„Ich zahle meine Steuern gerne“



Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung

Herr Schäuble, als im 16. Jahrhundert den Leuten mehr als die Hälfte ihres Einkommens weggesteuert wurde, gab es den Bauernaufstand. Sie können die Zeiten nicht vergleichen. Was wir heute Staat nennen, waren damals Wegelagerer und Raubritter, die sich vom Geld dieser armen Kerle finanziert haben. Heute bezahlt ein Single, Steuern und Sozialversicherungen addiert, 53 Prozent seines Einkommens. Darf ein Staat seinen Bürgern so viel Geld wegnehmen? Das Bedürfnis der Menschen nach sozialer Absicherung ist sehr groß. Deshalb ist unser Staatsanteil auch so hoch. Dass das nicht unproblematisch ist, gebe ich gerne zu. Professor Paul Kirchhof, der einmal fast einer Ihrer Vorgänger geworden wäre, nennt Steuern den Preis für die vom Staat garantierte bürgerliche Freiheit. Ist der Preis nicht schon konfiskatorisch, wenn man bedenkt, dass früher nur der Zehnte gezahlt wurde? Naja. Heute werden wir 80 Jahre alt. Die Zeit, in der wir Steuern und Beiträge bezahlen, bleibt aber kurz. Die wachsende Zeitdifferenz finanzieren wir zum großen Teil durch Steuern und Abgaben. Wie soll das mit einer Staatsquote von 25 Prozent gehen?

Sagen Sie es offen: Sie finden unsere Steuer- und Abgabenlast angemessen?

Ja. Das finde ich, angesichts dessen, was wir an Leistungen vom Staat erwarten. Ich finde allerdings auch, wir könnten mehr aus dem Geld machen und effizienter damit umgehen.

Dennoch wird die Steuer- und Abgabenlast mittelfristig eher steigen. Sagen wir es so: Sie wird in der jetzigen Größenordnung bleiben müssen.

Warum lassen Sie den Menschen nicht mehr von ihrem Einkommen, damit sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen können? Ich würde es ihnen schon zutrauen. Aber die Menschen wollen es nicht. Das hat die Politik zu respektieren. Wenn es konkret wird, wollen die Leute eher mehr als weniger öffentliche Leistungen. Aber jene Bürger, die zahlen, werden doch immer weniger. Zehn Prozent zahlen fünfzig Prozent des Aufkommens.

Jetzt kommen Sie plötzlich nur mit der Einkommensteuer daher. Vorher ging es um sämtliche Steuern und Abgaben. Wenn Sie alles berücksichtigen, sieht doch die Verteilung ganz anders aus. Die Abgaben beispielsweise treffen viel stärker die mittleren und unteren Einkommensschichten.

Gleichwohl: Die Gruppe der Transferempfänger und die der Zahler driftet immer weiter auseinander. Transfers demotivieren die Leute. Da haben Sie recht. Renate Köcher, die Allensbacher Meinungsforscherin, spricht von Statusfatalismus. Man glaubt nicht mehr an den sozialen Aufstieg. Aber der Sozialstaat muss ein hinreichendes Maß an Menschenwürde garantieren. Der Sozialstaat dehumanisiert, indem er ohne Gegenleistung die Menseben ruhigstellt.

Ja, deswegen sollten wir mehr Gegenleistung fordern, etwa gemeinnützige Arbeit.

Der Steuerbürger bat immer weniger Freiheit, weil die Staatsaufgaben zunehmen und die Steuergesetze komplizierter werden. . Ich zahle meine Steuern gern und kann trotzdem gut leben. Wir behaupten nicht, dass Sie verarmen. Wir fragen uns aber, warum wir uns diesen konfiskatorischen staatlichen Zugriff gefallen lassen sollen, der zudem unsere Leistungsbereitschaft schmälert. Noch einmal: Ich finde, Sie und ich verdienen gut. Da muss man Steuern nicht als Zwang ansehen. Wie soll denn eine Wirtschaftsordnung funktionieren ohne eine ordentliche Infrastruktur, die der Staat aus Steuermitteln zur Verfügung stellt? Das wird es Ihnen doch wohl wert sein.

Ist der staatliche Zugriff nicht dennoch willkürlich?

Quatsch. Das ist keine Willkür, sondern strikt gesetzlich geregelt, und es wird auch von der Bevölkerung abstrakt akzeptiert. Und konkret wird dann halt ein bisschen geschummelt. Damit muss man rechnen.

Wenn man das Steuerrecht vereinfachte und den fiskalischen Zugriff lockerte, gäbe es weniger Schummelei.

Doch natürlich, es gäbe sie weiterhin. Aber aller Radikalismus liegt mir fern. Wollen Sie etwa im Ernst durchsetzen, dass Spenden nicht mehr steuerlich absetzbar sind. Wissen Sie, was dann passiert? Dann spenden die Menschen weniger.

Da sieht man doch die Perversion: Erst knöpft der Fiskus den Leuten das Geld ab, dann gibt er großzügig ein paar Euro zurück, damit sie spenden. Würden Sie Ihnen mehr Geld lassen, wären sie zu höheren Spenden bereit.

Das glauben nur Sie. Menschen sind nun mal anders geartet. Meine Frau hat zwölf Jahre lang Spenden für die Welthungerhilfe gesammelt. Als es bei einem Wohltätigkeitsball keine Quittung gab, hat sie keine Lose verkauft.

Ist es nicht eher so, dass wir vom Fiskus entsprechend konditioniert wurden?

