Juli gesetzt. Das wird anspruchsvoll, ist aber machbar. Dabei werden wir zusätzlich noch weitere Maßnahmen finanzieren: Ein Sofortprogramm für die Landwirtschaft wird realisiert. Die Anhebung des Schonvermögens bei Hartz IV wird ebenfalls im neuen Entwurfberücksichtigt. Schließlich setzen wir eine erste Tranche des 12-Milliarden-Programms für Bildung und Forschung mit 750 Millionen Euro jährlich um. Dann ist der Spielraum erschöpft. Es gibt keinen Puffer für Mehrforderungen der Ressorts.

Ihr Vorgänger Peer Steinbrück hat Ihnen einen überdimensionierten Rotstift geschenkt. Kommt er beim Haushalt 2010 schon zum Einsatz?

Schäuble: In der Krise zu sparen, wäre falsch. Man darf nicht gleichzeitig Gas geben und bremsen. Wenn wir aus der Krise heraus sind, ist der Rotstift gefragt. Wir wollen möglichst zum 1 . Januar 20 1 1 eine Steuerreform mit weiteren Entlastungen. So steht es im Koalitionsvertrag. Wir müssen genau prüfen, wie wir das umsetzen. Und wir müssen mit den Ländern über die Entlastungen verhandeln.

Werden Sie die Ausgaben für Gesundheit und Arbeitsmarkt in einen Schattenhaushalt auslagern?

Schäuble: Nein. Die krisenbedingten Ausfälle beim Gesundheitsfonds und der Bundesagentur für Arbeit werden wir wie vereinbart übernehmen. Sie werden als Zuschuss, nicht als Darlehen gezahlt. Das geschieht im Rahmen des regulären Haushalts.

Zum Thema Opel: Eine Pleite des Autobauers würde den Staat zwei bis drei Milliarden Euro kosten, hatte Peer Steinbrück einmal vorgerechnet. Das müsste doch in jedem Fall vermieden werden?

Schäuble: Peer Steinbrücks Rechnung ist nicht falsch. Es geht aber nicht nur um den Haushalt, sondern um die betroffenen Menschen, um die Opel-Standorte und ganze Regionen. Deshalb haben wir uns engagiert. Die Bundesregierung bedauert die überraschende Entscheidung von General Motors, mit der der notwendige Restrukturierungsprozess jäh unterbrochen wurde.

Wird sich die Regierung jetzt noch einmal finanziell engagieren, um General Motors bei einer Opel-Sanierung zu unterstützen?

Schäuble: General Motors muss jetzt erst einmal den Überbrückungskredit von 1,5 Milliarden Euro zurückzahlen. Die Geschäftsgrundlage ist entfallen. Aber damit ist die Sache natürlich nicht zu Ende. Die Verantwortung für die Menschen und die Region kann der Staat nicht für erledigt erklären. Wir werden uns weiter mit den Ländern um Hilfe und Lösungen für die Betroffenen bemühen.

Gespräch: Christoph Slangen

(c) Passauer Neue Presse