„Ich bin ein glücklicher Mensch“



Im Interview mit der Bild am Sonntag spricht Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble über die erfolgreiche Haushaltspolitik der Bundesregierung, Herausforderungen angesichts der europäischen Staatsschuldenkrise und über sein privates Glück im Urlaub auf Sylt.

BILD am SONNTAG: Herr Schäuble, die Wahlperiode geht zu Ende. Wie war es, vier Jahre Bundesfinanzminister zu sein?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Es war eine aufregende Zeit mit vielen Herausforderungen und einigen spannenden Momenten. Aber wenn ich sehe, was wir erreicht haben, dann kann man zufrieden sein: Die wirtschaftliche Lage ist besser, als wir zu hoffen gewagt haben, die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung, wir halten – was uns niemand zugetraut hat – die Schuldenbremse mit großem Abstand ein, vor allem weil wir die Ausgaben des Bundes in dieser Wahlperiode nicht nur stabil gehalten haben, sondern 2014 sogar noch unter den Ausgaben von 2010 liegen. Das hat es auch noch nicht gegeben.

BILD am SONNTAG: Die Opposition kritisiert, dass in Ihrer Amtszeit 100 Milliarden Euroneue Schulden gemacht wurden, obwohl der Staat so viel Geld einnimmt wie nie zuvor. Können Sie damit wirklich zufrieden sein?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Ich habe von meinem Vorgänger Peer Steinbrück einen Haushalt geerbt, der stark von der Finanzkrise geprägt war. Steinbrücks Planung sah eine Neuverschuldung allein im ersten Jahr von 86 Milliarden Euro und von 260 Milliarden für die gesamte Legislaturperiode vor. Deswegen haben mich seine Vorwürfe im Bundestag schon überrascht, denn er müsste ja seine eigenen Zahlen noch kennen. Ganz sicher ist es für die Opposition und Herrn Steinbrück nicht leicht, dass wir den Bundeshaushalt seit 2010 in nur einer Wahlperiode grundlegend saniert haben.

BILD am SONNTAG: Als 1991 der Solidaritätszuschlag eingeführt wurde, wollte Helmut Kohl ihn auf ein Jahr begrenzen. Sie waren damals schon im Kabinett. Haben Sie das damals geglaubt?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Natürlich hatten wir damals andere Erwartungen für Dauer und Umfang der Aufbauleistungen. Aber die Bedenkenträger von damals und heute hätten die Einheit – den größten Glücksfall der deutschen Nachkriegsgeschichte – nicht zustande gebracht. Jetzt haben wir den Solidarpakt II, der bis 2019 läuft. Vorzeitig werden ihn diese Regierung und die Kanzlerin nicht aufkündigen. Das könnten die Menschen in den neuen Bundesländern nicht verstehen. Jede Diskussion über den Soli zum jetzigen Zeitpunkt ist daher unzeitgemäß.

BILD am SONNTAG: Haben die Bürger wenigstens Ihr Wort, dass sie ab 2019 den Soli nicht mehr zahlen müssen?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Was für einen Sinn sollen denn Schwüre auf eine fernere Zukunft haben? Wir sind jetzt im Wahlkampf für den nächsten Bundestag, der bis 2017 tagen wird. Es wäre anmaßend, mich heute zu Fragen zu äußern, die den übernächsten Bundestag betreffen.

BILD am SONNTAG: FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle nennt den Soli einen „Fremdkörper“ im Steuersystem . . .

WOLFGANG SCHÄUBLE: Da hat Rainer Brüderle, den ich sehr schätze und mit dem ich gut zusammenarbeite, ja nicht unrecht. Die Ergänzungsabgabe ist nach der Systematik des Grundgesetzes ein Sonderfall. Aber die Wiedervereinigung Deutschlands war auch eine Ausnahme-Herausforderung.

BILD am SONNTAG: Wird der Soli nach der Wahl zu einer Koalitionsfrage für Schwarz-Gelb, sollten Union und FDP erneut die Mehrheit haben?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Der Soli ist keine Frage, an der die Fortsetzung von Schwarz-Gelb scheitern würde. Denn Union und FDP verbindet ein hohes Maß an Übereinstimmung in den entscheidenden Politikbereichen.

BILD am SONNTAG: Und was antworten Sie den Bundesländern, die sagen, dass sie ohne zusätzliche Mittel nicht auskommen, zum Beispiel aus einem neuen Solidarpakt oder einem Deutschlandfonds?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Das sagen nicht alle Länder, sondern nur ganz bestimmte, zum Beispiel der nordrhein-westfälische Finanzminister, dessen Haushalt zum zweiten Mal für verfassungswidrig erklärt worden ist. Und Baden-Württemberg kam bis zum Regierungswechsel ohne neue Schulden aus, jetzt werden von der neuen grün-roten Regierung wieder Schulden gemacht, obwohl sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland in der Zwischenzeit doch nicht verschlechtert, sondern eher verbessert hat. Sozialdemokraten und Grüne können nicht mit Geld umgehen, wir aber können es – das macht den Unterschied.

BILD am SONNTAG: Kann Angela Merkel die Wahl noch verlieren?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Die Wahl ist längst nicht entschieden. Sollten Union und FDP nicht wieder eine Mehrheit bekommen, wird es nach meiner festen Überzeugung eine SPD-geführte Regierung unter Beteiligung der Linkspartei geben.