Vielleicht werden wir wie die Amerikaner in ein oder zwei Generationen. Aber wollen wir wirklich werden wie die Amerikaner? Dort gibt es auch den freien Waffenbesitz . . . . . . das eine hat doch mit dem anderen wenig zu tun!

Doch, doch. Der Waffenbesitz ist die Kehrseite des Ganzen: Ein freier Mann kümmert sich um seine

Nachbarschaft. Aber er verteidigt sich auch. Dahinter steckt die Philosophie, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist. Ich möchte diesen Preis nicht zahlen, ich lebe lieber in einer sozialen Marktwirtschaft. In Deutschland hat der Staat eine stärkere Stellung als in Amerika. Und das ist gut so. Dieser Staat gibt in Wirklichkeit viel mehr Geld aus, als er von seinen Bürgern einsammelt und verschuldet sich exorbitant.

Die jetzige Neuverschuldung ist nötig wegen der Krise. Das ist eine Ausnahmesituation. Dafür sind wir gerade sogar vom Bundesbankpräsidenten gelobt worden . . . und vom, Sachverständigenrat gerügt worden.

Nein. Die Sachverständigen haben nicht die Neuverschuldung 2010 kritisiert, sondern nur das vergangene Woche verabschiedete Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Und sie mahnen uns, nach 2011 die Schulden wieder zu reduzieren. Dass Sie das schaffen, glauben Ihnen die Wirtschaftsweisen nicht. Lassen Sie das mal ruhig mein Geschäft sein. Wir schaffen das schon. Ich bin gottfroh, dass wir die Schuldenbremse, also das „verbot künftiger Neuverschuldung, im Grundgesetz haben. Ich weiß nicht, ob ich ohne dieses Gesetz den Job als Finanzminister angetreten hätte. Die Schuldenbremse ist hart und bietet keine Möglichkeit, sie zu unterlaufen.

Verraten Sie uns, wie Sie das Leben auf Pump abstellen? Oder müssen Sie erst die Wahl in Nordrhein-Westfalen abwarten? Es ist doch klar, dass ein Schuldenabbau um jährlich zehn Milliarden Euro von 2011 an Widerstände provoziert. Wer jetzt schon alles verrät, läuft Gefahr, dass später alles zerredet wird. Aber wir müssen schon vor der NRW-Wahl damit beginnen, die Menschen davon zu überzeugen, dass der Schuldenabbau keine Bedrohung, sondern eine „Verheißung ist.

Mit Wachstum allein werden sie die Schulden jedenfalls nicht loswerden.

Hohe Wachstumsraten sind in reifen Industrienationen nicht mehr drin. Aber denken Sie daran, dass die krisenbedingten Steuerausfälle in diesem Jahr allein beim Bund 43,5 Milliarden Euro betragen. Die Rückkehr in normale Zeiten reduziert dann immerhin schon einen Teil der Kredite ohne jegliche Steuererhöhung.

Sie werden dennoch nicht umhin können, im Jahre 2011 Staatsausgaben drastisch einzuschränken. Drastisch muss das nicht werden. Aber einschränken müssen wir. Da müssen wir gesetzliche Regelungen korrigieren. Mittelfristig können wir uns zum Beispiel diese starke Steuerfinanzierung des Gesundheitssystems nicht leisten. Auch müssen wir Effizienzgewinne in der öffentlichen Verwaltung erzielen.

Trotzdem müssen Sie am Ende des Tages die Staatseinnahmen erhöhen, um die Verschuldung zu drosseln. Zum Beispiel mit einer Pkw-Maut?

Wie wir unsere Verkehrsinfrastruktur auf Dauer finanzieren, darüber werden wir allerdings nachdenken müssen. Das sage ich vor allem deshalb, weil wir aufgrund unserer geographischen Lage in der Mitte Europas ein Transitland sind. Viele Menschen befürchten, dass Sie sich letztlich durch eine Inflation entschulden. Das wäre eine Enteignung der Gläubiger durch die Schuldner und wurde in der Geschichte schon oft gemacht. Sie vergessen das strenge Regiment der Europäischen Zentralbank, die strikt auf Stabilität ausgerichtet ist. Diese wird zum richtigen Zeitpunkt die Zinsen anheben. Denn zu viel Liquidität ist eine Gefahr und kann die nächste Finanzblase erzeugen.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Ihr Vater war Steuerberater. Was haben Sie von ihm gelernt? Anstand und Korrektheit. Beim Finanzamt war es bekannt, dass er verlässlicher war als jeder Betriebsprüfer.

Das Gespräch führten Rainer Hank und Konrad Mrusek. Der Schuldenmann

Mit Finanzen hat Wolfgang Schäuble (geboren 1942) 1971 seine Berufsausbildung begonnen: in der Steuerverwaltung des Finanzamtes I in Freiburg. Der studierte Jurist arbeitete anschließend als Rechtsanwalt, betätigte sich freilich rasch auch politisch und reüssierte unter Helmut Kohl. Schon 1 984 wurde Schäuble erstmals ein Regierungsamt angetragen: als Minister für besondere Aufgaben. Innenminister war er zweimal: 1 989 bis 1998 und 2005 bis 2009. Überraschend machte Kanzlerin Angela Merkel ihn im Herbst zum Finanzminister der neuen schwarzgelben Koalition. Mit einer NeUverschuldung von 100 Milliarden Euro im Jahr 2010 schlägt er alle bisherigen Schuldenrekorde.

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