BILD am SONNTAG: Sie glauben Peer Steinbrück nicht, der das ausgeschlossen hat?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Ob Peer Steinbrück sich an einer solchen Koalition beteiligt, muss er dann entscheiden. Aber Hannelore Kraft, die gerade erklärt hat, dass auch eine Große Koalition möglich sei, hat seinerzeit in Nordrhein-Westfalen genau dasselbe gesagt – und dann eine von der Linkspartei gewählte Regierung gebildet. Und das würde die SPD auch in Berlin tun.

BILD am SONNTAG: Die 17 Euro-Staaten sind so hoch verschuldet wie nie zuvor.Besonders die Krisenländer Griechenland, Irland und Italien werden von Schuldenbergen fast erdrückt. Wissen Sie einen Ausweg?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Wir sind noch nicht vollständig über den Berg, aber die Neuverschuldung in Europa geht stark zurück und ist im Schnitt nur noch halb so groß wie vor drei Jahren. Dennoch gibt es eben noch immer neue Schulden, und darum wächst bei einigen auch der Gesamtschuldenstand. Entscheidend ist neben der Senkung der Neuverschuldung aber auch die Durchführung von Wirtschafts- und Sozialreformen für mehr Wachstum, und hier sind wir auf einem guten Weg.

BILD am SONNTAG: Fakt ist: Die Schuldenquote Griechenlands liegt bei 160 Prozent der Wirtschaftskraft.Ohne einen weiteren Schuldenschnitt im nächsten Jahr ist Athen doch nicht zu retten, oder?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Griechenland wird sicherlich auch über 2014 hinaus geholfen werden, soweit dann noch erforderlich, wenn das Land die Auflagen erfüllt. Das ist nichts Neues, das habe ich schon im Bundestag bei der Abstimmung zum aktuellen Griechenland-Programm gesagt. Fest steht aber: Einen zweiten Schuldenschnitt für Athen wird es nicht geben.

BILD am SONNTAG: Was sagen Sie als Protestant eigentlich zum neuen Papst Franziskus?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Bei aller Zurückhaltung als Protestant bei der Bewertung des Papstes: Papst Franziskus ist ein unglaubliches Glück für die Menschheit. Aus meiner Sicht ist er ein Geschenk für die ganze Welt, nicht nur für die Katholiken. Ein Papst, der so bescheiden auftritt, der im Hotel seine Geldbörse zückt und die Rechnung verlangt, den seine erste Reise zu den Flüchtlingen auf Lampedusa führt, ist einfach wunderbar. Ein Priester im besten Sinne.

BILD am SONNTAG: Wenn am 22. September gewählt wird, sind Sie 71 Jahre alt. Nach allem, was man von Ihnen weiß, hätten Sie gegen weitere vier Jahre als Bundesfinanzminister nichts einzuwenden. Ist Politik eine Droge für Sie?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Politik nimmt in meinem Leben viel Raum ein, immerhin bin ich Politiker, aber es ist keine Droge. Im Urlaub zum Beispiel bin ich nicht auf Entzug, da fehlt mir die Politik überhaupt nicht. Ich habe mich aber schon immer für Politik interessiert und engagiert. Und dann habe ich eines Tages mein Hobby zum Beruf gemacht. Ich hatte mit knapp 30 die Chance, Bundestagsabgeordneter zu werden und das ist dann wie mit einem jungen Fußballer, dem man einen Profivertrag anbietet. Der greift zu.

BILD am SONNTAG: Trauen Sie sich vier weitere Jahre zu?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Ich habe mich sorgfältig geprüft und mir Rat geholt. Ich habe mit meinen Parteifreunden beratschlagt. Die Arbeit macht mir Freude, es kommen wichtige Aufgaben auf uns zu, ich bin fit. Wir müssen Europa zusammenhalten, damit nicht die Welt aus den Fugen gerät. Daran würde ich gern weiterarbeiten. Und deshalb kandidiere ich wieder für den Bundestag. Alles Weitere sehen wir nach der Wahl. Ich bin da ganz entspannt.

BILD am SONNTAG: Die australische Sterbebegleiterin Bronnie Ware hat ein viel beachtetes Buch darüber geschrieben, was Menschen am Ende ihres Lebens am meisten bereut haben. An erster Stelle steht der Wunsch, stärker das eigene Ich ausgelebt zu haben, an zweiter der, nicht so viel gearbeitet zu haben. Können Sie das verstehen?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Letzte Gedanken kommen einem erst, wenn es tatsächlich so weit ist. Vielleicht hätte ich mehr Zeit mit meiner Frau und den Kindern verbringen können. Aber die haben das alles wunderbar gemacht und mitgetragen. Ich habe in den letzten Jahren meine beiden Brüder verloren und war selbst so schwer krank, dass ich weiß, dass das Leben endlich ist. Mein Beruf erfüllt mich, und ich bin mit mir im Reinen. Ich bin ein glücklicher Mensch.

BILD am SONNTAG: Vor der heißen Wahlkampfphase machen Sie Urlaub auf Sylt. Wie sieht ein perfekter Urlaubstag bei Wolfgang Schäuble aus?

WOLFGANG SCHÄUBLE: Schönes Wetter und nicht zu starker Gegenwind beim Fahren auf meinem Handbike. Frühstück und Spielen mit den Enkeln, Abendessen mit der ganzen Familie und tagsüber – während Kinder und Enkel am Strand sind – viel Lesen und, da keine WM oder EM ist, kaum Fernsehen. Das ist für mich der perfekte Urlaubstag.